Predigt zu 1. Petrus 5, 1-14 von Bert Hitzegrad
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Predigt zu 1. Petrus 5, 1-14 von Bert Hitzegrad

Die Ältesten unter euch ermahne ich, der Mitälteste und Zeuge der Leiden Christi, der ich auch teilhabe an der Herrlichkeit, die offenbart werden soll:
2 Weidet die Herde Gottes, die euch anbefohlen ist; achtet auf sie, nicht gezwungen, sondern freiwillig, wie es Gott gefällt; nicht um schändlichen Gewinns willen, sondern von Herzensgrund;
3 nicht als Herren über die Gemeinde, sondern als Vorbilder der Herde.
4 So werdet ihr, wenn erscheinen wird der Erzhirte, die unvergängliche Krone der Herrlichkeit empfangen.
Gott segne dieses sein Wort an uns und lass es auch durch uns zu einem Segen werden.
Liebe Gemeinde!
Die Zeit der Schäfchen ist vorbei. Vorbei die Zeit, in der „die da unten“ immer das gemacht haben, was „die da oben sagen“. Wer will noch „blödes Schaf“ oder „liebes Lämmchen“ sein? Wer will nur Wolle geben und ein wenig blöken, aber nicht mitbestimmen, wohin der Weg geht? Wer will verstummen und sich den Mund verbieten lassen, weil andere das Sagen haben?
Die Zeit der Schäfchen ist vorbei - und die der Hirten, der „guten Hirten" auch? Wer ist noch Vorbild in diesem Land? Sie werden weniger, wenn man den großen Umfragen glaubt. Politiker, die Hüter von Gesetz und Ordnung, Recht und Gerechtigkeit in einem Land, haben verspielt. Zu oft mussten sie dementieren, zu oft mussten sie nach vielen Pressekonferenzen doch Fehler eingestehen und viel zu spät den Rücktritt verkünden. Darf man seine Laufbahn als Minister auf eine Doktorarbeit gründen, die in weiten Teilen abgeschrieben ist? Darf man als Politiker persönlich von seinem Job profitieren? Und gilt nicht für einen Bundespräsidenten auch die volle Wahrheitspflicht.? Die Schäfchen haben sich gewehrt, haben sich abgewendet. Und aus den lammfrommen Tieren sind Hunde geworden, die bellen und beißen und in die Waden kneifen.
Gibt es sie noch - die guten Hirten? Hat unser Land noch Vorbilder? Nicht viele Namen wurden genannt, als ein neuer Bundespräsident gesucht wurde. Und nun ist es einer geworden, der lange Zeit „Hirte“ – „Pastor“ seiner Gemeinden war und nun ein ganzes Land weiden soll.
Sind sie noch die „Vorbilder der Herde" die Pastorinnen und Pastoren in den Kirchengemeinden? Oder ist ihr guter Ruf auch dahin, weil es laut geworden ist, dass es auch dort allzu menschelt? In den Missbrauchsfällen haben sich die „guten Hirten" als Herren über die ihnen Anvertrauten aufgespielt und das Leben und die Seelen von Menschen zerstört, die sich fühlen wie Lämmer, die zur Schlachtbank geführt wurden. Aber nicht nur in Bereichen, die für die Strafverfolgung relevant sind, sondern auch im Alltag des Pastorenlebens gibt es sie - die Enttäuschungen, weil Traumbild und das wirkliche Leben nicht zusammenpassen. Der neue Bundespräsident und ehemalige DDR-Pastor lebt in wilder Ehe zusammen mit seiner Partnerin - nun sogar im Präsidentenpalast. Und da gibt es auch das Fremdgehen und das Scheiden der Ehen in Pastorenkreisen - trotz des sechsten Gebotes. Und auch die Pastorenkinder sind nicht das fleischgewordene vierte Gebot. Und manch ein Gemeindeglied belächelt sie dann auch und kommentiert: „Pastors Kinder, Müllers Vieh geraten selten oder nie ...!" Ist das ein Trost? Wenn’s schon im Pfarrhaus nicht gelingt, wie denn bei uns? Aber so ein kleines Vorbild, so ein perfektes Leben, dass man vor Augen hat, das wäre doch schön ...
Auch Pastorinnen und Pastoren sind keine Heiligen - sondern sie sind „allzumal Sünder". Ja, es menschelt auch unter den „Hirten" und das ist auch gut so, denn nur so sind sie ihrer Botschaft auch treu, von dem von Gott angenommenen Menschen, der nur durch Gnade, nicht durch frommes Getue oder sichtbares Vorbild vor Gott etwas zählt.
