Predigt zu Johannes 16,23b-28.33 von Detlef Klahr
16,23-33

Predigt zu Johannes 16,23b-28.33 von Detlef Klahr

(Predigt im Eröffnungsgottesdienst der IV. Tagung der 25. Landessynode am 6. Mai 2015 in der Kirche der Henriettenstiftung)

Liebe Synodengemeinde!

„Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt“, so sagt die jüdische Schriftstellerin Nelly Sachs.
Nur ein Gebet weit von uns entfernt. Wenn wir beten, ist Gott da. Gegenwärtig, mitten unter uns.
Um das Beten geht es auch in dem Predigttext für den Sonntag Rogate. Kunststück, denn Rogate ist ja gerade die Aufforderung „Betet!“ oder „Bittet!“
Aber wie immer, wenn es um Imperative geht, schotten wir ab.
Ach du meine Güte, nun werde ich zum Beten aufgefordert. „Nun betet man schön!“ Das erinnert doch sehr an das Kind, dass die leckeren Nudeln schon mampft, während die Mutter noch sagt: „Erst beten!“
Es gibt für mich keinen Ort, an dem ich das Tischgebet noch so praktiziert erlebe, wie im Landeskirchenamt. Viele Kolleginnen und Kollegen falten die Hände, halten kurz inne.
Na gut, bei den Mahlzeiten der Synode natürlich auch.
Und wieder: Kunststück. Da erwartet man es ja auch vielleicht. Oder, wenn nicht hier, wo denn dann.
Natürlich ist es schön, bei Tisch zu beten. Ein Dank an Gott, ein Innehalten: „Danke, dass Du uns das täglich Brot schenkst.“
Wir wissen, dass das Tischgebet alles andere als selbstverständlich ist. Auch unter Christen. Wir starten hier ja keine Umfrage, aber interessant wäre es sicher!

Ich muss immer an die kleine Geschichte denken: Besuch ist im Hause und das Essen wird aufgetragen. Und dann sagt der fromme Gastgeber zu allen am Tisch: „So, bevor wir essen, lasst uns noch beten!“ Daraufhin fragt einer der Gäste ganz erschreckt: „Wieso, ist was mit dem Essen nicht in Ordnung?“
Das kommt mir vor wie, ja, wir beten auch vor dem Essen, aber nur wenn es Pilze gibt.

Rogate – Betet!
Es geht nicht um Anstand und Sitte, nicht um ein Tischgebet alla „piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb“ – auch wenn das immer mal wieder gesagt werden muss – , sondern es geht um die Beziehung zu Gott.
Um bleibende Beziehung, um das Gebet als Atem der Seele, die ohne das Gespräch mit Gott verdorren würde, weil der Mensch, weil wir, eben nicht vom Brot alleine leben.

Jesus weiß das, wenn er in den so genannten Abschiedreden des Johannesevangeliums das Beten hervorhebt,  als die Möglichkeit mit Gott in Beziehung zu bleiben.
Um weniger  geht es bei dem Gebet nicht.

Angst habt ihr – Jesus bescheinigt das den Seinen. In der Welt habt ihr Angst. Wohl wahr und zu Recht, weil es oft genug zum Fürchten ist.
Weil Angst immer auch Resultat unserer eigenen Bilder ist, die wir von der Gegenwart und von der Zukunft entwerfen. Mit dieser Angst umzugehen, fällt anders aus für uns, wenn wir hören, dass Jesus sagt: „Ich habe die Welt überwunden.“

Es ist etwas anderes, über Angst im Gebet in der Not so zu reden, wenn man in Freiheit lebt.
Wie anders hören das unsere Schwestern und Brüder in Syrien und all den anderen Ländern, wo sie um ihres Glaubens willen verfolgt werden und in körperlicher Not und Gefahr schweben. Ja, wir haben Angst, ja, und Not lehrt beten. Wie denn auch nicht? Was denn sonst?
Man muss doch nur eine einzige Situation des eigenen Lebens erinnern, wo man aus wirklicher Not heraus, aus Verzweiflung und manchmal aus panischer Angst zu Gott gebetet hat.
Dadurch werden Betende nicht zu Helden, aber sie werden zu Menschen, die sich auf Gott einlassen und sich damit an dessen Seite stellen, der die Welt überwunden hat.

Es gehört zu den wunderbaren Erfahrungen meines Dienstes als Pastor, zu erleben, dass das Gebet diese Kraft hat, Menschen in existenzieller Angst zu trösten, mit Hoffnung zu erfüllen.
Und dass es dann nicht die „ach so schönen Formulierungen des Herrn Pastors“ sind, der ja professionell beten kann, sondern die wunderbar bewährten Bete-Worte der Bibel, die einen Menschen trösten, wenn die schwachen Lippen am Ende des Lebens noch versuchen etwa den Psalm 23 mitzusprechen: „Mein Hirte – grüne Aue – nichts mangeln – bleiben immerdar.“

Wenn die Seele und der zerbrechliche Mensch sich einhüllt, in dieses alte Gebet eines Menschen, der Gott vertraut hat, sich einhüllt wie in einen wärmenden und schützenden Mantel: Du erquickst meine Seele. Genau darum geht es im Gebet, um den Atem der Seele.

