Predigt über Jesaja 11, 1-9 von Jochen Cornelius-Bundschuh
11,1

Predigt über Jesaja 11, 1-9 von Jochen Cornelius-Bundschuh

Und es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des HERRN, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des HERRN. Und Wohlgefallen wird er haben an der Furcht des HERRN.
Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande, und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften.
Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.
Man wird nirgends Sünde tun noch freveln auf meinem ganzen heiligen Berge; denn das Land wird voll Erkenntnis des HERRN sein, wie Wasser das Meer bedeckt.
Es ist ein Ros entsprungen, liebe Gemeinde! Seit Weihnachten wächst in unsere Welt hinein ein Zweig, der gute Früchte bringt. Ein Wohlgeruch breitet sich aus, die Dunkelheit weicht, schön leuchten die Blüten und erfreuen unser Herz. Der Weihnachtsgeist breitet sich aus.
I
Mit Weihnachten beginnt eine neue Zeitrechnung. Mit diesem kleinen Kind breitet sich Gottes Geist aus. Was zeichnet diesen Geist aus?
Zunächst einmal Weisheit und Verstand: So wie Maria und Joseph schließlich doch eine Unterkunft gefunden haben, in der Jesus zur Welt kommen konnte. Wenn kein Platz in der Herberge ist, muss es eben ein Stall tun. Was braucht so ein Kind – und was ist nicht unbedingt nötig? Pragmatisch ist dieser Geist. Das zeigen viele Bilder über die Geburt Jesu: bei dem einen liegt Joseph am Boden und bläst in ein kleines Feuer, um der Mutter eine Suppe zu kochen; bei dem anderen sind zwei Hebammen mit auf dem Bild, die Wasser heiß machen für das erste Baby-Bad. Gottes Geist ist ein realistischer und ein handfester Geist. Er ermutigt, das Notwendige zu tun, den eigenen Verstand zu gebrauchen und in den eigenen Grenzen das Mögliche tun.
Zugleich ist Gottes Geist dynamisch und kraftvoll. Diese Schöpferkraft arrangiert sich nicht einfach mit dem was ist, sondern will gestalten und weiß, wohin es gehen soll. Rat und Stärke kommt mit diesem Geist in die Welt. Maria und Joseph lassen nicht alles mit sich machen. Sie fliehen, als die Mächtigen versuchen, das neue Leben zu töten. Schon Jesu erste Predigt bringt die Menschen in Bewegung: »Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt, zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen das Gnadenjahr des Herrn.« (Lukas 4) Von un an bekommen viele die Stärke dieses Geistes zu spüren. Mitten in der Nacht wird es hell und die müden Hirten kommen in Schwung. Kranke werden gesund, Arme bekommen neuen Mut, Reiche kehren um. Die Kraft Gottes breitet sich aus: Menschen folgen Jesus. Sie bilden eine neue Gemeinschaft, in der nicht mehr der eine des anderen Wolf ist, sondern Versöhnung, Gerechtigkeit und Frieden regieren.
Schließlich ist der Weihnachtsgeist durch Gotteserkenntnis und Gottesfurcht charakterisiert. Auf seinem Weg zieht sich Jesus regelmäßig zurück, um zu beten. Er hält inne, um Kraft zu schöpfen und sich zu vergewissern. Weihnachtsglaube lebt aus diesem Wechsel von Ruhe und Engagement, von guten Worten und Stille, von Feiern unter dem Weihnachtsbaum und Aufbrechen zu denen, die auf mich warten: im Flüchtlings- oder Altenheim, im Krankenhaus oder im Nachbarhaus.
Der Weihnachtsgeist ist eine Kraftquelle, eine Inspiration, die uns auf unseren Wegen stärkt und uns Mut macht, unsere Möglichkeiten zu nutzen. Sie erinnert uns aber auch an unsere Grenzen: Ich lebe aus Gottes Kraft; ich habe die Wahrheit nicht gepachtet; ich brauche Gott, ich brauche die Menschen, die mit mir gehen. Ich schaue auf Christus, er weist mir den Weg.
II
Der Weihnachtsgeist erneuert die Welt. Mit zwei Bildern malt uns Jesaja das Geschehen vor Augen. Das erste Bild betrifft unser Wahrnehmen: „Er wird nicht richten nach dem, was seine Augen sehen, noch Urteil sprechen nach dem, was seine Ohren hören, sondern wird mit Gerechtigkeit richten die Armen und rechtes Urteil sprechen den Elenden im Lande.“
Normal ist: Ich schaue hin und sehe gleich, was das für einer ist. Ich höre, wie die redet, und denke: na ja, was kannst du von der schon erwarten. So sortiere ich: Menschen, Meinungen, Beziehungen. So unterscheide ich, wer zu mir passt und wer nicht. Das ist normal, aber es führt in die Abgrenzungen und zu den ausgefahrenen Ellebogen, die unser Miteinander schwer machen. Und die zu Neid und Hass, zu Streit und Bosheit - und manchmal auch zu Gewalt und Krieg führen.
