Predigt zu 2. Korinther 3,3-9 von Michael Plathow
3,3-9

Predigt zu 2. Korinther 3,3-9 von Michael Plathow

“Ihr seid ein Brief Christi”

1. Liebe Gemeinde, da sind Krisen und Konflikte, wie eine Gemeinde und Kirche auf dem Weg sie immer wieder kennt, und der Apostel Paulus schreibt an sie in der multireligiösen Hafen- und Geschäftsstadt Korinth: “Ihr seid ein Brief Christi”.

“Ihr seid”, nicht “Ihr sollt sein” oder “Ihr werdet sein” - “Ihr seid”; das meint keine Festschreibung eigener Leistungskraft und eigenen Vermögens. Auch in einer sich säkularisierenden und religiös pluralisierenden Gesellschaft mit knapp 60% Kirchenmitgliedschaft ist es nicht geraten, selbstgenügsam allein auf die Sicherheiten des Staatskirchenrechtssystems der Bundesrepublik Deutschland zu bauen und zu beharren.

“Ihr seid”, liebe Gemeinde, das erweist sich als geltende und vergewissernde Zusage, eine Art kategorischer Indikativ, der das evangelische Christsein und Christwerden als “allgemeines Priestertum der Getauften” kennzeichnet. Bildhaft drückt es der Apostel aus: “Ihr seid ein Brief Christi”, eine lesbare Epistel, ein lebendiges Empfehlungsschreiben, ein Zeugnis des Schreibers, der sich in die Herzen eingeschrieben hat und Kraftzentrum und Schrittmacher geworden ist: der Christus präsens, “Christus als Gemeinde existierend“, wie D. Bonhoeffer sagt. Christus lebt in ihr und sie in Christus durch den Glauben in den Herzen der Menschen. Durch den Glauben, den der heilige Geist schenkt. Glaube, d. h. das grundlegende, Leben bestimmende Vertrauen auf den, der uns gut ist, auf Gott, “dessen wir uns versehen alles Guten und Zuflucht haben in allem Schweren” in und durch Jesus Christus.

Ohne Vertrauen klappt fast nichts, wie wir sowohl aus unseren zwischenmenschlichen Beziehungen, als auch aus den politischen und wirtschaftlichen Institutionen und Prozessen wissen.. Ist das Vertrauen und der Glaube weg, so ist alles weg. Der Glaube an Jesus, den Christus, und die gewisse Zuversicht auf ihn, glaub- und vertrauenswürdig gelebt, ist lesbar wie ein Brief, wie ein öffentliches Schreiben auch von anderen, auch von Nicht-Christen, auch von “frommen” und aggressiven Atheisten.

2. “Ihr seid ein Brief Christi, geschrieben mit dem Geist des lebendigen Gottes”.

Weil Wort und Geist zusammengehören, seid ihr der Resonanzboden der geistgewirkten Verkündigung des Evangeliums, die Verleiblichung des heiligen Geistes, die Aktualisierung der Wirklichkeit Christi. Da ist etwas anders anders geworden in und für euch, schreibt Paulus und erinnert an die im kulturellen Gedächtnis verankerte alttestamentliche Verheißung vom Neuen Bund der Gemeinschaftstreue Gottes, der als Wille Gottes zum Leben geschlossen ist im Herzen der Glaubenden (Jer 31, 31-34). Entsprechend verheißt der Heilsprophet Hesekiel im Bild von einer göttlichen Transplantation: “Ich will ihnen ein anderes Herz schenken und einen neuen Geist geben und will das steinerne Herz wegnehmen aus ihrem Leib und ihnen ein fleischernes Herz einpflanzen, damit sie in meinen Geboten wandeln und meine Ordnungen halten und ich will ihr Gott sein“ (Hes 11, 19f). Und Paulus vergewissert die Gemeinden ihrer Neuschöpfung, ihres neuen Lebenszentrums, ihrer neuen Wirklichkeit, “denn das Alte ist vergangen“ (1. Kor 5, 17). Alles erscheint in einem anders anderen Licht durch die neue Gemeinschaft mit Gott und die neue Offenheit für seinen zukunftsträchtigen Willen. Denn durch den heiligen Geist, der sich in die Herzen schreibt, wird der Glaube in der Liebe gelebt, glaub- und vertrauenswürdig im Dasein mit und für andere als Kirche Christi mit und für andere; und diese Anderen begegnen mir, der Nächster ist, heute in ihrer Anders- und Fremdheit als Flüchtlinge und Asylsuchende aus den blutig umkämpften Gebieten des Nahen Ostens. Vergessen wir nicht: auch wir Christen hier, liebe Gemeinde, sind ja Fremdlinge auf dem Weg.

