Predigt über Epheser 4, 7.11-16 von Helmut Dopffel
4,7

Predigt über Epheser 4, 7.11-16 von Helmut Dopffel

Vorbemerkung: Die Lutherübersetzung scheint mir für diesen Predigttext ungeeignet. Ich wähle die Übersetzung der BasisBibel (mit leichten Variationen), die auch den Anschluss nach vorne (V 7) herstellt, und füge die Prädikation aus V 10 ein.
  
  Liebe Gemeinde,
  heute hören wir hohe Worte über die Kirche. Und an Pfingsten darf man das auch, ja muss man es sogar. Diese hohen Worte hat der Verfasser des Epheserbriefes vor langer Zeit den Christen im römischen Weltreich ins Stammbuch geschrieben, und heute uns:
  
  11 Christus, der das All erfüllt, hat jedem seine Gaben geschenkt:
  Die einen hat er zu Aposteln gemacht.
  Andere zu Propheten
  oder zu Verkündern der Guten Nachricht.
  Und wieder andere zu Hirten oder Lehrern.
  12 Deren Aufgabe es ist,
  die Heiligen für ihren Dienst zu schulen.
  So soll der Leib von Christus aufgebaut werden.
  13 Am Ende sollen wir alle vereint sein im Glauben
  und in der Erkenntnis des Sohnes Gottes.
  Wir sollen zu vollendeten Menschen werden
  und reif genug,
  Christus in seiner ganzen Fülle zu erfassen.
  14 Denn wir sollen nicht mehr unmündige Kinder sein –
  ein Spielball der Wellen,
  hin- und hergeworfen vom Wind vieler Lehren,
  dem falschen Spiel von Menschen ausgeliefert,
  die betrügen und in die Irre führen.
  15 Dagegen sollen wir an der Wahrheit festhalten
  und uns von der Liebe leiten lassen.
  So wachsen wir in jeder Hinsicht dem entgegen,
  der das Haupt ist:
  Christus.
  16 Von ihm her wird der ganze Leib zusammengefügt
  und zusammengehalten durch alle stützenden Sehnen.
  Dabei erfüllt jedes einzelne Teil seine Aufgabe –
  entsprechend der Energie,
  die ihm zugeiteilt ist.
  So wächst der ganze Leib heran,
  bis er durch die Liebe aufgebaut ist.
  
  Gaben sind uns geschenkt, begabte Menschen, Heilige, und deshalb gibt es in der Kirche Fülle und Wahrheit und Liebe, Einheit und Vielfalt, Gaben, Energie, und Erkenntnis Jesu Christi, und deshalb können hier Menschen wachsen und reifen und – man wagt es kaum nachzusprechen - zu vollendeten Menschen werden. Hohe Worte sind das, und wir merken sofort: Das ist keine empirische Beschreibung. Es ist aber auch nicht einfach nur eine Hoffnung oder eine Vision oder gar ein Programm. Diese Worte sagen durchaus die Wahrheit über die Kirche – die Wahrheit, wie sie von ihrem Auftrag her erscheint, oder besser: Von ihrem Auftraggeber und Herrn her; und das ist, ganz unbescheiden: Christus, der das All erfüllt. Der, der der Kirche die Gaben gegeben hat und gibt, und die Menschen und die Energie, und die Fülle, und die Wahrheit und die Liebe: Das ist der, der das All durchdringt und lenkt. Erst in dieser Perspektive macht es auch Sinn, das zu sagen, was wir im Glaubensbekenntnis sagen: Ich glaube die eine, heilige, allgemeine/katholische und apostolische Kirche.
  
  Wenn wir die empirische Realität der Kirche beschreiben, dann benutzen wir andere Worte.  Dann reden wir vor allem von Zahlen, Mitgliederzahlen, Finanzmittel, Gebäude. Riesige Zahlen sind das für unsere Kirche in Deutschland, aber anscheinend nicht genug. Es liegt etwas Teuflisches in dieser quantitativen Betrachtung der Kirche: Da wo man sich auf Zahlen konzentriert nimmt man vor allem wahr, was einem fehlt. Das erzeugt Angst. Und es lässt die Energien nach innen fließen. Die Energie, die Gott der Kirche und jedem einzelnen von uns gegeben hat, muss aber nach außen fließen. Sonst wächst da nichts. Nicht in der Kirche und schon gar nicht in der Welt.
  
  Wenn wir aber die Kirche von ihrem Auftrag her sehen und von ihrem Auftraggeber, dann ändert sich das Bild. Dann werden zwei Dinge klar: Wir haben eine Mission. Und Gott schenkt uns die Gaben, die „Ressourcen“ für diesen Auftrag. Wir haben unendlich viel. Denn Gott hat Menschen mit allem begabt, was notwendig ist, und viel mehr.
  Geist, Heiliger Geist, Gottes Geist: Das fasst diese Begabung zusammen. Die Kirche ist ein Kind des Geistes.
  
