Predigt zu 1. Korinther 15,19-28 von Frank Zeeb
15,19-28

Predigt zu 1. Korinther 15,19-28 von Frank Zeeb

Liebe Gemeinde,

ein kluger Mann hat über den Osterglauben gesagt: „mit einem Geheimnis kann man leben, wenn man Vertrauen hat.“ Ich finde, er hat recht: Den Osterglauben kann man mit dem Verstand nicht durchdringen, er bleibt ein Geheimnis. Das Geheimnis heißt: „Christ ist erstanden“. Mehr nicht. In diesen drei Worten ist das ganze Geheimnis umschlungen. Wir haben es vorher auf dem Friedhof gesungen, wir werden es nachher noch einmal singen und unsere orthodoxen Mitchristen rufen es sich als Gruß zum Ostermorgen zu: Christos anesti – und die Antwort lautet „Alithos anesti“. Er ist wahrhaftig auferstanden. Die Ostkirchen haben ja überhaupt einiges bewahrt, was in der eher nüchternen westlichen Kirche – und bei uns Protestanten gleich gar – verloren gegangen ist. Sie feiern die göttliche Liturgie als ein Geheimnis, in dem sich ereignet, was verkündigt wird. Nicht weil es etwas zu verstehen gibt, weil es vom Verstand her klar ist, sondern weil es ihnen wichtig ist, dass das Geheimnis Geheimnis bleiben darf. Ich erzähle das deswegen so ausführlich, weil Ostern in diesem Jahr in besonderer Weise ein ökumenisches Fest ist. Normalerweise unterscheidet sich das Kirchenjahr der östlichen Kirchen von unserem – meist sind wir mit unseren Festen knapp zwei Wochen eher dran. Das hat mit dem Kalender zu tun, auch mit astronomischen Gegebenheiten. Aber in diesem Jahr fällt in Ost und West, in allen Konfessionen der Ostertermin auf den heutigen Sonntag. Ich finde das ein wunderbares kirchenverbindendes Symbol: Die Christenheit ist eins in dem Bekenntnis: „Christ ist erstanden“ und sie darf das heute zusammen und in Einheit bekennen. „Christ ist erstanden“ – das älteste Bekenntnis im Neuen Testament, das älteste liturgische Stück in unserem Gesangbuch und die gemeinsame Grundlage aller Christenmenschen, die aus diesem Geheimnis leben, mit ihm leben und darauf vertrauen. Ist es Ihnen aufgefallen? Unser Predigttext erzählt nicht. Da ist er anders als die Evangelien, die in immer neuen Anläufen die Botschaft von der Auferstehung erzählend ausdrücken. Sie erzählen von Menschen, die zu Auferstehungszeuginnen und -zeugen wurden, von Maria, von Maria Magdalena, von Simon Petrus, von Johannes, Thomas und vielen anderen. Sie schildern deren Gefühle, ihre Ängste und Sehnsüchte, ihre Hoffnung und ihren Zweifel. Wenn wir von Ostern sprechen, dann fallen uns in der Regel diese Geschichten ein. Bei Paulus findet sich nichts von alledem. Er geht davon aus, dass es eine Tatsache ist, dass Christus auferstanden ist. Die hinterfragt er nicht, er setzt sie voraus. Wie das geschehen ist, das darf Geheimnis bleiben. Aber was das Geheimnis bedeutet, was es mit uns zu tun hat und wie wir dem Geheimnis vertrauen können, das ist Paulus wichtig. Man könnte auch sagen: Er spürt dem Geheimnis nach. Er versucht es einzuordnen. Er bietet alles auf, was er von Christus und von der Schrift weiß, um das Geheimnis ins rechte Licht zu stellen, um es relevant zu machen, um es in Zusammenhänge zu stellen, dass es Vertrauen weckt.

Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth. Offenbar war die Situation dort nicht ganz einfach. Wir wissen von Spannungen. Soziale Gegensätze brachen auf, auch theologische. Die kleine Gemeinde stand vor der Spaltung. Die Armen wollten nicht mehr mit den Reichen feiern, weil die sie ihre Armut allzu deutlich spüren ließen. Dann verteilten sich unterschiedliche Frömmigkeitsformen auf verschiedene Parteiungen. Neben einer – modern gesprochen – volkskirchlich orientierten Gruppe stand eine – wieder modern ausgedrückt – charismatische Gruppierung, die nur die persönliche und unmittelbare Glaubenserfahrung gelten ließ und alles andere abtat. Vor allem letztere hatten natürlich mit dem Geheimnis der Auferstehung ihre Schwierigkeiten.

Sie hatten ja den Auferstandenen zwischen Ostern und Himmelfahrt nicht aus eigener Anschauung gesehen. Auch Paulus, der ihnen die Botschaft verkündigt hatte, war kein unmittelbarer Auferstehungszeuge. Hinzu kam, dass die Auflösung des Geheimnisses auf sich warten ließ. Statt der Erfüllung der Verheißung, der Wiederkunft Christi und des Einbruchs des Gottesreiches kam der Alltag. Schlimmer noch: Mitchristen starben und wurden begraben – kein Wunder, dass eine geistorientierte, erlebnisgesteuerte Frömmigkeit zu der Schlussfolgerung kommen musste: Es gibt gar keine Auferstehung der Toten. Jesus von Nazareth mag auferstanden sein, aber er ist zum Vater zurückgekehrt, er regiert die Welt nun durch seinen Geist. Es gilt jetzt zu leben und zu glauben. Noch ist Zeit, wenn wir alle einmal sterben, wird es zu spät sein.

Diese Denkweise bewirkte eine radikal diesseitige Glaubenswelt. Es galt das Leben auszukosten, den Glauben unmittelbar zu leben, ohne jedes Vertrauen und ohne Hoffnung auf eine Zukunft – und das heißt: ohne das Geheimnis. Insoweit ist die Situation des Paulus der unseren nicht ganz unähnlich. Die neue Mitgliedschaftsstudie der EKD und andere Befragungen legen den Schluss nahe: Nur noch eine Minderheit, auch unter den Gemeindegliedern, sogar unter den Hochverbundenen, glaubt noch an die Auferstehung der Toten, kann etwas anfangen mit dem Geheimnis, Trost und Hoffnung schöpfen aus der großartigen Vision vom Reich Gottes – vielleicht ist diese Hoffnungslosigkeit ja mit ein Grund dafür, dass unsere Welt so ist, wie sie ist.

