Predigt zu 2. Mose 16,2-3.11-18 von Hanna Hartmann
16,2-3.11-18

Predigt zu 2. Mose 16,2-3.11-18 von Hanna Hartmann

Anmerkung: Vor der Predigt wurden Schalen mit Manna cannelata herumgereicht, so dass jede/r ein Stück davon in der Hand hat. Es ist in jeder Apotheke erhältlich.

Liebe Gemeinde,

es gibt Fragen, die verbinden Jahrtausende miteinander.

Eine von diesen Fragen lese ich bei Ihnen gerade auf vielen Gesichtern. „Was ist denn das?“ - Genau diese Frage haben sich vor mehr als 3000 Jahren Männer und Frauen gestellt, als sie im Morgengrauen vor ihre Zelte traten und solche Körner in Händen hielten: „Was ist denn das?“ – „Man –Hu?“

Hören wir den Bibelabschnitt für die heutige Predigt aus 2. Mose 16

Die ganze Gemeinde der Israeliten murrte wider Mose und Aaron in der Wüste. Und sie sprachen: „Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen. Denn ihr habt uns dazu herausgeführt in diese Wüste, dass ihr diese ganze Gemeinde an Hunger sterben lasst.“

Und der HERR sprach zu Mose: „Ich habe das Murren der Israeliten gehört. Sage ihnen: Gegen Abend sollt ihr Fleisch zu essen haben und am Morgen von Brot satt werden und sollt erkennen, dass ich, der HERR, euer Gott bin.“

Und am Abend kamen Wachteln herauf und bedeckten das Lager. Und am Morgen lag Tau rings um das Lager. Und als der Tau weg war, siehe, da lag's in der Wüste rund und klein wie Reif auf der Erde.

Und als es die Israeliten sahen, sprachen sie untereinander: „Man hu?“ Denn sie wussten nicht, was es war.

 Mose aber sprach zu ihnen: „Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat. Das ist's aber, was der HERR geboten hat: Ein jeder sammle, soviel er zum Essen braucht,
einen Krug voll für jeden nach der Zahl der Leute in seinem Zelte.“

Und die Israeliten taten's und sammelten, einer viel, der andere wenig. Aber als man’s nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte, und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.

„Was ist denn das? – Man hu?“ – Jetzt wissen Sie die Antwort also: Manna. Was Sie in Händen halten, entspricht dem, was die Israeliten auf ihrem Zug durch die Wüste gegessen haben. Es gibt dieses Wüstenbrot also wirklich. Sie dürfen es gerne probieren.

Wie schmeckt es Ihnen? Eigenartig, etwas süßlich und gewöhnungsbedürftig… Aber es ist genau das, was die Israeliten brauchen: Kohlehydrate, eine geballte Portion Energie und Kraft. Denn sie sind mit ihren Kräften am Ende. Um sie herum nichts als Wüste, Trockenheit, Dürre.

„Wollte Gott, wir wären in Ägypten gestorben durch des HERRN Hand, als wir bei den Fleischtöpfen saßen und hatten Brot die Fülle zu essen.“ – so verklärt sich im Handumdrehen, was einmal ganz schrecklich war.

Die Fleischtöpfe, die hier vor dem inneren Auge auf dem Feuer köcheln, - vermutlich haben sie sie mehr vom fernen Schnuppern gekannt als vom eigenen Sattwerden. Und auch das Brot von damals war Sklavenbrot; durchtränkt von Schweiß und Tränen. Aber immerhin! Als Sklaven mussten sie sich nicht selbst um ihr Auskommen kümmern. Das taten die Herren, denen sie dienten und denen sie gehörten.

Nun sind sie aber keine Sklaven mehr, sondern Freie. Und sie müssen entdecken und schmerzlich spüren: die Freiheit hat ihren Preis! Und der Weg in‘s „gelobte Land“ ist ein Weg durch die Wüste. Das wird oft das vergessen. Damals wie heute.

Freiheit ist ein großes Gut. Aber sie wird niemandem in den Schoß gelegt. Freiheit muss erarbeitet, erkämpft und nicht selten auch erlitten werden.