  Es sind also zwei Botschaften, schlicht und groß.
  Die eine: Die Kirche hat eine Mission. Sie ist kein Selbstzweck, sie ist nicht für sich selbst da, und soll sich nicht in erster Linie mit sich selbst beschäftigen. Dieser Auftrag der Kirche kommt von ganz oben, vom Herrn der Welt, von Christus, der das All durchdringt. In der Kirche durchdringt Gottes Energie, Gottes Geist diese Welt. In der Kirche kommt Gott zu den Menschen. In der Kirche geht es also nicht um ein Programm, in der Kirche geht es um Menschen. Und die Welt lechzt nach göttlicher Energie und göttlichen Gaben, nach göttlichem Geist und nach Menschen, die diesen Geist durch sich wirken lassen.
  Die Kirche wird hier in einen riesigen, weiten, kosmischen Horizont gestellt. Die Kirche, das ist Gottes Weg in die Welt, und der Weg der Welt zu Gott.
  Größer geht es nicht mehr. Und weil wir doch in kleinen, bescheidenen Welten und Kirchen leben und kleine und bescheidene Herzen und Gedanken haben, ist es gut, immer wieder an diese große Botschaft und an diesen großen Auftrag erinnert zu werden.
  
  Und die zweite Botschaft: Jeder und jede ist von Gott begabt. Alle haben Gaben, keine und keiner geht leer aus, jede wird gebraucht. Das macht die Kirche reich und schön und groß. Wohlgemerkt, nicht Ämter hat Gott der Kirche gegeben, gar eingesetzt – so wird dieser Text ja auch übersetzt und mißverstanden – sondern begabte Menschen, und zwar viele und verschiedene, und unter ihnen findet sich alles was die Kirche für ihren Auftrag, für die Menschen braucht, Seelsorger und Verkündigerinnen, solche die für einzelne da sind und für das Ganze und für die Öffentlichkeit. Vielfältig ist die Kirche und keine Einheitsfront. Verschiedene Charaktere und Persönlichkeiten sind in ihr am Werk, keine gleichförmige Galerie ehrwürdiger Herren, wie sie einen manchmal von den Wänden alter Sakristeien anstarren. Genau aus dieser Vielfalt zieht die Kirche ihre Energie. Sie macht die Kirche zu einem „man for all seasons.“
  
  Und das muss sie sein, denn in der Kirche dreht es sich nicht um ein Programm, sondern um Menschen. Menschen sollen das spüren, wenn sie mit der Kirche zu tun bekommen,  dass es um sie geht, ihre Gaben, ihre Lasten, ihre Person und ihre Persönlichkeit. Sie sollen wahrhaftige und liebevolle Worte hören und wahrhaftige und liebevolle Wohltaten spüren. So dass Menschen sagen können, und auch tatsächlich immer wieder sagen: Das war gut für mich. Das hat mich aufgebaut. Das hat mich getröstet. Das hat mir Lebensmut gegeben.
  
  Das heißt nicht, dass in der Kirche alles gut ist. Wenn im Epheserbrief steht „Ertragt einander in Liebe“, dann sagt das doch genug. Und dennoch: es gelingt.
  Es gelingt, und dann wird die Kirche zu einem sicheren Ort für Menschen, die plötzlich das Elend und Unglück der Welt anfällt und anfrisst, deren Lebensgewissheiten sich in Tränen und Schmerz und die Frage „warum?“ auflösen. Ein sicherer Ort, wo Menschen sind, die das schreckliche Elend aushalten und es nicht wegreden. Ein sicherer Ort, in dem Worte und Bilder und Kerzen und Hände das schreckliche Elend bergen, ein Haus aus Licht aufbauen, festen Boden geben. Auf nicht wirklich nachvollziehbare Weise steht dann die Botschaft im Raum und wird gehört, dass wir mitten im Elend und mit zerrissener Seele dennoch geborgen sind.
  Erkenntnis Jesu Christi.
  
  Oder die Kirche wird als Ort erfahren, in dem Menschen sein dürfen, da sein, sich entfalten dürfen in ihren vielfältigen Begabungen, sich ihres Lebens und ihrer Gaben freuen dürfen als Gottes Leben und Gottes Gaben, darin geachtet und wertgeschätzt werden. Ein Ort, an dem sich Menschen nichts beweisen müssen, denn sie sind Gottes Kinder, von ihm geschaffen, begabt, geliebt und erlöst.
  Erkenntnis Jesu Christi.
  
