Predigt zu Jesaja 50, 4-9 von Günter Goldbach
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Predigt zu Jesaja 50, 4-9 von Günter Goldbach

I.
Liebe Christinnen und liebe Christen, das ist ein ebenso eindrucksvoller wie geheimnisvoller Predigttext: Wohl um die Mitte des 6. Jahrhunderts v. Chr. ist unter den im babylonischen Exil lebenden Juden ein Prophet aufgetreten. Seinen Namen kennen wir nicht. Aber seine Schriften. Die wurden an ein anderes Prophetenbuch, das des Jesaja, angefügt. In dem Prophetenbuch Jesaja, wie wir es heute in der Bibel vor uns haben, stammen die Kapitel 40-55 von diesem unbekannten Propheten. In der wissenschaftlichen Literatur nennt man ihn Deuterojesaja, den 2. Jesaja. Und nun bilden innerhalb dieses Schrifttums 4 sog. Gottesknechts-Lieder noch wieder eine besondere literarische Einheit. Eines dieser Lieder ist unser heutiger Predigttext. Wer hat es verfasst? Ob Deuterojesaja selber der Verfasser ist oder noch wieder jemand anders, das ist umstritten. Umstritten ist vor allem die Frage, von wem der Prophet hier so redet. Wer ist dieser Knecht Gottes?!
„Gott hat mich von Mutterleib an berufen. Seit ich im Schoß meiner Mutter war, hat er meinen Namen genannt. Er sprach zu mir: Du bist mein Knecht“ (Jes. 49, 1.3).  -  Wer redet so?!  Nun zunächst einmal jemand, der das, was er tut, nicht aus sich heraus tut. Der das, was er sagt, nicht aus sich heraus sagt. Er spricht nicht von eigenen Erkenntnissen. Er fühlt sich einem fremden Zugriff erlegen. „Berufung“ nennt er es. „Gott hat mich von Mutterleib an berufen“. Freilich: Beweisen kann er das nicht. Ein Echtheitssiegel kann er nicht vorweisen. Aber er selbst ist sich ganz sicher. Er bleibt dabei: „Gott hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich mit den Müden (und Niedergeschlagenen) zur rechten Zeit reden kann“ (v 4). „Gott, der Herr, selbst hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück“ (v 5).
Das entscheidende Merkmal des Jüngers ist also, dass er „hört“. Gemeint ist damit natürlich nicht das leibhafte Hören akustisch vernehmbarer Worte. Es ist vielmehr der bildhafte Ausdruck für die wache Aufgeschlossenheit des Herzens. Das wiederum ist keine ihm selbst verfügbare Fähigkeit. Vielmehr ein Werk Gottes an ihm. Übrigens nicht als ein dann unverlierbarer Besitz. Nein, Gott muss ihn sozusagen jeden Morgen neu „wecken“ und ihm immer wieder „das Ohr auftun“. Nur so und nur dann kann er seiner Beauftragung gemäß reden und handeln.
Doch nun: Ist diese Beauftragung durch Gott, seine Legitimation sozusagen, etwa ablesbar am Erfolg? Nein, das Gegenteil ist der Fall! Das Wort dessen, das er redet, macht ihn nicht groß und stark. Es führt ihn in die Erfolglosigkeit. Mehr noch: in die Einsamkeit, in das Ausgestoßensein, in das Leiden. Ja sogar, wie es in dem nächsten der Gottesknechts-Lieder heißt: in den Tod (Jes. 53, 4ff).
Denn das Wort, das dieser Beauftragte Gottes vertritt, trifft die, die es hören. Sie fühlen sich aufgedeckt und bloßgestellt. Die Wahrheit Gottes verletzt sie. Denn es tritt schmerzhaft zutage, wer sie sind. Wer sie wirklich sind – vor der Wahrheit im Angesicht Gottes. Darum also: Das Wort der Wahrheit Gottes, das in seinem Namen gesprochen wird, erweckt Abwehr und erregt Widerspruch. Nicht nur gegen Gott. Auch gegen den, der im Namen Gottes redet. Die Botschaft zeichnet den Botschafter nicht aus. Sie zeichnet ihn mit dem Stigma des Leidens. „Sie haben mich verprügelt, mir den Bart ausgerissen, mir ins Gesicht gespuckt“ – heißt es in unserem Text (v 6).
