Predigt zu Johannes 14 von Tobias Götting
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Predigt zu Johannes 14 von Tobias Götting

Pfingsten hat es schwer. Der Heilige Geist hat unter uns wahrlich ein Vermittlungsproblem. Oder wir mit ihm. Alles pfingstlich Begeisternde findet kaum Gehör bei meinen skeptischen Nachbarinnen und Nachbarn. Und die letzte Welle der theologischen Literatur zum Thema „Heiliger Geist" liegt nun auch schon wieder leicht angestaubt auf meinem Bücherregal, ohne dass entscheidende Inhalte daraus in mein Innerstes eingeträufelt wären oder ich einen tiefen Schluck davon gekostet und an andere hätte weitergeben können.

Wie sag' ich's also Ihnen oder meinem Kinde? Mit christlicher Mathematik: Dass bei uns Christen nämlich 1+1+1=1 ist. Weil Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist aus demselben Holz geschnitzt sind. Weil wir einen Gott kennen, der sich auf drei verschiedene Arten und Weisen zeigt, vielleicht sogar spürbar wird?

Manchmal versuche ich es mit Bildern. Gott ist wie der Wind, mein Kind. Das nennt man dann Heiligen Geist. Er ist nicht zu sehen, aber er flirrt um uns herum. Er ist wie die Luft, die wir zum Atmen brauchen und die uns umgibt. Geist - so verstanden ein anderes Wort für „Atem" oder „Wind". Vielleicht wie in der „Elia-Erzählung" aus dem 1. Könige-Buch, eher ein stilles, sanftes Säuseln, in dem Gott anwesend ist. Sanft, aber immer in Bewegung, belebend und erhaltend. Niemand kann ihn herbeizwingen, er weht, wo er will, und, ja auch das, er fehlt, wo er will.

Wie sag' ich's sonst noch der Gemeinde? Den leicht zynischen Versuch eines lieben Freundes von mir, der vor ein paar Jahren seine Pfingstpredigt mit dem Satz begann: „Sie fragen, was Pfingsten ist? Nun, das ist ganz einfach: Pfingsten ist das Fest der leeren Garagen!" finde ich zwar pointiert formuliert, aber auch er führt nicht direkt in pfingstlichen Freudentaumel...

Vielleicht ist der Heilige Geist so etwas wie ein Souffleur, der unsichtbar für die Zuschauenden irgendwo in der Theaterbühne versenkt ist. So wie dieser Textflüsterer einen Schauspieler über einen „Hänger" hinüberrettet, so haucht uns der Heilige Geist den für uns und andere richtigen Text ein. Wenn wir dabei sind, uns in Vorwürfen oder Missverständnissen zu verzetteln, pustet er unsere Ohren durch und überrascht uns mit immer neuen Einladungen und Versuchen, aufeinander zu hören.

Vielleicht ist er es auch, der uns begeistert und mit allen möglichen Gaben inspiriert, was ja auch nur ein anderes Wort für „begeistert" ist. Vielleicht fällt wirklich alle Inspiration vom Himmel, ist unverfügbares Gottesgeschenk, Werk oder Frucht des Heiligen Geistes.

Vielleicht ist er die Kraft, die in unser Leben hineinwirkt. Die uns daran erinnert, dass es mehr gibt als die Gleichförmigkeit vieler unserer Tage. Der Heilige Geist als Erinnerungs-Hilfe, als Gedächtnis-Stütze, dass uns viele Möglichkeiten offen stehen, den Tagen mehr Leben zu geben. Der Heilige Geist als Weck-Dienst unseres Bedürfnisses nach dem Höchsten - im Gegensatz zu mancher Trivialität des Alltags.

 Als Mutmacher, dieses schöne schwere Leben zu wagen, trotz allem. Der Heilige Geist als Aktions-Künstler, der die lähmenden Trägheiten überwinden hilft, anspornt zum Verlassen der ausgetretenen Pfade. Oder auch die Kraft, die manche Ruhelosigkeit in Erfülltheit und unsere Traurigkeiten in Freude umschmelzen will und kann.

