Predigt über Jesaja 55, 1-3 von Jasper Burmester
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Predigt über Jesaja 55, 1-3 von Jasper Burmester

Liebe Gemeinde,
als ein Wort zum Nach- und Weiterdenken möchte ich Ihnen heute einen kurzen Abschnitt aus dem 2. Teil des Jesajabuchs vorstellen. Dort heißt es:
Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft umsonst Wein und Milch! Warum zahlt ihr euer Geld hin für das, was kein Brot ist und sauren Verdienst für das, was nicht satt macht? Hört doch auf mich! So werdet ihr Gutes essen und euch an Köstlichem laben! Neigt eure Ohren her und kommt her zu mir! Höret, so werdet ihr leben!
Liebe Gemeinde - kennen Sie den Hamburger Fischmarkt? Wer sich früh morgens am Sonntag schon einmal dorthin aufgemacht hat, weiß, wie es da zugeht. Ein dichtes Gedränge und Geschiebe von Schaulustigen und Käufern, mehr Touristen als Eingeborene, ein buntes, kaum in seiner Vielfalt zu überschauendes Angebot von Nützlichem und Unnützem, und, was mich immer am meisten beeindruckt: Das werbende Geschrei der Verkäufer. Ein wenig von dieser Atmosphäre ist auch auf unserem Volksdorfer Wochenmarkt zu spüren. So ähnlich müssen wir uns auch die Szene vorstellen, die der große Prophet des in die babylonische Gefangenschaft geratenen Israel hier vorstellt: Er steht im Namen Gottes auf dem Markt und lädt dazu ein, auf diesen Gott zu hören. Im Stile eines orientalischen Wasserverkäufers ruft er es laut heraus: Kommt und trinkt, kauft ohne Geld, kauft umsonst die Fülle meiner Gaben, nicht nur Wasser, sondern auch Wein und Milch! Und kommt und lasst euch sättigen und gebt euren sauren Verdienst nicht aus für das. was sowieso nicht satt macht! Wenn ich so an den Fischmarkt denke und die Verkäufer vom Schlage eines  Bananen-Harry oder Aal-Egon oder auch an den Marktstand der so genannten "Obstkönige" auf unserem Volksdorfer Markt, die einem das Gefühl vermitteln, als gäbe es bei ihnen etwas umsonst oder wenigstens fast umsonst, und daneben das Ausrufen des Propheten Gottes bedenke und dann frage ich mich: Warum gelingt es uns nicht, unsere Ware, unser Angebot, Gottes Angebot, besser an den Mann, an die Frau zu bringen? An mangelnder Nachfrage kann es eigentlich ja nicht liegen. Hat nicht jeder von uns, hat nicht fast jeder Mensch einen ungestillten Durst nach Leben? Sind nicht wir und viele, viele Menschen auf der Suche nach einer verlässlichen Vergewisserung für den eigenen Lebensentwurf, vor wichtigen Entscheidungen, in Krisenzeiten? Nach dem, was wirklich satt macht?
Unsere Welt stellt sich dar als ein riesiger Supermarkt, die ganze Wirklichkeit: ein  Warenhaus. Menschen gehen durch die einzelnen Abteilungen, werfen einen flüchtigen Blick nach rechts und greifen links zum Sonderangebot, nehmen sich dies oder das und verlassen die Kaufstätte wieder mit vollen Taschen. Es kommt gar nicht mehr so darauf an, das auf Dauer Richtige ausgesucht zu haben, denn wer weiß, was der morgige Tag an Neuem auf den Markt der Möglichkeiten bringen wird. Sie haben gemerkt, dass diese Beschreibung eine doppelbödige ist: Zum einen ist das ja wirklich das verbreitete Konsumverhalten, das wir in unserer Gesellschaft den käuflichen Gütern gegenüber einnehmen.
