Predigt zu Jesaja 2, 1-4 von Axel Denecke
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Predigt zu Jesaja 2, 1-4 von Axel Denecke

I
Oh, wäre es schön, wenn es so wäre. Jetzt schon! Dass also „Schwerter zu Pflugscharen werden und  Spieße zu Sicheln“. Und dass „kein Volk gegen das andere das Schwert erheben wird und sie hinfort nicht mehr lernen, den Krieg zu führen“, wie die nun schon  fasst 300 Jahre alte Weissagung und Jesaja uns prophezeit. Paradiesische Zustände. Wäre das schön, wenn es so wäre. Jetzt schon!
 Doch es ist uns ja erst für das „Ende der Tage“ uns zugesagt, wenn auch die Bibel meint, am „Anfang aller Tage“, also im Paradies, sei es schon einmal so gewesen.  Darauf soll’s also hinauslaufen mit uns am Ende, so wie es im Anfang war. Und weil tief in unterbewusster Erinnerung  in der Seele des Menschen dieses Wissen noch nicht ausgelöscht ist, deswegen meldet es sich immer wieder neu wie bei Jesaja und anderen.  Ein uralter Menschheitstraum also, von den Propheten in grauer Vorzeiten im Auftrage Gottes schon geträumt, später dann immer wieder neu geträumt, vielleicht ist’s gar der Traum aller Menschen, derMenschheitstraum an sich, weil von Ur an in uns eingepflanzt.
Und manchmal, ja manchmal, wird sogar ein wenig davon offenbar, wird sichtbar, als ob ein Zipfel vom Ende der Geschichte bereits gelüftet wird. So wenn ich z.B. ganz konkret an das Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ denke, mit denen vor etwa 30/40 Jahren die Friedensbewegung in der Kirchen der DDR sich einen Namen macht. Keiner nahm sie recht erst, Träumerei sei das, die DDR-Oberen nahmen es schon ernst, fühlten sich bedrängt sie wurden verfolgt, auch auf DDR-Kirchentagen. Und etwa 10/15 Jahre später dann anno 1989 waren es  dieselben Leute (und noch einige mehr, die sich anschlossen), die dann in Leipzig und anderswo um den Stadtring zogen, die „friedliche Revolution“ ohne jedes Kriegshandwerk einläuteten. Ich sagte, manchmal wird ein Zipfel von dem Ende der Menschheitsgeschichte bereits gelüftet. Dazu soll’s also mit uns hinaus laufen, am Ende, ganz am Ende, keiner weiß wann.
„Oh wäre das schön, wenn es so wäre. Jetzt schon“, sagte ich am Anfang. Denn so ganz glauben wir wohl alle nicht daran, trotz mancher gelungenen Ansätze dazu wie da in 40 Jahren in der Kirchen-DDR. Denn dass wir „hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen“, das – so schön dieser Traum auch ist – steht noch dahin, liegt noch weit vor uns. Oder? Und genug Schwerter werden von der Rüstungsindustrie für alle möglichen Kriegsschauplätze der Welt –vor allem in Asien und Afrika, doch nicht nur dort- immer noch geschmiedet für reichlich Profit für die Akteure. So ist es leider. Oder?
Da ist es wohl sicher  dringend  nötig, sich gegenseitig an diesen alten Menschheitstraum immer wieder neu zu erinnern, gerade auch dann, wenn so genannte „Realisten“ ihn stets für Träumerei, ja Spinnerei von notorischen  „Gutmenschen“ halten. Doch wir brauchen solche Träume, solche utopischen Entwürfe für die Zukunft, damit wir nicht abstumpfen und in Resignation verfallen angesichts einer Welt, die nicht so ist, wie sie sein sollte, die  –sage ich als Christ- noch nicht so ist, wie sie sein sollte, doch von Anfang an gedacht ist.
II
Wie kann es also dazu kommen, was können wir tun, damit es nicht bloße Träumerei bleibt, sondern sich hier und da bereits realisiert? Auf die  Friedensbewegung in der Ex-DDR „Schwerter zu Pflugscharen“  habe ich bereits kurz hingewiesen.
