Predigt zu 1. Korinther 1, 26-31 von Ulrike Voigt
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Predigt zu 1. Korinther 1, 26-31 von Ulrike Voigt

Liebe Gemeinde!
Der Predigttext für den heutigen Sonntag scheint auf den ersten Blick überhaupt nicht zu Weihnachten zu passen, das gerade hinter uns liegt (wenn auch liturgisch die Weihnachtszeit noch bis Lichtmess am 2. Februar dauert). Er führt die Hörer in die antike Hafenstadt Korinth, damals ein wichtiger Umschlagplatz für den Handel zwischen Ost und West. Das antike Korinth war eine blühende, aber auch korrupte und hinsichtlich der Sitten ziemlich berüchtigte und heruntergekommene Großstadt. Die eindrucksvollen Ruinen der Stadt auf dem Berg sind heute noch zu besichtigen. Der Apostel Paulus hatte die Gemeinde wahrscheinlich im Jahr 49 nach Christus auf seiner zweiten Missionsreise gegründet, eineinhalb Jahre hatte er in Korinth verbracht. Die Gemeinde entwickelte sich zunächst sehr gut. Doch dann traten Probleme auf, wie der erste Korintherbrief zeigt, den Paulus vermutlich sechs Jahre nach der Gemeindegründung geschrieben hat. Der Glaube der Gemeinde war in große Gefahr geraten, rivalisierende Gruppen hatten sich gebildet, es gab sittliche Missstände und große Unsicherheiten hinsichtlich des Verhaltens in der Gemeinde und gegenüber der heidnischen Umwelt. Im Gottesdienst kam es zu unwürdigen Zuständen, vor allem auch beim Abendmahl, das man noch als Gemeinschaftsmahl feierte. Auch die Auferstehung der Toten wurde geleugnet.
  
  Für Paulus liegt die Ursache aller dieser Probleme in einem schwerwiegenden Missverständnis der Korinther hinsichtlich ihres christlichen Glaubens. Die Korinther fühlten sich bereits als Teil der himmlischen Welt und betrachteten das Wirken des Heiligen Geistes unter ihnen als Beweis dafür. Sie verhielten sich überheblich, selbstgefällig und schauten verächtlich auf Paulus und seine Mitarbeiter herunter. „Alles ist erlaubt“, glaubten sie, und so verhielten sie sich auch. Paulus schrieb daraufhin den ersten Korintherbrief, um die Gemeinde auf das Zentrum des Glaubens, das Kreuz von Jesus Christus, hinzuweisen.
  
  Aus diesem Brief, aus dieser Korinther Glaubenskrise stammt unser Predigttext. Ich lese 1 Kor 1,26-31 nach der Einheitsübersetzung:
  
  „Seht doch auf eure Berufung, Brüder und Schwestern!
  Da sind nicht viele Weise im irdischen Sinn, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme,
  sondern das Törichte in der Welt hat Gott erwählt, um die Weisen zuschanden zu machen,
  und das Schwache in der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zuschanden zu machen,
  Und das Niedrige in der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt:
  das, was nichts ist, um das, was etwas ist, zu vernichten,
  damit kein Mensch sich rühmen kann vor Gott.
  Von ihm her seid ihr in Christus Jesus, den Gott für uns zur Weisheit gemacht hat,
  zur Gerechtigkeit, Heiligung und Erlösung.
  Wer sich rühmen will, der rühme sich des Herrn; so heißt es schon in der Schrift.“
  
  Was da eher kompliziert und abstrakt klingt, war in Wirklichkeit ganz konkret: Paulus fordert die Korinther Gemeinde auf, sich einmal in ihren Reihen umzuschauen, wer dazu gehört, wer dem Ruf zum Glauben gefolgt ist. Es geht also um eine Analyse der Mitglieder und ihrer gesellschaftlichen Stellung. Und diese christliche Gruppe bildete im Kleinen das Bevölkerungsgemisch ab, das in Korinth lebte: Die Bevölkerung war bunt gemischt und durch große gesellschaftliche Unterschiede gekennzeichnet. In der Gemeinde gab es, so erinnert Paulus die Mitglieder, nicht viele Weise, also Gelehrte und Gebildete, nicht viele, die Einfluss und Macht besaßen, nicht viele, die aus vornehmen Kreisen stammten. Nicht viele, aber doch wohl ein paar. Zur Gemeinde gehörten mehrheitlich Mitglieder aus den sozial schwachen Schichten, also Arbeiter, Sklaven, Frauen, Arme, Ungebildete – kurz: Habenichtse, solche, die nichts vorzuweisen hatten. Was will Paulus mit dieser Analyse sagen?
  
  Für Paulus war diese Zusammensetzung der Gemeinde ein Beweis für die Maßstäbe Gottes. Menschliche Maßstäbe, so zeigt diese Gemeinde, gelten für Gott in keiner Weise. Er beurteilt die Menschen, die er ruft, nicht nach Macht, Ansehen und Einfluss. Gott pfeift auf das, woraus Menschen ihren Status ableiten; er wendet sich sogar viel lieber und eher denen zu, die nichts mitbringen, worauf sie stolz sein könnten, woraus sie ihr Selbstbewusstsein ziehen. Es gibt bei Gott keine Leistungskriterien. Gott macht aus dem, „was nichts ist“, wie es Paulus sehr scharf formuliert, also aus dem, was nichts gilt, nichts bedeutet, ja je nach Perspektive gar nicht exisitiert, etwas, das ist, kraft seiner Schöpfermacht.
  