Wer hält so etwas aus?! Wer kann da noch seiner Berufung durch Gott gewiss sein?! Wer kann sich da noch sicher sein, dass das Reden und Tun im Namen Gottes einen Sinn macht?! Wenn der Wirksamkeit die Erfolglosigkeit gegenüber steht. Der Größe des Anspruchs das Nachlassen der Kräfte. Der Fülle des Notwendigen die Geringfügigkeit des Machbaren. Wer eigentlich kann mit einer solchen Verunsicherung, doch nicht ausbleibender Resignation und letzter Fraglichkeit fertig werden?!
 „Gott, der Herr, hilft mir, darum werde ich nicht zu Schanden“ (v 7). „Er ist nahe, der mich gerecht spricht“ (v 8).  -  Damit tröstet sich schließlich der Gottesknecht. Das ist seine unerschütterliche Gewissheit: Gott ist auf seiner Seite  -  trotz allem, was dagegen zu sprechen scheint.   -  Liebe Christen, hier wird einer vor unsere Augen gestellt, den seine Gottesgewissheit und unerschütterlich geglaubte Gottesnähe am Ende nicht aus der Bahn zu werfen vermag. Die Macht und Gewalt derer, unter denen er zu leiden hat, imponieren ihm ganz und gar nicht.
II.
 Liebe Christen, noch einmal sei die Frage gestellt: Von wem ist in diesem Text eigentlich die Rede?  -  Ich denke, Sie werden es ahnen oder zumindest seit längerem vermuten: Es handelt sich bestimmt um eine prophetische Weissagung auf den Gottesknecht Jesus von Nazareth. Viele nehmen das in der Tat an. Und die EKD, die uns diesen Predigttext für den heutigen Palmsonntag vorgelegt hat (in früheren Jahren sogar für den Karfreitag), ist bestimmt auch dieser Meinung.
In der Tat sind gewisse Übereinstimmungen zwischen dem Gottesknecht in den Texten des Deuterojesaja und dem Jesus von Nazareth in den Texten der Evangelien geradezu frappierend. Einzelne Elemente unseres Predigttextes lassen sich geradezu als Formeln lesen, die die Geschichte Jesu erschließen und zusammenfassen: Dass ER, Jesus, ein für Gottes Wort geöffnetes Ohr hatte, das zeigen seine Gleichnisgeschichten so gut wie seine Gebotsauslegungen. Hören und Reden  -  das steht bei Jesus in demselben unauflöslichen Zusammenhang, den der Predigttext beschreibt. Und  -  auch das ist sozusagen „dasselbe“: Der von Gott Beauftragte, der den Menschen Heil bringen will und soll: Er erlebt, dass eben diese Menschen sich ihm verschließen. Ihn nicht hören wollen, sich ihm total verweigern. Ja, ihn tätlich angreifen  -  und er, der Gottgesandte gerät in Schmerzen, Leiden, Folter: Die Schläge auf den Rücken und ins Gesicht, das Verhöhnen und Bespucken  -  das alles findet seine Entsprechung in der Passionsgeschichte Jesu. Sein Einzug in Jerusalem auf dem armseligen Esel, von dem wir vorhin gehört haben: ER sollte es gewusst haben, wie bald die Hosianna-Rufe in das „Kreuzige! Kreuzige ihn!“ umschlagen würden.
Aber  -  und auch das verbindet ein letztes Mal den Gottesknecht Deuterojesajas mit Jesus: Er ist sich  - trotz allem -  der Hilfe Gottes gewiss. Er hat Kraft und Geduld, alles auszuhalten. Das Leiden nicht nur passiv hinzunehmen, sondern sich ihm zu stellen und es auf sich zu nehmen. Sogar der unseren Predigttext abschließende Satz: „Siehe, der Herr hilft mir“ (v 9), lässt sich auf die definitive Hilfe Gottes in der Auferweckung Jesu hin lesen.
Wir können es also nur staunend feststellen: Die Jesus-Geschichte lässt sich mit den Worten unseres Predigttextes aus dem Alten Testament beschreiben. Auch wenn der „historische“ Deuterojesaja nicht an den „historischen“ Jesus gedacht haben kann. Immerhin: „Der Knecht Gottes ist Typus dessen, der in  Jesus Christus verwirklicht und erfüllt ist“ (W. Stählin).
III.