Jesus bereitet seine Jüngerinnen und Jünger darauf vor, dass die Zeit kommt, da sie ohne ihn leben müssen. Ohne seine Nähe und seine Worte, die er direkt zu ihnen spricht.
Wenn nichts mehr bleibt, wie es war, wenn ich nicht mehr bei euch sein werde, dann könnt ihr immer noch und immer wieder in meinem Namen zu Gott beten, er wird euch geben, was ihr braucht.
Jesus ist hier einmal mehr der Seelsorger für die Seinen: Wenn nichts mehr so ist, wie es war, dann könnt ihr in meinem Namen beten.
Wenn ihr Angst habt in der Welt, sagt Jesus, dann kann euch das Gebet helfen.

Es kann euch stärken und trösten. In der Krankheit, der Trauer, der Angst, des Krieges, der Armut, der Hilflosigkeit, der Einsamkeit.
Wie gut ist es, wenn man dann beten und sein armes zerbrechliches Leben Gott anbefehlen kann.
Aber nicht nur die Not lehrt beten. Jesus ermutigt die Seinen, auch um das zu bitten, was sie brauchen.

Die Psychotherapeutin Hanna Wolf  schrieb am Ende Ihres Lebens in dem Büchlein „Der eigene Weg“ von einer Begebenheit des Bittens aus ihrem Leben:
In großer Hungersnot im Krieg, fragt sie ihre Mutter einmal bei einem Spaziergang: „Kann der liebe Gott Brot backen?“
„Ja“, sagt die Mutter etwas betreten. „Er kann, aber er hat jetzt im Krieg Wichtigeres zu tun, als Brot zu backen.“
Aber die Kleine hört nicht auf zu drängeln, weil sie Hunger hat, was kann wichtiger sein als Brot? Sie sagt: „Ich glaube der liebe Gott wird uns Brot backen“. Und schließlich: „Mutter, schnell, wir müssen sofort nach Hause, der liebe Gott hat uns bestimmt Brot gebacken.“
Sie stürzt die Treppe zu der kleinen Wohnung hoch und findet oben vor der Tür ein Brot.
„Mutter, Mutter, der liebe Gott hat Brot gebacken.“
Zeitlebens blieb ihr klar: Wenn ich ihn bitte, dann hilft Gott. Gott hört mein Gebet.

Natürlich auch dann, wenn man weiß, dass das Brot von einem Nachbarn war, der zwei Lebensmittelmarken bekommen hatte und ein Brot für die Frau mit Kind abgegeben hatte.
Auch dann, wenn wir wissen, dass wir wohl alle, Gott schon ganz konkret eine oder mehrere Bitten vorgelegt haben, die so nicht erfüllt wurden – wohl wahr.
Bittet Gott um alles, was ihr braucht.
Bittet Gott in meinem Namen. In Jesu Namen beten, dass heißt auch, dass die Gebete, die wir beten, die Bitten, die wir ihm vorlegen, im Geist Jesu sein sollen. In seinem Namen beten heißt, aus dem Evangelium heraus beten. Also beten auf Grund dessen, was Gott in Jesus Christus für uns getan hat.
In Jesu Namen beten verbietet es Einzelnen oder Gruppen, um ihre nationalen, kulturellen, ökonomischen oder gar konfessionellen Vorteile zu beten. Beten im Namen Jesu ist immer offen für die weltweite Ökumene, ihre Hoffnungen und Ängste!
Beten in seinem Namen ist frei von Egoismus in welcher Form auch immer und lebt auch immer aus dem Vertrauen, dass Gott die Seinen liebt und aus Angst und Enge erlöst.

Im Gottesdienst erleben wir immer wieder, dass wir in seinem Namen beten. Heute werden wir das auch tun.
Manchmal wird dann etwas umständlich eingeleitet: „Wir beten nun so, wie Jesus Christus es uns gelehrt hat“, oder: „Jesus hat uns erlaubt, zu Gott wie zu einem Vater zu sprechen.“
Beten wir doch einfach in Jesu Namen: „Vater unser, der du bist im Himmel ...“
„Vater unser“ und die Distanz zwischen Gott und Mensch ist aufgehoben. Nur ein Gebet weit von uns entfernt …
Und sein Gebet zeigt uns, das Beten uns mit Gott und untereinander verbindet.
Ihr habt Angst in der Welt, Ihr könnt in meinem Namen beten, Ihr könnt euch an Gott wenden, ihr könnt gemeinsam gegen eure Angst anbeten und mit diesem Gebet die Erfahrung teilen, dass Gott euch gibt, worum ihr ihn bittet.
Was für eine Macht des Gebetes in aller Ohnmacht!

