Predigt zu Jesaja 1,10-17 von Angelika Überrück
1,10-17

Predigt zu Jesaja 1,10-17 von Angelika Überrück

Liebe Gemeinde,

das sind harte Worte, die der Prophet uns da entgegen schleudert - und das im Namen Gottes! Da sitzen wir hier. Nur noch die kleine Schar derer, denen der Buß-und Bettag überhaupt etwas bedeutet. Denn nachdem der Buß- und Bettag als Feiertag abgeschafft worden ist, ist ja für die meisten Menschen in unserer Gemeinde einfach nur Mittwoch und man wird komisch angesehen, wenn man sagt, dass wir heute Gottesdienst mit Beichte und Abendmahl feiern.

Warum denn das? Habt Ihr es besonders nötig? Es gehört schon etwas Mut dazu, heute noch Buß- und Bettag zu feiern, und dann hören wir solche kritischen Worte. „Wenn ihr im Gebet eure Hände zu mir ausstreckt, blicke ich weg. Und wenn ihr mich auch noch so sehr mit Bitten bestürmt, ich höre nicht darauf; denn an euren Händen klebt Blut! Wascht euch, reinigt euch! Macht Schluss mit eurem üblen Treiben; hört auf, vor meinen Augen Unrecht zu tun!“

Wir haben doch gar nicht das Problem, dass wir zu viel Gottesdienst feiern, sondern eher, dass zu wenig Menschen den Weg in den Gottesdienst finden und dass der Gottesdienst oft nicht mehr der Mittelpunkt der christlichen Gemeinde ist. Wenn nicht manchmal Taufen im Gottesdienst sind oder die Angehörigen von Verstorbenen besonders eingeladen werden, dann sind wir doch nur ein sehr kleiner Kreis, so wie eben heute Abend in diesem Gottesdienst.

Was machen wir da mit solchen Worten? Gut, wir können Sie als historische Worte lesen, als Worte des Propheten Jesaja an die Menschen seiner Zeit. Also als einen Blick in vergangene Zeiten.

Die Menschen zur Zeit des Propheten Jesaja feierten regelmäßig Gottesdienste und hielten dabei genau alle Regeln. Opfer zu bringen gehörte damals ganz selbstverständlich dazu. Gottesdienste waren schöne Feiern. Aber im Alltag, da passierte Unrecht und Böses. Da stand Gottes Wille nicht im Mittelpunkt. Und genau an dieser Stelle setzt die Kritik an.

Gottesdienst, so will Jesaja deutlich machen, ist nicht eine Feier, die Gott braucht, mit der wir Gott dienen. Gottesdienst bedeutet nicht, dass wir Gott durch perfekte Gebete, Lesungen und Gesänge imponieren. Es ist sicher gut, wenn wir unsere Gottesdienste vernünftig vorbereiten und gestalten, aber ob sie die Herzen erreichen, hängt davon nicht ab. Und Gott lässt sich davon erst recht nicht beeinflussen. Denn Gottesdienste sollen nicht Gott zufrieden stellen. Der Gottesdienst ist keine Pflichtübung, durch die man Gottes Wohlwollen hervorrufen kann. Damit, dass wir zum Gottesdienst gehen, sind wir nicht automatisch bessere Menschen.

So betrachtet ist Jesajas Kritik am Gottesdienst dann doch nicht so fern von uns und nur etwas historisch Interessantes. Denn das ist ja auch etwas, was wir oft zu hören bekommen, dass wir als Christen auch nicht besser seien als andere und es werden an uns Fragen gestellt wie: Was bringt denn das Beten? Was bringt es zum Gottesdienst zu gehen, wenn in unserer Welt trotzdem so viele Menschen verhungern? Wenn es weiterhin Kriege und ungerechte Verhältnisse gibt?

