Predigt zu 1. Petrus 5, 1-15 von Reiner Kalmbach
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Predigt zu 1. Petrus 5, 1-15 von Reiner Kalmbach

Wer das uns für heute gegebene Wort zum ersten Mal liest, der könnte versucht sein zu fragen: „...wie kann man denn so etwas von der Kanzel predigen, das gehört doch in den Gemeindevorstand...!?“, und vielleicht sogar hinter verschlossene Türen. Ich könnte mir auch vorstellen, dass so manch ein Prediger des Wortes die Gelegenheit beim Schopfe ergreift, um den „Ältesten“ seiner Gemeinde mal so richtig den Kopf zu waschen. Und wenn ich ehrlich sein soll, die Versuchung war auch bei mir gross.
Vielleicht liegt es einfach daran, dass wir über die Petrusbriefe nur sehr selten predigen und uns an seinen Stiel erst einmal gewöhnen müssen. Denn darum geht es, um ein Wort aus dem 1. Brief des Petrus.
(Textlesung)
Bleiben wir vorerst bei einer eher oberflächlichen Auslegung des Petrus-Wortes
1) „die da oben“: in unserer Kirche an den Ufern des Río de la Plata (Argentinen) nimmt der Pfarrer zwar an den Sitzungen des Gemeindevorstandes teil, aber er hat kein Amt, er steht ihm, z.B. nicht vor. So ist er eher eine Art Brücke zwischen der Herde und ihren Leitern. Das ist manchmal gar nicht so einfach, im Grunde erfülle ich die Funktion eines Filters: liesse ich alles, was von unten kommt, einfach nach oben weiterfliessen, hätten wir ein Gewitter nach dem anderen.
Es ist wie in der Politik: nur wenn sie mich selbst betrifft, wenn ich als Büger dieses Staates, dieser (bürgerlichen) Gemeinde, unter der Entscheidung derer die „das sagen haben“ leide, mich benachteiligt fühle, erwacht plötzlich mein Interesse und dann würde ich einigen von denen da oben gerne mal den Hals umdrehen.
Aber zurück zu Petrus und seiner Mahnung, denn davon spricht er ja im ersten Vers unseres Abschnitts. Und damit nähern wir uns dem eigentlichen Kern der Frage nach dem, was Petrus uns heute zu sagen hat. Er beginnt mit sich selbst, seiner eigenen, ganz persönlichen Situation: Petrus ist einer von ihnen, von den Ältesten, und: er stellt sich als „Zeuge“ vor, Zeuge der Leiden Christi. Nicht im Sinne eines Augenzeugen, denn da kann Petrus wahrlich nicht stolz auf sich sein, da kann er eigentlich nur von seinem eigenen Versagen sprechen. Ihm geht es um das Leiden Christi. Das Wort ist in die Zeit der beginnenden Christenverfolgung hineingesprochen. Vielleicht möchte er einfach das Bewusstsein dafür schärfen, dass der Hirtendienst ein wirklicher Dienst ist, und kein Herrschen im weltlichen Sinn. Und zum Dienst gehört auch das Leiden, die Bereitschaft die Herde auch während eines Gewitters zusammen zu halten, und nicht einfach davon rennen.
Vielleicht hat er auch eine konkrete Situation vor Augen. Er geht auf die Frage des Geldes ein. Finanzmittel zu verwalten und sie uneigennützig zum Wohle der Gemeinschaft einzusetzen, kann auch mit Versuchungen einhergehen.
Bei uns in Südamerika gibt es immer wieder Skandale, besonders im Bereich der neuen Kirchen und Gruppen, die in den letzten Jahrzehnten wie die Pilze nach dem Regen aus dem Boden schiessen. Da werden unglaubliche Geldmengen bewegt, die Gläubigen geben treu und brav ihren Zehnten (von allem was sie besitzen!). Dann liest man in der Zeitung, dass ein Prediger, oder ein Ältester, ganz plötzlich mit den Kolektengeldern verschwunden ist, oder auch, wie Wunder!, in kurzer Zeit vom armen Schlucker zum Besitzer einer millionenschweren Villa aufsteigt.
Nein!, die Ältesten sollen ihre Gemeinde nach dem Willen Gottes leiten und zwar mit Freude und dem Willen, stets das Beste für die Herde zu suchen. Und er beantwortet auch gleich die Frage nach dem „warum“, weil sie für dieses Amt von Gott berufen sind. ER ruft Christen und Christinnen in das Hirtenamt, weil es Seine Herde ist! Deshalb hat die Ausübung dieses Amtes etwas mit Demut zu tun. Wie gesagt, es ist ein Dienst!, Gott überträgt uns nicht die Herrschaft! Im Grunde ist es ganz einfach: wir müssen nur fragen, wie Jesus das gemacht hat, wie er mit den Menschen umgegangen ist, mit den Kranken und Schwachen, mit den Ausgestossenen..., mit der Obrigkeit (!). Und wie Jesus mit uns umgeht, mit mir...Jesus ist für uns das Beispiel, NEIN!, er will in uns sein, Er will durch uns seine Herde führen, begleiten, ermahnen, beschützen, sie lieben!
2) „die (wir) da unten“: wir sind eine Diasporakirche. Wenn wir alle Kirchen, Sekten und religiöse Glaubensgemeinschaften zusammen nehmen, so bilden wir, d.h. die historischen Kirchen die ihre Wurzeln in der Reformation haben, eine verschwindende Minderheit von noch nicht einmal 0,5%. Da können „die (wir) da unten“ nicht einfach alle Aufgaben nach oben delegieren, da kommt es auf jedes Gemeindeglied an. Aber ähnliche Situationen haben wir ja auch in manchen Landeskirchen und ihren Gemeinden.
