Predigt über Offenbarung 2, 8-11 von Güntzel Schmidt
2,8

Predigt über Offenbarung 2, 8-11 von Güntzel Schmidt

Dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe:
  "Das sagt der Erste und der Letzte,
  der tot war, (nun) aber lebt:
  Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut,
  - du bist jedoch reich -,
  und die bösen Gerüchte (über dich) [...].
  Fürchte nichts von dem, was du erleiden musst.
  Sieh, (man) [...] wird (einige) von euch ins Gefängnis werfen,
  sodass ihr auf die Probe gestellt und zehn Tage bedrückt werdet.
  Sei glaubwürdig bis zum Tod,
  und ich werde dir den Kranz des Lebens geben."
  Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt.
  Wer (diese Probe) besteht,
  wird vom zweiten Tod nichts mehr erleiden müssen.
  (Eigene Übersetzung)
Anmerkung:
In dieser Übersetzung wurden die Passage, die sich gegen eine jüdische Gemeinde(gruppe) wendet, und die Bezüge auf den Satan bzw. den Teufel ausgelassen; die Auslassungen sind durch eckige Klammern [...] kenntlich gemacht, dem Verständnis dienende Ergänzungen durch runde Klammern ( ).
Gisela Kittel macht in ihrer Predigtmeditation in GPM 60, 2006, S. 458-464, darauf aufmerksam, dass wir "die Worte gegen die Juden [...] nicht mehr nachsprechen können. (Schon das Vorlesen des unverkürzten Textes in der Lesung im Gottesdienst fällt schwer.)" (a.a.O., S. 462). Sie zitiert dazu Walter Jens, der die Pointierung eines "Dualismus Juden-Christen" durch diesen Text kritisiert, der dazu führe, "daß der schlichte Leser sich fragen muß, ob sich das Diktum von den jüdischen Satanskindern unwidersprochen von der Kanzel aus verkündigen läßt" (a.a.O., S. 458).
Die beiden Begriffe Satan bzw. Teufel werden vermieden, weil sie so stark aufgeladen sind, dass sie die Hörerin, den Hörer der Predigt ablenken würden, im Predigttext aber keine seiner Botschaft dienende Funktion haben und deshalb auch nicht bedacht werden sollen.
Liebe Schwestern und Brüder,
  
  diese Übersetzung der Worte aus der Offenbarung wird Ihnen fremd vorgekommen sein.
  Dabei haben viele von Ihnen sie schon gehört,
  und einige werden sie sogar gut kennen.
  Vor allem den einen Satz,
  der im Wortlaut der Übersetzung Martin Luthers so lautet:
  "Sei getreu bis an den Tod,
  so will ich dir die Krone des Lebens geben."
  
  "Semper fi" - immer treu,
  das ist das Motto der US Marines,
  der Elitetruppe der Vereinigten Staaten.
  Es taucht immer wieder mal in Spielfilmen und Fernsehserien auf
  und beschwört die Kameradschaft dieser Soldaten untereinander.
  Besonders häufig wird es in der sehr erfolgreichen Serie
  "Navy CIS" zitiert, in der ein ehemaliger Marine, Leroy Jethro Gibbs,
  eine Einheit von Spezialagenten leitet,
  die Mordfälle an Marineangehörigen untersuchen.
  
  I
  Wie heißt es denn nun richtig?
  "Sei getreu" - semper fi -,
  oder "sei glaubwürdig"?
  (über Kranz oder Krone müssen wir uns wohl nicht streiten).
  Oder gibt es da gar keinen Unterschied,
  bedeutet beides dasselbe?
  Schließlich sagt man ja "auf Treu und Glauben" ...
  Haben Treue und Glaube am Ende etwas gemeinsam?
  
  Wenn wir den Satz hören
  "Sei getreu bis an den Tod,
  so will ich dir die Krone des Lebens geben",
  dann denken wir an die Märtyrer unter den ersten Christen
  und an die Verfolgungen, unter denen die Christen
  während der römischen Herrschaft immer wieder zu leiden hatten.
  Auch der Predigttext spricht davon:
  "Fürchte nichts von dem, was du erleiden musst.
  Man wird einige von euch ins Gefängnis werfen,
  sodass ihr auf die Probe gestellt und zehn Tage bedrückt werdet."
  Der Gemeinde steht sogar der Tod vor Augen.
  In dieser Situation, so scheint es,
  wird die Gemeinde gewarnt,
  aus Angst vor dem Tod vom Glauben abzufallen,
  ihr Christsein zu verleugnen.
  