Der Predigttext fordert - wenn wir ihn auf uns beziehen - uns ganz unmissverständlich auf Gutes zu tun und nicht nur zu hören: „Lernt Gutes zu tun, sorgt für Gerechtigkeit, haltet die Gewalttätigen in Schranken, helft den Weisen und Witwen zu ihrem Recht.“

Sollen wir also keine Gottesdienste mehr feiern sondern nur noch christlich handeln? Haben die Menschen Recht, die sagen, dass wir erstmal für Gerechtigkeit und Frieden eintreten müssen und dann Gottesdienste feiern?

Ich denke nicht. Sondern der Predigttext möchte uns auffordern, den Gottesdienst nicht als eine abgeschlossene Veranstaltung am Sonntagmorgen oder eben heute am Mittwochabend zu betrachten, sondern als Sache des ganzen Lebens. Dass wir Gottesdienst feiern, soll auch in unserem täglichen Leben spürbar werden. Gottesdienst und Alltag gehören zusammen.

„Gott ist für den Sonntag da, für den Gottesdienst und das Gebet. Er soll sich darum kümmern, dass nicht so viel Leid geschieht in der Welt, aber ansonsten soll er sich aus meinem Leben heraushalten, mich allerdings auch vor allem Unglück bewahren.“ So sagte mir neulich ein älterer Herr, der eigentlich viel Lebenserfahrung hatte.

Mit so einer Einstellung - so will es der Predigttext deutlich machen - kann Gott nichts anfangen. Weil der Gottesdienst eben nicht für Gott ist, sondern für uns.

Bei den Israeliten damals scheint es so gewesen zu sein, dass sie versucht haben, mit ihren Gottesdiensten Gott zu erfreuen. Ihm zu zeigen, dass sie ihm dienen, wenn auch nur oder zumindest am Sabbat. Aber das ist nicht die Aufgabe des Gottesdienstes. Sondern der Gottesdienst ist für uns da. Mit ihm dient Gott uns, nicht wir ihm. Im Gottesdienst will er uns Kraft geben für unseren Alltag. Da will er uns mit seinem Wort und mit dem Abendmahl nahe sein, und uns damit Hilfe für unser Leben geben. Für Taten der Liebe und der Gerechtigkeit in unserem Alltag. Denn wie Gerechtigkeit aussehen kann, wie wir anderen Menschen Gutes tun können, das erfahren wir nicht aus uns selbst, sondern aus dem Hören der Geschichten der Bibel. Gott dient uns, das meint Gottesdienst in erster Linie.

Der Predigttext enthält noch eine weitere Aufforderung zum Handeln: „Reinigt euch, wascht euch. Macht Schluss mit eurem Treiben.“ Wie soll das gehen? Sicherlich geht es nicht um ein Waschen mit Wasser und Seife, sondern es geht um Selbsterkenntnis. Dazu ist der Buß- und Bettag mal geschaffen worden, als Tag, an dem wir über uns und unser Leben nachdenken. Als Tag, an dem wir unseren Alltag, unser Tun und Handeln im Angesicht Gottes betrachten. Denn das wissen wir alle, die wir hier heute sind, auch beim besten Bemühen leben wir nicht fehlerfrei. Wir verstoßen immer wieder gegen Gottes Willen und seine Gebote, manchmal auch ohne es zu wollen. Wir reden über andere, wir verletzen andere, wir leben unseren Alltag manchmal ohne an Gott zu denken oder eben ohne uns für eine gerechtere Welt einzusetzen.

Deshalb feiern wir heute in diesem Gottesdienst gemeinsam die Beichte. Wir bringen vor Gott, was uns belastet, oder womit wir nicht klar kommen. Alles das, wo wir vielleicht versagt haben oder das Gefühl haben, dass wir in eine Sackgasse geraten sind. Das hat nichts damit zu tun sich klein zu machen. Sondern die Beichte ist die Möglichkeit zu benennen, was uns belastet und Gott um seine Vergebung zu bitten.

