Predigt zu Jeremia 9, 22-23 von Walter Meyer-Roscher
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Predigt zu Jeremia 9, 22-23 von Walter Meyer-Roscher

„Ich bin ein gläubiger Mensch. Ich glaube inbrünstig an mich selbst.“ Ja, das ist schon ein arrogantes Glaubensbekenntnis. Da rühmt sich ein Mensch seiner Klugheit, seiner Macht und seines Reichtums. An ihn könnte der Prophet Jeremia gedacht haben, als er vor über 2 5oo Jahren die Warnung vor Eigenlob und selbstbewusster Sicherheit im Auftrag Gottes weitergab.
  
  Aber dieses Glaubensbekenntnis wird in unserer Zeit und in unserer Gesellschaft laut: In Dieter Wedels Fernsehfilm „Gier“ macht die Hauptfigur, ein in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angesehener Erfolgsmensch aus seinem Glauben und aus seiner Lebenseinstellung keinen Hehl. „Ich bin ein gläubiger Mensch. Ich glaube inbrünstig an mich selbst.“ Da rühmt sich ein Mensch, der gelernt hat, Geld gewinnbringend anzulegen, Immobilien günstig zu kaufen und rechtzeitig mit Gewinn wieder zu verkaufen, der geschickt alle Mittel der Werbung einsetzt und seine Mitmenschen ebenso geschickt auf seine Seite zieht. Ja, er glaubt inbrünstig nur an sich selbst, an seine Klugheit, an seine Erfolge, an seine Art, Geld zu scheffeln.
  
  In dem Film bewundern ihn viele. Sie sagen sogar vor ihm: Er ist ein wenig wie der liebe Gott Sein Wille geschieht – jedenfalls auf Erden, hier in unserem gesellschaftlichen Geflecht von Leistung, Machtstreben und Erfolgsgier.
  
  Da sollte man doch nicht abseits stehen. Da möchte man dabei sein, wenn es um Erfolg, Macht und Geld geht. Für unser gesellschaftliches Zusammenleben jedenfalls spielen solche Überlegungen zumindest als Wünsche und Träume eine große Rolle.
  
  Ein wenig wie der „liebe Gott“ sein; leben und leben lassen nach unserem Willen; auf unsere Klugheit, unsere Stärken und unsere Erfolge vertrauen können;  den eigenen Wohlstand nutzen und genießen und  wo immer es möglich ist, auch mehren – das ist schon so etwas wie eine Religion, der Menschen verfallen können. Der Prophet Jeremia kennt diese Religion aus eigener  Erfahrung. Er kennt auch ihre Konsequenzen und er sieht die Opfer.
  
  Sie reden alle von ihrem Gott und gehen in den Tempel, um ihn zu ehren. Aber außerhalb des Heiligtums herrscht Gewalt gegen die Schwachen. Da wird das Recht in Unrecht verkehrt, wird der fromme Glaube zur Lüge. Da wird die Wahrheit, wenn es den eigenen Zwecken dient, manipuliert und korrumpiert. Davor warnt Jeremia: Gott will, dass es anders wird, dass ihr anders werdet. Darum sagt er: Bessert euer Leben. Tut Recht, einer gegen den anderen. Bedrückt Fremdlinge, Witwen und Waisen nicht. Ihr seht doch, dass sie aus eigener Kraft nicht  mithalten können. Sie brauchen Hilfe. Wenn ihr weiter in einer menschenwürdigen Gemeinschaft zusammenleben wollt, müsst Ihr schon alles, auf das ihr so stolz seid, auch teilen. Wenn ihr nun euer Leben und euer Tun ändert, dann will ich auch  bei euch wohnen. (Jeremia 7,1ff.)
  
  In diesem Zusammenhang mahnt der Prophet im Auftrag Gottes, sich nicht der eigenen Klugheit, der eigenen Stärke und des eigenen Reichtums zu rühmen und sie zu Göttern zu machen, die bedenkenlos angebetet werden. Vielmehr soll Gott wieder in den Blick kommen, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit will. Sein Wille geschehe – eben nicht nur im Himmel, sondern ganz gewiss auch auf unserer Erde, in unserem  Zusammenleben, durch unser Tun und unser Verhalten.
  Die Menschen damals wollten diesen Propheten nicht hören. Sie waren  taub für seine Warnungen und Mahnungen. Schließlich waren sie stolz auf das, was sie erreicht hatten. Sie hatten ja auch keine Zeit zum Nachdenken. Es musste schließlich weitergehen. Erfolg, Besitz und Wohlstand mussten gehalten, wenn möglich gemehrt und ausgebaut werden. Koste es, was es wolle! Ja, und dann waren die Kosten doch zu hoch, die Opfer und die Verlierer zu viele. Jeremia sah die Katastrophe kommen, ein Ende mit Schrecken: Für Jeremia war die Zerstörung Jerusalems durch feindliche Heere eine Strafe Gottes für Unrecht, Willkür und Unbarmherzigkeit. Die Menschen, die als Gefangene nach Babylon abtransportiert wurden, mussten es büßen.
  