Zum anderen aber, und das erscheint mir noch weitaus bedenklicher, beobachte ich auch in Glaubensdingen eine solche Warenhausmentalität. Was gibt es da nicht alles zu finden im Kaufhaus der im weitesten Sinne religiösen Angebote? Das geht inzwischen weit über das klassische manchmal etwas marktschreierische Auftreten der Sekten vom Schlage einer sogenannten Scientology-"Kirche" hinaus. Da kommt ein ganzer Katalog von religiösen und scheinreligiösen Erscheinungen auf uns zu. Allein die Tatsache von sogenannten "Esotherik-Messen" spricht Bände. Alles ganz unverbindlich zum Aussuchen: Montags zur Kartenlegerin, dienstags zum Mantrensingen, mittwochs zum Kurs für bengalische Vollwertkost, Freitags zur indianischen Baummeditation und am Wochenende ein Workshop mit orientalischem Derwischtanz, dazu noch Schutzmittelchen gegen allerlei Erdstrahlen, Magnet- Kupfer- und was weiß ich für Amulette, und so weiter und so weiter. In der Zeit las sich das kürzlich so: "Die Esoterik gleicht heute einem Supermarkt. Zur Auswahl steht der Fundus derWeltreligionen: die Engel und die Heiligen aus dem Christentum , Geister und Götter aus dem  Hinduismus ; die  Anthroposophie Rudolf Steiners ist untergemischt sowie eine Mixtur aus Philosophie, Glauben und Aberglauben; dazu gerührt das autoritätsstiftende Vokabular der Naturwissenschaft mit ihren "Feldern", "Energien" und "Quanten". An der Kasse wird alles zum Paket verschnürt und mit dem Etikett "Neu! Ganzheitlich! Spirituell!" versehen. In diesem Artikel las ich auch Zahlen der allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften (Allbus): Jeder vierte Deutsche zeigt sich aufgeschlossen gegenüber Wunder- und Geistheilern, gut 40 Prozent der Bevölkerung halten etwas von Astrologie oder New Age, mehr als die Hälfte äußern Sympathie für Anthroposophie und Theosophie – Westdeutsche jeweils mehr als Ostdeutsche.Das gemeinsame an all diesen Angeboten ist, dass sie den Kunden meistens viel Geld kosten. Und dass manche Theorien und Ansichten so verquer sind, dass das Symbol einer Jungfrauengeburt vergleichsweise logisch erscheint.
Sinnstiftung und Lebenshilfe aus dem Regal, teuer bezahlt und austauschbar. Weniger anspruchsvolle geben sich mit gelegentlichen Diskoerfahrungen mit so genanten Partydrogen zufrieden, aber auch die schon altmodischen Methoden, sich zu betrinken oder vom Fernsehen zudröhnen zu lassen sind immer noch gefragt.
So, wie ich unsere neuheidnische Umwelt beschreibe, kommt Ihnen das vielleicht wie eine Karikatur vor: Hoffentlich ist das eine übertriebene Darstellung - auch wenn die Erhebungen der Forscher diese Hoffnung sehr dämpfen. Es ist aber eine wohl leider zutreffende Beschreibung der hierzulande vorhandenen Tendenzen. Vieles ist gesagt und geschrieben worden über die Gründe, die so viele Menschen aus den großen Kirchen haben auswandern lassen und bewogen, ihre religiösen Bedürfnisse, die die meisten Menschen wohl natürlicherweise haben, woanders zu befriedigen.
Sicher ist es auch so, dass die traditionellen Kirchen  Fehler gemacht haben, dazu gehören ihre institutionelle Starrheit und ihre nicht immer verständliche Sprache und vielleicht auch ein gesellschaftlicher Geltungsanspruch, der weit größer ist als ihre reale Präsenz in der Gesellschaft. Zugleich sind nicht nur sie es, denen die Mitglieder weglaufen, das trifft Parteien, Gewerkschaften, Wohlfahrtsverbände und Vereine gleichermaßen. Menschen binden sich nicht mehr und sind mit viel Werbeaufwand und Engagement noch allenfalls für Projekte und Kurzzeitengagements zu gewinnen.
Denn das erscheint mir eine traurige aber sichere Erkenntnis: dass der allgemeine Kaufhauscharakter, den unsere Gesellschaft in der Folge des Wirtschaftswunders nach dem letzten Krieg angenommen hat und erst recht in einer Zeit, da sich die Wertegemeinschaft der Bundesrepublik in eine Wertpapiergemeinschaft gewandelt hat, eben auch den intimen Bereich des Glaubenslebens erreicht hat. Man legt sich nicht mehr so gerne fest, weder beruflich noch politisch noch religiös, wer weiß schon - wie auf dem Warenmarkt - ob es morgen nicht schon bereut werden muss, sich auf etwas eingelassen zu haben, weil ein - vermeintlich - besseres Produkt oder tolleres Event oder modischeres Denken auf dem Markt ist. Wiederum liegt - so glaube ich - für die Kirche das Heil nicht im Erlernen neuer Marketingtechniken, und wenn ich kirchliche Werber vom "Markenkern" der Kirche reden höre, dann graust es mich leise, denn wir handeln eben nicht mit Autos oder Deorollern oder Milchschnitten, sondern mit der guten Nachricht, dass Gott diese Welt und besonders die Verlierer dieser Welt liebt.
