Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-36 von Søren Schwesig
10,21-36

Predigt zu Apostelgeschichte 10,21-36 von Søren Schwesig

Liebe Gemeinde,

wenn immer in der Weltpolitik etwas geschieht, was für das Leben der Menschen entscheidende und weitreichende Konsequenzen hat, dann bemühen Politiker gern den Satz: „Wir erleben einen historischen Augenblick.“ Meist haben diese sogenannten historischen Augenblicke zu tun mit einem Regierungswechsel, dem Fall von Mauern oder der Beseitigung anderer, trennender Schranken.

Versuchen sie sich einmal zu erinnern an einen solchen historischen Augenblick. Viele werden an die Novembernacht 1989 denken, als zum ersten Mal nach Jahrzehnten der Trennung Deutsche aus Ost und West auf der Berliner Mauer ein Freudenfest feierten. Diese Nacht mit all den nachfolgenden revolutionären Veränderungen war sicher ein Augenblick, das das Prädikat `historisch´ wirklich verdient hat.

Historisch in seinen Folgen war sicherlich auch die Terroranschläge des 11. September 2001. Die Welt ist – so kann man das wohl sagen – tatsächlich eine andere geworden seit diesen Ereignissen.

Unser heutiger Predigttext lässt uns ebenfalls an einer historischen Stunde teilnehmen. Es geht um eine historische Begegnung, auch wenn diese Begegnung äußerlich ohne jede Dramatik verlief. Unser Predigttext lässt uns Zeuge einer Begegnung werden, der wir im Grunde die Existenz unserer Kirche zu verdanken haben. Denn in dieser Begegnung wurde eine Grenze überwunden zwischen Menschen, die bisher als Fremde und als Ungläubige galten. Aber der Reihe nach.

Wir hören von einem Cornelius, seines Zeichens römischer Offizier in Cäserea. Cornelius gilt als "gerecht und gottesfürchtig". Einer, der sich ernsthaft für religiöse Fragen interessiert. Einer, der auf der Suche ist nach Gott. Als Anhänger des Judentums Cornelius sympathisiert Cornelius mit dem jüdischen Glauben. Aber er zieht nicht die Konsequenz, zum Judentum überzutreten und sich beschneiden zu lassen. Damit gilt er strengen Juden als unrein.

Cornelius empfängt in seiner Heimatstadt eine Engelsvision. Ein Engel befiehlt ihm, aus der Stadt Joppe einen Mann namens Simon mit dem Beinamen Petrus holen zu lassen. Dieser habe ihm Wichtiges zu sagen. Gott habe seine, des Cornelius, gottesfürchtige Haltung gegenüber den Juden und ihrem Glauben gnädig angesehen.

Zur selben Zeit hat Petrus, der in Joppe ist, ebenfalls eine Vision. Er sieht ein riesiges Bündel aus dem Himmel herniedersinken, in dem alles Getier, das auf Erden existiert, ihm zur Nahrung angeboten wird, Reines und Unreines durcheinander. Petrus als ein frommer Jude, der sich an die Speisevorschriften der Bibel hält, lehnt das dreimalige Angebot dreimal ab: Er habe noch nie Unreines gegessen und wolle es auch diesmal nicht tun. Die Vision schwindet und lässt ihn ratlos zurück.

Und nun der Predigttext. Worte aus dem 10 Kp der Apostelgeschichte:

[21] Da stieg Petrus hinab zu den Männern und sprach: Siehe, ich bin's, den ihr sucht; warum seid ihr hier? [22] Sie aber sprachen: Der Hauptmann Kornelius, ein frommer und gottesfürchtiger Mann mit gutem Ruf bei dem ganzen Volk der Juden, hat Befehl empfangen von einem heiligen Engel, dass er dich sollte holen lassen in sein Haus und hören, was du zu sagen hast. [23] Da rief er sie herein und beherbergte sie. Am nächsten Tag machte er sich auf und zog mit ihnen, und einige Brüder aus Joppe gingen mit ihm. [24] Und am folgenden Tag kam er nach Cäsarea. Kornelius aber wartete auf sie und hatte seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen. [25] Und als Petrus hereinkam, ging ihm Kornelius entgegen und fiel ihm zu Füßen und betete ihn an. [26] Petrus aber richtete ihn auf und sprach: Steh auf, ich bin auch nur ein Mensch. [27] Und während er mit ihm redete, ging er hinein und fand viele, die zusammengekommen waren. [28] Und er sprach zu ihnen: Ihr wisst, dass es einem jüdischen Mann nicht erlaubt ist, mit einem Fremden umzugehen oder zu ihm zu kommen; aber Gott hat mir gezeigt, dass ich keinen Menschen meiden oder unrein nennen soll. [29] Darum habe ich mich nicht geweigert zu kommen, als ich geholt wurde. So frage ich euch nun, warum ihr mich habt holen lassen. [30] Kornelius sprach: Vor vier Tagen um diese Zeit betete ich um die neunte Stunde in meinem Hause. Und siehe, da stand ein Mann vor mir in einem leuchtenden Gewand [31] und sprach: Kornelius, dein Gebet ist erhört und deiner Almosen ist gedacht worden vor Gott. [32] So sende nun nach Joppe und lass herrufen Simon mit dem Beinamen Petrus, der zu Gast ist im Hause des Gerbers Simon am Meer. [33] Da sandte ich sofort zu dir; und du hast recht getan, dass du gekommen bist. Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was dir vom Herrn befohlen ist. [34] Petrus aber tat seinen Mund auf und sprach: Nun erfahre ich in Wahrheit, dass Gott die Person nicht ansieht; [35] sondern in jedem Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm.

Wir haben es gehört: Als Petrus noch über die Bedeutung seiner Vision grübelt, wird ihm die Einladung des Cornelius überbracht. Petrus folgt ihr, obwohl er doch als Jude heidnische Häuser keinesfalls betreten darf. Als er zu Cornelius kommt, wird ihm der Sinn seiner Vision klar: Gott selbst hat diese Begegnung mit Cornelius inszeniert, damit der heidnische Römer in die Gemeinde aufgenommen werde. Petrus beginnt seine Verkündigung des Evangeliums im Haus des Cornelius mit dem Schlüsselsatz der ganzen Geschichte: "Nun erfahre ich in Wahrheit, daß Gott nicht danach fragt, welchem Volk ein Mensch angehört; sondern wer Gott fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm."

Im weiteren Verlauf seiner Predigt fällt der Heilige Geist auf alle Hörer, die Heiden eingeschlossen, und Petrus läßt sie taufen.

Die Bedeutung, ja Dramatik dieser Begegnung ist nicht ohne weiteres nachvollziehbar, wenn man nicht um die damaligen Barrieren zwischen Juden und Heiden weiß. Fromme Juden mieden Heiden. Sie sahen in ihnen Unreine; Menschen, die man zu meiden hatte, wollte man sich nicht verunreinigen. Die ersten Christen waren ja nichts anderes als fromme Juden, die sich von ihren Glaubensgenossen nur darin unterschieden, dass sie in Jesus den verheißenen Messias erkannten. Natürlich galt auch für sie die Devise galt: Mit Heiden wollen wir nichts zu tun haben!

Gott hat durch die Vision mit den reinen und unreinen Tieren sowie durch die Begegnung mit Cornelius gezeigt, wie er über diese Grenzen zwischen Menschen denkt: Für das Evangelium, für die Botschaft der Bibel, für den christlichen Glauben gibt es keine Reinen und Unreinen. Allen gilt die Botschaft Jesu. In Jesu Nachfolge kann es keine Grenzen zwischen Menschen geben.

Petrus hat verstanden, dass die biblische Botschaft nicht in Grenzen eingesperrt werden darf, sondern dass sie allen Menschen offensteht. Und nun kann aus der bisher jüdischen Sekte der Christen eine christliche Kirche entstehen, eine Gemeinschaft, die allen offensteht, egal welcher Herkunft, Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit. Die biblische Botschaft hat ihren ersten großen Befreiungsprozess durchlebt.