  Oder die Kirche wird zu einem Asyl der Mitmenschlichkeit, für alle, deren Menschwürde infrage gestellt, bedroht, mit Füßen getreten wird, die gebrochen und vielleicht sogar zerbrochen sind. Die Vesperkirchen sind dafür Beispiele, oder Kirchen, in denen von Abschiebung bedrohten Flüchtlingen Asyl finden. Aber meist ist es weniger spektakulär und doch genauso wichtig: Die Kirche als Asyl für alle Menschen mit ihren Lasten und Einschränkungen und schwer erträglichen Seiten. Hier stehen Sie gemeinsam vor Gott, bitten und loben und essen und trinken am Tisch des Herrn: Hier sind sie, was sie sind: Ebenbild Gottes.
  Erkenntnis Jesu Christi.
  
  Oder die Kirche ist ein weiter, heller Raum, in dem Menschen wachsen können, weil es ihnen zugetraut wird, dass Gott etwas Gutes in sie hineingelegt hat; weil ihnen hier die Wahrheit über ihre guten und schlechten Seiten nicht vorenthalten wird – aber in Liebe gesagt und getragen; weil sie hier Orientierung erfahren und ein Gespür dafür, dass bei aller Offenheit und Pluralität der Werte Gut und Böse nicht dasselbe sind und die Fähigkeit mitzufühlen unendlich mehr gilt als die Fähigkeit zuzuschlagen. Da wachsen dann Menschen heran, die nicht mehr seekrank hin und hergeworfen werden, nicht mehr auf jeden materiellen oder spirituellen Taschenspielertrick hereinfallen, sondern stabile und selbstbewusste Menschen werden, die einen inneren Kompass haben und wissen, was gut ist für sie und andere:
  Erkenntnis Jesu Christi.
  
  Die Kirche ist auch ein Ort, an dem Nahrung ausgeteilt wird, Nahrung die gut ist für die Seele und den Körper, Gemeinschaft, Ruhe, Schönheit, Brot des Lebens, Worte gegen die Angst.
  
  Und natürlich ist die Kirche auch der Ort wo Menschen ihre Schuld und ihr Versagen, den ganzen negativen flow, die ärgerlichen kleinen und die gefährlichen großen Sünden hinbringen und hinlegen und vielleicht sogar lernen, aus inneren und äußeren Sackgassen herauszufinden; aber mindestens ist sie der Ort der Vergebung, so dass Menschen sich selbst als einen anderen oder eine andere sehen, als den, den Gott freigesprochen hat und rein gemacht und schön, wie neu geboren – einen vollendeten Menschen.
  Erkenntnis Jesu Christi.
  
  Und schließlich: Kirche als Ort der Einheit. Hier lebt eine Gemeinschaft die trägt. Die die Vielfalt manchmal nur schwer erträgt und manchmal sich an ihr erfreut. „Wie schafft ihr es, Konservative und Progressive in eurer Kirche zusammenzuhalten?“ fragte mich jüngst ein amerikanischer Pfarrer, der sowohl die US-Kirchen wie die deutsche Situation gut kennt. Das war für mich eine erhellende Frage. Denn ich nehme meistens nur die mühsame Arbeit und den Ärger wahr, der mit diesem „Zusammenhalten“ verbunden ist. Aber die Gemeinschaft ist da, nicht nur äußerlich, sondern Konservative und Progressive und all die anderen die sich nicht so zuordnen lassen wollen loben Gott gemeinsam, hören sein Wort gemeinsam, gehen miteinander zum Abendmahl und handeln – manchmal – auch gemeinsam. Was für ein Wunder und Erweis des Geistes. Schätzen wir es nicht gering. Und solange wir uns nicht durch ein Programm, sondern durch unseren Herrn, unsere Mission und die Menschen definieren, wird diese Einheit uns geschenkt sein.
  Erkenntnis Jesu Christi.
  
  All das geschieht in der Kirche, ist Kirche, das ist Erfahrung und Wirklichkeit und keine Phantasie. In den Sakramenten, in Taufe und Abendmahl, verdichten sich diese Erfahrungen: Gaben vom Herrn des Alls gegeben, durchdrungen von seiner Energie. Diese Erfahrungen leben von Worten und Taten; und wenn Taten nicht möglich sind oder nicht gelingen wollen, dann eben mit Worten allein, und seien es auch nur Bitten. Da mag uns dann vielleicht sogar eine Ahnung von Vollkommenheit anfliegen. Keine moralische Vollkommenheit, sondern von Gott gegeben und geschenkt, wie im Himmel, so auf Erden.
Perikope
Datum 28.05.2012
Bibelbuch: Epheser
Kapitel / Verse: 4,7
Wochenlied: 125 129
Wochenspruch: Sach 4,6