Ja, vielleicht zählt gerade das - vor der Gemeinde und vor Gott: Dass ich mit meinen Schattenseiten auch umgehen kann, dass ich ehrlich und offen bin und sie nicht unter dem weiten Mantel des guten Hirten verberge.
Für mich ist darin Margot Käßmann, die langjährige Bischöfin der Hannoverschen Landeskirche, zum Vorbild geworden. Als Bischöfin hat sie ihre Herde mit vielen neuen Ideen geweidet, inspiriert und auf saft-grüne Wiesen geführt. Als sie im Frühjahr 2010 mit ihrem Dienstwagen unter Alkoholeinfluss bei Rot über eine Ampel gefahren ist und dabei von der Polizei gestoppt wurde, waren viele schockiert - auch ich. Und viele waren enttäuscht, auch als sie nach kurzer Zeit nach dem Vorfall ihren Rücktritt erklärte.
Sie hätte leicht darauf verweisen können, dass ihr Vergehen rechtlich geahndet wird - und das wäre es gewesen. Sie hätte auch biblisch argumentieren können, sogar mit Jesu Worten: „Wer ohne euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein!" Nein, sie hat ihre Konsequenzen gezogen, weil sie gradlinig bleiben wollte.
Sie hätte mit Scheinheiligkeit und mit angekratztem Image weitermachen können. Sie hat es nicht getan, wie manch einer von „denen da oben", die scheinbar nach ihrer eigenen Moral leben. Und deshalb wurde sie auch darin noch zum Vorbild - nun für den Umgang mit Fehlern und Missständen, nicht nur in der Kirche.
Und für auch für sie war letzter Halt und tiefstes Vertrauen im freien Fall von der Karriereleiter: „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand!“
Das ist die Grundbotschaft des Evangeliums, dass Gott mich mit allen Licht- und Schattenseiten annimmt, mit dem, was mir gelingt, was ich an guten Gaben und Begabungen mit einbringen kann, aber auch mit dem, was den Umgang schwierig macht, was quer liegt, was mir und Gott und anderen Mühe macht.
Wir brauchen kein Idealbild, dem wir hinterherrennen, sondern wir brauchen eine Ehrlichkeit im Umgang miteinander. Und wer ehrlich ist, kann auch Verantwortung übernehmen. Für seine Schwachstellen, für Fehler und Macken. Aber auch für andere.
Und Verantwortung übernehmen bedeutet dann eben nicht, nur Schaf zu sein, nur immer der Herde hinterherzulaufen, sondern selbst Wege und Lösungen aufzuzeigen.
In den Kirchen in Niedersachsen sind gerade die Kirchenvorstände neu gewählt worden. Menschen übernehmen in ihren Gemeinden die Verantwortung, fragen nach, formulieren Leitbilder, träumen Ziele und Visionen. Dabei geht es oft ums Geld, meistens um den Umgang mit weniger Ressourcen, Kürzungen und Stellenabbau. Aber gerade da zeigt sich ein verantwortlicher Umgang miteinander, wo so leicht Verletzungen und Verbitterungen entstehen. Wie kann im Umgang mit den Finanzen ein Miteinander als Schwestern und Brüder aussehen? Wie kann Geschwisterlichkeit gelebt werden?
Wo gibt es in der Gemeinde diakonische Projekte, wo das Hirtenamt in einem guten, fürsorglichen Sinne ausgeübt werden kann? Und wie kann ein Kirchenvorstand auch zum Vorbild für das spirituelle Wachsen der Gemeinde werden? Reicht es aus, sich nur um die knapper werdenden Mittel zu kümmern? Wir leben als Kirche Jesu Christi von ganz anderen Quellen und Ressourcen. Wir dürfen die „Herrlichkeit Christi" offenbaren. Sind „die Ältesten" auch in den Gottesdiensten präsent? Nicht nur mit dem Klingelbeutel, sondern auch als diejenigen, die die Gottesdienste mit tragen und gestalten? Werden Glaubenskurse auf den Weg gebracht oder reicht es aus, die Seminare für Fundraising zu besuchen. Klingen die Gebete für die „Armen, Bedürftigen und Obdachlosen" nur schön, oder gibt es auch einen Raum mit einem Bett und einer Dusche, wo jemand, der Hilfe braucht, auch etwas davon spürt, dass „Gutes und Barmherzigkeit" auch bei ihm ankommt?
