Predigt zu 1. Korinther 2, 1-10b von Jochen Riepe
2,1

Predigt zu 1. Korinther 2, 1-10b von Jochen Riepe

I
Was kein Auge gesehen, / was kein Ohr gehört: / aus Wasser wird Wein, / das Fluchholz wird grünen / und die Steine werden tanzen / und die Toren erzählen: /die Ehre Gottes.
II
‚Der muß doch verrückt sein!’, dachte ich. Einer, der sich nicht anpreist und gut verkaufen will. Einer, der sichtbar zitternd und furchtsam nach vorn tritt. Einer, der sich nicht schönredet. Ein Mensch, wirklich ein Mensch! Im globalen Kapitalismus suchen wir global player, glatt, eloquent, mit allen Wassern gewaschen … und dann dieses: ‚Ich kam zu euch in Schwachheit und Furcht und sehr zaghaft’.
III
Ich erinnere mich noch genau, obwohl es viele Jahre zurück liegt. Die junge Frau galt den anderen als etwas - schräg, verdreht, und ich glaube, sie war oft traurig. Sie sprach Sätze, die plötzlich abbrachen und sich verloren. Sie empfand Probleme, Gewichte, wo für die anderen alles längst klar war. Sie machte Bemerkungen, über die die anderen lachen mussten. Tragikomik. Als sie zum Abschluß der Tagung sagte, sie überlege,Psychologie zu studieren, waren die Spötter schnell da: ‚Oh weh, sie macht ihr Problem zum Beruf’.
 Sie sprach Sätze, die plötzlich abbrachen und sich verloren…
IV
Paulus schreibt nach Korinth. ‚Ich kam zu euch in Schwachheit und Furcht und sehr zaghaft. Ich habe meine Bildung gelassen, ich habe meine Weisheiten gelassen. Rhetorik und Eloquenz habe ich vergessen – um Christi Willen. Als ich kam, hattet Ihr eine schwache Figur vor Augen, einen, von dem man sonst peinlich berührt wegsieht. Ich habe meine Schwächen, meine Risse, meine Mängel euch gezeigt – um Christi Willen’. Nicht wahr, liebe Gemeinde, das ist dreist. Das ist verrückt! Wie kann solch eine zitternde, zerrissene Gestalt überzeugen? ‚Seht doch hin’, sagt der Tor, ‚ich zeig sie euch. Ich bin der beste Darsteller meiner Probleme.’ Ob ein Dortmunder Presbyterium Paulus in eine Pfarrstelle gewählt hätte?
V
Die junge Frau, etwas schräg, verdreht, traurig, hat ihr Problem zum Beruf gemacht und vielleicht darf ich –ohne ihr zu nahe zu treten - etwas ‚spekulieren’: Sie hat sich die üble Nachrede gefallen lassen und diese gegen die Spötter gekehrt. Vielleicht so: ‚Ja, ich will studieren, dieses Fach, diese Seele, um über mich etwas zu erfahren, was auch anderen helfen kann’. Sie sprach Sätze, die plötzlich abbrachen … als würden sie irgendwo versinken oder nicht mehr weiterkommen … als sei da eine Barriere, ein Fels, etwas wie Nicht-Sprache, das sie nicht weiter sprechen ließ … Was ist denn das, was wir nennen: eine Macke, ein Riß, diese Traurigkeit? Doch so etwas wie eine wort-lose Stelle in uns, zwischen uns ; oft zugeschüttet mit allzu vielen Worten, und doch darunter eine Wunde, die schmerzt, die wirkt, stößt und hemmt, eine Kraft, namenlos und nicht zu fassen … Ist das nicht der Sinn allen Studierens – ob an der Uni oder anderswo: Meinen Satz zu Ende sprechen zu können, den Fels gleichsam zum Tanzen zu bringen?!
