Predigt zu Epheser 2,1-10 von Frank Hiddemann
2,1-10

Predigt zu Epheser 2,1-10 von Frank Hiddemann

Liebe Gemeinde,
Kinder des Zorns,
ein Herrscher der Luft, der Tod, Lust, das Fleisch
treten in unserem Bibeltext auf.
Und dann auch Gottes Gnade.
Der düster bewegte Himmel öffnet sich.
Und entlässt eine Pyramide aus Licht.
Ich blinzele.

Selbst die Sätze, die wir gehört haben,
scheinen vom mythologischen Sturm in Unordnung gebracht worden zu sein.
Einst wohl geordnet, ist der Wind durch sie gefegt und hat sie über einander geworfen.
Hat der „Beherrscher der Macht in der Luft“ so kräftig gepustet?
Oder hat der Verfasser unserer Zeilen mit wehendem Haar
seine Sätze gegen den Wind formuliert?

Eine kleine Kosmologie
– bei früher eintreffenden Sommerstürmen oder Herbstwetter zu Papier gebracht.
Und euch, die ihr tot wart durch eure Übertretungen und eure Sünden,
in denen ihr einst wandeltet gemäß dem Äon dieser Welt,
gemäß dem Beherrscher der Macht in der Luft,
des Geistes, der jetzt wirksam ist in den Söhnen des Ungehorsams,
hat Gott mit Christus lebendig gemacht.
Unter ihnen führten auch wir alle einst unsern Wandel in den Lüsten unseres Fleisches,
indem wir dem Fleisch und den Neigungen den Willen taten
und von Natur Kinder des Zornes waren wie auch die Übrigen.
(Epheser 2, 1-3)

Kinder des Zorns.
Bei diesem Ausdruck bleibe ich hängen.
Ich habe einen Zwölfjährigen gefragt, was das ist, „Kinder des Zorns“.
Jungen dieses Alters sind natürliche Experten auf diesem Gebiet.
In ihren Spielen, ihren Büchern, ihren Filmen tobt der Kampf zwischen Gut und Böse.
Was sind „Kinder des Zorns“?
Mein Sohn antwortet nach gemessener Überlegung:
Es sind „dunkle Krieger eines unterirdischen Herrschers“,
Ich wiederhole die Worte, „dunkle Krieger eines unterirdischen Herrschers“.
Und es muss so ratlos geklungen haben, dass mein Sohn hinzufügt:
„So wie die Orks.“
Bei den Orks kenne ich mich aus.
Es sind Figuren aus dem Fantasy-Epos des Katholiken J.R.R. Tolkien.
Die Verfilmung hat das Buch bekannter gemacht denn je.
Im „Herrn der Ringe“ gibt es Elben und Zwerge,
Halblinge und Menschen, Zauberer und Orks.
Die Orks sind die bösartigen Soldaten des Herrschers der Finsternis.
Sie gleichen Trollen oder Tieren, sind habgierig und gewalttätig.
Unter ihnen führten auch wir alle einst
unsern Wandel in den Lüsten unseres Fleisches,
indem wir dem Fleisch und den Neigungen den Willen taten.
Das passt.
„Wir waren Orks“, formuliere ich für mich.
„Sind Orks Menschen?“ kontert mein Sohn.

Schwierige Frage.
Im Herrn der Ringe sind sie Gegenfiguren zu den Elben.
Hier die Bösen, von denen keiner das Gute wählen kann.
Dort die Guten, von denen keiner das Böse wählen kann.
Und doch, grabe ich in meinem Gedächtnis,
waren die Orks einst Menschen.
Nur blieben sie bei ihrer bösen Wahl.
„Die Orks haben das Böse gewählt“, sage ich.
„Und konnten sie auch das Gute wählen?“  fragt mein Sohn.

„Schon“, antworte ich, „aber es wird immer schwerer.
Wenn du einmal das Böse gewählt hast,
ist es leichter noch einmal das Böse zu wählen.“
Der Junge guckt skeptisch.
„Stell dir vor“, versuche ich zu erklären,
„du hast ein Stück von dem Acker deines Nachbarn umgepflügt
und behauptest, es sei deins.
Dann musst du lügen, um dich zu verteidigen,
und es wird immer schwerer, die Wahrheit zu sagen.
Es ist leichter, noch ein Stück zu nehmen.
Es ist leichter zu behaupten,
es gehöre sowieso alles dir,
als alles aufzurollen und die Wahrheit zu sagen.
Mit der ersten bösen Tat kommst du in eine Art Gefälle.
Es wird jedes Mal schwerer,
ganz zurück zu gehen.
Es geht immer steiler bergab.
Und du müsstest ganz zurück gehen,
um dich wieder für das Gute zu entscheiden.“

Ich zweifele ein bisschen an meiner Erklärung,
an diesem bäuerlichen Beispiel,
das so gar nicht aus der Lebenswelt des Jungen stammt.
Aber er akzeptiert die Worte,
trollt sich zu einem anderen Gegenstand seines Interesses.
Vielleicht muss er nachdenken,
um einen neuen Einwand zu finden.
Vielleicht ist die Sache für ihn vorerst geklärt.
Ich kehre zurück zu meinem Text.
Es ist schwer, zum Guten zurück zu kehren,
wenn man einmal das Böse gewählt hat.
Erstaunlich, wie wir beim Dialog
über das Stichwort „Kinder des Zorns“
auf das Problem Gut und Böse
und ob und wie man die Seiten wählen kann
gekommen sind.
Und wie im „Herrn der Ringe“
taucht in unserem Text ein dunkler Engel auf.
Einer der dafür sorgt,
dass wir unsere bösen Entscheidungen nicht revidieren.
Und dann der helle Engel,
Jesus Christus.