Solch eine Verantwortung lässt sich nur in der Gemeinschaft tragen. Jeder von uns ist herausgefordert, Gottes Liebe zu leben, erfahrbar, spürbar zu machen. Und da geht es nicht um Anerkennung, Profit oder Vorteil, sondern um ein Leben aus der Freiheit des Evangelium - in der Verantwortung für andere.
Dietrich Bonhoeffer nennt das den „Glauben in der vollen Diesseitigkeit". Bonhoeffer ist selbst für viele zum Vorbild geworden. Nicht nur denen, die ihn um Rat und Beistand in der Gefängniszelle baten, sondern auch den Generationen danach, die an ihm - an seinem Leben und in seinen Worten - spüren, wie sein Glaube sein Handeln bestimmte.
Für ihn selbst steht ein Vorbild ganz in der Mitte - der, der von sich selbst sagen konnte „Ich bin der gute Hirte" (Joh 10,11). An Jesus Christus richtet er sein Leben aus - „in der Fülle der Aufgaben, Fragen, Erfolge und Misserfolge, Erfahrungen und Ratlosigkeit leben, - dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht mehr die eigenen Leiden, sondern das Leiden Gottes in der Welt ernst, dann wacht man mit Christus in Gethsemane ... und so wird man ein Mensch, ein Christ." (Dietrich Bonhoeffer, Von guten Mächten wunderbar geborgen. Gütersloh, 6. Aufl. 2006, S. 75)
An ihm – an Christus - und nur an ihm - lässt sich ablesen, was es bedeutet, aus der Freiheit Gottes zu leben und Verantwortung für andere zu tragen, ja zum Vorbild zu werden. Auch Jesus war nicht frei von Zweifeln - gerade im Garten Gethsemane kommt er an seine Grenzen: „Lass diesen Kelch an mir vorübergehen!" Auch darin ist er uns nahe und Vorbild zugleich. Wie oft sind wir schon an unsere Grenzen gekommen, wie oft standen wir vor der bangen Frage, was sein wird, wie oft haben wir Tränen der Verzweiflung geweint? Und konnten wir mit Jesus wachen und beten: „Dein Wille geschehe ..." Konnten wir dem guten Hirten auch die dunklen Täler anvertrauen, weil wir wussten, er ist bei uns?
Jesus ist seinen Weg gegangen und hat dabei auf das verzichtet, was uns immer wieder so wichtig ist - Größe und Macht. Vielleicht wären wir ja gern gute Hirten, die anderen den Weg weisen. Aber wissen wir wie Jesus um die Leiden der Menschen, um die Verletzlichkeit des Lebens. Wollen wir dienen - oder uns dienen lassen?
Christus hat nicht geherrscht, sondern er hat überzeugt durch seine Worte und ein Vorbild gegeben durch sein Leben. Predigen wir mit unserem Leben etwas anderes als mit den Worten auf der Kanzel? Ist uns das abzuspüren, dass wir „Christen" sind, weil wir in der „vollen Diesseitigkeit des Glaubens" Gottes Nähe sichtbar und erfahrbar machen? Sind wir Vorbilder?
Unser neuer Bundespräsident Hans-Joachim Gauck hat von vielen diesen Vertrauensvorschuss bekommen, dass er Vorbild sein kann. Mit seinem großen Lebensthema „Die Freiheit gestalten" (Marianne Birthler, Die Freiheit gestalten: Joachim Gauck zum 70. Geburtstag. In: Deutschland-Archiv Bd. 43 (2010), 1, S. 20–22) und seinem aufrechten Gang während der DDR-Zeit hat er auf jeden Fall das Zeug dazu.
Sein Volk wird ihn beobachten - sie sind ja keine Schäfchen mehr. Hoffentlich sind sie aber auch nicht nur kläffende und beißende Hunde, hoffentlich sind wir selbst Menschen, die aus der Freiheit Gottes Leben und deshalb Verantwortung wagen, wo das Leben in Gefahr ist.
Jesus sagt von sich: „Ich bin der gute Hirte". Er kennt das Leben, er weiß was es bedeutet, in die Irre zu laufen, er sucht, was verloren gegangen ist, er umsorgt, er liebt, er rettet. Und ich gestehe gern: Bei ihm bin ich wie ein Schaf. Amen.
„Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, dem guten Hirten, zum ewigen Leben."