Predigt zu 1. Thessalonicher 4, 13-14 von Ulrich Kappes
4,13

Predigt zu 1. Thessalonicher 4, 13-14 von Ulrich Kappes

13 Wir wollen euch aber, liebe Brüder, über die Entschlafenen nicht im Unklaren lassen, damit ihr nicht betrübt zu sein braucht, wie die anderen, die keine Hoffnung haben
14 Denn so gewiss wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, ebenso gewiss wird Gott auch die Entschlafenen durch Jesus mit ihm zusammen führen. (Übersetzung Hermann Menge)
Erinnern wir uns an den Anfang des Evangeliums der Osternacht, so treten dramatische Bilder vor unsere Augen: ein Erdbeben ereignet sich, ein Engel fährt vom Himmel herab, der einen offenbar großen Stein von des Grabes Tür „wälzt“, Blitz und Donner begleiten dieses Geschehen.
Sind diese Bilder gleichzeitig dazu angetan, uns darauf einzustimmen, was mit uns selbst geschieht, lassen wir uns auf die Botschaft ein: „Jesus, der Gekreuzigte, ist nicht hier, er ist auferstanden?“ Ist es in einem Menschenleben, in dem die Nachricht vom Überleben des Todes durch Jesus Fuß gefasst hat so, dass das einem Erdbeben gleichkommt mit Blitz und Donner?
Zunächst liegt vor uns ein großer Stein. Seine Materie, seine Schwerkraft, seine Potenz sind riesig. Könnte er sprechen, so würde er sagen: „Ein Toter kann nicht auferstehen. Lass dich nicht von  Fabeln und Märchen beeinflussen.“ Wir werden sehen, ob wir in der Lage sind, der Kraft des Steins die Kraft des Lichtes von Ostern entgegen zu setzen.
Auf den Herzen der Christinnen und Christen in Thessalonich lastete auch ein Stein, freilich ein Stein der etwas anderen Art. Sie waren durch die Predigt des Apostel Paulus einst zum Glauben gekommen. Gemeinsam mit ihm erwarteten sie ein baldiges Hereinbrechen des Jüngsten Tages, jenes Tages, an dem Christus diese Erde und diese Welt verändern würde. Der „Tag des Herrn“ kam aber nicht.
Seit dem Weggang des Apostels waren einige von ihnen, die sich damals zum Christusglauben bekehrten, wie es heißt, „entschlafen“ und die Überlebenden fragten sich, ob ihre Toten nun für immer tot seien oder ob es auch für sie noch eine Hoffnung auf ein ewiges Leben gebe.
Die Feier der Osternacht mit ihren vielen Symbolen, mit Licht und Wasser, mit Gesang und Abendmahl hat ihre evangelischen Ursprünge unter anderem in der Feier der Osternacht der Herrnhuter Brüdergemeine. Osternacht und Ostergottesdienst wurden und werden in allen Brüdergemeinen auf dem Friedhof gefeiert. Die Aussage, die mit diesem Brauch verbunden ist, lautet schlicht und klar: Wo, wenn nicht hier, da wir unserer Toten gedenken, beginnt Ostern und das, was von Ostern für uns gültig ist!
Für Paulus wird der „Stein“ auf den Herzen der Christinnen und Christen von Thessalonich Anlass und Auslöser, einen Satz nieder zu schreiben, der eine Art Katechismussatz der ersten Christen war,[1] etwas, das viele wie eine feste Brotration mit sich trugen und von der sie lebten:  „Denn so gewiss wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, ebenso gewiss wird Gott auch die Entschlafenen durch Jesus  mit sich zusammenführen.“[2]
Das ist ein Satz über die Verstorbenen. Da wir alle aber einmal sterben, ist es auch ein Satz für die Lebenden. Er sagt: Gott hat Jesus einzig und allein darum auferweckt, damit wir wissen, das auch wir einmal auferstehen werden.
Er gab keine Demonstration seiner Möglichkeiten und seiner Macht an jenem Felsengrab des Josef von Arimathia, nein,  Gott zeigte gleichsam mit seinem Finger auf seinen Sohn, um uns zu sagen: „Wie Christus, so den Christen.“ [3]
Wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, dann wird Gott auch mich durch Jesus nach meinem Tod zu ihm bringen.
Die Pointe dieser Worte ist, dass Paulus die Vorstellungen der Thessalonicher nicht mit der schwer nachzuvollziehenden weiterlebenden Seele, die mit einem geistlichen Leib umkleidet wird, beschwert, sondern nur sagt, dass wir nach unserem Tod durch Christus mit Gott zusammen sind. An anderen Stellen beschreibt er die Ewigkeit mit Gott in den Worten „daheim zu sein, bei dem Herrn“ (2. Kor, 5,8) oder auch nur „abscheiden und bei dem Herrn sein“.  (Phil. 1,23)
Anders als in der Epistel des Ostersonntages, wo Paulus mit Begriffen und Bildern die geistleibliche Auferstehung erklärt und verteidigt, will er hier seine Hörerinnen und Hörer trösten und ihnen Hoffnung geben. ‚ Du wirst wie unsere Entschlafenen nach dem Tod bei Gott sein, denn Christus wird dich zu Gott herauf bringen. Das möge reichen.’