Ein Ereignis aus allerjüngsten Tagen ist von ähnlicher Qualität. Uns sind allen noch die schrecklichen Ereignisse in Oslo vor drei Wochen vor Augen. Kein Wort muss ich hier  zu dem Geschehen als solchem sagen, der Wahnsinnstat eines Irrläufers. In der Beurteilung sind  wir uns wohl alle einig. Doch die Reaktion der Norweger, allen voran Ministerpräsident Stoltenberg, die ist schon bemerkenswert. „Wir werden uns von unserem Weg der Offenheit, Toleranz uns des Friedens nicht abbringen lassen Im Gegenteil, jetzt erst recht! Der verrückte Attentäter soll  nicht im Nachhinein Recht bekommen, indem wir in Panik von unserem Weg der Toleranz und des Friedens abgehen. Jetzt erst recht an der Vision eines friedlichen Miteinander festhalten. Und das norwegische Volk stimmte ihm –so ist zu lesen und zu hören- durch das rotweiße Blumenmeer als Antwort voll und ganz zu. Schwerter zwar nicht direkt zu Pflugscharen, aber auf das Schwert wird nicht mit Schwert geantwortet, und Pflugschare werden auch nicht zu Schwertern ungeschmiedet, sondern im wörtlichen und übertragenen Sinn werden „Rosen gegen das Schwert“ in Stellung gebracht, ein Rosenmeer der Toleranz und des Friedens. Nicht etwa blauäugig von sog. „Gutmenschen“, sondern ganz bewusst als eine Lebens- (und bei vielen wohl auch Glaubens)haltung für ein gelungenes und menschenwürdiges Miteinanderleben. Verheißungsvoll – Hoffnungsvoll. Ein ferner Abglanz von dem, was am „Ende der Tage“ sein soll, ja und auch sein wird. Realutopie, ein Zipfel vom Ende des Ganzen ist gelüftet, ein kleiner Zipfel nur, damit wir wissen, wo es lang geht, woraufhin wir zu arbeiten haben. Mit Geduld und mit langem Atem, fast 3000 Jahre alt ist dieser Atemzug schon.
In alledem haben wir uns zu besinnen auf die Uranfänge der Menschheit, tief im Inneren unserer Seele eingenistet, denn wir alle wissen in unserer Intuition untrüglich, was gut und hilfreich für uns und die ganze Menschheit ist. Wir wissen es, auch wenn wir in der Realität oft dagegen handeln, uns selbst als Träumer und Phantasten entlarven wollen, damit wir bloß nicht die Worte des Jesaja für uns ganz persönlich ernst nehmen müssen. Wir alle wissen es, auch wenn wir wissen, wie schwer, ja tonnenschwer es ist, dies in die Tat umzusetzen. Doch hier und da leuchtet es auf wie es sein kann, wie es tatsächlich bereits in uns ist, potentiell.
III
Doch damit es nicht nur bei dem allgemeinen Wunschgemälde bleibt, hat der Prophet Jesaja einen ganz konkreten Ort bestimmt, an dem der universelle und allumfassende Frieden beginnt, nicht nur im Kleinen, siehe hier einmal, siehe da einmal, sondern eben global und alles umfassend. Das ist für manche  so konkret, dass es schon wieder ärgerlich ist, besonders dann,  wenn wir auf diesen Ort schauen, wie es da heute aussieht.
Also:„Es wird zur letzten Zeit der Berg Zion fest stehen… und alle Völker werden herzulaufen und sagen: Kommt lasst uns zum Berg des Herrn gehen… Denn von Zion wird Weisung ausgehen und des Herren Wort von Jerusalem.“. Die „Völkerwallfahrt zum Zion“, so ist’s unter Christen bekannt.  Das ist stark und eben zugleich ärgerlich. Denn Zion, also Jerusalem, als Ausgangspunkt des umfassenden Friedens, wo es nun wirklich keine Schwerter mehr geben soll, alle umgeschmiedet, das ist für manche –sieht man sich die heutige Lage in Israel und Jerusalem an- wie die Karikatur des Friedens. Muss ich nicht extra beschreiben, jede/r kann’s nachlesen, im Fernsehen sich anschauen. So als würde der Prophet seine Vision selbst als bloße Träumerei entlarven. „Gerade Jerusalem als ‚Stadt des Friedens’ (bereits in Namen steckt ja das Wort ‚schalom’), das ist ein Witz“ hat mir einer gesagt.
