Predigt über Jesaja 60, 1-9 von Manfred Wussow
60,1

Predigt über Jesaja 60, 1-9 von Manfred Wussow

1Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!
  2Denn siehe, Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker; aber über dir geht auf der HERR, und seine Herrlichkeit erscheint über dir.
  3 Und die Heiden werden zu deinem Lichte ziehen und die Könige zum Glanz, der über dir aufgeht.
  4 Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt und kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden.
  5 Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt.
  6 Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die jungen Kamele aus Midian und Efa. Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.
  7 Alle Herden von Kedar sollen zu dir gebracht werden, und die Widder Nebajots sollen dir dienen. Sie sollen als ein wohlgefälliges Opfer auf meinen Altar kommen; denn ich will das Haus meiner Herrlichkeit zieren.
  8 Wer sind die, die da fliegen wie die Wolken und wie die Tauben zu ihren Schlägen?
  9 Die Inseln harren auf mich und die Tarsisschiffe vor allem, dass sie deine Söhne von ferne herbringen samt ihrem Silber und Gold für den Namen des HERRN, deines Gottes, und für den Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.
  
   (Mt. 2,1-11wird hier als Evangelienlesung vorausgesetzt)
  
   An der Grenze (I)
  
  In die Nachrichten schaffte es die Meldung nicht: Könige an der Grenze abgewiesen. Ein Eklat!
  Interessiert Sie das? Passiert ist das Ganze an der Grenze zu Palästina, von Osten gesehen. Drei sollen es gewesen sein, drei Könige. Sie müssen wie aus einer anderen Welt ausgesehen haben. Ohne Begleitschutz, ohne Waffen, nur mit ihrem Gepäck – auf Kamelen verpackt. Sie hätten einen Stern gesehen, sagen sie – und die Soldaten, bis zu den Zähnen bewaffnet, verstehen nichts. Einen Stern gesehen? In dieser Einöde scheinen die Sterne in der Nacht, ein grenzenloses Elend unter sich, von Wolken verdeckt.  Eine unendliche Weite. Die Soldaten durchstöbern die Fracht. Gold, Weihrauch und Myrrhe. Es riecht gut. Aber sie lassen die Drei nicht hinein. Sie haben keine Papiere. Befehl von ganz oben. Die Grenze ist dicht. Die Geschichten dahinter sind dicht. Der Hass, seit Jahrzehnten gesammelt und gehütet, ist dicht. Wenn doch nur der eine Stern zu sehen wäre! Könige an der Grenze abgewiesen. Ein Eklat!
  
  Babel – Jerusalem, einfach
  
  Vorher schon – bitte, legen Sie mich nicht fest – hören Menschen, die eine Geschichte hinter sich haben von Flucht, Vertreibung und Deportation, dass sie wieder nach Hause zurück können. Wie es da wohl aussehen wird? Die, die einst von Jerusalem den langen und beschwerlichen Weg in die Verbannung gegangen waren, waren alt geworden, die meisten lebten schon nicht mehr. Die Jüngeren aber kannten die Farben und Gerüche der Heimat, die Überlieferungen der Alten und die Träume von einst nur noch aus Erzählungen. Es sind die erzählten Geschichten, die Zeiten überdauern, ihre Wirren und Abgründe auch. Jetzt redet ein Prophet. Jesaja.
  
  „Mache dich auf, werde licht; denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des HERRN geht auf über dir!“
  
