Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Christoph Hildebrandt-Ayasse
40,26-31

Predigt zu Jesaja 40,26-31 von Christoph Hildebrandt-Ayasse

Liebe Gemeinde,

Diese Worte der Heiligen Schrift sind ein Motivationstraining für Ausgepowerte. Wie das ist, wenn man ausgepowert ist, das brauche ich wohl nicht breiter zu entfalten. Müde und matt, am Boden zerstört, kraftlos, antriebsschwach - das sind nur ein paar Stichworte, die uns Jesaja hier gibt. Wir wissen, wovon er spricht. Kennen das.

Was kann man dagegen tun? "Kopf hoch!" So fängt es an. "Hebet eure Augen in die Höhe und seht!" Dieses "Kopf hoch!" ist aber ein anderes als das gutgemeinte, schulterklopfende "Kopf hoch" von Kollegen oder Freunden. Es ist kein: "Nun raff dich mal auf!" Sondern ein: "Nun schau dir mal was anderes an. Entdecke etwas Neues. Blick weg von dir!"

Der Rektor eines christlichen Internats erzählte mir einmal, dass er einen Schüler für einen Tag freistellt, wenn dieser einen Durchhänger hat, wenn in der Schule es nicht läuft, wie es sollte, wenn das Heimweh zu groß wird und überhaupt alles zu viel zu sein scheint. Die Freistellung ist aber mit einer Aufgabe verbunden: "Räum dein Zimmer um", rät er dem Schüler. "Häng neue Bilder an die Wand, rücke die Möbel um, räum mal die Schubladen aus und schau dir an, was sich so alles angesammelt hat usw." "Das wirkt immer", sagte er. So wie bei uns ein: Raus aus dem Büro und einmal einen langen Spaziergang machen oder ein Tennisspiel oder mit Kindern toben oder weiter am Schiff basteln.

Horizontveränderung zur Motivation: "Hebet eure Augen in die Höhe und seht!" Was gibt es zu sehen und zu entdecken? Die Welt. Und das Gefühl, von Gott umgeben zu sein, der so viel Schönheit und so viele Möglichkeiten in die Welt und das Universum gepackt hat. Blick dich nur um. Ja, und du darfst dich ruhig auch mal ablenken lassen von deinen Schwierigkeiten. Und wieder auftanken bei Gott, der Quelle des Lebens; und wieder aufatmen, weil du merkst, wie groß Gott ist.

Das bietet uns heute die Bibel als Motivationshilfe für ausgepowerte Christenmenschen an. So wie damals Jesaja dem Volk Gottes. Was war damals los? Kurz einen Blick in die Geschichte Israels. Dann verstehen wir etwas mehr von den Worten Jesajas. ZB, was er mit dem "Heer", das da herausgerufen wird, meint. Oder dass er sie alle mit Namen ruft.

Im Jahr 587 v. Chr. wird Jerusalem endgültig von den Babyloniern erobert und zerstört. Die Bevölkerung wird verschleppt, deportiert nach Babylon. "Ethnische Säuberung" lautet das unmögliche Wort dafür aus unserer Zeit. Nun saß man als Flüchtling fremd in einem fremden Land. Alles war verloren und zerstört, nicht nur das Materielle.

Zerstört waren auch Lebensentwürfe und alles, worauf man sich vorher hatte verlassen können. Und wo war der Gott Israels? "Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht vor meinem Gott vorüber." Mit diesen Worten zitiert Jesaja seine Leidensgenossen. War Gott das Schicksal seiner Gläubigen egal? Bedeutete nicht sein Name: Ich bin bei dir?

War alles eine Illusion gewesen, der Glaube, die Lebensphilosophie, die 10 Gebote? Und dann in Babylon angekommen: welch ein Gegensatz zum ländlichen Jerusalem! Babylon war Weltstadt. Glänzend, prächtig, beeindruckend, modern.

Klein, verloren, gedemütigt kam das Volk Gottes sich vor. Die anderen waren einfach besser und stärker. Waren nicht vielleicht auch ihre Götter besser und stärker? War nicht vielleicht der babylonische way of live der erfolgversprechendere?