Es war natürlich einer, der noch nie in Jerusalem war, dieser –wie ich oft sage- zugleich zutiefst heiligen und zutiefst unheiligen Stadt, in der alle religiösen, ethnischen und sozialen Gegensätze auf engstem Raum aufeinander prallen. Ein wahrer Schmelztiegel aufgeheizter Emotionen, Besitzansprüche, Wunschträume, Endzeithoffungen, Endzeitverwerfungen. Von einem „Jerusalemsyndrom“ spricht man, wenn christliche, moslemische, jüdische Pilger in diese Stadt kommen und auf einmal „verrückt spielen“, nein nicht nur spielen, sondern wirklich verrückt werden, auf Zeit, so als seien sie von einem Virus angesteckt, bis sie wieder weg  und von dieser religiösen Psychose geheilt sind, wieder in der normalen Welt, die nicht zutiefst heilig und zutiefst unheilig zugleich ist. Es ist so, als ginge von dieser Stadt (und dem Berg in der Stadt, also dem Zionsberg) ein geheimnisvoller Zauber, Segen und Fluch zugleich aus, von dem jede/r in seinen Bann gezogen wird, der eine mehr, die andere weniger. Es ist ansteckend, man kann sich davon nur schwer frei machen, wird, ob man will oder nicht, in diesen Bann mit hinein genommen. Auch mir –der ich ansonsten recht rational die Welt zu betrachten versuche- ging es so auf meinen vielen Jerusalemreisen. Seltsam, fast unheimlich und doch auch verheißungsvoll zugleich. Da sind all die verrückten Menschen, die den Besucher mit ihrer fundamentalen Heilsbotschaft bedrängen, da sind die Marktschreier, die ultraorthodoxen Juden vor der Klagemauer, aus Mea Shearim hastig dahineilend, keinen Nicht-Juden auch nur wahrnehmend. Da sind die fanatischen Moslems am Damaskustor, immer auf der Lauer, es könnte je etwas passieren. Da sind die christlichen Fundamentalisten um und in der der Grabeskirche, jeder Zentimeter heiligen Boden vor den anderen Konfessionen (6 Konfessionen teilen sich die Grabeskirche) verteidigend, wenn es sein muss auch mit Schlägen und Spießen. Verrückt das Ganze. Verrückt, alles andere als Frieden, ein heilloses Durcheinander, Gegeneinander, manchmal auch nur Nebeneinander – und doch: irgendwie funktioniert ist, wie durch ein geheimnisvolles Band geeinigt, seit Jahrhunderten schon in der Altstadt, durch das ungeschriebene Gesetz des „Millet-Systems“, in der jede Religion und Konfession auf seinen „Besitztum“ energisch achtet und zugleich den des anderen genauso energisch respektiert. Den „Duft des Heiligen“  atmet diese Stadt, hat einmal einer gesagt. Und ich stimme dem, nachdem ich Jerusalem und den Zionsberg kennen gelernt habe, inzwischen zu. Ja, ich stimme zu, man kann den „Duft des Heiligen“ und des „ewigen Friedens“ dort atmen, auch und vielleicht gerade weil es da soviel „Unheiliges“ und „Unfrieden“ gibt. Gerade weil es bei all dem Unfrieden, der sich da zusammenballt, umso nötiger, ja lebenswichtiger ist, nach dem „Frieden“ zu suchen. „Jaget dem Frieden nach“, heißt es an anderer Stelle der Bibel. ja, hier beginnt diese Jagd, geht um die ganze Welt und wird einst –das ist die Verheißung und das glaube ich auch- dort enden.
Bin ich ein Träumer, ein Phantast? Wir Menschen brauchen solche Träume, damit wir leben können, damit wir noch Hoffnung haben für unsere Welt, für die Zukunft unserer Welt. Und manchmal machen wir ja auch -siehe Leipzig, siehe Oslo- kurze Erfahrungen davon. Nur kurz und höchst gebrochen, aber immerhin.
Die uralte Vision des Jesaja nimmt alles überschauend den Uranfang und das letzte Ende in den Blick. Jesaja hat den unverschämten Mut (von Gott inspiriert, wie Jesaja selbst sagt), seinen ganz konkreten Traum vom Zionsberg als Friedensberg für alle und von den Schwertern, die allüberall zu Pflugscharen umgeschmiedet werden und vom Kriegshandwerk, das keiner mehr erlernen wird, diesen verrückten und zugleich heiligen Traum zu singen, uns als Mahnung und Auftrag weiter zu geben. Seit fast 3000 Jahren wird dieser Traum schon geträumt, rumort in den Köpfen der Menschen, treibt dort sein heiliges Wesen, manchmal in Ansätzen sogar realisiert. Warum sollte es nicht in weiteren 3000 Jahren so weit sein, dass alle Völker, alle Menschen zum Zion wallfahrten werden und  da  „Duft des Heiligen“ einatmen und sich den „Frieden auf Erden“ wohlgefallen  lassen? Warum eigentlich nicht?