Liebe Christinnen und liebe Christen, es raubt einem den Atem: Wenn man die Geschichte der Passion des Jesus aus Nazareth nicht nur  - wie alle Jahre wieder -  hört, sondern wirklich an sich heran- und in sich hineinlässt. Unfassbar, was sie mit ihm gemacht haben! Mit dem, der doch „nur“ helfen, trösten, in alledem Menschen auf den Weg zu Gott bringen wollte. Unfassbar für uns aber auch die große Zuversicht und unerschütterliche Gewissheit im Vertrauen auf Gottes Hilfe. Diese Klarheit und Eindeutigkeit der Gottesgeborgenheit  - gerade im Leiden.
Und nun erfahren wir heute: Diese scheinbar unglaubliche Geschichte: Die in den Kern des Personseins hineinreichende tiefe Erfahrung der Nähe Gottes im Leiden war auch schon in der Vergangenheit möglich  - einem gottgesandten prophetischen Vorgänger dessen, in dem sich das Schicksal der Menschen und das Heil der Welt auf einzigartige Weise erfüllen sollte. Aber nun: Was einem namenlosen Propheten in der Vergangenheit der Glaubensgeschichte Israels  -  wohlgemerkt: nicht aus eigener Kraft, sondern aus gnädiger Zuwendung „von oben“  -  möglich war: Sollte das nicht auch in Zukunft möglich sein?! Konkret: in der Nachfolge des leidenden Jesus aus Nazareth?! „In dem Gottesknechtslied erreicht uns ein kräftiger Ruf zur Nachfolge“, formuliert es jedenfalls ein Ausleger des Textes (D. Sattler).
Vielleicht glauben Sie jetzt, nicht richtig gehört zu haben. Womöglich sind Sie sogar ein wenig erschrocken: Wir?! Wir sollten gemeint sein?! Aufgerufen zur Nachfolge?! Bereit sein, um Gottes Willen zu  leiden?!  -  wenn wir das richtig erinnern. Die wir, na ja, doch nur einigermaßen zurechtkommen wollen in unserem Leben. Wobei wir gewiss Gutes von Gott erwarten. Und seinen Segen für unser Leben erbitten wollen. Aber eine Passionsgeschichte  -  für uns?!
Vielleicht sollten wir uns zuerst nur einmal erinnern lassen an den einen oder die andere, die ihre unerschütterliche Gottzugehörigkeit sehr wohl als eine Leidensnachfolge des Jesus aus Nazareth verstanden und akzeptiert haben. Neben dem namenlosen Propheten aus dem Alten Testament lassen sich Frauen und Männer namhaft machen, von denen ich aus der Christentumsgeschichte einige beispielhaft benennen will:
Petrus: Nach allem Scheitern und Versagen in der Passionsgeschichte seines Herrn ein Bekenner und Botschafter des Evangeliums – bis zu seiner Kreuzigung in den neronischen Gärten auf dem vatikanischen Hügel in Rom.  -  Paulus: Nach seiner Bekehrung vom Christenverfolger zum Christusbekenner der Apostel der Christenheit auf seinen Missionsreisen durch das römische Imperium und in den unvergleichlichen Glaubenszeugnissen seiner Briefe: immer wieder missachtet, beschimpft, verleumdet, verfolgt, geschlagen; in Lebensgefahr auf See und in finsteren Gefängnissen – bis zu seiner Enthauptung vor den Toren Roms; wo erst kürzlich sein Grab entdeckt worden sein soll.  -   Polykarp, Bischof von Smyrna, der während der Christenverfolgungen im 2. Jh. nicht alt und vergammelt in einem Bett sterben wollte, sondern freiwillig den Märtyrertod auf sich nahm. Noch auf dem Scheiterhaufen betete er: „Ich danke dir, Gott, Vater unseres Herrn Jesu Christi, dass du mich dieses Tages und dieser Stunde gewürdigt hast“.
