Predigt zu Johannes 1, 35-42 von J.-Stephan Lorenz
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Predigt zu Johannes 1, 35-42 von J.-Stephan Lorenz

Liebe Gemeinde,
jeder Sonntag hat ja so sein eigenes Thema, das in den verschiedenen Lesungen, die in einem Gottesdienst gelesen werden, variiert wird – so wie in einem Musikstück  das Thema in verschiedenen Formen immer wieder erscheint.
Heute haben wir zuerst einen Abschnitt aus dem 1. Brief des Apostel Paulus an die Christen in Korinth gehört. Da ging es darum, dass das Wort, die Predigt vom Kreuz für ein einen ein Ärgernis ist und für die anderen der vollkommene Blödsinn, die aber, welche die Predigt vom Kreuz verstehen, werden selig werden.  Im Evangelium hörten wir die Geschichte vom Fischzug des Petrus, der obwohl er die ganze Nacht vergeblich gearbeitet hatte, auf das Wort Jesu hin noch einmal hinausfuhr und dann reichliche Ernte hatte. Wenn wir jetzt noch die alttestamentliche Lesung hinzuzögen, dann würden wir die Geschichte von Abrahams Auszug aus seiner Heimat hören: „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“
Was ist das Verbindende, der rote Faden für diese drei Geschichten? Was würden sie sagen?
Ich denke, es geht in allen Geschichten darum, dass Menschen Gott oder sein Wort hören und wenn sie  es dann befolgen, erleben sie bedeutende Veränderungen - es geht also darum, dass das Hören des Wortes Gottes unser Leben verändern kann. Das wäre das Thema des heutigen Sonntages.
Darum geht es auch in der kleinen Geschichte, die der Evangelist Johannes am Anfang seines Evangeliums erzählt. Sie ist der Predigttext und ich lese sie Ihnen einmal vor.
Am nächsten Tag sahen Johannes und zwei seiner Jünger Jesus unterwegs. Johannes sagte: „Er ist Gottes Lamm/ der Gottesknecht.“ Die zwei Jünger hörten seine Worte und folgten Jesus. Der wandte sich um, und als er bemerkte, dass sie ihm folgen, fragte er: „Was sucht ihr denn?“ Sie entgegneten. „Rabbi (Lehrer) wo wohnst du?“ Jesus antwortete: „Kommt mit, dann werdet ihr sehen.“ Sie gingen mit ihm und sahen, wo er wohnte, und blieben den ganzen Tag bei ihm bis 4 Uhr nachmittags.  Einer der beiden, die die Worte des Johannes gehört hatten und Jesus gefolgt waren, war Andreas, der Bruder des Simon Petrus. Als dieser dann als erstem seinem Bruder Simon begegnete, sagt er zu ihm: „Wir haben den Messias, den Christus entdeckt.“ Dann führte er ihn zu Jesus. Jesus blickte ihn an und sagte: „Du bist Simon, des Johannes Sohn, Du heißt jetzt Kephas, was soviel heißt wie Petrus. ( Johannes 1, 35 – 42)
Immer wieder, wenn ich Geschichten aus dem Johannesevangelium lese, geht es mir so, dass ich denke: nanu was soll den so eine komische Geschichte in einem Evangelium. Erst beim zweiten und dritten Lesen der Geschichte merkt man, wie tiefgründig und hintersinnig Johannes erzählt.
Johannes der Täufer  - der gestern noch Jesus getauft hatte - und zwei seiner Jünger spazieren am nächsten Tag am Jordan entlang. Da sehen sie Jesus. Johannes zeigt auf ihn und sagt: „Er ist das Lamm Gottes.“
Ja, und da geht es schon los mit der Hintersinnigkeit. Das hebräische Wort für Lamm ‚tjila’ kann nämlich auch mit dem Wort „Knecht“ übersetzt werden.  Ein kleines Wortspiel scheint es.  Aber mit diesem Wortspiel verbindet der Evangelist Johannes zwei theologische Linien seines jüdischen Glaubens miteinander und überträgt sie auf Jesus. Die eine Linie  ist die Idee von Passahlamm, das jeden frommen Juden an den Auszug aus Ägypten erinnerte, an die Befreiung der Juden aus der Knechtschaft des Pharao, an den langen Weg in die eigene politische Existenz. Wenn man das Wort als Gottes Knecht verstehen will, dann verweist es auf die beiden großen Propheten Israels Jesaja und Jeremia, die beide als leidende Gottesknechte beschrieben werden. Sie stehen mit ihrem Leben und ihrer Verkündigung für die Befreiung der Juden von der Macht der falschen Götter, die alle ins Verderben führen.
Also hier wird gleich am Anfang des Evangeliums erzählt: dieser Jesus steht für beide Traditionen, er nimmt sie auf, er verbindet sie miteinander und wird sie zur Vollendung bringen, die Tradition der Befreiung aus der Sklaverei, der poltisch-sozialen und aus der Macht der falschen Götzen.
Die beiden Jünger Johannes’ des Täufers verstehen diesen kleinen Fingerzeig sofort. Sie verlassen den Täufer und laufen Jesus hinterher.