  Gott läutet eine neue Zeit ein. Meinten die Menschen, sie seien von ihm verlassen worden, jetzt sollen sie mit großen Augen sehen, wie er sich ihnen wieder zuwendet. Das Wort Erbarmen, lange nicht ausgesprochen, macht die Runde. Ein blendendes Licht ersteht vor den Augen und Ohren der Menschen. Die Finsternis, die Trauer, die Verzagtheit, die viele Biographien zerreißt – verwandelt in helle, schöne, fröhliche Wege. Es gibt wieder Zukunft, einen neuen Anfang.  Wollen Sie ein wenig mehr wissen? Der Perserkönig Dareios I. lässt das Volk Israel ziehen – nach unendlichen, mühsamen, enttäuschenden Versuchen, die Gunst der Stunde zu nutzen. Die alten Zwingherren, die Babylonier, hatten Jahre zuvor die größte Schlappe ihrer Geschichte hinnehmen müssen. Eine Weltmacht, militärisch bezwungen, konnte abdanken. Während die Herren kommen und gehen, erzählt der Prophet, dass Gott sein Volk nach Jerusalem zurückbringt. Wie bescheiden es dort auch aussehen würde: Israel bekommt eine neue Geschichte geschenkt. Beim Propheten überschlagen sich die Worte förmlich – es ist ein Hymnus:
  
  Hebe deine Augen auf und sieh umher: Diese alle sind versammelt und kommen zu dir. Deine Söhne werden von ferne kommen und deine Töchter auf dem Arme hergetragen werden.
  
  Haben Sie gehört? Die Herren der Welt tragen die gebeutelten, verstreuten und vertriebenen Menschen nach Hause! Augen auf! Seht! So was kann auch nur ein Prophet sagen. Als ob die Welt außer Rand und Band sei– oder in ein ganz neues Licht geraten sei. Das ist freilich die Spezialität Jesajas: Er kann Licht zaubern – weil Gott selbst nahe ist – und immer näher kommt. Darum auch: „Auf!“ – oder, wie Luther übersetzt: „Mache dich auf“. Dein Licht kommt.
  
  An der Grenze (II)
  
  Sie möchten wissen, wie es mit den Königen weitergeht? Nicht dass sie meinen, es gäbe da nichts mehr zu erzählen!  Wachposten werden uns diese Geschichte nicht verbauen! Nein, Schmuggler, fein getarnt als Hirten (sie rochen auch danach, alles ziemlich echt) erzählten später, sie hätten die Könige über die grüne Grenze bis nach Bethlehem geführt. Nachts, wenn alles ganz still war. Da erzählen die Schmuggler am lodernden Feuer von der ausweglosen und verfahrenen Lage der Palästinenser. Die einen wollen den Kampf, bis zuletzt, die anderen suchen Frieden. Welche Geschichte denn wahr sei – wahr werden könnte? Achselzucken. Die Könige hören zu. Sie erzählen dann von ihrer Heimat. Wie sich das anhört: Morgenland. Morgenland. Das Land, in dem die Sonne aufgeht? Die Gedanken greifen weit aus. Die Wege sind lang, unendlich lang. Sie sehen auch so aus, als kämen sie aus einem Traumland: die Könige. Sie erzählen von einem Stern, sie erzählen von einer Geschichte, die sie auch nur gehört haben: Hier – irgendwo – soll doch der neugeborene König sein. Wieder Achselzucken. Ein modernes Märchen? Die Geschichte von Verrückten? Die große Geschichte setzt nicht auf Kinder. Sie setzt auch nicht auf Sterne. Dabei ist es am Feuer so warm – und so hell. In dieser Nacht bei Bethlehem. Aus einer Baracke – drüben - kommt Wimmern. Ein Kind weint. Der Himmel ist sternenklar. Ein Stern strahlt besonders – oder meine ich das nur? Ich schaue aus dem Arbeitszimmer. Es ist spät geworden. Ein Hauch von einem Morgen.
  
  Reiche Gaben
  
  Gehen wir noch einmal nach Babylon: Dort scharen sich die Menschen um Jesaja. Er hat ein Lied, einen Hymnus angestimmt.
  
  „Dann wirst du deine Lust sehen und vor Freude strahlen, und dein Herz wird erbeben und weit werden, wenn sich die Schätze der Völker am Meer zu dir kehren und der Reichtum der Völker zu dir kommt.“
  
  Die wievielte Strophe ist das? Keiner hat mitgezählt. Aber besungen wird, immer weiter steigernd, sich überbietet, aus allen Rahmen platzend, dass die Völker, dass ihre Könige nach Jerusalem pilgern und dort Schätze abladen. Wenn, ja, wenn Gott erst einmal wieder auf dem Zion wohnt. Da, wo er schon einmal wohnte, da, wohin er zurückkehren will, da, wo er mitten unter seinem Volk lebt. Nicht nur die Menschen kehren zurück  - Gott kehrt zurück. Nicht nur die Menschen haben einen neuen Anfang – Gott fängt neu an.
  
