Predigt über Galater 5, 25-26; 6, 1-3.7-10 von Stefan Kläs
5,25

Predigt über Galater 5, 25-26; 6, 1-3.7-10 von Stefan Kläs

Liebe Gemeinde!
Was für eine Woche liegt da wieder hinter uns! Am Mittwochmorgen genehmigte das Bundesverfassungsgericht vorläufig die deutsche Beteiligung am Euro-Rettungsschirm ESM. ESM steht für „Europäischer Stabilitätsmechanismus“. Er dient dem Ziel, Staaten der Eurozone zu unterstützen, die mit großen Finanzproblemen kämpfen. Das soll den Euro wieder stabiliseren und die gemeinsame Zukunft der europäischen Staaten sichern.  
Niemand kann mit Sicherheit sagen, welche Maßnahmen für Deutschland und die Zukunft Europas in der derzeitigen Krise tatsächlich am besten sind. Der ESM ist also ein Rettungsversuch auf Hoffnung hin. Er ist ein Akt der Solidarität der wirtschaftlich starken mit den wirtschaftlich schwachen Staaten Europas. Und diese Solidarität, dieser Zusammenhalt ist keinesweg selbstverständlich, wie die schrillen Töne der vergangenen Wochen gezeigt haben. Da wurde Griechenland offen zum Austritt aus der Eurozone aufgefordert. „Schuld an den Problemen in Griechenland sind die Griechen und sonst keiner“, hieß es beispielsweise. Sollen die wirtschaftlich Schwächeren doch schauen, wo sie bleiben. Hauptsache, wir retten unsere Haut, unseren sauer erworbenen Wohlstand. Doch wer so redet, macht sich zum Anwalt der Entsolidarisierung in Europa.
Es ist wohl so, dass in Zeiten des Mangels immer diese beiden menschlichen Möglichkeiten auftauchen: einerseits die Solidarität, die Starke und Schwache miteinander verbindet in der Hoffnung auf gemeinsame Besserung, und andererseits der Eigennutz, der danach trachtet, die eigene Stärke zu bewahren und sich die Schwächen der anderen vom Leib zu halten.
Natürlich, die Realität ist selten so schwarz oder weiß, wie ich sie jetzt zeichne. Aber als grundlegende menschliche Möglichkeiten lassen sich Solidarität und Eigennutz eben doch ganz gut unterscheiden. Das gilt für die große politische Bühne in Europa wie für die kleine Bühne unserer Kirchengemeinde. In Zeiten des Mangels scheiden sich die Geister. Da wird schnell deutlich, ob Liebe nur ein Wort, oder auch eine Tat ist.
Auch Paulus verdeutlicht in seinem Brief an die Galater Grundbestimmungen des menschlichen Handelns. Er schreibt in Galater 5,25-26; 6,1-5.7-10:
5,25 Wenn wir im Geist leben, wollen wir uns auch am Geist ausrichten.
26 Lasst uns nicht eitlem Ruhm nachjagen, einander nicht reizen, einander nicht beneiden!
6,1 Liebe Brüder und Schwestern: Auch wenn jemand bei einem Fehltritt ertappt wird, so sollt ihr, die ihr vom Geist bestimmt seid, den Betreffenden im Geist der Sanftmut zurechtbringen – doch gib acht, dass nicht auch du in Versuchung gerätst!
2 Tragt einer des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
3 Denn wer meint, etwas zu sein, obwohl er nichts ist, der betrügt sich.
4 Jeder aber prüfe sein eigenes Werk! Dann wird er nur im Blick auf sich selbst Grund haben, sich zu rühmen - und nicht im Blick auf den anderen,
5 denn jeder wird seine eigene Bürde zu tragen haben.
[6 Wer aber im Wort unterrichtet wird, lasse den, der ihn unterrichtet, an allen Gütern teilhaben.]
7 Täuscht euch nicht: Gott lässt sich nicht verhöhnen! Denn was ein Mensch sät, das wird er auch ernten.
8 Wer auf sein Fleisch sät, wird vom Fleisch Verderben ernten, wer aber auf den Geist sät, wird vom Geist ewiges Leben ernten.