Paulus entfaltet seinen Korinthern das Geheimnis, indem er sie dort abholt, wo sie stehen. Er nimmt ihre Zweifel und Fragen ernst, aber eben auch die Grundsäulen ihres Glaubens. Dass Christus auferstanden ist, bezweifelt in Korinth niemand. Dass Jesus gekreuzigt und begraben wurde, auch nicht. Damit sind die beiden Grundbekenntnisse ausgesprochen. Paulus stellt das nun in einen ganz weiten Zusammenhang, indem er gleichsam eine Ellipse zeichnet: eine große geometrische Figur, die um zwei Brennpunkte kreist, auf die hin sich alles beziehen lässt: Karfreitag und Ostern. Kreuz und Auferstehung, Tod und ewiges Leben, Schöpfung und Vollendung. Am Karfreitag erfüllt sich das wahre Menschsein Jesu Christi, denn der Mensch erleidet den tiefsten Tiefpunkt, den ein Mensch nur leiden kann. An Ostern wird die ganze Gottheit Jesu Christi offenbar, denn nur Gott selbst kann den Tod besiegen. Im Karfreitag kommt die Schöpfung an ihr Ziel, denn Geschaffen-Sein, das ist ein Sein zum Tode. Was als Geschöpf in die Welt gekommen ist, das muss diese Welt auch durch den Tod wieder verlassen. An Ostern geschieht aber der Umschwung, sozusagen die Wende der Heilsgeschichte und der Welt. Die Endzeit bricht sich Bahn in der Jetzt-Welt, denn nur vom Reich Gottes her kann der Tod überwunden werden. Paulus erinnert an die Geschichte von Adam, dem urtypischen Menschen. Adam war der wahre Mensch, wie schon sein Name sagt. Er hielt die Nähe Gottes nicht aus, und begab sich in die Gottesferne, in die Sünde, in die Sphäre des Todes. Wir alle sind als Menschen wie Adam, unfähig, die Nähe Gottes zu ertragen und unbedingt dem Tod verfallen – Karfreitagsgeschöpfe eben. Deshalb, so Paulus, wird Gott selber Mensch, damit es nach dem Karfreitag Ostern werden kann, damit das Leben sich durchsetzt, damit Sünde, Tod und Weltverfallenheit nicht das letzte Wort behalten dürfen. Gottes Sohn lebt als Mensch das Leben des Karfreitagsmenschen mit allen seinen Brüchen. Und er lebt als Osterwesen das Leben von der endzeitlichen Herrlichkeit Gottes her, von einer Welt, in der es keine Kriege mehr geben wird, wie in der Ukraine und in Syrien, keine Terroranschläge wie in Afghanistan, in der Menschen nicht einen grausamen, elenden Tod sterben, geplagt von Krankheit und Schmerzen, in der das Recht des Stärkeren sich nicht durchsetzt und die Existenz der Armen nicht weniger lebensfroh ist als die der hohen Herrschaften. Beides lässt sich integrieren, das Leben vor Karfreitag und das Leben nach Ostern, und ist schon integriert, in dem einen, der beides ist: der karfreitägliche Mensch und der österliche Gott. Wer kann das Geheimnis fassen, das uns in Christus und seinem Weg begegnet?

Einen Königszugang wird es hier nicht geben. Es ist eben ein Geheimnis, das wir mit dem Verstand nicht erfassen können. Wenn es aber richtig ist, was wir glauben, dass mit der Auferstehung etwas neues in die Geschichte und in unsere Welt hereinbricht, dann hat die Welt, in der wir leben, eine neue Qualität. Sie braucht sich dann nicht mehr messen zu lassen an den grausamen Abläufen der Weltgeschichte, an der Wiederkehr des Ewig-Gleichen, an Sachzwängen, Naturnotwendigkeiten und dem Gesetz von Fressen und Gefressen-werden. Dann können wir leben als Protestleute gegen den Tod. Die Welt wird davon nicht mit einem Schlag besser. Sie wird vielleicht nicht einmal anders. Aber bei uns ändert sich etwas. Wir leben aus der Hoffnung, denn wir kennen seit dem Ostermorgen das Geheimnis, was die Welt im Innersten zusammenhält. Es ist die Tatsache, dass Gott das Leben will und nicht den Tod. Von diesem unbedingten Lebenswillen Gottes her, ergibt manches Sinn, was in der Welt nicht verständlich ist, womit man sich auch nicht abfinden darf. Die Welt und unser Leben steht weiterhin unter dem Kreuz des Karfreitags. Das zu leugnen, wäre töricht. Aber die Frage, die alles entscheidende Frage, lautet doch: Lassen wir es dabei resigniert bewenden und setzen damit unser Vertrauen und unsere Hoffnung auf den Tod – oder geben wir dem Geheimnis eine Chance, die Welt von Ostern her zu beleuchten, sich selbst in dem zu bewahrheiten, was verkündigt wird.

Marie-Louise Kaschnitz hat diese Hoffnung im Alltag in ein Gedicht gefasst:

Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut.
Nur das Gewohnte ist um uns.
Keine Fata Morgana von Palmen
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus.
Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

In diesem Sinne: Lichtvolle Ostern! Amen.