  Jesaja holt weit aus:
  Denn die Menge der Kamele wird dich bedecken, die jungen Kamele aus Midian und Efa.
  Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen
  und des HERRN Lob verkündigen.
  
  Ich muss lächeln. Kamele! Aber dann sehe ich Karawanen kommen, Karawanen mit den schönsten, teuersten, edelsten Gaben und Schätzen. Die Leute wiegen mit, es fährt durch Köpfe und Beine. Denn: bisher haben sie alles abgeben müssen. Ihr Geld, ihren bescheidenen Reichtum, ihre Geschichten, die Gräber der Vorfahren, ihre Träume gar. Hier wissen alle, wie die große Geschichte läuft: Völker werden unterworfen, Völker müssen Tribut zahlen, dann haben Völker ihre Demütigung zu zelebrieren. Jährlich. Wie in einem Ritus. Jedes Mal tut es weh.
  In der Hauptstadt der neuen Großmacht Persien – Persepolis – , war gar in Stein gemeißelt, für alle Ewigkeit aufbewahrt, wie  Abgesandte von 23 Völkern vor Dareios I. erscheinen und ihre Gaben darbringen. Gaben … Nein, nein – Abgaben! Wie verführerisch die Worte gewendet werden! Wenn Worte in die Fänge einer Übermacht, einer Deutungsmacht geraten.
  
  Jetzt wird eine neue Geschichte besungen. Gott kehrt mit seinem Volk zurück. Er wird unter den Menschen wohnen. Auf dem ZION. Ein neuer, kleiner Tempel wird dort von seiner Gegenwart künden. Menschen pilgern dort hin. Ein großes Licht geht auf. Nein, Gott braucht keinen Tribut. Wenn die Völker dem Licht nachgehen, bringen sie ihre Schätze mit – aber sie werden nicht arm, sie werden nicht ausgebeutet, sie werden nicht gedemütigt. Die neue Geschichte Gottes mit seinem Volk  ist – die neue Geschichte mit der Welt. Aber es ist schön, die vielen Karawanen zu sehen! Die Welt ist so reich.
  
  Das kleine geschundene Volk Gottes sieht sich auf einmal in einer ganz neuen Rolle: Zeichen der Hoffnung zu werden. So ist das, wenn – Gott kommt. Wenn es Licht wird.
  Inzwischen sehnen sich  sogar die inzwischen auch unterworfenen und tributpflichtigen Babylonier nach einem neuen Anfang. Ob das Lied, das Jesaja singt, auch von ihnen erzählt? Ihnen eine Hoffnung gibt?
  Wenn ich Jesaja das nächste Mal sehe, muss ich ihn unbedingt fragen!
  
  An der Grenze (III)
  
  Inzwischen ist es Morgen geworden. Die Könige treten aus ihren Zelten heraus. Es ist alles noch klamm. Ihre Kamele kauen. Die Hirten sind längst über alle Berge. Dann werden die Bündel wieder aufgeschnallt. Fein verschnürt: Gold, Weihrauch und Myrrhe. Nichts ist bisher weggekommen, nichts weggenommen. Ein Stern, hoch oben, so hoch, dass er keinen Ort, keinen Platz, auch keine Bruchbude bezeichnen könnte, leuchtet doch an diesem, über diesem Ort. Was hat dieser Ort, das andere Orte nicht haben? Wo doch überall, ringsum – Öde ist, wo doch überall, ringsum - menschliche Schicksale zusammengepfercht sind, wo doch überall, ringsum – finstere Aussichten lauern?
   „Und du Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst , der mein Volk Israel weiden soll“ (Micha 5,1)
  
  In den Annalen der Könige aus dem Morgenland suche ich seit langem die Aufzeichnungen über diesen Tag. Nichts! Langsam gebe ich die Hoffnung auch auf. Warum nach etwas suchen, was es nicht mehr gibt?  Die Könige haben wohl einen Staatsbesuch gemacht und große Geschenke mitgebracht. Gold, Weihrauch und Myrrhe. Überfluss aus dem Paradies. Was sie nicht wussten, als sie aufbrachen: Sie würden Gott besuchen. Sein Kind. Seinen Fürsten. Die Hoffnung Israels und aller Völker.
  
