Predigt zu 1.Johannes 1,1-4 von Lucie Panzer
1,1-4

Predigt zu 1.Johannes 1,1-4 von Lucie Panzer

Lesung: Lk 2, 22-30

Lied: Vom Himmel hoch, V 1 + 2

Wie sieht Gott aus? Fragen einen manchmal die Kinder. Kann man ihn überhaupt sehen? Gott kann man nicht sehen, antworten wir klugen Erwachsenen dann meistens. Er ist überall, sagen manche noch, aber er ist unsichtbar. Und wir haben bei dieser Antwort ja die 10 Gebote auf unserer Seite. Das zweite Gebot heißt doch: Du sollst Dir kein Bild von Gott machen.
Gott kann man nicht sehen, sagen wir also den Kindern. Gott ist unsichtbar – kommt bei den Kindern an. Und manche halten Gott dann für eine Art Geist oder Gespenst – die sind auch unsichtbar. Und uns Erwachsenen gerät Gott über diesen klugen Erklärungen irgendwie aus dem Blick. „Droben über’m Himmelszelt muss ein guter Vater wohnen“, sagen und singen wir und viele fragen sich, ob der da oben womöglich schläft und gar nicht merkt, was hier unten bei uns vorgeht. Und dann passiert es leicht, dass einer sagt: So ein Gott, der ist mir zu weit weg, der kümmert sich ja doch nicht um mich und um unsere Welt – eigentlich ist es egal, ob es ihn gibt oder nicht.

Kann man Gott sehen?

Ja, man kann! Hören wir heute, ein paar Tage nach Weihnachten. Wir haben von Simeon gehört, der ein Neugeborenes im Arm gehalten hat und begriffen: „Meine Augen haben den Heiland gesehen!“ Wir singen von der guten neuen Mär‘, von der Geschichte, die Gott selbst neu anfängt: „Euch ist ein Kindlein heut‘ gebor‘n…“. Gott hat sich gezeigt. Ein Kind in der Krippe. Martin Luther hat dieses Lied gedichtet. Für ihn war das Weihnachtsfest das schönste der christlichen Feste. Da, hat er gesagt, da kann man Gott sehen. Im wahrsten Sinne des Wortes begreifen. „Wir fassen keinen anderen Gott als den, der in jenem Menschen ist, der vom Himmel kam. Ich fange bei der Krippe an.“ Ja, also. Ja, man kann Gott sehen. Er selbst hat sich gezeigt.
Davon redet auch der Bibelabschnitt, der für diesen Gottesdienst heute vorgesehen ist. Er kommt aus dem 1. Johannesbrief und gibt eben diese Antwort: Ja, man kann Gott sehen. Und hören. Und begreifen. Weil er sich gezeigt hat.

Ich lese 1. Johannes 1, 1-4

Gott hat sich gezeigt. Sein Wort ist Fleisch geworden. Damit jeder ihn hören kann und sehen, betrachten und betasten. Wie die Hirten damals. Wie die Weisen, die später kamen. Wie Simeon, der Alte im Tempel. Wie alle die, die Jesus später begegnet sind. Gott hat sich gezeigt.
In diesem Kind, das Jesus heißt. Gott rettet. Oder Immanuel. Gott ist mit uns. Das ist der zweite Name, den die Eltern ihm geben sollten. An diesem Kind sollte man sehen können, wer Gott ist und wie er ist: Mit uns. Mit Ihnen. Mit mir. „Immanuel - Gott mit uns“ oder „Jesus – Gott hilft“ – diese Namen sollen mir in den Sinn kommen, wenn ich an Gott denke. Die abstrakten Gottesnamen werden überflüssig. Die Superlative: Der Ewige. Der Allmächtige. Der Herrgott – das sind Beschreibungen, die Menschen sich gemacht haben. Seit Weihnachten glauben Christen: Gott selbst hat sich in einem Menschen gezeigt, der Jesus heißt: Gott rettet.