Der Glaube der Christen hat im Laufe seiner Geschichte immer wieder Grenzen erkennen und sprengen müssen, in denen er sich zu verfangen drohte. Denn immer wieder haben Menschen die biblische Botschaft mit Grenzen umgeben.

Ich denke daran, wie Martin Luther versuchte, eine Kirche zu reformieren, in der nicht mehr die biblische Botschaft maßgebliche Richtschnur des Handelns und Glaubens war, sondern wo getan wurde, was eine irregeleitete Kurie vorgab. Das Evangelium sprengte in der Reformation damals die Grenze, die Menschen ihm gezogen hatten - aber zu welchem Preis! Zum Preis der Kirchenspaltung. Heute leben wir in konfessioneller Zerrissenheit. Lassen wir uns nicht davon täuschen, dass der Ton zwischen Protestanten und Katholiken inzwischen geschwisterlicherer geworden ist. Lassen wir uns nicht davon einlullen, dass wir mit unseren katholischen Geschwistern dieses Haus teilen, dass wir gemeinsam ökumenische Kreise anbieten. Alles schön und gut. Aber es wäre erschütternd, würden wir uns mit diesem Zustand zufrieden geben.

Denn zwischen unseren beiden Kirchen gibt es Grenzen, gewichtige Grenzen, die Menschen voneinander trennen. Ich denke an das Abendmahl. Daran, dass uns Evangelischen noch immer die volle Abendmahlsgemeinschaft verweigert wird. Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass Gott nicht will, dass Christen andere Christen vom Abendmahl ausschließen. In der Frage des Abendmahles stelle ich mit Bitterkeit und Trauer fest, dass bis heute Gottes Einladung an Petrus zu einem Mahl ohne alle Grenzen nicht Einzug gehalten hat in das Abendmahlsverständnis unserer Schwesterkirche.

In der Geschichte der Christenheit ist das Evangelium immer wieder dadurch in Grenzen eingesperrt worden, dass Menschen ausgegrenzt wurden, sei es wegen ihrem Geschlecht, ihrer Herkunft oder ihrer Religion. Ja, das Evangelium wurde sogar von solchen in Grenzen gesperrt, die ihm eigentlich dienen wollten. Paulus irrte, als er den Frauen in der Gemeinde den Mund verbieten wollte. Luther irrte, als er glaubte vom Evangelium her begründen zu können, dass aufständische Bauern, Juden und Andersgläubige verfolgt werden dürften. Die Bekennende Kirche irrte, als sie sich im Dritten Reich - bis auf wenige Ausnahmen - stärker für ihre eigene Freiheit einsetzte, als ihre Stimme zu erheben für Juden, Homosexuelle, Sinti und Roma und Kommunisten.

Immer dann wurde der christliche Glaube in Grenzen eingesperrt, wenn Menschen ausgegrenzt wurden. Und das Evangelium befreite sich immer dann aus dieser Gefangenschaft, wenn Grenzen zu Menschen geöffnet wurden, wenn man sich klar machte, die Gemeinschaft der Glaubenden steht allen offen - unterschiedslos, weil Gott keine Unterschiede macht.

Ich glaube, dass diese Begegnung von Petrus und Cornelius uns, die wir mit Ernst Christen sein wollen, reichlich Anlass gibt, darüber nachzudenken, wo wir uns durch Vorurteile von anderen abgrenzen. Wo wir uns hinter Grenzen zurückziehen, um diejenigen zu meiden, die wir als störend empfinden, als lästig, als unsympathisch. Über solche Abgrenzungen sollten wir Rechenschaft ablegen. Aber nicht nur das - wir sollten auch versuchen, diese Abgrenzungen zu überwinden. Weil Gott ohne Vorbehalt Menschen in seine Liebe einschließt. Eröffnet das nicht neue Perspektiven für unser Tun?

Amen.