Predigt über Johannes 8, 31-36 von Dieter Koch
8,31

Predigt über Johannes 8, 31-36 von Dieter Koch

Johannes 8,31-36: „Erhalt uns in der Wahrheit, gib ewigliche Freiheit, zu preisen deinen Namen durch Jesus Christus. Amen.“ (EG 320,8)
Liebe Gemeinde, von Friedrich Hölderlin, dem großen schwäbischen Dichter wird überliefert, dass wie kaum ein Vers sonst ihn die Liedstrophe: „Erhalt uns in der Wahrheit, gib ewigliche Freiheit, zu preisen deinen Namen durch Jesus Christus. Amen. (EG 320,8)“ in seinem Leben begleitet hat. Auch mir bedeuten diese Worte viel. Hier finden lebensentscheidende Motive zusammen. Es ist gut, sich am Ausgang eines Jahres daran zu erinnern: Wahrheit und Wahrhaftigkeit, Freiheit und die Erfahrung, ausgelöst zu werden aus falschen Banden, die Herrlichkeit Gottes, dessen Name gerade davon spricht, und das Wissen um den, der ihn bezeugt, Jesus Christus, unser Herr, mein Heiland.
Dieser Vers ist freudige Antwort auf Jesu Wort, das wir heute miteinander teilen. Jesus deckt die falsche Macht der Sünde auf. Die Lüge fesselt, die Lüge knebelt. Er hält ihr die befreiende Wahrheit entgegen, die Wahrheit Gottes, den Glanz seiner Gnade in unserem Leben. Die Wahrheit wird euch freimachen, das ist einer dieser unvergänglichen Sätze, die mit dem Evangelium in die Welt gekommen sind. Die Wahrheit wird euch freimachen. Die Wahrheit deckt auf und wird zugleich als Zumutung erlebt. Stark sind die Banden der Lüge. Da sind die Lügen der Liebe, die falschen Versprechen, die gebrochene Treue, die Täuschungen unter süßen Worten. Da sind die Lügen des Geldes, der Wahn, glücklich zu werden durch Anhäufung von Werten, die Täuschungen um das schnelle Geld, todsichere, hochprofitable Anlagen, Risikowetten auf Lebensmittel an der Börse,  dazu das undurchschaubare Gespinst um die Eurorettung und die verborgenen Zumutungen darin an jedermann. Da sind die Lügen der Macht, Machtspiele ganz oben, aber oft auch direkt vor Ort, Taktieren und Verschleppen, das Weiterreichen von Verantwortung, der immer schlimmer werdende bürokratische Moloch. Die Macht bedient sich der Lügen der Sprache, Propaganda, Halbwahrheiten, Verdrehung der Worte. Am Ende fällt die Maske und die blanke Gewalt regiert.
Die Wahrheit wird euch freimachen, ja, doch nur welche? Denn es gibt derer manche. Die Wahrheit in der Liebe ist eine andere wie die Wahrheit in der Politik und überhaupt macht die Wahrheit denn wirklich frei? Sie nimmt uns die Illusionen, und Enttäuschungen können uns zumindest aus den schlimmsten Selbsttäuschungen reißen, aber sind wir darum schon frei? Klarheit im Blick auf die Dinge, das wäre schon viel. Der Mut, sich der Wirklichkeit zu stellen, wäre erstrebenswert. Wahrhaftigkeit ist die unverzichtbare Basis im Ringen um Wahrheit und ist doch darum noch nicht die Garantie, nicht auch so noch in Lügen gefangen zu sein. Wer ohne Lüge ist, der werfe den ersten Stein! Die Wahrheit wird euch freimachen, das ist das große Versprechen der Wissenschaft. Sie klärt auf, sie tut gut, aber sie schweigt in den Fragen des Lebens. Sie kann uns zeigen, wie es um die Dinge steht, aber sie verstummt, wenn es um die Liebe geht und den Sinn im Leben, und warum  und wofür es uns überhaupt geben soll.  Sie kann uns von den falschen Versprechen heilen, aber ein eigenes Versprechen will und kann sie nicht geben. Die Sprache der Zahlen, die Sprache der Gene, die Sprache der Gehirnaktivitäten ist  und bleibt kalt und leer.