  Jetzt ahne ich auch, welches Geheimnis der Stern hat! Gott lenkt doch tatsächlich Menschen – auch Könige - mit Licht. Mit Licht! Anziehend,  faszinierend, manchmal auch provozierend. Muss ich’s verstehen?
  Nicht einmal Jesaja hätte sich das träumen lassen! Wo er den Zion in Glanz tauchte – Gott hat es nach Bethlehem gezogen.
  
  In Bethlehem und anderswo hält sich aber das Gerücht, dass einer der Könige sogar vor der Knesset, dem israelischen Parlament gesprochen haben soll – als sie auf einmal auch in Jerusalem auftauchten. Auf ihrem Weg durch das geteilte, zerrissene, innerlich aufgewühlte Land haben sie viele Menschen getroffen, ihren Geschichten gelauscht, in ihre Albträume geschaut. Sie haben Ruinen gesehen, Friedhöfe,  Spuren eines Krieges, der so nicht einmal genannt wird. Dabei waren die Drei Fremde, Exoten… inkognito. Könige ohne Begleitschutz, ohne Tross  - sie  kommen aus einer anderen Welt, sie führen auch in eine andere. An prominenter Stelle erzählen die Könige, dass sie einen Stern gesehen haben – sorry, ich muss mir das Protokoll besorgen… ich kann es kaum fassen …
  
  Lobpreis
  
  Jesaja schließt derweil in Babylon seinen Hymnus ab. Grandiose Bilder, traumhafte Zukunftsaussichten, übersteigerte Hoffnungen – wenn das man alles gut geht! Unken haben sich auch in Babylon versteckt. Nicht jeder, nicht jede lässt sich anstecken, gar betören. Auf  öffentliche Namensnennung soll ich auch verzichten. Aber bevor wir falschen Eindrücken aufsitzen: Jesaja kommt immer wieder auf den Lobpreis Gottes. Was auch immer geschieht.
  
  Sie werden aus Saba alle kommen, Gold und Weihrauch bringen und des HERRN Lob verkündigen.
  denn ich will das Haus meiner Herrlichkeit zieren.
  Die Inseln harren auf mich und die Tarsisschiffe vor allem, dass sie deine Söhne von ferne herbringen samt ihrem Silber und Gold für den Namen des HERRN, deines Gottes,
  und für den Heiligen Israels, der dich herrlich gemacht hat.
  
  Herrlich gemacht! Herrlich gemacht hat! Ich sehe jetzt unser Leben, unsere Geschichte, unsere Träume in einem besonderen Licht. In seinem Licht.
  
  Das letzte Wort ist darum auch ein Gebet.
  Martin Behm hat es formuliert.
  
  O König aller Ehren, Herr Jesu, Davids Sohn,
  dein Reich soll ewig währen, im Himmel ist dein Thron;
  hilf, dass allhier auf Erden den Menschen weit und breit
  dein Reich bekannt mög werden zur Seelen Seligkeit.
  
  Von deinem Reich auch zeugen die Leut aus Morgenland;
  Die Knie sie vor dir beugen, weil du ihn’ bist bekannt.
  Der neu Stern auf dich weiset, dazu das göttlich Wort.
  Drum man zu Recht dich preiset, dass du bist unser Hort.
  
  Und der Friede Gottes,
  der höher ist als unsere Vernunft,
  bewahre unsere Herzen und Sinne
  in Christus Jesus,
  unserem Herrn.