VI
Ich denke, Paulus, der Apostel Jesu Christi, würde dem – wenn auch vorsichtig – zustimmen können. Ähnelt dieser Christus, jener Mann, der ans Fluchholz gehängt wurde, ähnelt sein Leben nicht jenem Satz, der plötzlich abbricht, der am Marterpfahl zerschmettert wurde, an diesem stummen, blutigen Ding? Und ist nicht seit diesem ‚Skandal’ der verstummten Rede die aufwühlende Frage unter uns: Wie soll das Fluchholz grünen? Wer bringt die Steine zum Tanzen? Wann endlich erzählen die Toren, die Menschen der unvollkommenen und unvollendeten Sätze, von der Ehre Gottes? Ich weiß: Herr Jedermann, der Sprecher von ganzen, abgerundeten, wohlgeformten Sätzen wird diese Fragen kaum nachvollziehen können. Mit frommen oder unfrommen, wissenschaftlichen oder esoterischen Sprachspielen hat er schon immer alles im Griff. So funktioniert die Weisheit dieser Welt – Pennälerweisheit, die lacht,wenn einer nicht mehr weiterweiß. Paulus setzt dagegen: die Torheit des Kreuzes. Im Kreuz Jesu Christi klafft eine Wunde auf. In ihm liegt die schreiende Frage, ob es Worte gibt angesichts des blanken Schreckens.
VII
Die junge Frau - darf ich noch einmal spekulieren? Sie wird hart an sich gearbeitet haben … Sollen die Spötter doch einmal diesen Mut zeigen und ihren Problemen so ins Gesicht sehen! Sie hat studiert, das heißt, sie hat sich gemüht und bemüht, zu jenen stummen Stellen, zu jenen Traurigkeiten hinab zu steigen, die sie leiden und doch auch leben ließen. Sie war gefährdet: Alles dies mit vielen Worten, Theorien, Schuldzuweisungen wieder zuzuschütten. Sie hätte umgekehrt dem Sog der Stummheit völlig verfallen können. Sie fand einen dritten Weg - im Gespräch, in der gemeinsamen Anstrengung mit anderen, in dem langsamen Aufbau dieser Erkenntnis: Das Kreuz, mein Kreuz, dieser irritierende fremde Stachel * in meinem Leben, ich kann ihn nicht wegzaubern. Ich darf ihn annehmen und die Kraft der Liebe wird ihn verwandeln. Ob sie darin beten gelernt hat, steht in keines Menschen Macht. Aber wenn Gott gnädig war, dann schenkte er ihr jenes Sprechen, das den Fels, an dem mein Satz, mein Sinn zerschmettert, Ihm anheim stellt.
VIII
Was kein Auge gesehen, / was kein Ohr gehört: / Aus Wasser wird Wein, / das Fluchholz wird grünen / die Steine werden tanzen / und die Toren erzählen / die Ehre Gottes.
Der abgebrochene Satz wird nicht einfach zu Ende gesprochen, so wenig wir das Kreuz oder die Kreuze aus der Welt schaffen können. Aber dass wir trotz oder gar aus unseren Brüchen, Wunden, Traumen, Stigmatisierungen leben können, dass aus dem Kreuz Jesu das Evangelium von Jesus Christus wurde - dieses Geheimnis nennt Paulus eine Gotteskraft, ja: eine geheimnisvolle Kraft, die nicht einfach auf der Straße herumliegt und Herrn Jedermann zur Verfügung steht und die auch nicht jeder ertragen kann. Wo diese Gotteskraft wirkt, bekommen die schön polierten Oberflächen Risse, wird das Glatte rau. Wo diese Gotteskraft wirkt, tritt der coolen Dynamik der global player in ihren schicken Anzügen das Lumpenpack** der Toren entgegen … Die, die mit Furcht und Zittern nach vorn treten, in ‚unaussprechlichem Seufzen’ ***, und keinen anderen kennen wollen als Jesum, den Gekreuzigten.
IX
Zum Ende, liebe Gemeinde: Irren wir uns nicht! Paulus war deshalb kein Dummkopf oder ein Trottel. Im Gegenteil. Paulus wusste aber: Intelligenz, Klugheit, Weisheit und Redegewandtheit, alles dies hat trügerischen und betrügerischen ( oder auch: oberflächlichen, banalen) Charakter, solange wir nicht jenes Jenseits, jenes Fremde und Sprachlose gesehen haben, das Kreuz Jesu Christi. Wenn wir es aber gesehen haben, dann verzichten wir und zeigen, ja: inszenieren – den Menschen.
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* 2. Kor. 12,7
** 1.Kor. 4,13
*** Röm.8, 26