9 Im Tun des Guten wollen wir nicht müde werden, denn zu gegebener Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten.
10 Darum lasst uns, solange wir noch Gelegenheit haben, allen Menschen Gutes tun, am meisten aber denen, die mit uns im Glauben verbunden sind.
(Zürcher Bibel 2007)
„Fleisch“ und „Geist“, so nennt Paulus Grundbestimmungen des menschlichen Handelns. Es geht also nicht um eine Aufspaltung des Menschen in Körper und Geist. Das wäre ein Mißverständnis. Unser Körper steht nicht im Widerspruch zum Geist, weder zu unserem eigenen Geist noch zum Geist Gottes. Wenn Paulus von „Fleisch“ und „Geist“ spricht, dann meint er damit vielmehr Mächte, die unser Leben in die eine oder andere Richtung beeinflussen, zwischen denen wir ständig hin- und hergerissen sind. Gegenüber diesem Schwanken verhält Paulus sich jedoch keineswegs neutral, sondern er fordert uns auf: Richtet euch am Geist aus. Stellt euer Leben unter den Einfluss von Gottes Geist. Das setzt voraus, dass wir uns zwischen „Fleisch“ und „Geist“ entscheiden können, und genau diese Freiheit spricht Paulus uns zu. Ihr könnt euch in den Konflikten des Alltags dafür entscheiden, euer Leben am Geist auszurichten. Paulus spielt diese Entscheidung in seinem Brief an verschiedenen Beispielen durch. An die Stelle von Neid und Missgunst sollen Sanftmut und Solidarität treten. „Trag einer des andern Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen“, so fordert Paulus die Galater auf, und auch die meisten von uns haben diesen Satz wohl schon oft in ihrem Leben gehört. Mindestens ebenso wichtig ist auch die Aufforderung, sein eigenes Handeln kritisch zu überprüfen, anstatt andere zu bewerten und vorschnell zu verurteilen. Darin sind wir ja leider oft besonders „fleischlich“ gesinnt: Es ist so wunderbar einfach, andern ihre Fehler nachzuweisen – den ‚faulen Griechen’ oder wem auch immer. Da fühlen wir uns selbst gleich viel besser, wenn es uns gelingt, anderen zu zeigen, was sie wieder alles falsch gemacht haben, und ihnen unter die Nase zu reiben, wie man es viel besser machen könnte. Darin sind wir wahre Meister. – Doch: „Jeder prüfe sein eigenes Werk!“, rät uns Paulus. Wer das tut, kommt hoffentlich zu dem Ergebnis, dass er Grund hat, stolz zu sein, und zwar weil ihm selbst etwas gelungen ist. Dann freut euch doch darüber. Und je mehr ihr euch über das freuen könnt, was ihr selbst zustande gebracht habt, umso weniger habt ihr es nötig, das Tun der anderen schlechtzureden.