Der Weihnachtsgeist setzt den Blick von Jesus dagegen. Nicht was mir vor Augen steht, nicht, was ich höre, ist entscheidend. Jesus erkennt mich, weil er mich schon unter Gottes Gerechtigkeit sieht. Ich bin ein Mensch, den Gott gnädig anschaut, dem vergeben ist, den Gott mit Gaben ausgestattet hat, den Gott auf den Weg schickt. Was ich kaum sehen kann, Jesus sieht es: ich stehe gerecht vor Gott, aufrecht, frei, getrost, gerettet. Aber nicht ich allein, sondern auch die anderen, die ich mit meinen Augen taxiere, deren reden ich abschätze: Im Glanz von Weihnachten stehe ich mit den anderen gerecht vor Gott. Der Weihnachtsgeist öffnet mir die Augen, hilft mir, mit Jesu Augen zu sehen: Sieh doch die Hirten, die dunklen Gestalten; die hätte ich nie ins Wohnzimmer gelassen, doch nun stehen sie an der Krippe. Sieh doch den Ausgestoßenen; Jesus streckt ihm die Hand entgegen. Wir gehören zusammen, wir sind eins in Christus.
III
Das andere Bild ist noch anstößiger: „Und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften.“
Der Weihnachtsgeist überwindet das Böse; er weist die Gewalt in ihre Schranken! Er hat die Macht dazu. Auch wenn manche Nachrichten so klingen, als würden immer die siegen, die reich sind, die die Macht haben, die kühl kalkulieren und sich brutal durchsetzen; seit Weihnachten gilt: „Und er wird mit dem Stabe seines Mundes den Gewalttätigen schlagen und mit dem Odem seiner Lippen den Gottlosen töten. Gerechtigkeit wird der Gurt seiner Lenden sein und die Treue der Gurt seiner Hüften.“
Der Weihnachtsgeist setzt sich nicht mit Schwert, Gewehr, Bombe oder Drohne durch; nicht dadurch, dass er die Spirale der Gewalt noch eine Umdrehung weiter dreht. Er überwindet das Böse mit dem Stabe seines Mundes. Und die, die die anderen unterdrücken, die stoppt er mit dem Odem seiner Lippen. „Denn gleichwie der Regen und Schnee vom Himmel fällt und nicht wieder dahin zurückkehrt, sondern feuchtet die Erde und macht sie fruchtbar und lässt wachsen, dass sie gibt Samen zu säen und Brot zu essen, so soll das Wort, das aus meinem Munde geht, auch sein: Es wird nicht wieder leer zu mir zurückkommen, sondern wird tun, was mir gefällt, und ihm wird gelingen, wozu ich es sende.“
IV
Am Ende stehen nicht nur Ochs und Esel, ein paar Schafe mit ihren Hirten und die drei Weisen mit ihren Kamelen an der Krippe, am Ende der Weihnachtszeit, wenn Jesus wieder kommt, wird der Frieden umfassend sein. „Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern. Ein kleiner Knabe wird Kälber und junge Löwen und Mastvieh miteinander treiben. Kühe und Bären werden zusammen weiden, dass ihre Jungen beieinander liegen, und Löwen werden Stroh fressen wie die Rinder. Und ein Säugling wird spielen am Loch der Otter, und ein entwöhntes Kind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter.“
Der Weihnachtsgeist lebt aus dieser Hoffnung und breitet sie aus. Er ruft den Menschen in Not zu: Fürchtet euch nicht! Leben ist nicht länger ein Raubzug, auf dem einer oder eine gegen alle anderen kämpft. Starke und Schwache suchen die Gemeinschaft; wer hat, teilt und löst die anderen aus, indem er ihre Schulden bezahlt. Die um Ansehen, Erfolg oder Macht kämpfen, spielen miteinander. Sie benutzen einander nicht mehr, sondern genießen das Miteinander. Sie teilen sich Gottes gute Gaben.
Es ist ein Ros entsprungen! Der Weihnachtsgeist breitet sich vom Kind in der Krippe aus und erfüllt die Erde mit der Kraft des Friedens.