Eine kurze Geschichte soll das veranschaulichen: Mahatma Gandhi berichtet aus seinem Leben: „Ich war 15 Jahre alt, als ich einen Diebstahl beging. Weil ich Schulden hatte, stahl ich meinem Vater ein goldenes Armband. Aber ich konnte die Last meiner Schuld nicht ertragen. Als ich vor meinem Vater stand, brachte ich kein Wort heraus vor Scham. Ich schrieb also mein Bekenntnis nieder. Als ich meinem Vater dann den Zettel überreichte, zitterte ich am ganzen Körper. Mein Vater las ihn, schloss die Augen und zerriss dann den Zettel. Es ist gut, sagte er noch und nahm mich in den Arm. Da hatte ich ihn noch viel lieber als vorher.“

Die Beichte ist so, als ob wir Gott einen Zettel schreiben würden und er ihn dann zerreißt. Gottes Vergebung ist wie die Umarmung des Vaters in der Erzählung von Mahatma Gandhi.

Unsere Gebete und Gesänge im Gottesdienst sind lediglich das „Danke“ für die Vergebung, für die Umarmung. Und der erfahrenen Vergebung entspringt dann in unserem täglichen Leben das Bemühen, sich für Gerechtigkeit, Frieden und gegen Gewalt einzusetzen. Das Tun des Guten ist eine Folge der erlebten Vergebung. Wenn wir im Gottesdienst erfahren, dass Gott uns liebt so wie wir sind, mit unseren Fehlern und Schwächen, dann gelingt es uns auch in unserem Alltag besser mit Fehlern und Schwächen umzugehen. Deshalb wird der, der Gottes Vergebung erfährt, auch den Gottesdienst nicht an der Kirchentür enden lassen, sondern wird ihn im Alltag fortsetzen in seinem Handeln. Denn die Kraft, uns für andere einzusetzen, Gottes Liebe zu den Menschen zu bringen, uns gegen Gewalt zu stellen, die bekommen wir eben im Gottesdienst.

Die Tafel, der Besuchsdienst und der Geburtstagskaffee sind nur ein paar Beispiele dafür, wo Menschen hier in unserer Gemeinde versuchen, Gutes zu tun, wo sie eben versuchen, sich dafür einzusetzen, dass alle etwas zu essen haben, besucht werden und eben ihren Geburtstag auch mit anderen Menschen feiern können. Und wenn viele Gutes tun, dann können dadurch auch gerechtere Verhältnisse in dieser Welt entstehen.

Andererseits erleben wir gerade im Moment, dass immer wieder Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen die Welt in Gefahr bringen. Und bei manchen dieser Auseinandersetzungen verstehen wir gar nicht so richtig, um was es geht bzw. was eigentlich das Gute wäre. Uns fehlen manchmal auch die Ideen, wie Frieden entstehen könnte. Da können wir dann nur vor Gott bekennen, dass es uns beim besten Willen nicht immer gelingt, uns für andere einzusetzen und Frieden in dieser Welt zu schaffen. Dazu brauchen wir den Gottesdienst, auch um neuen Mut, neue Ideen und neue Kraft zu bekommen.

Noch einmal die Frage vom Anfang: Was machen wir mit solchen harten Worten, die uns der Predigttext heute entgegen schleudert? Ich denke, sie sind mehr als historische Worte. Es sind Worte, die uns darin erinnern können, den Gottesdienst nicht als eine Sonderveranstaltung am Sonntag zu sehen, sondern als etwas, was unseren Alltag bestimmt. Weil wir im Gottesdienst unser Scheitern eingestehen können und Gott um seine Vergebung und neue Wegweisung für unser Handeln bitten können. Weil wir aus den Geschichten der Bibel erfahren können, wie Leben im Sinne Gottes aussehen könnte. Und so sind sie denn durchaus gute Worte für den Buß- und Bettag, weil sie uns zum Nachdenken bringen über uns, unser Leben und den Wert unserer Gottesdienste.

Und auf die Frage: was nützt denn der Gottesdienst, wenn es immer noch so viel Ungerechtigkeit auf der Welt gibt, was nützt denn das Beten, können wir antworten: Der Gottesdienst gibt uns die Möglichkeit, mit unserem Scheitern leben zu können, und er gibt uns die Möglichkeit uns Kraft und Wegweisung zu holen, um Gutes zu tun und für Gerechtigkeit einzutreten. Amen