  Die Maßstäbe der Welt, an denen sich die Korinther maßen, nach denen sie strebten und an denen sie auch von der Umwelt gemessen wurden, hat Gott also verworfen. Sie spielen einfach keine Rolle für die Berufung, für den Stand, den Menschen vor Gott haben. Warum? „Damit sich kein Mensch vor Gott rühmen kann“. Jeder Selbstruhm, jedes Beharren auf eigenem Verdienst, jeder Stolz auf religiöse Leistung wird durch das von Paulus verkündete Handeln Gottes im Wort vom Kreuz entwertet und zunichte gemacht, damit nicht die Menschen sich und ihre Leistungen loben, sondern auf Gott verwiesen werden. Gott, der der Urheber des Heils ist, ist der, dem Lob und Ehre gebührt. Wenn Menschen aus der Gemeinde sich rühmen, dann sollen sie das nicht um ihrer eigenen Taten willen tun, sondern wegen der Taten Gottes. Denn Gott gibt ihnen den Wert, der alle menschlichen Maßstäbe übersteigt, unabhängig davon, wer oder was sie sind. Liegt in dieser Botschaft nicht eine große Befreiuung? Überall müssen wir uns als Menschen beweisen, ob wir es können oder nicht. Vor Gott müssen wir nichts zu unserem Heil beitragen, wir können es nicht einmal. Aber Gott macht aus dem, was nichts ist, etwas, das vor ihm gilt und bestehen kann. Therese von Lisieux, eine junge Nonne, die inzwischen heiliggesprochen ist, brachte das wunderschön auf den Punkt. Sie starb mit nur 24 Jahren, nachdem sie lange krank gewesen war und ihren Glauben nur noch im Gebet praktizieren konnte. Sie schrieb: „Ich habe keine Werke. Gott wird mir also nicht ‚nach meinen Werken‘ vergelten können … Nun gut! Dann wird er mir eben ‚nach seinen Werken‘ vergelten.“
  
  Dies alles, was Paulus hier an Umwertung aller Werte durch Gott proklamiert, hat den Verständigen und Weisen der Welt nie behagt. Nietzsche spottete über „Kleinleutegeruch und Sklavenmoral“ in der Kirche. Und weiter reichten die Missverständnisse, wenn ein bedeutender Theologe des 19. Jahrhunderts, Johann Christoph Blumhardt, einmal sagte: „Werdet nur alle Proletarier, dann werdet ihr alle Christen; macht euch niedrig mit den Niedrigen. – Seid Juden oder Christen, nur seid nicht Mittelschicht! ... Die Geldsack-Menschen gelten gar nichts.“ Mag an solcher Einschätzung manches vielleicht berechtigt sein, so darf man aus dem Text von Paulus keine Zulassungskriterien für das Himmelreich ableiten. Auch Armut oder eine gesellschaftlich niedrige Stellung ist keine Freikarte, sind kein Verdienst für eine Berufung von Gott! Paulus schreibt dies hier nicht, um irgend jemanden auszuschließen oder als nicht geeignet zu charakterisieren. Er zeigt einfach angesichts dieser Gemeindesituation auf, wie unbegreiflich Gott handelt.
  
  Dass Gott die Weisheit der Welt zunichte macht, hat schon im 2. Jahrhundert nach Christus den jüdischen Philosophen Celsus zu der Annahme veranlasst, dass kein Gebildeter, kein Weiser, kein verständiger Mensch Christ werden könne, weil diese Eigenschaften als schlecht angesehen würden. „Sondern“, so schrieb Celsus, „wenn einer ungelehrt, wenn einer unvernünftig, wenn einer ungebildet, wenn einer töricht ist, dann soll er getrost kommen, so sagen sie.“
  
  Könnte es wirklich sein, dass das die Kriterien sind, nach denen Gott erwählt, beruft: Torheit, Schwachheit, Machtlosigkeit, Armut? Ist das das Idealbild für Christinnen und Christen, für Gemeinden und Kirche? Die Kirche ohne Privilegien, die arme Kirche als die wahre Kirche? Die Gemeinde in Korinth als Mustergemeinde? Wie stehen wir dann da? Wie können wir dem entsprechen? Soweit es die Korinther Gemeinde betrifft, verstehen wir, was Paulus hier predigt. Aber wenn wir uns in unserer Gemeinde hier, in unserer Kirche in Deutschland umschauen, dann können wir uns ehrlicherweise nicht angesprochen fühlen; zeigt doch unsere Gemeinde, zeigt doch die Kirche in Deutschland eher das Gegenteil der Korinther Gemeinde: viele sind darin, die Einfluss haben, die wohlhabend sind, die vielfältige Möglichkeiten der Gestaltung haben, die wichtig, angesehen und gebildet sind. Die „anderen“, die gesellschaftlichen Verlierer, die offensichtlich Armen, finden wir nicht oder kaum in unseren Gemeinden. Was kann Paulus uns also sagen? Spricht er auch zu uns?
  