Die Länder des sogenannten „arabischen Frühlings“ stehen mir da gerade vor Augen: Tunesien, Ägypten, Libyen, ... Was für ein Aufbruch war das gewesen! Was für eine Hoffnung! – Doch von dem, was da an Euphorie war, ist nicht viel geblieben; im Gegenteil: es herrscht die Wüste bzw. das Wüste: Anarchie und Blutvergießen, Hunger, Elend und große Unsicherheit im Blick auf die Zukunft. Nein, der Weg in die Freiheit ist ein langer Weg und ein harter Weg.

Von 40 Jahren Wüstenwanderung erzählt die Bibel. Wobei diese Zahl 40 auch symbolisch zu verstehen ist: 40 ist  der Zeitraum, den es für eine grundlegende Veränderung braucht, damit ein Neubeginn möglich ist. 40 Jahre brauchten die Israeliten, bis sie für etwas Neues bereit waren.

Auch in unserem persönlichen Leben träumen wir manchmal von Freiheit, von dem „ganz anderen“. Doch auch hier wird uns der Weg dorthin nicht erspart. Und oft ist es ein Wüstenweg, zu dem Hunger- und Durststrecken gehören.

Die Israeliten damals hatten damit nicht gerechnet. Sie fingen an zu murren. Sie suchten einen Schuldigen, so wie immer ein Schuldiger gesucht wird. (Der Chef, die Regierung, die Umstände, die Lehrer, der Partner…) Und wer einen Schuldigen sucht, findet auch einen. Damals waren es Mose und Aaron. Voller Zorn klagen sie an: „Ihr sei schuld! Ihr habt uns an diesen gottverlassene Ort gebracht, damit wir hier elendig verrecken“.

Doch – und hier sind wir im Zentrum unserer Geschichte - die Wüste ist nicht gottverlassen. Keine Wüste ist gottverlassen - Ganz im Gegenteil. Gott ist dort näher, als wir denken, als wir uns überhaupt vorstellen können.

„Ich habe das Murren der Israeliten gehört“, sagt er zum bedrängten Mose. Gott greift ein. Nicht spektakulär mit Feuer oder Rauch – nein, ganz einfach: Gott hört zu! Und er hört auch das, was hinter dem Murren ist: die Sorge; die Not; die Angst vor der Zukunft. Ich habe gehört…

Es ist kein großes Buffet.

Das was da ist, bringt Gott auf den Tisch. Eine müde Schar Wachteln, die sich beim Lager der Israeliten niederlässt. Und dann, über Nacht, diese kleinen, unscheinbaren Körner, die es aber in sich haben. Nahrung für die Hungrigen, Kraft für die Müden, Hoffnung für die Sorgenvollen – genau das, was die Menschen brauchen.

Und aus dem Zorn wird die staunende Frage: „Man – Hu?“

Es ist das Brot, das euch der HERR zu essen gegeben hat“, antwortet Mose. Und plötzlich erkennen sie, dass Gott auch in der Wüste da ist und für sie sorgt.

Das Wunder ist darum nicht das Manna an sich. Das Wunder ist, dass es den Menschen die Augen öffnet für Gottes Nähe. Und dass sie neu Kraft und Mut bekommen.

Brot und Wachteln. Es ist nichts Besonderes, was Gott damals auftischte. Brot und Wein. Auch heute, wenn wir nachher Abendmahl miteinander feiern, ist es nichts Besonderes. Und doch sind es Zeichen der Gegenwart Gottes: Er ist da! Ob in Wüstenzeiten oder in Zeiten der Fülle: Gott ist da! Auch hier und heute.

Oft sind es kleine und unscheinbare Dinge und Gesten, in denen er sich uns zuwendet und uns Gutes tut. Oft auch durch andere Menschen. Wie bei jener Frau, die von einer Zeit erzählt, als es ihr furchtbar schlecht ging:

„Manchmal wusste ich überhaupt nicht, wie ich den Tag überstehen sollte. Aber gerade in der schlimmsten Zeit hat immer jemand für mich gekocht. Eine Nachbarin, eine Freundin. Und oft habe ich nicht gewusst, von wem die Brötchen morgens an meiner Haustür waren.“

Eine Tüte Brötchen, ein Mittagessen, Zeichen der Zuwendung. Sie haben ihr gut getan, weil sie ihr gezeigt haben: „Du bist nicht allein. Wir denken an dich. Wir sind da.“

Es ist oft das Einfache – in unterschiedlichster Gestalt, das uns Kraft gibt, durch Wüstenzeiten zu gehen, ohne bitter zu werden oder zu verzweifeln. Es ist wie Manna; wie Himmelbrot.