  Auf eine solche Katastrophe brauchen wir im Gegensatz zu Jeremia gar nicht zu warten. Dass es so weiter geht, ist schon eine Katastrophe. Das Unheil droht nicht erst am Horizont, es hat uns längst eingeholt, und immer mehr Menschen müssen das leidvoll erfahren.
  
  Aber was sollen wir denn tun, um aus dem Bannkreis des Unheils auszubrechen und wieder auf einem guten Weg menschenwürdigen Zusammenlebens Tritt  zu fassen? Sollen wir alles, was wir an Wissen und Macht, an persönlichen Erfolgen und Besitzständen erreicht haben, wieder aufgeben? Ist das alles vom Teufel? Nein, ganz gewiss nicht! Auch Jeremia hat damals Weisheit, Stärke und Reichtum nicht einfach verteufelt. In dem Gotteswort, das er weitergibt und das die Jahrtausende mit ihren Veränderungen, auch mit allem Unheil und allen Schrecken überdauert hat, werden nicht die Gaben, die ein Mensch mitbekommen hat, wird auch nicht das, was er sich erworben hat, verdammt, sondern der Missbrauch auf Kosten anderer.
  
  Diesen Missbrauch kennen wir. Vielleicht machen wir mit. Vielleicht leiden wir auch unter der Blindheit, mit der technisches Wissen um des Fortschritts willen vorangetrieben wird, leiden unter der Arroganz politischer und wirtschaftlicher Macht, unter einer Ökonomisierung aller Lebensbereiche.
  Wir sehen,  was aus dem Gemeinschaftsgefühl in unserer Gesellschaft wird, wenn die immer heftigeren Verteilungskämpfe uns immer mehr auseinander reißen und wenn Reichtum nicht mehr geteilt wird. Da bleibt von einem gesunden Stolz auf ein funktionierendes und solidarisches Gemeinwesen nicht mehr viel übrig.
  
  Wir klagen über den Verlust an Gemeinschaftsgefühl.  Eine Gemeinschaft bleibt aber nur dann lebendig oder gewinnt neues Leben, wenn alle wieder gemeinschaftsfähig werden. Darauf zielt die Aufforderung, die Jeremia im Auftrag Gottes weitergibt und die heute wie damals ihre Aktualität und Gültigkeit behält: Wer sich rühmen will, der rühme sich dessen, dass er klug sei und mich kenne, dass er wisse, dass ich es bin, der der Herr ist, der Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit schafft auf der Erde. Denn das ist es, was mir gefällt. Richtet euer Leben danach aus, dann will ich bei euch wohnen – und dann ist eine menschenwürdige Gemeinschaft möglich.
  Ein Glaube, der Richtschnur für das eigene Leben und Handeln sein will, muss sich an Gottes Willen orientieren. Der aber ist eindeutig auf Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit ausgerichtet.
  Das ist doch auch eine gute und wohltuende Erfahrung: die Gnadenlosigkeit einer allein auf Leistung und Tüchtigkeit aufbauenden Gesellschaft wird – Gott sei Dank – immer wieder durchbrochen durch die Barmherzigkeit, die Menschen einander erweisen. Wie oft erleben wir es selbst und ebenso oft wenden wir uns ja auch nicht einfach ab, wenn Hilfe nötig ist. Wir wollen doch die Achtung vor dem Recht hoch halten und für Gerechtigkeit eintreten. Wir wissen schließlich: das Recht ist ein hohes Gut für jede Gemeinschaft. Es zu achten ist wichtiger als immer dem Trieb nachzugeben, unter allen Umständen Recht zu haben und Recht zu behalten.
  Barmherzigkeit, Recht und Gerechtigkeit sind zuerst Gottes Gaben, die wir erfahren können – das ist wie eine Hoffnung in unserem Zusammenleben.  Da ahnen wir Gottes Herrschaft unter uns. Aber die braucht unsere Mithilfe. Barmherzigkeit, Recht, Gerechtigkeit sind nicht nur von Gott gesetzte Ziele, sondern Aufgaben und Herausforderungen, die uns alle angehen – Aufgaben in unserem täglichen Leben, Herausforderungen an unsere Lebenseinstellung, unsere Tatkraft.
  
  Jesus selbst hat die Botschaft des Propheten Jeremia aufgenommen und mit seinen Worten wiedergegeben: Seid barmherzig, wie auch euer Vater im Himmel barmherzig ist, hat er gesagt. In seinem Geist unser Leben an Gottes Willen auszurichten, kann die Gemeinschaft, nach der wir uns alle sehnen, voranbringen. Gott hat es ja damals versprochen und dieses Versprechen überdauert die Zeiten bis heute. Wenn ihr euer Leben und euer Tun ändert, dann will ich auch bei euch wohnen.  Amen.