Und sicher ist er es auch, der Heilige Geist, der uns zum Gebet verlockt. Wenn uns die Worte fehlen, ist er es, der in uns und durch uns spricht. Denn wir wissen nicht, wie wir beten könnten, der Geist aber verhilft uns zu unserer Stimme. Er fragt, klagt, stöhnt in uns mit unaussprechlichem Seufzen. Und lässt uns - manchmal - so viel mehr sagen, als was wir selber herstellen, garantieren und verantworten könnten. Und lässt uns „loben, ohne zu lügen" (Dorothee Sölle). Wir können das, wir haben guten Grund dafür, denn wir sind nicht von allen guten Geistern verlassen.

Vielleicht ist der Heilige Geist auch der, als der der Abschnitt aus dem Johannes Evangelium ihn uns vor allem ans Herz legt: der Tröster, der uns an alles erinnert, was Jesus getan und gesagt hat. Vielleicht ist das das Größte, was der Geist in uns bewirkt. Trost, auf pfingstliche Art: dass wir uns Gottes erinnern. Endlich.

Jesus spricht in den Versen unseres Predigttextes so etwas wie sein mündliches Testament an seine Freunde. Er verknüpft die Botschaft von der Tröstekraft, die kommen wird, wenn sein irdischer Lebensweg vollendet sein wird, mit einem weiteren, besonderen Geschenk:

 „Den Frieden lasse ich euch. Meinen Friede gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht."

Gott sei Dank. Kein billiger Trost, Kein vorschnelles Vertrösten. Kein Zukleben von Ängsten und Sorgen und Nöten mit einem kleinen pfingstlichen

Trostpflästerchen.

Jesus erkennt an, was der Fall ist. Wir haben Angst. Ja, es gibt Grund, zu erschrecken. Man kann zusammenzucken bei Nachrichten, die aus der großen weiten Welt via Bildschirm in die Wohnzimmer gespült werden. Man kann zittern, wenn die Angst um einen geliebten Menschen oder eine Liebe zum bestimmenden Inhalt nicht enden wollender Tage und quälender Nächte wird. Nichts schlimmer, als einfach darüber „hinwegzupfingstlern", hinwegzuhuschen.

Angst benennen, aussprechen lassen, aushalten. Das wäre der Anfang eines neuen pfingstlichen Weges. In der Erinnerung an Jesus, der auch nicht gewichen ist, der ausgehalten hat. Und dessen Vertrauen auf den Gott, der inneren und äußeren Frieden stiften will, dennoch nicht klein und schon gar nicht totzukriegen war.

Sich Gottes und seines Wirkens zu erinnern - da steckt Trostkraft drin, die ein Stück „Pfingsten in meinem Leben" wäre.

Wir haben es erlebt, in ganz verschiedenen Momenten und Orten und Situationen. Sich an Jesu Wirken zu erinnern, an seine Worte - das ist wie ein Beherbergtwerden in einem schützenden Zelt, das ist wie ein Unterschlüpfen unter ein sicheres Dach. So will ich immer wieder einziehen in seine Wortwohnungen. Zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen … Selbst wenn ich nur auf Probe darin wohne, in seinen Sätzen, will ich doch für wahr halten, was er sagt. Wenn er die, denen viel zugemutet wird, glücklich preist. Wenn er diejenigen, die sich für Frieden einsetzen, ganz in die Nähe zu Gott hin denkt und seine Kinder nennt.

Diejenige Kraft, die uns an all diese Worte Jesu erinnert - die nennt er selber den Tröster, den Heiligen Geist.