Und oft lässt sich auch erst im Nachhinein mit Jörg Zink sagen: „Es ist einfach wahr: Dass ich überlebt habe, war nicht das Ergebnis meiner Mühe oder meiner Vorsicht, es war ein Geschenk. Und es gibt eine geistige Nahrung, die für das Leben so wichtig ist wie die leibliche.“

Für die Israeliten damals wird beides von großer Bedeutung gewesen sein: die leibliche Nahrung für den knurrenden Magen, ebenso wie die geistige für das Herz: Gott hat uns nicht vergessen; er lässt uns nicht im Stich! 

Wie glücklich müssen sie gewesen sein über diese Fülle.

Doch Gott sagt: Ein jeder sammle nur so viel, wie er zum Essen braucht.

Ja, Fülle hat auch etwas Verlockendes. Da möchte man horten und speichern und lagern. Einen Vorrat ansammeln für schlechte Zeiten. Oder einfach immer mehr und mehr haben… Darum setzt Gott eine Grenze: ein jeder so viel er braucht!

Im vergangenen Jahr kam daher auch das Motto des Kirchentages in Hamburg: „Soviel du brauchst“. Und in erschreckender Weise wurde vielen bewusst, wie viel mehr sie haben als sie zum Leben brauchen. Und welche Belastungen das oft auch mit sich bringt. Und wie das „viel Haben“ meist auf Kosten derer geschieht, die wenig oder gar nichts zum Leben haben. Doch in jeder Gier steckt der Wurm. Anschaulich erzählt die Geschichte in der Bibel auch davon. (bitte selbst nachlesen!)

Die göttliche Weisung lautet: „Nimm, so viel du brauchst.

Du sollst nicht hungern; du sollst aber auch nicht horten oder verschwenden. Ein jeder sammle so viel, wie er zum Essen braucht, jeden Tag neu.“

Diese Begrenzung ist gleichzeitig eine Zumutung. Damals wie heute. Langfristig zu planen und uns abzusichern liegt uns näher.

Doch Manna, das Geschenk des Himmels bzw. die Nähe Gottes, das lässt sich nicht konservieren. Wir können immer wieder nur die Hand hinhalten. Jeden Tag neu sind wir auf seine Liebe, auf sein Wort, auf Kraft, auf Gesundheit und Freude angewiesen. Glauben lässt sich nicht konservieren. Jeden Tag neu heißt es, auf Gott zu vertrauen.

Dietrich Bonhoeffer beschreibt dies in seinem Buch „Widerstand und Ergebung“ mit den eindrucksvollen Worten:

„Ich glaube, dass Gott uns in jeder Notlage so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen.
Aber er gibt sie nicht im Voraus, damit wir uns nicht auf uns selbst, sondern allein auf ihn verlassen.
In solchem Glauben müsste alle Angst vor der Zukunft überwunden sein.“

Wir können diesen Glauben nicht machen. Wir können nur darum bitten, so vertrauen zu lernen. Und es ist und bleibt ein Wunder, wenn Menschen in dem, was geschieht, Zeichen von Gottes Zuwendung entdecken. Aber dort, wo sie es entdecken, da bekommen sie Kraft für ihren Weg – auch durch Wüstenzeiten hindurch.

Gott gibt genug für alle. So wie auch im letzten Teil der Geschichte erzählt wird: „Als man nachmaß, hatte der nicht darüber, der viel gesammelt hatte und der nicht darunter, der wenig gesammelt hatte. Jeder hatte gesammelt, soviel er zum Essen brauchte.“  Das Wunder im Wunder.

Ich stelle mir das so vor, dass die Israeliten damals nach dem Sammeln ihre Töpfe zusammengehalten haben und dass die, die wenig hatten, die Alten und Kinder, ihre Töpfe von den anderen gefüllt bekamen.

Wie wäre wohl unsere Gemeinde, ja unsere Welt, wenn wir so aufeinander Acht geben und teilen würden! Wir können ja im Kleinen anfangen, und sei es mit ein paar Brötchen. Aber es soll auch weiterwirken bis an die Ränder Europas und darüber hinaus in die Wüsten dieser Welt hinein.

Jeder soll genug zum Essen und zum Leben haben, denn es ist genug da.

Und noch manch einer soll staunen dürfen:

„Man – hu? – Was ist das?“

Amen.