Vor vielen Jahren, als wir noch in Deutschland lebten, begleitete ich einen pensionierten Theologen auf seinem Sonntagsspaziergang. Es war in Heidelberg, an einem wunderschönen Herbsttag. Damals begann gerade in den Landeskirchen die erste schmerzhafte Austrittswelle. So fragte ich ihn nach der Zukunft der Kirche und was denn werden soll, wenn das so weiter geht...? Eine Weile kam gar nichts, bis er plötzlich sagte: „dann wird die Kirche wieder zur Kirche der Zeugen Christi.“
Wie gesagt, es geht um den Zeugendienst: wir alle sollen Zeugen der Leiden Christi sein. In Demut, wie es der letzte Vers ausdrücklich betont. Schliesslich kommen wir von Karfreitag und Ostern her. Wenn ich nicht bereit bin zu fragen: „was hat das alles mit meiner eigenen Lebensgeschichte und Situation zu tun?“, verkommen Karfreitag und Ostern zu traditionellen Riten, dann kann ich tausend Mal die Bibellesungen und hunderte von Karfreitags-und Osterpredigten hören, sie werden dennoch nicht zu mir sprechen. Ich persönlich bin in das Kreuzesgeschehen und in die Auferstehung mit hinein genommen. Um es noch klarer auszudrücken: es geht um das vor und nachher. Als Christ bin ich Zeuge eines Augenblicks in der Weltgeschichte, der sie ein für alle Mal verändert hat. Für uns, für dich und für mich hat eine neue Zeit begonnen, das Entscheidende ist bereits geschehen!, es liegt nicht vor uns! Die Gemeinde Christi kommt und lebt von Ostern her. Und ich bin Teil dieser Gemeinde, ich bin ein Schäflein unter anderen, ich bin Sein Schäflein!, ich und du, wir alle gehören zu Seiner Herde, sowohl „die da oben“, als auch „die (wir) da unten“.
Und dieser Gedanke, diese Gewissheit, führt uns zu einem Thema, das uns zwar in der Theorie nicht fremd ist (...haben wir darüber nicht einmal im Konfirmandenunterricht gesprochen...?), aber in der Praxis gehen wir damit um, als stamme dieses Konzept von einem anderen Stern.
3) „...wir alle: sind Hirten...“: Martin Luther schuf das Konzept des „Priestertums aller Gläubigen“. Wir alle sollen, so wir wirklich von Ostern her kommen, die Freude über die Erwählung spüren und leben und damit bezeugen!
Früher habe ich mich manchmal gefragt, wie es denn sein kann, dass manche Gemeinden auf eine Geschichte von mehreren hundert Jahren zurückblicken (meine eigene feiert dieses Jahr ihre ersten 45 Jahre). Sie überdauern Kriege und Wirtschaftskrisen, innere Steitigkeiten, Pfarrer kommen und gehen, Älteste übergeben ihren Stab an die Jüngeren..., es gibt sie einfach. Und während viele Gewohnheiten und Aktivitäten dem Wandel der Zeiten zum Opfer fallen, unsere Kirche und unsere Gemeinden feiern weiterhin jeden Sonntag Gottesdienst, es werden weiterhin Kinder (und Erwachsene) getauft, Jugendliche konfirmiert, Paare gesegnet, Kranke begleitet und Tote beerdigt. Es ist so, weil Gott es will!, weil er immer wieder Hirten in seinen Dienst ruft und sie einsetzt, im Vertrauen darauf, dass sie die Herde in Demut und mit Freude behüten. Wir wissen nur zu gut, dass die Mehrzahl der Gemeindeglieder sich eben nicht als „Hirten“ im Sinne von Petrus versteht. Und schon gar nicht als Priester, wie Luther es formulierte. Deshalb sind jene Gemeindeglieder so wichtig, die in sich die Berufung zu einem Hirten-und Priesterdienst spüren und sie mit Freude und Demut annehmen.
In unserer Gemeinde haben wir vor wenigen Wochen einen solchen „Priester“ verloren. Er verstand seine Zugehörigkeit zur Gemeinde, und damit zur Herde, als einen Zeugendienst, er konnte sich sein Leben gar nicht anders vorstellen. Er tat dies, sowohl als Mitglied des Vorstandes, als auch als einer der sich zu denen „da unten“ zählte. Oftmals habe ich Rat bei ihm gesucht, noch öfter haben wir zusammen gebetet. Er war manchmal unbequem, vielleicht sogar „stur“, nicht selten haben wir hart diskutiert. Aber er hat eines niemals aus den Augen verloren: wir sind alle Schafe des einen grossen Hirten, vor ihm müssen wir alle einst Rechenschaft ablegen, sowohl die da oben, als auch die (wir) da unten. Vor diesem Hirten zählt nur unser Zeugnis, das wir (hoffentlich) in Demut, Freude und Dankbarkeit vor der Welt ablegen. In anderen Worten: am Sonntag gehe ich in den Gottesdienst, um meine Batterien aufzuladen. Vielleicht geht mein Interesse an der Gemeinde auch noch über diese eine sonntägliche Stunde hinaus. Vielleicht fühle ich mich ja ganz konkret von seinem Wort angesprochen, und vielleicht wächst daraus das Gefühl der Verantwortung gegenüber den anderen Gemeindegliedern und spüre plötzlich, dass ich Teil einer Gemeinschaft bin, eine Gemeinschaft, die auf die Stimme ihres Oberhirten hört. Dann passiert, mit ziemlicher Sicherheit, folgendes: dann werde ich zum Hirten meines Nächsten, auch ausserhalb der schützenden Herde, dann  beginnt draussen vor der Kirchentür mein täglicher Priesterdienst. Bin ich dazu befugt? Aber natürlich!, Christus selbst hat mich in diesen Dienst gerufen.
Amen.