  Am Volkstrauertag denken wir,
  wenn wir diese Worte hören, auch an die,
  die im Widerstand gegen das Naziregime ihr Leben verloren.
  An die Kriegsdienstverweigerer und Deserteure.
  An die Teilnehmer am Putsch gegen Hitler,
  allen voran der Pastor Dietrich Bonhoeffer
  und die Mitglieder der Weißen Rose.
  Aber auch an die, die im Kleinen versucht haben,
  Verfolgten zu helfen
  oder den Verbrechen des Regimes ihre Hand nicht zu reichen
  und dafür bestraft, eingesperrt, umgebracht wurden.
  Und man fragt sich unwillkürlich:
  Wie hätte ich damals gehandelt?
  Wäre ich Gottes Gebot gegenüber "getreu bis in den Tod" geblieben,
  so wie Dietrich Bonhoeffer es war,
  oder wäre ich aus Angst zum Mitläufer und Mittäter geworden?
  
  II
  Wenn man sich die Umstände vor Augen hält,
  in denen Menschen im sog. "Dritten Reich" gelebt haben,
  wird man mit Verurteilungen vorsichtig sein.
  Man wird nicht so ohne weiteres behaupten,
  man selbst hätte damals natürlich nicht mitgemacht,
  sondern wird demütig die sechste Bitte des Vaterunsers bedenken:
  "führe uns nicht in Versuchung".
  Man wird dann dafür dankbar sein,
  dass wir bisher nicht in Situationen geraten sind,
  in denen wir uns entscheiden mussten,
  ob wir unserem Glauben auch treu bleiben würden,
  wenn uns Gefangenschaft, Leid oder sogar der Tod drohten.
  
  Aber so dramatisch diese Worte klingen:
  "Sei getreu bis an den Tod,
  so will ich dir die Krone des Lebens geben" -
  von keiner Christin, von keinem Christen wird erwartet,
  für den Glauben sein Leben zu geben.
  Der christliche Glaube ist ja keine Ideologie,
  um deretwillen Menschen ihr Leben opfern mussten.
  Der christliche Glaube nimmt den Menschen nicht so total in Beschlag,
  wie es der Staat im Nationalsozialismus tat.
  Der christliche Glaube will vielmehr Menschen frei machen
  und ihnen Freiheit schenken und lassen.
  
  Die Gemeinde in Smyrna war arm.
  Deshalb kannte sie als einzige Versuchung nur den Tod.
  Mehr als das Leben und die körperliche Unversehrtheit
  hatte sie nicht zu verlieren.
  Wäre sie reich gewesen, hätte der Brief die Gemeinde auch
  vor der Versuchung durch den Reichtum gewarnt,
  wie an späterer Stelle die Gemeinde in Laodizea.
  Hätte sie an den Hebeln der Macht gesessen,
  wäre auch die Macht eine mögliche Versuchung der Gemeinde gewesen.
  
  III
  Leroy Jethro Gibbs aus der Serie "Navy CIS"
  ist deshalb so beliebt,
  weil er den Wahlspruch der Marines,
  "semper fi" - immer treu, sehr ernst nimmt.
  Er steht bedingungslos für sein Team ein,
  er kämpft immer für die gute Sache
  und lässt sich nicht auf Deals mit Halunken und Schurken ein;
  er lässt sich nicht verbiegen.
  Und zugleich ist er oft zutiefst menschlich:
  er hat drei gescheiterte Ehen hinter sich,
  er kann den Verlust seiner Ehefrau und seiner Tochter nicht verwinden,
  und als Chef ist er zwar ein Vorbild,
  kann aber auch ganz schön knurrig und gemein sein
  und hat die üble Angewohnheit,
  seinen Mitarbeitern Klapse an den Hinterkopf zu geben
  und ihnen die freien Tage und Wochenenden zu streichen.
  Gerade das macht ihn aus:
  dass er ein Mann von Prinzipien ist
  und trotzdem ein Mensch geblieben ist.
  