  Doch Jesus hat sie schon bemerkt und er wendet sich um und fragt:
Was sucht ihr?
Auch an dieser Stelle muss man wieder aufpassen, um nicht darüber hinweg zu lesen. Warum?  - Dieses drei Worte  ‚Was sucht ihr?’  sind überhaupt die ersten Worte, die Jesus selbst im Johannesevangelium an die Menschen richtet. Was sucht ihr? – das werden wir also als allererstes von Jesus gefragt!
  
  Tja, gute Frage! Wer von uns wüsste da sofort eine Antwort?  Denn wir spüren ja intuitiv, dass damit mehr gemeint ist als unsere Suche  nach Oldtimerersatzteilen für einen alten Käfer. Was suchen wir denn in unserem Leben: Glück, Erfüllung, Freiheit und Abenteuer, Gesundheit, Frieden und Gerechtigkeit. Und am Ende Ruhe und Frieden? Da bleiben dann  noch mehr offene Fragen: wo wir herkommen und hingehen und wer wir eigentlich sind? Und wenn alles gesucht und einiges gefunden ist, suchen wir schon wieder:  Wo bleiben wir eigentlich?  Nicht nur über Nacht,  sondern wo für immer, wo nach dem Tod?
Ja, also was suchen Sie?   - Diese Frage nehmen sie heute aus diesem Gottesdienst mit! Die wird ihnen jetzt so schnell nicht mehr aus dem Sinn gehen!
Die Jünger des Täufers geben eine Antwort, die verblüfft. Da treffen sie das Lamm Gottes, den Gottesknecht und sie fragen eine scheinbar  so banale Frage wie: ‚Wo wohnst du eigentlich?’
  
  ‚Kommt mit, dann werdet ihr sehen!’ – und sie gehen mit ihm mit und sahen den Ort und blieben diesen Tag bei ihm bis zur 10. Stunde.
Wieder  sind diese unscheinbaren Verse voller Hinweise auf das Geschehen, welches mit Jesus sichtbar wird. Auch wenn nicht berichtet wird, über was die drei sich da den ganzen Tag unterhalten haben, war es für den frommen Juden, der seine Bibel kannte, kein großes Geheimnis.
Die Frage: wo ist bzw. wohnt Gott ist ja nur scheinbar banal. Wenn uns die ganze Hinterlistigkeit des Lebens erwischt in Krankheit, Leid und Tod, wenn unser eigenes Leben zur Hölle wird, dann kommt diese Frage ganz automatisch – auch bei uns.
Dem frommen Juden würde hier vielleicht folgende Stelle beim Propheten Jesaja einfallen (Jes. 57, 15)
Denn so hat der Hohe und Erhabene gesprochen, der da ewiglich thront und dessen Name 'der Heilige' ist: „In der Höhe und im Heiligtum wohne ich und bei denen, die zerschlagenen und gebeugten Geistes sind, um neu zu beleben den Geist der Gebeugten und zu erquicken das Herz der Zerschlagenen."
Da also „wohnt“ Gott, da ist ER, der Schöpfer aller Dinge, der Ewige - das ist es, was die beiden Jünger erfahren, - ER, der Hohe und Erhabene „wohnt“  bei denen, die zerschlagen und gebeugten Geistes sind. Und das ist seine Mission: sie neu zu beleben und ihr Herz zu erquicken.
Gott selbst kommt in Jesus zu den Menschen - und zwar zu denen, die in den Finsternissen des Lebens sitzen und die kein Licht am Ende ihres Lebenstunnels sehen können.
Das erinnert daran, wie der Evangelist Lukas das erste öffentliche Auftreten Jesu in der Synagoge geschildert hat (Lk 4,18-19), wo er Jesus sprechen lässt:
»Der Geist des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat, zu verkündigen das Evangelium den Armen; er hat mich gesandt,  zu predigen den Gefangenen, dass sie frei sein sollen, und den Blinden, dass sie sehen sollen, und den Zerschlagenen, dass sie frei und ledig sein sollen,  zu verkündigen das  Gnadenjahr des Herrn.«
Die beiden Jünger bleiben bis zur 10 Stunde heißt es in der Geschichte. Wenn man bedenkt, dass der Antike Tag um 6 Uhr morgens begann, dann bleiben sie bis 16 Uhr unserer Zeitrechnung. Aber natürlich geht es nicht um die Festsetzung der Stunde. Die 10. Stunde ist die Stunde der Erfüllung. So weiß es der fromme Jude.  Der Evangelist Markus sagt es so mit seinen Worten (Markus 1,15)
Jesus sprach: Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen.
Das ist es, was die beiden Jünger merken. Gott ist gegenwärtig jetzt, hier in unserem Leben, es gilt das zu kapieren, was der Beter des 73 Psalms sich selbst in Erinnerung ruft:
Und wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.
Denn ER, der Erhabene, wohnt und bleibt bei denen, die zerschlagenen und gebeugten Herzens sind, um sie, die das Leben mit all  seiner Sinnlosigkeit gebeugt hat mit neuem Lebensmut zu erfüllen und das Herz derer, die das Leben zerschlagen hat,  zu erquicken.