Wir tun das, liebe Schwestern und Brüder, in jedem Gottesdienst. Miteinander beten.
Zu mir sagte mal jemand, „diese ganzen Gebete, nützen die denn überhaupt?“
„Gott braucht unsere Gebete nicht“, hat Martin Luther einmal gesagt. Wir aber brauchen diese Gebete als den Atem unserer Seele. Und Gott braucht nur eins, dass wir uns ihm zuwenden.
Ich sagte dem Mann: „Vor allem brauchen wir selbst diese Gebete! Wir brauchen es, uns an Gottes Seite zu stellen im Gebet. Seine Nähe im Gebet zu spüren, von ihm im Gebet die Gewissheit zu erhalten, dass er bei uns ist, dass er um die Angst meiner Seele weiß und auch weiß, was ich brauche.“
Und ich sagte: „Ich kann Ihnen leider nicht beweisen, was die Gebete bewirken bzw. dass sie etwas bewirken. Aber sie könne mir auch nicht beweisen, dass sie nichts bewirken.
Niemand von uns kann sagen, wie es in dieser Welt, in unsere Kirche, in meinem Leben  aussehen würde, ohne das Gebet.

Auch kann niemand sagen, wieviele Menschen in Treue und aller Stille für uns als Kirchenleitende beten, kaum ein Kind weiß, wie oft Vater und Mutter zu Gott für die Kinder beten. Nur Gott selbst weiß um die Beter, um unsere Gebete, die stammelnden, die seltenen  die bittenden und zagenden, die schweigenden Gebete unserer Seele. Gott sie Dank – er weiß es.
Mich berührt es immer sehr, wenn jemand zu mir sagt: Bitte, beten sie für mich. Dieser Bitte möchte ich mich nicht entziehen und gut ist es, wenn man sie auch an andere richten kann.

Gebete wirken! Das wussten offenbar auch zwei die sich heftig gestritten hatten:
„Ich bete für sie, dass sie das endlich einsehen!“
Und der andere sagt: „Ich verbitte mir das. Lassen Sie das! Ich bin nämlich davon überzeugt, dass das wirkt!“

Beten wirkt, darum mag ich die Unterbrechungen hier bei der Synode, die uns durch das Gebet am Mittag geschenkt wird.
Egal, was ist, wie in der klösterlichen Tradition, nichts ist dem Gebet vorzuziehen.
Diese Unterbrechung tut gut als Atemholen für die Seele.
Ich gestehe Ihnen gerne, dass ich das längst übernommen habe. Wer bei mir zu einer Sitzung kommt, kann damit rechnen, dass beim Läuten der Mittag- oder Abendglocke ich die Sitzung für einen Moment Stille und ein Gebet unterbreche. Beschwert hat sich deswegen noch keiner. Und mir hat es jedes Mal gut getan.


Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt!
Wenn Jesus auch die Seinen in seiner Sichtbarkeit verlässt. Er sagt ihnen zugleich, im Gebet sind und bleiben wir Gott nah.
Mag die Distanz zwischen Gott und Menschen auch manchmal im Leben als unüberwindbar empfunden werden, als Gottesferne, oder im schlimmsten Fall als Gottes Abwesenheit.
Das Gebet bleibt dann manchmal ein Sehnen, ein schwaches Klopfen und Suchen nach Gottes Nähe  –  und das ist sehr, sehr viel:

Mir gefällt, wie Rainer Maria Rilke das in seinem Stundenbuch formuliert:
 „Du, Nachbar Gott, wenn ich dich manches Mal
in langer Nacht mit hartem Klopfen störe, –
so ist´s, weil ich dich selten atmen höre
und weiß: Du bist allein im Saal.
Und wenn du etwas brauchst, ist keiner da,
um deinem Tasten einen Trank zu reichen:
ich horche immer. Gib ein kleines Zeichen.
Ich bin ganz nah.
Nur eine schmale Wand ist zwischen uns,
durch Zufall; denn es könnte sein:
ein Rufen deines oder meines Munds -
und sie bricht ein
ganz ohne Lärm und Laut.“

Ich wollte nicht den Imperativ an Euch richten, liebe Schwestern und Brüder! Nicht sagen: „Betet!“, oder gar: „Betet mehr.“ Denn ihr könnt gar nicht anders. Das Gebet ist der Atem der Seele. So wie ihr Luft atmet zum Leben, so braucht ja Eure Seele das Gebet, um nicht zu verdorren. Wir können gar nicht anders, als immer wieder neu uns Gott zuzuwenden und dabei erfahren: „Gott ist nur ein Gebet weit von uns entfernt!“

Amen