Und was kann man sehen und hören und begreifen durch ein Kind?
Das Leben wird neu mit einem Kind und durch die Kinder. Ganz allmählich und manchmal ein bisschen mühsam lerne ich z.B. von meinen Kindern: es geht auch anders. Und manches ist viel lebendiger, viel einfacher als bei mir, die ich doch schon ein bisschen festgefahren und unbeweglich geworden bin.
Jesus war ein Kind und später ein junger Mann mit neuen Ideen. Mit ihm hat Gott gezeigt, wie das Leben neu anfangen kann. Es soll nicht immer alles beim Alten bleiben. Es soll nicht immer dasselbe von vorne losgehen: Dass es Gewinner gibt und Verlierer, Mächtige und Machtlose, Arme und Reiche, Freunde und Feinde, das ist kein Naturgesetz. Jesus hat später gesagt wie das anders werden kann: „Es ist euch gesagt, dass ihr euren Nächsten lieben und eure Feinde hassen sollt. Ich aber sage euch: Liebt eure Feinde.“ Oder: „Ihr habt gehört, dass gesagt ist, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage euch: Wenn euch einer auf die rechte Backe schlägt, dann bietet ihm die andere auch dar.“ Und er hat vorgelebt, wie das gehen kann, dieses neue Leben. Mit denen und für die, die sonst niemanden haben. Denen hat er sich zugewendet. Er hat gezeigt, dass alle genug zum Leben haben, wenn man teilt, was da ist. Denen, die das Leben zu Boden gedrückt hat, hat er gesagt: Steh auf. Fang neu an. Er hat ihnen gezeigt: Immanuel – Gott ist mit uns. Ganz konkret. So, dass man es sehen und hören, betrachten und betasten konnte. Gott ist mit uns. Er hilft, die Welt erträglich zu machen. Er hilft zu tragen, was einem zu schwer scheint.
Allerdings: Gott hat sich auch Feinde gemacht mit seiner Art zu Reden und zu Leben. Wer sich begreifbar macht, wird angreifbar. Das kann nicht sein, dass Gott so ist – haben sie gesagt. Gott ist anders. Wir haben ein anderes Bild von ihm Gott ist ewig. Allmächtig. Und weit weg. Im Himmel. Dieser Mann hier, mit seiner windigen Geburt und seinem merkwürdigen Lebenswandel – dieser Mann kann nicht Gott sein. Als er 30 Jahre alt war, haben sie Jesus hingerichtet.
Und doch glauben wir Christen: In diesem Menschen hat Gott sich gezeigt. Und der fängt immer neu an mit seinen Menschen. Mit jedem Kind.

Lied: Vom Himmel hoch, V. 3 - 4

Gott hat sich zu erkennen gegeben. Der Johannesbrief sagt: So ist das Leben sichtbar geworden. Leben, das gut ist. Leben, das Bestand hat. Das Leben, das ewig ist. Leben, wie es nach Gottes Willen sein soll. Das zeigt sich in diesem Kind.
Was für ein Leben zeigt sich da, in diesem Kind? In einem Kind? 
Die meisten Erwachsenen meinen ja: Wer etwas vom Leben haben will, der muss sehen, dass er hoch hinaus kommt. Wenn man das schafft, ein Stückchen weiter nach oben, dann hat man mehr vom Leben. Deshalb ist das das Wichtigste: Dass man voran kommt. Möglichst hoch hinauf. Deshalb muss man aufpassen, dass man nicht zu kurz kommt. Deshalb muss man nehmen, was man kriegen kann. Da kann man keine Rücksicht nehmen auf andere. Die müssen schon selber sehen, wo sie bleiben Mir schenkt ja auch keiner was.
Aber im Stall in Bethlehem, da wo Gott sich gezeigt hat, da konnte man sehen: Frieden und Freude fangen unten an. Dazu muss man nicht erst möglichst weit nach oben. Und ich glaube, das gilt bis heute.
Wir haben früher in unserer Familie ein Spiel gemacht – manchmal schon an Weihnachten, meistens aber erst an Silvester. Die Kinder – auch als sie noch ziemlich klein waren - wir Eltern, die Oma, der Besuch – alle konnten dabei mitmachen. „Was war am schönsten?“ – hieß unser Spiel. Jeder musste das, was für ihn im vergangenen Jahr man schönsten war, darstellen – als Pantomime, ohne Worte. So konnten auch die Kleinen schon mitmachen. Und die anderen mussten zu erraten versuchen, was dargestellt wurde. Das war oft sehr lustig, bis man endlich herausgefunden hatte, was gemeint war.
Ich erinnere mich noch gut wie unsere Tochter einmal auf dem Boden herumkroch und Miau gemacht hat – das Schönste in dem Jahr war für sie nicht der Urlaub am Meer, auch nicht, dass sie es in die höhere Schule geschafft hatte: das Schönste war, dass wir das Kätzchen behalten haben, das uns im Frühjahr zugelaufen war. Oder meine Mutter: Wir hatten uns solche Mühe gegeben mit ihrem hohen, runden Geburtstag. Jeder sollte sehen, wie viel uns die Mutter wert war. Aber an Silvester bei unserem Spiel saß sie da und strickte unentwegt an einem unsichtbaren Strickzeug und zeigte und erklärte einer unsichtbaren Schülerin. Für sie war in dem Jahr das Schönste gewesen, dass wir für ein paar Stunden zusammen gesessen haben und sie mir beigebracht hat, wie man Strümpfe strickt. Das kannst du in 30 Jahren noch, hat sie später gesagt – wenn ich längst nicht mehr bin.
Das Leben, das ewig ist: Ich glaube, das ist es. Einfach und ohne großen Aufwand. Da wo Menschen miteinander leben und einander Freude machen. Das muss nichts großes sein. Das Kind im Stall in Bethlehem war auch nichts Großes und Besonderes. Aber da konnte man es sehen und hören und betasten. Und heute kann man das auch erleben: Menschen, die sich einander liebevoll zuwenden, die können wie im Himmel leben. Nun und ewiglich.

