Predigt zu Apostelgeschichte 9,1-20 von Claudia Trauthig
9,1-20

Predigt zu Apostelgeschichte 9,1-20 von Claudia Trauthig

1
Kennen Sie
Kennst Du: Leo Müller?
Könnte ja sein.
Immerhin –
hat „Tante Google“ mehr als 10.000 Einträge zu dieser Namensabfrage parat.
Da gibt es Versicherungsexperten und Heilpraktiker, Journalisten und Politiker: alles: „Leo Müller“.
Kennen Sie, kennst Du: Leo Müller?
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Offen gestanden:
Ich kenne Leo Müller auch nicht –
Und doch spielt er in meinem alltäglichen Leben durchaus eine Rolle:
Immer dann, wenn ich mit Familie oder lieben Freunden in unserem Esszimmer sitze.
Oder wenn mir der Platz im Pfarrbüro nicht ausreicht –
so dass ich für mein Arbeiten an den großen Esstisch ausweiche.
Dann habe ich ihn oder es immer vor Augen:
jenes Bild, das Leo Müller gemalt hat
und das ich vor einigen Jahren für eine Handvoll Euro
auf einem Flohmarkt erworben habe.

Zugegeben -
dieses Gemälde ist keine große Kunst.
Als ich es kaufte,
hat mich einfach angerührt,
dass es so lieblos in einem Pappkarton zwischen allerlei Krempel hochkant steckte.
Aus irgendeinem Nachlass.
Das Gemälde zeigt eine Landschaft,
scheinbar irgendwo in den Bergen,
den Alpen?
Menschen sind nicht zu sehen.
Frieden aber ist zu spüren.
Still ruht der See in der Mitte.
Nur ein laues Lüftchen
scheint die Nadeln der hochgewachsenen Tannen sanft zu bewegen.
Erhaben und unaufdringlich spiegeln sich die Berge im Gewässer.
Gut lesbar, Buchstabe für Buchstabe hat der (Hobby?)Künstler seinen Namen unter das (Din-A3-große) Bild gesetzt:
L E O M Ü L L E R -  wie ein Loblied auf den Schöpfer ist für mich sein Werk.

2
Zuhause dann drehe ich es um,
überlege, wie und wo ich es befestige.
Erst jetzt entdecke ich den aufgeklebten handgeschriebenen Zettel:
„Hintersee + Hochkalter.
Eingang zum Zauberwald
Nach einem Aquarell
1948
O.Bayern“ – Oberbayern?

Diese Zahl, diese wenigen Hinweise lassen das harmlose Gemälde, lassen Leo Müller, auf einmal in einem neuen Licht erscheinen:
1948 -
drei Jahre nach dem wahnsinnigen Krieg:
Die meisten Deutschen leiden weiterhin Hunger.
Viele Männer werden vermisst, sind noch in Gefangenschaft oder kehren, schwer beschädigt an Seele und Leib, zurück.
Die maßlose Schuld, die auf dem Volk lastet, kann man kaum ansehen, sonst wird man noch verrückt.
Ost und West streiten um Deutschland.
Zwölf Millionen Flüchtlinge müssen untergebracht werden.
(Nach ihren Schreckenserfahrungen wird nicht gefragt.)
Soviel Zerstörung, soviel Zukunftsangst war nie.

3
Aber Leo malt.
Vielleicht hieß er vor drei Jahren noch Leopold – wie zahllose Männer in Oberbayern.
Vermutlich war auch Leopold im Krieg,
hat gesehen,
was kein Mensch sehen, geschweige denn tun darf.
Vielleicht weiß auch Leo nicht, wie er (und die Seinen) morgen satt werden.
Vielleicht sollte er lieber Kartoffeln ausgraben gehen, statt wie versunken zu malen.
Doch Leopold ist jetzt Leo und malt: „Eingang zum Zauberwald“…
Der Krieg ist zu Ende.
Das Leben wird neu.
Die Schöpfung ist schön.
Gott ist der Gott des Friedens:
schaut Euch doch um:
In der Natur wird es neu … Und auch in mir!

4
Auch in Dir?
Auch in Euch, liebe Betrachterinnen und Betrachter meines kleinen und doch irgendwie großen Bildes.
Erkennt ihr es?
Das Licht – das das Leben hell macht?

Hören wir den Predigttext für den heutigen 12. Sonntag nach Trinitatis.
Auch er erzählt von einem Menschen, der verstrickt war: in Hass, Gewalt - Finsternis…
Auch er erzählt von einer Lebenswende und dem neuen Blick auf das Leben, auf Gott.