Auch der Prophet im babylonischen Exil bewegte sich auf eben einem solchen Marktplatz religiöser Möglichkeiten und warb inmitten des verwirrenden Angebotes an Göttern, die das alte Babylon kannte, für seinen Gott. Die, zu denen er sprach, waren seine israelitischen Brüder und Schwestern, denen in den langen Jahren des Exils fern der Heimat die Gewissheit des überlieferten Jahwe-Glaubens abhanden zu kommen drohte.
War es vordem ein allgemein anerkannter Grundsatz gewesen, dass jedes Volk seine  eigenen Götter habe, so wie Israel eben Jahwe, erhob der Prophet nun den unerhörten Anspruch, dass es nur den einen wahren Gott, eben Jahwe, gebe, der sich nicht nur David, sondern auch die Mächtigen der Welt  nach seinem Willen zum Werkzeug machen könne. Zuerst Nebukadnezar von Babylon, um das übermütige und religiös bequem gewordene Volk Gottes zu bestrafen  und sodann auch den Perserkönig Kyros, dessen Eingriff in das Rad der Geschichte dem Volk die Rückkehr ermöglichen würde. Und nicht nur der Lauf der Geschichte, auch die Erschaffung und Erhaltung der Welt wird als Werk dieses einen Gottes verkündigt.
Hier wird das erste Gebot bis zu Ende buchstabiert: Dass wir Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen sollen. Dem radikalen Gott entspricht ein radikaler Glaube. Neben dem Gott, der der Erste und der Letzte ist, vor dem alles Fleisch ist wie Gras, kann es keine anderen Götter geben, die ebenfalls wirksam und der Anbetung wert wären. Diesem Gott, der das Leben als Ganzes in seiner Fülle und Vielfältigkeit erst ermöglicht und erhält, gebührt umgekehrt auch allein die Ehre:  das ganze Leben.
Der Gott, den der Prophet werbend verkündigt, weil von ihm die Fülle des Lebens und des Heils ausgeht, der gibt diese Fülle umsonst, ohne dafür Opfer, gar: Lebensopfer bringen zu müssen. Und dieser Gott ist derselbe gestern und heute und in Ewigkeit. Es ist der Gott, den Jesus Christus als seinen Vater verkündigte, als er die Mühseligen und Beladenen einlud, zu ihm zu kommen. Es ist der Gott der uns in der Offenbarung des Johannes einlädt: Wen dürstet, der komme und wer da will, der nehme vom Wasser des Lebens umsonst. Wenn aber Gott allein die Quelle alles Lebendigen ist, der alleinige Spender alles Guten, dann verblassen in der Tat neben ihm alle anderen Angebote, dann werden alle anderen "Lebens-Mittel",  also Dinge, die wir für ein gutes Leben sonst noch zu brauchen meinen, witzlos und es wird überflüssig, hinter ihnen her zu jagen, denn sie machen für gutes Geld doch nicht satt, wie der Prophet sagt. Aber wenn nun dieser eine Gott, den der Prophet verkündigt und den auch wir heute zu verkündigen haben, wenn nun dieser eine Gott "Alles in allen wirkt" wie Paulus sagt, dann gibt es bei einer Entscheidung, ihm zu glauben oder nicht, nur ein radikales entweder - oder, aber nicht ein lauwarmes sowohl - als auch.
Für den religiösen Supermarkt zu Jesajas und zu unseren Zeiten taugt dieser Gott nicht, denn sein Anspruch auf unser ganzes Leben ist ebenso radikal wie es sein Zuspruch, sein klares Ja zu unserem Leben ist uns unverlierbar in unserer Taufe gesagt worden.  Und weiter: Wer dennoch versucht, seinen Glauben als ein "sowohl-als auch" zu leben, der wird notwendigerweise auch von dem Gott, den wir zu verkündigen haben "enttäuscht" sein, denn Gott lässt sich eine solchermaßen geteilte Anbetung nicht gefallen. Seinen lebensstiftenden Zuspruch kann erst der erfahren, der ebenso bereit ist, sich Gottes Anspruch zu stellen, der im mindesten lautet: Du sollst keine anderen Götter neben mir haben. Den aber, der sich ganz und gar auf Gott verlässt, der kann auch mit dem Vertrauen leben, dass Gott ihn niemals verlassen wird im Leben und im Sterben.
Also: Wohlan, alle, die ihr durstig seid: kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! Warum zählt ihr euer Geld dar für etwas, das kein Brot ist und euren sauren  Verdienst für das, was nicht satt macht ? Hört auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch an Köstlichem laben  Neigt eure Ohren und kommt her zu mir ! Höret, so werdet ihr leben! Amen