Wir wissen nicht, welche Wirkung diese Worte auf die Christinnen und Christen in Thessalonich hatten, müssen uns aber fragen, ob wir uns diesen Worten öffnen können oder ob sie an uns vorbei gehen.
Unser Lebensgefühl ist zumeist davon geprägt, dass wir mit unserem Leben zu Recht kommen. ‚Unser Leben dauere siebzig, vielleicht achtzig Jahre und es ist gut und ausreichend. Wir haben tausend Dinge, über die wir uns freuen. Brauchen wir das – hochverdächtige – Konstrukt eines Lebens nach dem Tod, einer Gemeinschaft mit Gott durch Christus?’
„Hochverdächtig“ ist es deswegen, weil es eine Fülle von Einwendungen gegen einen Glauben an ein Leben nach dem Tod gibt.
Etwa:
‚Menschen mit einem Glauben an ein „Jenseits“ sind Menschen, die mit ihrem Leben oder Leid nicht fertig werden und sich darum eine bessere Welt ausmalen.
Glaubt einer an den Himmel, dann verliert er den Blick für die Schönheit der Erde … und für die Verantwortung, die er gegenüber der Erde hat.’
Ist das mit dem Glauben an ein „Leben danach“  in unserem Glaubensleben so wie in einem Wohnzimmer, wo es ein Möbelstück gibt, das seit langem da steht, wir benutzen es aber nicht, weil wir meinen, es nicht mehr zu brauchen und es eben zu unserem Leben nicht passe?  Ist dieser Gottesdienst heute und jetzt  dann ein mehr oder weniger von vornherein zum Scheitern verurteilter Versuch, uns dennoch vom Gebrauch dieses Möbelstückes zu überzeugen?
Ostern bringt uns, wie nur wenige Sonntage im Kirchenjahr, in eine Entscheidungssituation, die jede und jeder für sich zu klären hat.
Es fragt uns, ob wir das annehmen und verinnerlichen wollen, tot zu sein und doch nicht tot zu sein, zu sterben und doch nicht zu sterben, zu verwesen und doch zu leben.
Öffnen wir uns grundlegend dieser Hoffnung auf eine Gottes – und Christusgemeinschaft nach dem Tod, kommt dieses zum  „Inventar“ unseres Glaubens Tag für Tag dazu, so bedeutet dieses eine Veränderung mit weitreichenden Folgen, die man mit den Begleiterscheinungen des Auferstehungssonntages vergleichen könnte. Bejaht eine oder einer in seinem Glauben diese Hoffnung auf ein „danach“, so kann das wie ein Erdbeben sein, das ein Grab aufschließt, wie Blitz und Donner, die eine Nacht hell machen.
Es entsteht mit diesem Glauben an eine Gemeinschaft mit Gott  nach dem Tod eine große Sicherheit hinsichtlich unserer Zukunft. Es erwächst eine gewisse Unabhängigkeit von Not und Leiden. Es breitet sich eine Freude aus, die zusätzlich zu der „normalen“ Freude eine ganz neue Dimension von Freude schenkt.
„Ich lebe hier und jetzt. Anderes will die Schrift nicht. Ich bin aber nicht gefangen vom hier und jetzt. Es gibt ein Glück daneben.“
Einige Gemeinden feiern in den Niederlanden die Karwoche in hoch symbolischer Weise. [4]Am Karfreitag werden die Abendmahlsgeräte und die Kerzen, das Evangelienbuch und das Kreuz aus der Kirche getragen. Zurück bleibt eine schwarze Leere, eine Art totes Gebäude. In der Osternacht, in der Paaswake, wird dann alles zurückgetragen, aber mit einem festlichen Schmuck versehen. Voran getragen werden das mit Blumen geschmückte Kreuz und das Osterlicht.
Ostern, so die Predigt dieses Rituals, ist wie das Hereintragen eines geschmückten Kreuzes und eines Lichtes in eine schwarze Leere. Karfreitag lehrt das Loslassen, das Erwerben von Abstand, das Aushalten der Leere. Das geht nicht ohne Trauer und ohne Schmerz. Wir haben aber nicht hier stehen zu bleiben. Wir versuchen in der Tiefe die Hoffnung fest zu halten, dass es trotz der Karfreitage in unserem Leben die Zeit des Lichtes und des Lebens geben wird, schön und erhaben wie ein mit Blumen geschmücktes Kreuz.
 „Denn so gewiss wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist, ebenso gewiss wird Gott auch die Entschlafenen durch Jesus  mit ihm zusammenführen.“ Das ist die Lebensperspektive. So gewiss sie in uns eingeht, so gewiss gehen die Kraft und der Friede des Osterglaubens in uns ein.

  
  
    [1] Vgl. Traugott Holtz, Der erste Brief an die Thessalonischer, Zürich, Einsiedeln, Köln 1980, S. 190: „Wohl aber darf man annehmen, dass sich die Ausdrucksweise an ein geprägtes Bekenntnis anlehnt.“
  
  
    [2] Übersetzung in Anlehnung an die Menge – Bibel.
  
  
    [3] Wörtliche Übernahme aus Martin Dibelius, An die Thessalonicher I, Tübingen 1937, S. 25.
  
  
    [4] Übernommen aus Cornelia Coenen – Marx, Pred. med. z. Stelle, in: Predigtstudien Perikopenreihe IV, 2011 / 2012, Erster Halbband, Freiburg im Breisgau 2011, 214 – 218, S. 215.
Perikope
Datum 07.04.2012
Bibelbuch: 1. Thessalonicher
Kapitel / Verse: 4,13
Wochenlied: 99
Wochenspruch: Offb 1,18