Predigt zu Jesaja 2, 1-5 von Reiner Kalmbach
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Predigt zu Jesaja 2, 1-5 von Reiner Kalmbach

Liebe Gemeinde:
Manche biblischen Texte, wenn wir sie hören oder lesen, erwecken in uns spontan Bilder, Erfahrungen, Sehnsüchte..., so auch heute. Doch bevor wir dieses Wort hören, möchte ich Ihnen erzählen, wie es mir ergangen ist, welche Bilder in mir entstanden sind: ich sah mich auf einem grossen Platz mitten in Bonn, das war 1981, zur grossen Friedensdemonstration. Ja, damals kam etwas in Bewegung. Das Wort aus dem Propheten Micha sah man auf tausenden von Hemden und Fahnen, auf Luftballons und Autoaufklebern: „Schwerter zu Pflugscharen“, im „Osten“ rumorte es bereits und in Mutlangen verteilten wir Rosen an amerikanische Soldaten. Wir hatten Lust auf Frieden, auf eine gerechtere Welt, auf eine „neue“ Welt!
Und dann sah ich andere Bilder, nicht in mir drin, sondern im Fernsehen, in den Zeitungen: das brennende London, die Opfer eines „wahnsinnigen“ Norwegers, gestern in einer argentinischen Stadt: jugendliche Wahlkampfhelfer wurden von Anhängern einer „gegnerischen“ Partei mit Steinen und Knüppeln angegriffen und brutal zusammen geschlagen. Wir haben Wahlkampf und der gewalttätige Meinungsaustausch gehört (fast) zum Alltag. Ich fahre durch die Aussenbezirke unserer Städte und sehe die unglaublich grossen und abgrundtiefen Gegensätze zwischen Armen und Reichen..., wo und wie soll da Frieden entstehen?!
So, jetzt könnten wir uns auf das Wort aus dem Propheten Jesaja konzentrieren, es steht im 2. Kapitel und wir hören die Verse 1 bis 5
Textlesung
In meiner Jugend waren für mich die grossen Weltreligionen der Inbegriff für Hass, Intoleranz und Krieg. Ich machte insbesondere die christlichen Kirchen verantwortlich für die Ungerechtigkeit in der Welt, den Judenhass, die Kreuzzüge, Hexen und Ketzer auf den Scheiterhaufen der Geschichte verbrannt, die Eroberung Lateinamerikas mit dem Schwert in der einen Hand und dem Kreuz in der anderen...Jetzt gehöre ich selbst zu jenen die den biblischen Gott verkündige, und meine Kinder – der Apfel fällt nicht weit vom Stamm -, stehen diesem Gott und „seiner“ Kirche äusserst kritisch gegenüber.
Und dann hören wir das Wort des Propheten und das erste was mir in den Sinn kommt ist das folgende: da kommen die Völker dieser Welt, freiwillig!, zu jenem Gott der doch für so viel Leid verantwortlich gemacht wird. Oder sind etwa wir selbst die Verantwortlichen, die Ursache von Ungerechtigkeit, Hass und Gewalt?, liegt es an unserer Selbstherrlichkeit und Selbstsucht, in der Annahme Gott bedürfe unseres „Schwertes“, um seine Einzigartikeit zu verteidigen und unter den Völkern durchzusetzen..? Wenn es um das Thema Gewalt geht, haben die christlichen Kirchen schon immer ihr Süppchen (mit)gekocht. Deshalb sollten wir unsere Aufmerksamkeit erst einmal auf den Überbringer dieses Wortes richten.
Alle kommen zu dem einen Gott
Jesaja „sieht“ und was er sieht sind wirkliche Bilder, ja wir können sie sogar geographisch einordnen, auch wenn der Tempelberg in Jerusalem bei weitem nicht die höchste Erhebung ist. Schon der Ölberg ist um einiges höher. Aber wir können uns etwas darunter vorstellen. Wie auch unter den anderen Dingen die er sieht: und während wir hören und lesen werden eben die Bilder in uns geweckt, von denen ich am Anfang sprach. Bilder die von der Sehnsucht nach wirklichem Frieden erzählen, von jenem Frieden der jetzt schon sein könnte, wenn nicht...., ja, denn da tauchen auch gleich die anderen, dunklen Bilder auf, die von einer Wirklichkeit sprechen die wir alle nur zu gut kennen.
Dennoch, Jesaja ist kein weltentfernter „Träumer“, ganz im Gegenteil: er ist einer der grössten Propheten der jüdischen Geschichte, sein Wort hat Gewicht, die Schriftrollen des Jesaja nehmen in der Synagoge einen besonderen Platz ein. Und für uns Christen?, es ist fast so, als ob sein Buch gerade zu uns in besonderem spräche. Ich jedenfalls finde in ihm mindestens so viel geschichtliche Wirklichkeit, mindestens so viel hoffnungsvolle Botschaft, wie im Neuen Testament. Also nehme ich ihn ernst.