  Was und woran wir glauben,
  erkennt man nicht an unseren Worten
  - Worte sind wohlfeil, und Papier ist geduldig.
  Was wir glauben, sieht man an unserem Handeln
  und ob unser Handeln mit dem übereinstimmt,
  was wir als unsere Überzeugung ausgeben.
  
  Petrus schwört beim letzten Abendmahl:
  "Und wenn ich auch sterben müsste,
  will ich dich nicht verleugnen." (Matthäus 26,35)
  Aber kaum spricht ihn jemand auf seine Freundschaft zu Jesus an,
  verleugnet er ihn, dreimal insgesamt.
  Die Geschichte wird nicht erzählt,
  damit wir es besser machen sollen als Petrus,
  sondern um zu zeigen: Seht her,
  selbst ein Petrus schafft es nicht.
  
  Und doch ist nicht gleichgültig, was wir tun.
  Zwischen der permanenten Überforderung
  bei dem Versuch, es besser zu machen als Petrus
  und im Grunde so zu sein wie Jesus,
  und der totalen Aufgabe aller Prinzipien
  liegt der Weg, den wir gehen können.
  
  IV
  Es geht nicht um Treue bis in den Tod,
  es geht nicht um Kadavergehorsam.
  Es geht vielmehr um Glaubwürdigkeit.
  Bei jemand, der mit dem Glauben zu tun hat,
  bei jemand, der glaubt,
  kommt es nicht darauf an,
  ob man diesem Glauben immer treu ist,
  sondern ob man glaubwürdig ist.
  Denn der Glaube ist nicht etwas,
  das man aus sich selbst hervorbringt,
  nichts, das man "machen" könnte.
  Glaube wird einem geschenkt.
  Gott glaubt an uns, und Gott glaubt für uns.
  Irgendwann erkennt man das.
  Dann glaubt man. Und handelt entsprechend.
  
  Wenn man zum Beispiel glaubt,
  dass Gott, wie es an vielen Stellen der Bibel heißt,
  die Armen und Schwachen besonders schützt und liebt,
  wird man auf solche Leute nicht herabsehen,
  sich nicht als etwas Besseres fühlen als sie.
  
  Wenn man glaubt, dass Gottes Gebot
  "du sollst nicht töten"
  sich auf alle Menschen,
  auf alle Lebewesen erstreckt,
  wird man vielleicht den Kriegsdienst verweigern
  oder zur Vegetarierin werden.
  
  Der Glaube ist nicht bei allen gleich.
  Jede und jeder lebt ihn anders.
  Glaubwürdig ist ein Leben dann,
  wenn Reden und Tun nicht im Widerspruch stehen,
  und wenn der Glaube nicht nur auf die Kirche
  und auf den Sonntag reserviert bleibt,
  sondern auch im Alltag eine Rolle spielen darf.
  
  V
  "Sei glaubwürdig bis zum Tod,
  und ich werde dir den Kranz des Lebens geben."
  Ein Leben, das Antwort auf Gottes Glauben an uns ist,
  auf Gottes bedingungslose Liebe und Vergebung für uns,
  ist ein glaubwürdiges Leben.
  Es zeigt anderen Menschen,
  wie gut Gott für uns ist,
  und nimmt seine Liebe und Vergebung
  nicht exklusiv für sich in Anspruch.
  Es zeigt anderen,
  wie frei Gott uns macht,
  ohne die Freiheit anderer einzuschränken.
  
  So ein um Glaubwürdigkeit bemühtes Leben
  kann ganz unscheinbar und alltäglich sein
  und es kann in Situationen führen,
  in denen man seine Angst überwinden
  und den Mund aufbekommen muss,
  um scheinbar Starken zu widersprechen
  und Schwächeren zur Seite zu stehen.
  
  Wie mein, wie Ihr Leben aussehen wird,
  kann niemand sagen.
  Das muss jede und jeder selbst für sich entdecken.
  Wohin uns aber der Weg des Glaubens,
  wohin uns unser Bemühen um Glaubwürdigkeit führt,
  da sind wir nicht allein.
  Gott ist bei uns und hilft uns,
  unsere Freiheit zu bewahren und unsere Glaubwürdigkeit.
  Am Ende dieses Weges wartet Leben auf uns.
  Aber nicht erst am Ende.
  Schon unterwegs sollen und dürfen wir uns am Leben freuen.
  Amen.