Und weiter: Wie leuchtende Sterne der Gottesgewissheit strahlen sie aus der Geschichte des finsteren Mittelalters hervor: Mit ihrer Erfahrung der Nähe Gottes – gerade im Leiden: Giovanni Bernadone (1181-1226), der sich Franziskus nannte. In der Nachfolge Jesu Christi wählte er eine asketische Lebensführung, wie sie alle tausend Jahre vielleicht zweimal vorkommt. Er wollte nichts anderes besitzen als eine Kutte, eine Unterhose, ein paar Sandalen und einen Strick um den Bauch  -  bis er völlig entkräftet und halb erblindet die Wundmale Christi an seinem Leib ausbildete.  -  Die Königstochter Elisabeth von Thüringen (1207-1231), bis heute bekannt nicht wegen ihrer Abstammung aus einer der einflussreichsten Adelsfamilien Europas, sondern wegen ihrer aufopferungsvollen Hingabe zu den Niedrigsten und Schwächsten der mittelalterlichen Gesellschaft. Wie Franz von Assisi  fühlte sie sich als „discipula Jesu“, als Jüngerin ihres Herrn, dem Armutsideal verpflichtet. Sie brach um Gottes Willen mit allen Konventionen ihrer Zeit. Unter dem Hohn und Spott vieler ihrer Zeitgenossen, oft genug brutal geschlagen von ihrem perversen Beichtvater, lebte sie schließlich jahrelang als arme Spitalschwester in einem von ihr gegründeten Hospital. Sie pflegte Aussätzige und Behinderte – bis sie 24-jährig an völliger Entkräftung starb.  -  Schließlich natürlich Martin Luther (1483-1546), dessen reformatorische Tat ja im Kern nichts anderes war als ein überraschtes, eindringendes Hören auf das Evangelium von der Barmherzigkeit Gottes. Der aber für dieses Bekenntnis und die sich daraus ergebenden Konsequenzen von der staatlichen Obrigkeit für „vogelfrei“ erklärt wurde: Jeder konnte ihn töten, der ihn in die Hände bekam. „Sie werden mich erwürgen. Was wollen sie danach tun? Vielleicht wieder aufwecken und noch einmal töten?“ So konnte er furchtlos und voller Selbstironie fragen. In der unerschütterlichen Gewissheit: Seine Widersacher konnten „nur“ ihn töten, nicht aber sein Bekenntnis.
Aus der Neuzeit sei beispielhaft an die um ihres Glaubens willen verfolgten, erschossenen, gehängten oder in Drahtschlingen erwürgten Widerstandskämpfer im Dritten Reich erinnert: den Professor Leo Baeck, Rabbiner an der größten jüdischen Gemeinde Deutschlands im Berlin der Nazi-Zeit.  Er stand an der Spitze der sog. „Reichsvertretung“ der deutschen Juden. Schließlich wurde er dennoch in das Ghetto von Theresienstadt deportiert und dort auf jede erdenkliche Weise gedemütigt und erniedrigt. So musste er jahrelang den Müllwagen durch das Ghetto ziehen. Wenn ein Schriftgelehrter etwas von einem Propheten haben kann, so gilt es wahrhaftig für ihn: leidend und Leiden überwindend und unverrückbar gottesgewiss.  -  Der evangelische Christ Helmuth James Graf von Moltke sei genannt. Vor allem durch die Briefe an seine Frau Freya wissen wir etwas über die Erfahrung der Nähe Gottes in seiner Leidenssituation vor der Hinrichtung.  -  Wie sie auch der katholische Studentenseelsorger Alfons Wachsmann in dieser Situation bezeugt: „Glaubt mir, nichts, gar nichts kann die Freude trüben, die in mir ist. Drei Stunden trennen mich nur vom Tod. Aber der Mensch wird nicht kleiner, wenn er um den Kopf verkürzt wird. Mein Name wird nach meinem Tode nicht wie eine Totenglocke läuten, sondern wie ein Aufschwung zur Hoffnung“.
Aus der unmittelbaren Gegenwart seien die Vertreter der Befreiungstheologie in Lateinamerika nicht vergessen. Die im Namen des Evangeliums für die Unterdrückten und Entrechteten protestierten gegen die Diktatoren und oligarchischen Cliquen in ihren Ländern – und dafür bezahlten mit Entwürdigung, Verfolgung und Tod: Dom Helder Camara, Oscar Arnulfo Romero, nicht zuletzt natürlich Ernesto Cardenal: „Noch heute wirst du mit mir im Paradiese sein“, zitierte er aus der Passionsgeschichte Jesu. Und er erklärte: „Das war keine Metapher. Wer das Kreuz umarmt hat und die Schädelstätte hinaufgestiegen ist wie Christus, weiß genau, dass das keine Wortspielerei ist. Von dem Augenblick an blieb das Paradies für den Menschen offen. Aber es liegt eben nicht im Komfort oder in Vergnügungen, sondern im Leid“.