Wichtig dabei ist: Wie immer wir uns zwischen „Fleisch“ und „Geist“ entscheiden, beides wird so oder so Konsequenzen für unser Leben haben. Beide Grundbestimmungen des menschlichen Handelns und die einzelnen Taten, die daraus erwachsen, haben ihre sozialen Folgen. Es macht eben einen Unterschied in unserem Zusammenleben aus, ob ich mich entspannt über das, was mir gelingt, freuen kann und meine Freude mit anderen teile, oder ob ich voller Missgunst bin und alles schlechtreden muss, was andere bewerkstelligen. Beides hat unmittelbare Folgen für unser Zusammenleben. Darum fallen Neid, Missgunst und ungezügelter Eigennutz mit Sicherheit auf uns zurück. Paulus fasst dies in den einfachen Satz: „Was ein Mensch sät, das wird er auch ernten.“ Und darum fordert er uns auf, das Gute zu tun, ja geduldig beim Tun des Guten zu bleiben, auch wenn andere vermeintlich schneller zu ihrem Ziel kommen, „denn zu gegebener Zeit werden wir ernten, wenn wir nicht ermatten.“
Nun könnte man – und muss vielleicht heute sogar – sagen: Das ist ja alles schön und gut, Paulus. „Liebe, Freude, Frieden, Geduld, Güte, Rechtschaffenheit, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung“ (Galater 5,22 f.), das klingt ja alles ganz wunderbar. Aber das klingt auch nach einer heillosen Überforderung für uns arme Christenmenschen. Wer soll denn allen Ernstes so leben? Führt nicht gerade dieser hohe moralische Anspruch, an dem du, Paulus, uns hier misst, zu einer fatalen Abspaltung von „Ärger und Aggression in der Kirche“[1]? Nach außen hin verkörpern wir das Ideal der Nächstenliebe, doch in unserem Inneren brodeln Zorn und Wut vor sich hin. Wir tragen die Maske der geschwisterlichen Freundlichkeit, doch zwischen den Zeilen lesen wir Botschaften von Feindschaft und Hass. Je krampfhafter wir versuchen, „allen Menschen Gutes zu tun“, desto mehr blühen Neid und Missgunst im Verborgenen. Und je mehr wir uns diese „schlechten Gefühle“ verbieten, desto kraftloser wird unser Gefühlsleben insgesamt, bis wir an totaler Langeweile einen farblosen Tod sterben.
Liebe Gemeinde!
Das alles hat es in der Vergangenheit gegeben und gibt es sicherlich auch heute noch, dass Menschen einem christlichen Ideal nacheifern und sich dabei furchtbar anstrengen. Für sie alle gilt die gute Nachricht: Das „Gesetz Christi“ ist das Gesetz der Freiheit! Wir sind ein- für allemal von dem Krampf befreit, religiöse Fleißkärtchen sammeln zu müssen, um Gott oder unseren Mitmenschen zu gefallen. Unser Handeln steht ganz und gar im Zeichen der Freiheit. Und Freiheit und Zwang vertragen sich nicht miteinander. Darum gilt: Die Früchte des Geistes, das Tun des Guten lässt sich nicht erzwingen. Es ist mit ihnen wie mit allen Früchten: Sie brauchen Zeit, bis sie reif sind. Und wir dürfen auf die Kraft des Geistes vertrauen, der sie hervorbringt. Der Geist Gottes wirkt ja in uns. Vertrauen wir seiner Kraft, denn sie fließt in uns und durch uns hindurch. Sie hilft uns, das Gute zu suchen und zu tun, unser Leben am Geist auszurichten.
Unsere Gefühle, selbst Ärger und Aggression können uns dabei wertvolle Hilfe leisten. Denn sie helfen uns zu unterscheiden zwischen dem, was wir wirklich selbst tun wollen, und dem, was uns bloß von außen vorgegeben wird, was wir aber in aller Freiheit lassen dürfen. Unsere Gefühle helfen uns zu unterscheiden, zwischen den Lasten, die wir freiwillig übernehmen, und denen die uns aufgezwungen werden. Übrigens: Es gibt Menschen, die sehr deutlich spüren, wer sich widerstandslos etwas aufbürden lässt. Wer so sanftmütig ist, dass er niemals Nein sagt, von wem keine Aggression und keinerlei Widerstand mehr ausgeht. Allen Sanftmütigen, die sich immer und überall in die Pflicht nehmen lassen, möchte ich heute sagen: „Zur Freiheit seid ihr berufen worden“, macht Schluss mit der Fleißkärtchensammelei. Nehmt euch eine Auszeit. Traut euren Gefühlen, grabt sie wieder aus, wenn sie verschüttet wurden unter zu vielen Appellen. Und vertraut der Kraft des Geistes, der in euch lebt. Lasst seinen Früchten Zeit zu reifen, denn der Tag der Ernte kommt bestimmt.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herze und Sinne in Jesus Christus.

  
  
    [1] Vgl. Michael Klessmann: Ärger und Aggression in der Kirche. Göttingen 1992.