Jesaja sieht nicht nur das, was jeder Jude schon als Kind weiss, dass der Gott Israels einzig ist, sondern dass er der Welt in seiner Einzigkeit auch erkennbar sein wird, darin eben, dass alle Menschen den Ort seiner Offenbarung vor Augen haben werden.
Nun könnte man dies als Anmassung verstehen und ich höre bereits die Einwände meines Sohnes: „...siehst du, ich hab doch Recht, ihr mit eurem Universalanspruch!“ Um darauf eine Antwort zu finden, darf ich natürlich nicht auf die Kirchengeschichte zurückgreifen. Aber ich bin beruhigt, Jesaja selbst hilft mir dabei. Vielleicht deutet er, ohne es zu wissen, auf etwas hin, das über das theologische und religiöse Wissen seiner Zeit, und damit auch der unseren, weit hinaus reicht: das was am Ende die Blicke aller auf sich ziehen wird, ist nicht ein Gott der sich gegen Widersacher mit der Gewalt des Schwertes durchsetzt. Seine Macht ist die Ohnmacht. Sein „Aufragen“ ist die Niedrigkeit. Setzt er sich durch, dann nur mit Liebe und letzter Hingabe seiner selbst. Jesaja hat gewiss nicht den Gekreuzigten vor sich gesehen. Aber auch er weiss vom Glauben gegen allen Augenschein. Und noch etwas entscheidendes: wir stehen, sowohl als Christenheit, als auch als Personen, immer „unter“ dem Wort, nicht darüber!, und damit unter der Autorität des weisungsgebenden Gottes. Gottesherrschaft darf nicht in Menschenherrschaft verfälscht werden, und die Stelle, wo man sich Auskunft holt, darf nicht zu einer klerikalen Weltoberaufsicht entarten. Jesaja spricht nicht von der Erhöhung des Gottesvolkes, sondern es geht einzig um Gott selbst.
Deshalb stelle ich an dieser Stelle eine Frage an uns alle: was sind wir heute (schon)?, sind wir Friedensbringer, Friedensmacher?, sind wir Wandelnde unter dem Licht...? Ich meine das jetzt nicht im allgemeinen. Klar, dass sich alle Menschen nach Frieden sehnen. Aber wie sieht es bei uns persönlich aus?, in der Familie, im Umgang mit unseren Kindern, Ehepartnern, Kollegen, Nachbarn, mit Andersdenkenden...? Nur wenn wir eine Antwort auf diese Frage haben, können wir uns vorstellen, wie es in der Zukunft sein wird, sein könnte.
Eines ist sicher: so oder so werden alle Augen, am Ende aller Tage, Ihn sehen. Doch da wo Menschen heute glauben, da blicken und bewegen sie sich schon jetzt in die Richtung, auf den Berg zu, die „zukünftige Stadt“, deren Zugang wir in Christus finden, in seinem Wort und in seinem Sakrament.
Alle fragen nach seiner Weisung
Die Völker kommen freiwillig, sie rufen sich gegenseitig dazu auf, sie suchen Weisung. Nicht die Weisung die ihnen die Herren dieser Welt anbieten, oder die ihnen mit Waffengewalt, politischen oder wirtschaftlichen Mitteln aufgezwungen werden..., Beispiele davon kennt die Menschheitsgeschichte zu viele: zu Zeiten des Alten Testaments, die Assyrer und Babylonier, Alexander der Grosse und danach die Römer, dann der Islam und das Christentum mit Kreuz und Schwert, die Inkas in Südamerika, die Preussen, Napoleon, Hitler und Stalin, Mao, Pol Pot..., Pinochet, Bush (Vater und Sohn)..., alle diese Herren, alle ihre Macht und Ideologien haben der Menschheit nicht das Heil gebracht, sondern die Strukturen der Ungerechtigkeit nur noch mehr verfeinert. Deshalb kann es unter solchen Herren auch keinen Frieden geben. Nein, zu diesem Herrn kommen die Völker aus eigenem Antrieb. Warum kommen sie? Handeln die Menschen nicht nach eigenen Weisungen und Gesetzen, richten wir uns nicht nach Normen und ethischen Grundsätzen?, haben wir nicht alle ein bestimmtes Rechtsempfinden? Warum werden alle sich an den Einen wenden? Soll das etwa heissen, dass angesichts unseres Versagens, sowohl in persönlicher, als auch in gesellschaftlicher Hinsicht,  wir jetzt demütig zu unserem Gott laufen, um ihn zu bitten, uns den richtigen Weg zu zeigen? Vielleicht ist dieser Gedanke gar nicht so abwegig. Wissen wir doch aus eigener Erfahrung, dass wir die Worte „Recht“ und „Gerechtigkeit“ oft genug nach unserem eigenen Gutdünken auslegen und anwenden. Wir wissen nur zu gut, dass es im Zweifelsfalle in erster Linie um unsere eigene Gerechtigkeit geht. Dass dabei der andere gedemütigt wird, ausgegrenzt, ausgebeutet, an Leib und Seele geschädigt, ist nur die logische Konsequenz. Über 500 Jahre Kolonialismus, seit der „Entdeckung“ Lateinamerikas, bieten ausreichend Lehrmaterial.