  Man kann es nur so verstehen: Auch Bildung, Reichtum, Einfluss oder Macht sind kein Kriterium vor Gott. Die Korinther Gemeinde ist kein Idealbild von Kirche. Sie ist nur ein Beispiel dafür, wie Gott unsere Maßstäbe und Werteskalen verkehrt. Die Frage an uns ist, wie wir uns selbst bewerten – nach Gottes Maßstäben oder nach den Maßstäben der Menschen. Sollten wir nicht gerade in der Kirche eher die Maßstäbe Gottes zum Zuge komnmen lassen, die den Menschen nicht nach äußeren Kriterien beurteilen – und ob wir nicht dies gerade auch in den Gemeinden ganz offensichtlich leben sollten: dass nicht der oder die, die ein bestimmtes Handy oder I-Phone, ein bestimmtes Auto oder mehrere oder eine gewisse berufliche Stellung bzw. einen Titel erworben hat, wichtiger sind und angesehener? Solche Errungenschaften gelten vor Gott hinsichtlich der Berufung zum Glauben nichts. Gott allein gilt der Ruhm, weil er jeden Menschen in Jesus Christus Gerechtigkeit verleiht.
   -- Vielleicht ist dies allerdings manchmal leichter anzuerkennen, wenn man aus menschlicher Sicht nicht so viel vorzuweisen hat.
  Aber wir, die wir keine arme Gemeinde oder arme Kirche sind, sollten auf jeden Fall eine Kirche für Arme, Erniedrigte, Leidende und Suchende sein, damit wir da sind, wo Gott ist, wo Gott seine Leute sucht, wo auch Jesus war. Es geht also darum, sich selbst einzuschätzen aus der Sicht Gottes und das, was einem geschenkt ist, einzusetzen zum Lob Gottes.
  
  Die Weisheit, Gerechtigkeit, Erlösung und Heiligung für einen Christenmenschen, sagt Paulus, das ist die, die Gott uns in Jesus Christus geschenkt hat. An ihm erkennen wir die Umkehrung aller menschlichen Maßstäbe durch Gott leibhaftig. Der Gottessohn Jesus war vor allem bei den Menschen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt wurden. Ja, er war ein Gottessohn, der als schwaches Kind zur Erde kam und nicht als mächtiger König. Diese Botschaft ist gerade heute aktueller denn je, wo die Schere zwischen Arm und Reich, zwischen Verlierern und Gewinnern auch hierzulande immer stärker aufgeht. Und da sind wir dann plötzlich mit unserem Blick auf die Korinther Gemeinde wieder ganz nah bei Weihnachten. Ich möchte abschließend dazu einen Beitrag aus der Zeitung vorlesen, den ein Journalist (Christoph Reisinger) dieses Jahr zum 1. Weihnachtstag in der Sonntagszeitung verfasst hat:
  
  „Es geht auch anders“
  
  „Wie das schon anfängt. Da soll einer die Welt retten, landet aber erst mal in einer Futterkrippe fürs Vieh. In Windeln. Und jener, der ihn schickt, leistet sich dazu den größten anzunehmenden Schnitzer in der Öffentlichkeitsarbeit: „Hirten erst kundgemacht“, heißt es darüber in der Deutschen liebstem Weihnachtslied. Mit anderen Worten: Die Kunde von der Ankunft des Retters geht glatt vorbei an allen Wichtigen.
  
  Und siehe da: es funktioniert. Obwohl der Kaiser nichts erfährt, der Statthalter Quirinius nicht, auch nicht der Hohepriester, nimmt eine Weltreligion ihren Anfang, die Geschichte eine Wende. Es geht im Leben offenbar auch anders voran als über die den Menschen so geläufigen Wege durch Institutionen, Geld und das Glück des Augenblicks.
  
  Das genau ist die Botschaft, die Weihnachten so hell strahlen lässt und es zu einem wahren Volks-Fest gemacht hat. Denn diese Aussage der Weihnachtsgeschichte bietet auch denen Trost und Perspektive, die mit dem religiösen Kern nichts anfangen können. Schließlich ist es eine historische Tatsache, dass aus den kleinsten Anfängen, die die Evangelisten zur Weihnachtsgeschichte zusammengefasst haben, etwas in der Tat Weltbewegendes geworden ist.
  
  Gerade wer in diesem Jahr einen Angehörigen verloren hat, eine Liebe, seinen Arbeitsplatz oder seine Gesundheit, wird hier genau hinhören. Selbst aus der Enge, aus Dreck und Dunkel kann das Leben ins Licht, ins ganz Große und Gute führen. Was für eine Aussicht!“
  
  AMEN
Perikope
Datum 08.01.2012
Bibelbuch: 1. Korinther
Kapitel / Verse: 1,26
Wochenlied: 68 441
Wochenspruch: Röm 8,14