Nur die Wahrheit in Gestalt der göttlichen Liebe macht wirklich frei. Sie hat einen Namen in dieser Welt: Jesus. Er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben! Propaganda? Nein, Erfahrung! Vielfach bewährter Glaube in der Not des Lebens. „Bei Dir, Jesus, will ich bleiben, stets in Deinem Dienste stehn, nichts soll mich von dir vertreiben, will auf deinen Wegen gehen. Du bist meines Lebens Leben, meiner Seele Trieb und Kraft, wie der Weinstock seinen Reben zuströmt Kraft und Lebenssaft. Könnt ich’s irgend besser haben, als bei dir, der allezeit soviel tausend Gnadengaben für mich Armen hat bereit? Könnt ich je getroster werden als bei dir, Herr Jesu Christ, dem im Himmel und auf Erden alle Macht gegeben ist?“(EG 406,1+2). Hier ist die Wahrheit, die freimacht und Freude schenkt, das Glück, Gott ganz gehören zu dürfen. Hier darf und kann ich zur Ruhe finden, weil meine Seele den Frieden schmeckt, der allen Streit dieser Welt hinter sich gelassen hat. Die Freiheit, für die der Name Jesu steht, die Freiheit, die unser Glaube kostet, ist mehr als die Unberührtheit von den Schmerzen dieser Welt, ist mehr, viel mehr als jene, manchmal so kostbare Selbstbeherrschung, in der ein aufrechter Mensch gelernt hat, auszuhalten und sich nicht länger über das Menschen erträgliche Maß hinaus binden zu lassen vom Geflecht der Sorgen und Ängste. Die Freiheit, für die Jesus uns öffnet, ist das Freiwerden von der letzten tiefen Lebensangst, überflüssig, umsonst auf dieser Welt zu sein, einmal in die Schluchten des Todes gerissen zu werden und nur Staub zu bleiben, erkaltetes, leeres Leben. Was sind 70, wenn‘s hochkommt 80 Jahre der Mühe, der Qual, der Leiden, der billigen Freuden, der schalen Vergnügen, des Raubes aneinander, des Hetzens und Hecheln um ein paar Sonnenstunden, wenn man in all dem, nicht zu erkennen vermag, geliebt zu sein, von Gott selber gewollt, angenommen und getragen zu sein? Wozu leben, wenn es nicht den Glanz der göttlichen Gnade in unserem Leben gäbe?
Ein Jahr geht, ein Jahr kommt, nach 365 Tagen wird auch dieses gehen und ein neues kommen. Jahr um Jahr, ein sinnloses Aufeinanderfolgen, wenn es darin nicht den Aufbruch der Wahrheit gäbe, den Aufgang der Liebe, irdisch und ewig zu gleich, wenn es nicht im Kommen und Gehen zur Einkehr in die Wahrheit, zur Heimkehr in die göttliche Liebe käme? Wie? In der Hinwendung auf Jesus und sein Wort! Immer neu! Immer neu die Freiheit entdecken, die er verheißt, den Frieden, den er verspricht, die Ruhe, die mit ihm da ist mitten im Sturm der Zeiten. Der  Sohn, der uns den Vater bezeugt, will uns zu Söhnen und Töchtern dieses wahren, himmlischen Vaters machen, den wir Gott nennen, die gute Quelle, der Herr alles Guten. Wer zum Sohn findet, findet in die Freiheit. Die Kleider des Heils sind ihm der unverstellte Blick auf die Welt und der feste Blick auf Gott. Der „Du allein der Ewge heißt und Anfang, Ziel und Mitte weißt im Fluge unsrer Zeiten: bleib du uns gnädig zugewandt und führe uns an deiner Hand, damit wir sicher schreiten“(EG 64,6).
Die Wahrheit wird euch freimachen. Man darf das Wahre erkennen in so vielen Momenten des Glücks und des Schönen. Die Wahrheit wächst mit der Dankbarkeit und sie ist stark in der Freude des Lebens. Ihre Bewährung aber findet sie in der Konfrontation mit der Not. Die Wahrheit macht frei, dort wo sie der Liebe dient, und von Barmherzigkeit geprägt ist. Gibt es einen Ort, wo Wahrheit mehr gefragt ist als in der Todesnot. Die Wahrheit am Bett eines Schwerstkranken, sie macht frei, wenn sie nicht nur eine kalte Diagnose ist, sondern wenn sich der feste Blick auf die Realität des Leibes verbindet mit dem Aufblick auf die göttliche Gnade.  Verschließe ich meine Augen, flüchte ich vor der dunklen Macht, oder lasse ich dahinein los, dass wir alle nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand? Der, der sagt, so ihr an meinem Wort bleibt, werdet ihr die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch freimachen, der sagt auch: So ich, der Sohn euch frei mache, seid ihr wirklich frei. Er ist der, der sagt: Ich lebe, und ihr sollt auch leben (Joh 14,19), ist der, der sagt: Meinen Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich euch wie die Welt gibt (Joh 14,27), ist der , der sagt:  Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und bestimmt, dass ihr Frucht bringt  und eure Frucht bleibt (Joh 15,16), ist der, der vor Pilatus bekennt: Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich von der Wahrheit zeugen soll. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme (Joh 18,37). Danke, Jesus!  Kann man ein Jahr beenden und ein neues  angemessener begrüßen als mit der Bitte: Erhalt uns in der Wahrheit, gib ewigliche Freiheit zu preisen deinen Namen durch Jesus Christus. Amen?!