Lied: Vom Himmel hoch, V. 5 + 6

„So merket nun das Zeichen recht“: es gibt Zeichen, an denen man Gottes Nähe sehen und hören und betasten kann. Und das Leben spüren, das Bestand hat und bleibt. Der alte Simeon hat es wohl von allein gemerkt: Wenn man so ein Neugeborenes auf dem Arm hat, dann geht einem ja das Herz auf und man hofft und will es glauben, dass das Leben gut werden kann. Und oft verändert so ein Neugeborenes die Menschen. Frauen, die Mütter werden, Männer, die Väter werden: Auf einmal sind sie andere Menschen. Fürsorglicher, zärtlicher, umsichtiger, verantwortungsbewusster als vorher. Es ist ein großes Glück, wenn das passiert. Kinder können die Welt um sie herum verändern. Vielleicht kann man auch sagen: Mit den Kindern und durch die Kinder verändert uns Gott.

Aber manchmal muss einem erst jemand die Augen für Gottes Nähe öffnen. Manchmal muss einen erst jemand darauf aufmerksam machen.
Wie geht das? Wie kann man andere aufmerksam machen auf Gott, den man sehen und hören und betasten kann? Wie kann man anderen helfen, auf Gott zu vertrauen im eigenen LEben?
In einem Bilderbuch habe ich gesehen, wie es vielleicht gehen könnte. Einfach eigentlich und einleuchtend. Das Bilderbuch ist von Jutta Bauer und heißt: „Opas Engel“.
Darin wird gezeigt, wie ein Opa seinem Enkel aus seinem Leben erzählt. Er erzählt von seinem Engel. Von dem Engel, der immer dabei war in seinem Leben. Früher hat er es gar nicht so begriffen. Aber jetzt als Opa, da weiß er: Gottes Engel waren immer dabei. Gott war immer dabei. Immanuel.
Die Bilder in dem Buch zeigen, wie das war: Als Opa ein kleiner Junge war, gab es einen schlimmen Hund in der Nachbarschaft. Aber Opa konnte zitternd aber doch mutig genug an dem Hund vorbei – der Engel hatte ihn an der Hand genommen. Bei den Raufereien mit den anderen Jungen hat der Engel ihm geholfen. Und wenn Opa auf die Nase gekriegt hat, hat er ihn nicht im Stich gelassen, sondern geholfen, das Blut abzuwischen. Der Engel hat mit Opa geweint, als er im Krieg viele schlimme Dinge erleben musste. Der Engel stand lächelnd dabei, als er die Oma zum ersten Mal geküsst hat. Vielleicht hätte er sich ohne den Engel nicht getraut. Mir selbst gefällt am Besten das Bild vom Urlaub am Meer. Opa sitzt am Strand, sein Sohn schwimmt, weit draußen. Und man sieht auf dem Bild, wie der Engel mit drohendem Gesichtsausdruck und ausgestrecktem Arm einen Haifisch aufhält. Ein paar Meter weiter schwimmt der Junge, Opas Sohn. Er merkt gar nichts von der Gefahr. Wie viele Gefahren gehen so an einem vorbei – und man hat – Gott sei Dank - gar nichts gemerkt!
So erzählt der Opa aus seinem Leben. Auf den letzten Bildern in Jutta Bauers Buch sieht man, wie der Enkel heimgeht. Und ein Engel, dem von Opa nicht unähnlich, hüpft neben ihm her.
Wie kann man auf Gott aufmerksam machen, der zu sehen, zu hören und zu betasten ist? Wie kann man seinen Kindern oder Enkeln helfen, auf Gott zu vertrauen? Ich glaube, so kann es gehen: Erzählen Sie, wie es Ihnen gegangen ist. Ungeniert und ehrlich. Erzählen sie, wie Gott ihnen beigestanden hat. Erzählen Sie vom Immanuel. Alles andere wird Gott tun. Oder sein Engel.

Lied: Vom Himmel hoch, V. 8 + 12

Kann man Gott sehen? Ich glaube ja. Man kann ihn sehen. Hören. Spüren. Man kann Erfahrungen mit ihm machen. Die Hirten in Bethlehem haben solche Erfahrungen gemacht. Der alte Simeon. Menschen, die sich freuen können in ihrem Leben – die können das erfahren.
Ich nehme mir vor, im nächsten Jahr die Augen dafür aufzuhalten. Und wenn ich Gott spüre: Dann will ich es weitererzählen. Denn, sagt der Johannesbrief: Von Gottes Nähe weiter zu erzählen, das verbindet. Und es macht die Freude größer.
Amen

Lied: Vom Himmel hoch, 14 + 15