Diese Botschaft gilt auch uns – wem denn sonst!?
Es gibt noch ein kleines Detail, was es aufzuklären gilt in dieser Geschichte. Denn es ist doch schon auffällig, dass all diese Dinge nur angedeutet werden, dass man sie erschließen muss. Erzählt wird ja nur, dass sie so lange zusammen waren. Aber offenbar kommt es darauf noch mehr an, auf das Zusammensein und das Zusammenbleiben, auf die Gemeinschaft mit Jesus.
Der 1. Johannesbrief wird es so ausdrücken (4,16):
Wer nun bekennt, dass Jesus Gottes Sohn ist, in dem bleibt Gott und er in Gott. …   Gott ist die Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm.
Darauf kommt es im Leben an, das ist die Antwort auf die Frage: was sucht ihr? -  zu erkennen, dass Gott uns liebt – gerade wenn wir in den Finsternissen des Lebens zu versinken drohen, - dass  er immer  in uns bleibt und wir ihn ihm. 
Das ist die einzige symbiotische Beziehung,  die heilend wirkt.
Jede Geschichte hat ein Ende, unsere auch. Der eine der Jünger, die am morgen noch in der Finsternis saßen und die nun das Licht gesehen habe, Andreas wird er genannt, erzählt die ganze Geschichte seinem Bruder Simon.  Aber nicht das er alles liegen und stehen lässt, nein, die Geschichte legt es nahe, dass er sich eine Weile Zeit gelassen hat, ja  seine Bruder muss ihn quasi bei der Hand nehmen und zu Jesus führen, damit sie sich begegnen.  So wie auch wir manchmal durch die liebevollen Hände anderer auf die Wahrheit in unserem Leben, auf unsere Errettung aus unserer Trübsal und unserem Leiden herausgeführt werden müssen.   Als sie sich sehen, sagt Jesus:
„Du bist Simon, des Johannes Sohn, Du heißt jetzt Kephas…“
Solche Vergabe von neuen Namen kommt oft vor – auch bei den ersten Christen, sie bekamen zu ihrem ersten bürgerlichen Namen noch einen Taufnamen dazu. Sie machen das um ihre wahre Identität und Bestimmung im Leben  öffentlich deutlich zu machen: Ich bekenne mich zu Jesus Christus. Denn Gott liebt mich, er ist in mir und ich in ihm.
Noch heute geben sich die Päpste zu allererst einen neuen Namen, aus Joseph Ratzinger wird Benedikt, der 16.  Auch Revolutionäre geben  sich einen neuen Namen, aber sie machen, um ihre wahre Identität zu verschleiern, so wird aus Josef Dshugashwili  Stalin, aus Wladimir Illjish Uljanow wird Lenin. Auch uns werden ja oft im Laufe unseres Lebens neue Namen angeheftet. Wir kennen das also.
In unserer Geschichte wird aus Simon der Kephas bzw. der Petrus, wie dieser Name lateinisch heißt. Wieder ist ein Hintersinn am Werk. Simon heißt nämlich im hebräischen ‚der Hörende’ – also wird aus einem Hörenden ein Stein, ein Fels… Auch Jesus wurde als der Stein bezeichnet, den die Bauleute verworfen haben.  Petrus wird nach Jesu Tod der wichtigste Mann der jungen Kirche.  Er war dabei keinesfalls ein Vorbild weder im heutigen noch im damaligen Sinn, er war feige, kleingläubig, aufbrausend, kurz er hatte eher viele negative Eigenschaften – aber eines wusste dieser Mann im Leben ganz genau: das dieser Jesus der Christus ist. Davon hat er sich nicht abbringen lassen. Denn Gott liebt mich, er ist in mir und ich in ihm.
Sie erinnern sich noch an das erste Wortspiel in unsere Geschichte? ‚tjila’ ist Lamm und Knecht Gottes zugleich.  Am Ende des Johannesevangeliums wird diese Metapher wieder aufgenommen, als der Auferstandene zu Petrus spricht (21, 15ff)
Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieber, als mich diese haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass  ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer!
Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er [a ] zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich liebhabe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe!
So wird aus dem passiven Zuhörer der Aktive Botschafter der Guten Botschaft an die Menschen, die da lautet:
Denn so hat der Hohe und Erhabene gesprochen, der da ewiglich thront und dessen Name 'der Heilige' ist: „In der Höhe und im Heiligtum wohne ich und bei denen, die zerschlagenen und gebeugten Geistes sind, um neu zu beleben den Geist der Gebeugten und zu erquicken das Herz der Zerschlagenen."
So sie es auch mit uns heute, dass wir diesen Gottesdienst nicht nur als  Hörende verlassen, sondern aktive Boten der wirklich befreienden und lebensverändernden Botschaft Jesu Christi werden. Gott liebt mich, er ist in mir und ich in ihm.
Gottes Heiliger Geist befestige diese Worte in euren Herzen, damit ihr das nicht nur gehört, sondern auch im Alltag erfahrt, auf dass euer Glaube zunehme und ihr endlich selig werdet, durch Jesum Christum unseren Herrn. Amen