Apostelgeschichte, Kapitel 9:

1 Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn und ging zum Hohenpriester
2 und bat ihn um Briefe nach Damaskus an die Synagogen, damit er Anhänger des neuen Weges, Männer und Frauen, wenn er sie dort fände, gefesselt nach Jerusalem führe.
3 Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel;
4 und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?
5 Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst.
6 Steh auf und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst.
7 Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da; denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden.
8 Saulus aber richtete sich auf von der Erde; und als er seine Augen aufschlug, sah er nichts. Sie nahmen ihn aber bei der Hand und führten ihn nach Damaskus;
9 und er konnte drei Tage nicht sehen und aß nicht und trank nicht.
10 Es war aber ein Jünger in Damaskus mit Namen Hananias; dem erschien der Herr und sprach: Hananias! Und er sprach: Hier bin ich, Herr.
11 Der Herr sprach zu ihm: Steh auf und geh in die Straße, die die Gerade heißt, und frage in dem Haus des Judas nach einem Mann mit Namen Saulus von Tarsus. Denn siehe, er betet
12 und hat in einer Erscheinung einen Mann gesehen mit Namen Hananias, der zu ihm hereinkam und die Hand auf ihn legte, damit er wieder sehend werde.
13 Hananias aber antwortete: Herr, ich habe von vielen gehört über diesen Mann, wie viel Böses er deinen Heiligen in Jerusalem angetan hat;
14 und hier hat er Vollmacht von den Hohenpriestern, alle gefangen zu nehmen, die deinen Namen anrufen.
15 Doch der Herr sprach zu ihm: Geh nur hin; denn dieser ist mein auserwähltes Werkzeug, dass er meinen Namen trage vor Heiden und vor Könige und vor das Volk Israel.
16 Ich will ihm zeigen, wie viel er leiden muss um meines Namens willen.
17 Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem Heiligen Geist erfüllt werdest.
18 Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen und er wurde wieder sehend; und er stand auf, ließ sich taufen
19 und nahm Speise zu sich und stärkte sich.
Saulus blieb aber einige Tage bei den Jüngern in Damaskus.
20 Und alsbald predigte er in den Synagogen von Jesus, dass dieser Gottes Sohn sei.

 

5
Liebe Gemeinde,
diese Geschichte ist uns vertraut.
Schon in der Kinderkirche wird sie erzählt – und doch bleibt sie faszinierend, geheimnisvoll.
Ein geflügeltes Wort wurde aus ihr: „vom Saulus zum Paulus werden“.
Allerdings – das sei doch kurz erwähnt: Saulus hatte zeitlebens zwei Namen: Saul, bzw. Schaul, hebräisch: „der Erbetene“ und Paulus, sein lateinischer Name: „Der Kleine“.

So wird er also nicht erst durch dies berühmte Damaskuserlebnis namentlich „vom Saulus zum Paulus“,
auch wenn er sich später in seinen Briefen bevorzugt „Paulus“ nennt.
Vom Saulus zum Paulus.
Vom Christenverfolger, (Mörder!) – zum Christusbekenner. Zum ersten, vielleicht größten christlichen Theologen.

Wie kaum eine andere Geschichte des Zweiten Testaments zeigt diese, wie Gott ein Leben drehen kann.
Genau betrachtet aber ist die Bibel voller Geschichten solcher Lebenswenden.
Schaut her, hört zu, staunt mit und bekennt:
Gott ist einer, der das Leben drehen kann:

Das Leben des Mose und der Sarah,
das Leben des David und der Ruth,
das Leben der Maria und des Petrus,
das Leben der Martha und des Lazarus.

Schaut her, hört zu – unser Gott ist einer, der nicht erst am Ende der Zeit zu neuem Leben beruft,
sondern
schon hier und jetzt,
in Vergangenheit und Gegenwart
zum neuen Leben
durch seinen Geist befreit.
Vom Saulus zum Paulus.
Von Leopold zu Leo.


6
Unser Predigttext will keinesfalls als Heiligenlegende gelesen werden.
Nicht als spannender Spielfilm für Regentage vorüberziehen…
Er will auch nicht als Moritat vom großen Paulus in der Familienbibel schlummern, vom Staub der vergangenen 2000 Jahre überzogen.
Nein.
Er will zu uns sprechen.
Uns berühren.
Er verkündet uns das Evangelium von Jesus Christus, von dem dreieinigen Gott, auf dessen Namen wir heute zwei Kinder getauft haben.

Dieses Evangelium lautet:
Jesus Christus ist lebendig.
Gottes Geist ist die Kraft zum Guten immer und überall.
ER wirkt mitten unter uns – und auch in dir.

Nicht immer ist das so dramatisch wie bei Paulus, mögen wir denken, einwenden.
Nicht immer liegen so einschneidende Erfahrungen, Krieg, Trauma wie bei Leo voraus.
Doch auch wir sind oft blind für die Wahrheit unseres Lebens.
Auch wir hören oft auf so viele andere Einflüsterungen.
folgen nicht der Stimme Gottes, hören nicht, wie er tief in unserem Herzen beharrlich flüstert: Ich habe DICH bei deinem Namen gerufen… Du bist MEIN.
Oder wagen wir dem Wort Gottes in der Tiefe der Seele zu vertrauen?

In diesen sommerlichen Wochen, in denen das Leben sich -Gott sei Dank- auch entschleunigen kann… (und sollte), lädt die Geschichte des Paulus, ein,
durch sein Leben auch das eigene neu zu entdecken:

Was ist mein Leben?
Wofür lebe ich?
Lasse ich mich blenden?

Was hat Gott mit mir und durch mich vor?
Erkenne ich ihn und will ihn auch bekennen?
Wozu bin ich berufen?