Die Babylonier waren z.b. hervorragende Astronomen. Sie konnten den Lauf der Sterne so gut berechnen, dass das auch heute noch in Erstaunen versetzen kann. Sie richteten ihr Leben nach den Sternen, denn sie waren zugleich Götter für sie. Astronomie und Astrologie war für sie ein und dasselbe. Und wer den Lauf der Sterne kannte, kannte den Weg der Götter, den Verlauf der Geschichte und die Wege des Schicksals. Und konnte dies sogar im Voraus berechnen. Also, die besten Voraussetzungen, die Herrschaft über die damals bekannte Welt zu übernehmen. Man kannte sozusagen den Quellcode für das Weltprogramm.

Das war natürlich beeindruckend für das verschleppte Volk Gottes. Und mehr als beeindruckend. Es klang überzeugend, diese perfekte Mischung aus Wissenschaft und Religion. Und hatte man nicht leidvoll erleben müssen, dass es funktionierte das babylonische System? Die Sterne lügen nicht. Diese babylonischen Sterngötter logen nicht. Es klang alles so logisch. Man brauchte nur die Augen in die Höhe heben und sehen, was vorgesehen war.

Jetzt beginnen wir das "Kopf hoch!" des Jesaja noch einmal anders zu verstehen. Es ist nicht nur ein Motivationsschub für die Ausgepowerten seiner Zeit; es ist zugleich ein Aufruf zum Nachdenken.

Jede Krise bietet die Chance zum Nachdenken. Und die Chance für neue Erkenntnisse. Die Sterne, die ihr da seht und die die Babylonier Götter nennen, sagt Jesaja, auf welchen Bahnen ziehen sie denn? Auf den Bahnen, die der Gott Israels, unser Gott, ihnen gezogen hat. "Er zieht ihr Heer, das Herr der Sterne nämlich, vollständig heraus", sagt Jesaja. Ja, "ruft sie alle beim Namen" und kennt ihre Anzahl. Er ist größer als diese Lichter am Himmelszelt. Er steht als Geheimnis des Universums noch dahinter.

Und du Mensch meinst, du könntest dein Schicksal daran ablesen und wüsstest, "wie viel Sternlein stehen"?! Diese Gottesworte des Propheten Jesaja haben das jüdische Volk damals davor bewahrt, der vordergründigen Logik der babylonischen Sternendeutung auf zu sitzen. Sie waren ein Motivationsschub dafür, die Welt neu zu entdecken, nachdem eine Welt zusammen gebrochen war, und auch in der Krise das Gefühl nicht zu verlieren, von Gott umgeben zu sein.

Von seinen Worten ist auch das Kinderlied: "Weißt du wie viel Sternlein stehen?" inspiriert. Es bringt das in klaren, einfachen Kinderworten im letzten Vers: "Gott kennt auch dich und hat dich lieb." Was können wir Kindern besseres beibringen, als mit diesem Motivationsschub vertrauensvoll die Welt zu entdecken?!

Aber gehen wir noch einmal zurück zu den Babyloniern und ihren Sternen. Nur machen wir diesmal einen Zeitsprung von über einem halben Jahrtausend. Dann landen wir im Geburtsjahr Jesu Christi im Stall von Bethlehem. Da treffen wir sie an der Krippe wieder: die babylonischen Sterndeuter, besser bekannt als die Heiligen Drei Könige. Ein seltsamer Stern und ihre Sternentabellen hatten ihnen ein bedeutendes Ereignis vorausgesagt. In Jerusalem hören sie ein Prophetenwort aus der Heiligen Schrift, das sie nach Bethlehem weist. Und wieder erweist sich der Gott Israels als der eigentliche Regisseur im Universum. Ohne sein Prophetenwort, das man ihnen in Jerusalem vorgelesen hat, wären die babylonischen Sterndeuter wohl nie auf die Idee gekommen, Gott, das Geheimnis der Welt, ausgerechnet in dem unbedeutenden Bethlehem zu suchen.

Es ist das Besondere unseres Gottes, dass er sich finden lässt. Dass man ihn nicht enträtseln oder interpretieren muss wie den Verlauf der entfernten Sterne. Dass er so nahe ist wie ein Kind in der Wiege. Und was für ein Motivationsschub Kinder, nicht nur die eigenen, sein können, das haben wir wohl schon alle erfahren. Sie sind wahre Motivationsexperten, Experten für das "Kopf hoch!" mit ihrem: "und was spielen wir jetzt?". Das kennen wahrscheinlich alle hier, nicht nur die beiden Tauffamilien.

Amen