Er ist nicht einfach der Gegenspieler des dunklen Engels.
Er ist nicht dazu da, uns zu guten Entscheidungen zu motivieren.
Er hat nicht die gleiche Funktion wie der dunkle Engel.
Er ist nicht die helle Version des Dunklen.
Er hat ein Leben auf der Erde gelebt.
Er hatte die Wahl zwischen Gut und Böse.
Er hat gegen das Gefälle gekämpft.
Er hat als Mensch versucht zu leben
mitten in den Schwierigkeiten seines Menschseins.
Sein Leben hat dem Blick Gottes stand gehalten.
Es endete am Kreuz und im Tod.
Aber Gott hat ihn auferweckt.
Er lebt.
Und wir leben nicht mehr im Gefälle der bösen Taten.
Sein Leben wird uns angerechnet.
Und das ist nicht logisch.

Warum soll sein Leben unseres verbessern,
uns gerecht machen,
es uns ersparen,
die Seite zu wählen?
Der dunkle Engel versucht, uns zu verführen.
Der helle Engel lebte unter den Bedingungen unseres Menschseins.
Es ist Gnade, wird unser Text nicht müde zu betonen.
Und diese Gnade ist wie eine neue Schöpfung.
Denn vermöge der Gnade seid ihr gerettet
durch Glauben, und das nicht durch euch – Gottes Gabe ist es –
nicht aus Werken, damit nicht jemand sich rühme.
Denn sein Gebilde sind wir,
geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken,
zu denen uns Gott zum Voraus bereitet hat,
damit wir in ihnen wandeln sollten.
Wie fühlt sich diese Gnade an?
Das erste ist schnell und klar zu sagen.
Für uns gilt die Mühe nicht mehr,
sich ständig richtig betragen zu müssen,
das Gute zu wählen und nicht das Böse.
Auch in unserem Leben gibt es Gut und Böse,
aber von dieser Entscheidung hängt unserer Leben nicht ab.
Ob es gelungen oder verfehlt ist,
ob sich die Entscheidungen zu einer positiven Summe zusammen zählen lassen.
Das alles muss nicht mehr unser Streben sein.
Uns wird die Gnade angerechnet,
die Christus Jesus erworben hat.

Diese Gnade ist ein Ereignis.
Wie der Schöpfungsakt.
So wie Gott den Himmel von der Erde gesondert hat,
so wie er das Licht ins Sein rief.
So ruft er uns in ein Leben,
das nicht mehr unter dem Stress steht,
dass es richtig sein muss.
Denn sein Gebilde sind wir,
geschaffen in Christus Jesus zu guten Werken,
zu denen uns Gott im Voraus bereitet hat,
damit wir in ihnen wandeln sollten.
Gott, so sagt es uns diese Stelle des Epheserbriefes,
hat uns neu geschaffen, in Christus.
Und dennoch hat uns Gott zu guten Werken geschaffen.
Ja, er hat sie im Voraus geschaffen.
Es ist nicht egal, wie wir leben.
Wir haben die Freiheit zu handeln.
Und dennoch wird von uns etwas erwartet.

Ob unser Leben gelungen ist,
das hängt nicht mehr von unseren guten Werken ab.
Aber ob wir in Christus neu geschaffen sind,
hängt das nicht von unseren guten Werken ab
zu denen wir neu geschaffen sind?
So vollmundig redet der Text von der Gnade,
die nicht unser Verdienst ist.
Wie fühlt sich diese Gnade an?
Das zweite ist schwerer zu sagen als das erste.

Unser Leben hängt nicht mehr davon ob,
ob wir alles richtig machen.
Und dennoch müssten wir gute Werke tun,
um in Christus zu sein.

Schnell beginnt der Kreislauf von vorn.
Wir versuchen nicht mehr panisch das Gute zu tun,
um unser Leben zu retten,
sondern wir versuchen das Gute zu tun,
um in Christus zu bleiben.

Die Geschichte der christlichen Kirchen zeigt,
dass die Sucht, sich durch Wohlverhalten überlegen zu machen,
durch die erfahrene Gnade nicht ausgerottet ist.
Wir waren Orks, aber wir sind keine Elben geworden.
Wir bleiben Menschen, die zwischen Gut und Böse zu wählen haben.
Was ist anders?
Das Gefälle hat seine Macht verloren.
Wir müssen nicht Großreinemachen.
Die Gnade ist ein Ereignis,
dass immer wieder über uns kommt,
uns immer wieder neu zu Bewusstsein gebracht wird.
Christen haben, wenn wir die Botschaft unseres Sonntags ernst nehmen, eine andere Chance, neu anzufangen.

Sie müssen nicht bis zum Anfang zurück.
Sie müssen nur bis zu Christus zurück.
Wo das, was uns an uns selbst ärgert,
plötzlich klein wird.
Sein Leben war richtig.
Sein Leben war von Gott anerkannt.
Und von dort können wir neu beginnen.
Als neu Geschaffene,
als die Privilegierten seines Verdienstes.
Der böse Engel hat keine Macht mehr,
weil wir nicht ins Nichts fallen
sondern in die Hände Gottes,
der uns neu erschafft,
wie er es verheißen hat.

Wir sind die Erstgeborenen der neuen Schöpfung,
immer dann, wenn wir uns aufgeben
und neu anfangen müssen.

Und die Gnade Christi sei mit euch allen.

Amen.