Wollte ich noch aus unmittelbar persönlichen Begegnungen, Bekanntschaften und Freundschaften den einen oder anderen Namen erwähnen, so sollte als erste Dorothee Sölle genannt werden: ihre persönliche liebenswerte Bescheidenheit auf der einen Seite, ihre leidenschaftliche Rigorosität auf der anderen. Deretwegen wurde sie immer wieder angefeindet und verspottet, bekam den Ketzerhut aufgesetzt. Dabei ging es ihr immer nur um „Mut-Anfälle“: um das „Fenster der Verwundbarkeit“ zu öffnen und den leidenden „Gott denken“ zu können.  -  Unvergessen sind mir auch die Begegnungen mit dem Benediktinermönch Oswald Kettenberger: ein weltberühmter Fotograf, der mit seiner Kamera das Wesentliche hinter dem Vordergründigen zu entdecken vermochte. Für ihn war es eine furchtbare persönliche Katastrophe, als er das Augenlicht verlor und nicht mehr fotografieren konnte. Aber er vermochte sich mit der Gewissheit zu trösten: „Nicht entscheidend ist das Licht, das sich am Abend neigt, sondern das Licht, das kein Auge sieht“. Und bei unserem letzten Abschied zitierte er aus der Ordensregel der Benediktiner: „An Gottes Barmherzigkeit niemals verzweifeln“.  -  Ein dritter Name sei auch hier genannt: der des wunderbaren und mitreißenden Predigers Bischof Dieter Andersen, den ich wieder und wieder in meine Gemeinden einlud, solange ich Gemeindepfarrer war. Er strahlte eine unglaublich ehrliche Überzeugungskraft aus und vermochte es, in unnachahmlicher Weise andere in ihrem Glauben zu bestärken. „O when the saints go marching in, then, my Lord, let me be in that number“ – diesen  Spiritualvers zitierte er gerne als  ganz persönliches Bekenntnis.
Liebe Christen, die Träger bekannter und weniger bekannter Namen habe ich vor ihre Augen gestellt. Nicht damit Sie den Kopf in den Nacken legen, zu ihnen aufschauen und sie als unnachahmlich bestaunen. Vielmehr damit Sie in Ihren eigenen Erinnerungen an diese oder andere Christen zur Selbstbefragung und Selbstprüfung ermutigt werden möchten. Im Übrigen, wenn wir einmal genau hinsehen: Völlig „namenlose“ Christinnen und Christen in Ihrer und meiner Umgebung können sehr wohl auch diese sehr intensive, innige Erfahrung der Nähe Gottes bezeugen – gerade wenn sie in die Kategorie des Leidens geraten: Gestern besuchte ich eine ehemalige Mitarbeiterin in der Hospizarbeit, jetzt im Endstadium einer Krebserkrankung unter großen Schmerze leidend. Als ich sie irgendwie zu trösten versuchte, hielt sie mir das Paulus-Wort entgegen: „Nichts kann uns trennen von der Liebe Gottes, die in Christus beschlossen ist“ (Röm. 8,39).  -  Und ein Mann, dessen Frau wir gerade nach schwerer Krankheit zu Grabe getragen hatten, sagte mir: „Sie erlebt nun, woran sie geglaubt und worauf sie vertraut hat. Wäre ich nur auch schon so weit…“
Darum also: Jener namenlose alttestamentliche Prophet, mit dessen Glaubenszeugnis wir unsere Überlegungen begonnen haben: Er wusste Gott auf seiner Seite – komme, was da wolle! Er hatte in seinem Leiden nicht die Abwesenheit Gottes erfahren, sondern seine Nähe und seine Kraft. Könnte es nicht sein: In uns hat er damit die Sehnsucht nach einer ähnlichen Glaubensgewissheit geweckt – wie sie ihm und vielen anderen geschenkt worden ist?! Eine Erfahrung, ich bin ganz sicher, die dem Leben eine unvergleichliche Tiefe verleiht. Die den Wunsch entstehen lässt, auch das eigene Leben unter der Voraussetzung der Nähe Gottes zu wagen – was immer mit uns geschehen mag.  -  Jochen Klepper hat diesen Text des Propheten meditiert. Lassen Sie uns doch jetzt diesen Text miteinander singen und beten: „Er weckt mich alle Morgen…“ (EG 452).