3. Dem dient in der Kraft des Geistes, wer die Gerechtigkeit Gottes verkündigt in Wort und Tat.

Wort und Geist gehören zusammen. Als Hörer des Wortes verkündigen die Diener des neuen Bundes die Gerechtigkeit Gottes in und inmitten der Gemeinde. Diener sind sie, wenn sie verkündigen, was Menschen sich nicht selbst sagen und geben können, nicht selbst machen können. Nicht aus sich selbst reden sie, sondern im Auftrag Gottes, frei vom Drang, sich selbst darzustellen, sich selbst zu empfehlen.

“Gerechtigkeit Gottes” - das war es, was Luther - wir denken heute auch an den Reformationstag 2014 - als existentiell denkenden Schrift- und Frömmigkeitstheologen umtrieb. Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, weil Gott sie bedingungslos schenkt den Glaubenden, erschließt sich im Evangelium: “So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht werde ohne eigenes Verdienst aus Gnade durch die Erlösung, die in Christus Jesus geschehen ist” (Röm 1, 17; 3, 24, 28). Als fremde Gerechtigkeit, die Gott wirkt in Jesus Christus durch den heiligen Geist, ist sie neuschaffende Macht des Erbarmens Gottes am einzelnen und in der Welt.

Da, da - wie Luther später schreibt - öffnete sich das neue Wirklichkeitsverständnis vor Gott in der Welt: die neue Gemeinschaft mit Gott im Hören auf seinen Leben fördernden und Zukunft erschließenden Willen in der “Freiheit eines Christenmenschen”. Wo der Geist Gottes sich in Kraft erweist, da ist gegen Ungeist und Kleingeist die Freiheit, zu der die Glaubenden Christus befreit hat, mich, uns, liebe Gemeinde (1. Kor 2, 4).

4. Der Buchstabe nämlich tötet, aber der Geist macht lebendig.

Liebe Gemeinde, ein fundamentaler Gegensatz deutet sich da an. Allerdings wissen wir, dass in sprachwissenschaftlichen und hermeneutischen Untersuchungen der Literalsinn und die Syntax buchstäblich Voraussetzungen für das Verstehen von Texten sind. Andernfalls spiegeln wir uns selbst und unsere Einsichten, Wünsche und Pläne in den Texten. Pervertiert wird diese Auslegungsregel durch einen Fundamentalismus, der Sicherheit verspricht, die, oft aus beengender Angst geboren, abschließende Beziehungslosigkeit und Feindseligkeit erzeugt: die sich verschließende und absichernde Buchstabenmentalität gegen die sich öffnende Gewissheit des lebendigen Geistes. Sicherheit auf Kosten von Freiheit: Unser Beharren im Festgefahrenen gehört hierher wie der Gruppenzwang der Normativität des Faktischen, der Megatrends und der sog. Eigengesetzlichkeiten. Auch unser Vertrauen, dass eigenes Machen, Herstellen und Haben es ist, was unsere Realität erstellt und darum Letztgültigkeit zuzusprechen ist. An der Verabsolutierung des Menschen als homo faber und homo oeconomicus und an einem “Schicksal “als “unbewusstes Machsal” (O. Marquard, Ende des Schicksal?, in: ders., Abschied vom Prinzipiellen, Reclam 1987, 70) bis zum selbstbestimmt gemachten Sterben klebt das Buchstabengesetz.

Aber “wir sollen Menschen und nicht Gott sein. Das ist die Summe”, wie Luther am 30. 6. 1530 während des Augsburger Reichstages an Spalatin schreibt. “Wir sollen Gott über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen”. Gott nämlich ist es, “dessen wir uns versehen in allem Guten und bei dem wir Zuflucht haben in allem Schweren”. -

Und “der Geist macht lebendig”: Er schenkt neues Leben, indem er zum Glauben an Christus führt, uns Anteil gibt an der Auferstehung des gekreuzigten Christus und in der Gemeinschaft mit Christus das neue Wirklichkeitsverständnis des Glaubens eröffnet. Ja, “Christus ist uns gemacht von Gott zur Weisheit, zur Gerechtigkeit , zur Heiligung und zur Erlösung, auf dass, wie geschrieben steht (Jer 9, 22f): Wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn” (1. Kor 1, 30), wie Luther immer wieder in seinen Predigten bezeugt. Darum “wandelt im Geist” (Gal 5, 16); “wo nämlich der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit” (2. Kor 3, 17) und lasst euch nicht wieder von den knechtenden Buchstaben einfangen (Gal 5, 1).

Seid, weil Ihr es schon seid, liebe Gemeinde, “ein Brief Christi, “zur Verherrlichung Gottes” (Eph 1, 12).

Und der “Geist des lebendigen Gottes” erweise an uns seine Kraft heute und an jedem Tag. Amen.

Perikope
Datum 02.11.2014
Bibelbuch: 2. Korinther
Kapitel / Verse: 3,3-9
Wochenlied: 295
Wochenspruch: Mi 6,8