Wie soll diese Weisung nun aussehen? Wird man der Menschheit eine Art Rezept ausstellen, das man nur anzuwenden hat und schon herrscht Friede..? Jesaja spricht von Wegen und vom wandeln „auf seinen Steigen“: d.h. doch, Gott erteilt seine Weisung in einem geschichtlichen Prozess, dass es darum geht, immer wieder innnezuhalten und zu fragen: was ist die richtige und verantwortliche Entscheidung in der jeweiligen Situation? Mein Grossvater lehrte mich vor vielen Jahrzehnten: „..wenn du vor einer schwierigen Entscheidung stehst, wenn es um dein Gewissen geht, dann frag ganz einfach, was würde Jesus jetzt dazu sagen, oder was würde er tun..“ Ich muss zugeben, dass ich mit diesem Rat bis jetzt nicht schlecht gefahren bin in meinem Leben. Freilich: man sollte schon wissen wie und wer Jesus war und ist!
Noch einmal: warum sich eine Weisung von Gott holen? Weil wir uns immer wieder dabei ertappen, dass unser ethisches und rechtliches Urteilsvermögen „geschädigt“ wird, wo unser eigenstes Interesse auf dem Spiel steht. Ach, könnte ich mich doch mit meinem Gegner am „dritten Ort“ treffen, auf dem Berg des Herrn!, ach, könnte ich mich doch Gott anvertrauen, der nach der ganzen Heiligen Schrift der Hüter des Rechts ist! Wie sollen wir das verstehen? Wer Gott ehrt, wird auch den Menschen ehren und ihn nicht zum Mittel seiner Zwecke erniedrigen. Er wird nicht herrschen wollen, sondern dienen, - „dasein für andere“, wie Bonhoeffer es formulierte. Es muss viel geschehen, wenn Gottes Weisung für uns verbindlich und in uns wirksam werden soll, da bin ich mir sicher! Sein Reich kommt, sein Wille wird geschehen!
Alle leben in Frieden
Ich denke, darin sind wir uns alle einig: der Menschheit, also uns, kann gar nichts besseres geschehen als dass Gott sich in unserer Welt, und d.h. zuerst: in uns durchsetzt.
Das Ziel ist der Friede: alle leben in Gottes Frieden.
Wollen wir hoffen, dass ihre eigene Friedlosigkeit es sein wird, die die Völker auf den Weg treibt, also das Eingeständniss: „wir kommen mit unseren Konflikten nicht mehr zurecht.“? Aber die Vision Jesajas erwähnt nichts von Konflikten: die Völker suchen einfach Weisung, ohne ein bestimmtes Motiv. Vielleicht hat das mit der ewigen Suche nach dem Sinn zu tun, diese Suche bestimmt den Einzelnen, wie auch die ganze Menschheit. Und dieser Sinn kann sich nicht in der Erfindung neuer Waffensysteme erfüllen, auch nicht in der ständigen Abgrenzung zum Nächsten. Es ist ein Weg, aber bevor wir ihn einschlagen, müssen wir die Richtung bestimmen. Und dazu brauchen wir die Weisung Gottes! Hier in Argentinien gibt es ein schönes Sprichwort: „der Weg ist das Ziel“. Ich denke, es ist genau das was wir suchen: den richtigen Weg.
Wir begannen mit Bildern und Eindrücken die während des lesens oder hörens entstehen. So wollen wir auch enden: ich finde den letzten Vers einfach umwerfend wichtig und schön: „Kommt nun, ihr vom Haus Jakob, lasst uns wandeln im Licht des Herrn!“ Da sind auch wir gemeint!, ja, jede kleine oder grosse Gemeinde, irgendwo in der weiten Welt, mitten unter den Völkern. Ach, was könnte sich nicht alles ändern, wenn die Christen aller Hautfarben, aller Völker, aller Sprachen, aller Kulturen und aller sozialen Klassen..., sich auf den Weg machen würden..., und es wäre gar nicht schwierig, denn sie alle kennen den Weg: Christus!
Amen.