Den Trost, der aus dem Wehen des Heiligen Geistes sich speist - nie habe ich ihn so eindrücklich erlebt wie bei einem Geburtstagsbesuch im Altenheim. Die alte Dame, seit einigen Jahren demenzkrank, sitzt im großen Ohrensessel. Mühsam war es für die Pflegenden und sie, dass sie überhaupt noch einmal aufgesetzt wurde. Um sie herum haben sich die engsten Verwandten versammelt. Alle ahnen, dass es wohl der letzte Geburtstag ist, der hier gefeiert wird. In den letzten Wochen hat die alte Dame mehr und mehr das Sprechen eingestellt, oft sind die Augen geschlossen. Alle geben sich Mühe, mit ihr in Kontakt zu kommen, aber sie antwortet nicht, und nur selten schaut sie aus den müden Augen in die traurig-fröhliche Runde. Ich versuche es mit einem Gespräch über ihren Lebensweg, zusammen mit den anderen zeichne ich Stationen nach. Wir sprechen aus, was uns mit ihr verbunden hat, heute verbindet und auch in Zukunft verbinden wird. Noch einmal würdigen, was war. Noch einmal sich - in diesem Augenblick vielleicht sogar stellvertretend - erinnern. Vielleicht in ihr doch manche Bilder und Situationen einmal noch emporangeln aus dem Meer des ins Vergessen gesunkenen Lebens. Irgendwann muss ich weiter. Zum Abschied gehe ich noch einmal ganz nah an das Ohr der alten Dame, halte ihr einen mitgebrachten kleinen Bronze-Engel vor die Augen und sage: „Erika, Gott hat dich so lieb, dass er dir einen Engel schickt. Der passt auf dich auf. Auf allen deinen Wegen." Sofort öffnet sie die Augen. Sie sieht den Engel, dann mich an - und sie spricht an diesem Nachmittag die ersten und die letzten Worte, nein, mehr noch, einen ganzen Satz: „Dass er so an mich denkt …"

Sich Gottes zu erinnern, dass sie sich in diesem Augenblick so staunend erinnert, an eine vielleicht längst ins Vergessen gerutschte Gewissheit - ich kann nicht anders, als diesen einen heiligen Moment auf den Tröster, den Heiligen Geist zurückzuführen. Selten habe ich ihn unmittelbarer wirken sehen. Es war schön, dass dieses kleine Pfingstfest sich ereignen konnte. Zwei Tage später ist die alte Dame verstorben.

Dass wir uns Gottes erinnern, dass wir nicht in der Gottvergessenheit bleiben - daran arbeitet die Heilige Geist-Kraft, der Tröste-Geist. Und ich glaube, er hilft uns auch, die Sprachlosigkeit zu überwinden. Er will uns zu Virtuosen des Erzählens unserer Erfahrungen mit ihm werden lassen. Damit könnten wir zu Pfingsten neu anfangen: uns ge-genseitig an Gott zu erinnern. An seine Spuren, die in unseren Lebensläufen sichtbar geworden sind. Wir könnten lernen, in den Biografien anderer zu lesen, wie Gott dort gewirkt hat. Wie in ihrem Leben sein Geist am Werk war.

Tröstend. Heilend. Befreiend. Belebend. Inspirierend!

Amen.

Gebet des Tages:

 Komm, Gott, Heiliger Geist, hauch uns an, weh' durch uns durch, nimm uns mit, mach uns neu, gib uns Mut, steck uns an - dass wir Gott nicht vergessen und uns und die Menschen neben uns auch nicht. Das bitten wir dich, der du lebst und wirkst in der Einheit mit dem Vater und dem Sohn.

Bausteine für ein Fürbittengebet:

 Gott, heiliger Geist, du bist wie der Wind, der uns von Gott erzählt. Hilf uns, dein Wehen zu hören und zu verstehen. Lass uns deine Stimme nicht überhören und lass uns das weitersagen: Du wirkst hinein in unser Leben. Gott, heiliger Geist, du bist wie eine alte Lehrerin, die uns an Gott erinnern will. Hilf uns, dass wir das nie vergessen. Lass uns deine Stimme sein, wo Gottvergessenheit sich breit macht, und lass uns das weitersagen: Du lebst mitten in unserem Leben.