Predigt zu Johannes 20,19-20.24-29(30-31) von Claudia Bruweleit
12,19-31

Predigt zu Johannes 20,19-20.24-29(30-31) von Claudia Bruweleit

19 Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!

20 Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.

24 Thomas aber, der Zwilling genannt wird, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.

25 Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben.

26 Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen versammelt und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch!

27 Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

28 Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott!

29 Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!

(30 Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch.

31 Diese aber sind geschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.)

Liebe Gemeinde!

1. Thomas der Zweifler gehört zu den Jüngerinnen und Jüngern

Thomas ist einer, für den nicht alles klar ist. Thomas hat seine Zweifel. Er kann anfangs nicht glauben, was die anderen Jünger ihm erzählen. Dass Jesus zu ihnen gekommen ist, zum Beispiel. Dass er durch die verschlossenen Türen kam. Thomas ist nicht begeistert wie sie. Er behält seine Zweifel – und fühlt sich außen vor. Er braucht länger als die anderen, um seinen Schrecken vor dem Kreuzestod Jesu zu überwinden. Doch er gehört zu ihnen. Er ist mit ihnen in einem Raum. Jesus wendet sich direkt ihm zu. Jesus nimmt ihn mit seinem Zweifel und mit seiner Abwehr ernst. Und Thomas beginnt zu verstehen, dass der Auferstandene zugleich Jesus ist, der Gekreuzigte. „Mein Herr und mein Gott“ sagt er schließlich ergriffen und kann seinen Zweifel endlich über Bord werfen. So beginnt für ihn das neue Leben im Glauben.

2. Thomas steht für eine wichtige Gruppe innerhalb der Jüngerschaft und außerhalb der Kirche

Thomas steht für eine wichtige Gruppe innerhalb der Jüngerschaft und außerhalb der Kirche. Denn so wie ihm geht es vielen. Darum hat er wohl auch seinen Platz in den Ostergeschichten der Bibel erhalten. Jüngerschaft wird in diesem Kapitel aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt[1] Thomas steht für einen besonderen Typ Jünger. Für den, der sich nicht schnell einer Meinung anschließt, für den, der sorgfältig abwägt, was es für ihn bedeutet.

Heute würden wir vielleicht sagen: er steht der Kirche nahe, ist aber religiös wenig gebundenen. Dennoch fragt er nach. Er fragt, wie das sein kann: Christus, der Gekreuzigte, lebt. Er, der als Mensch ihnen nahe war, hat den Tod überwunden und lebt. Thomas kann diese neue Wahrheit nicht fassen. Sie passt nicht in die Vorstellungen, die er vom Leben hat. Gleichwohl sehnt er sich danach, eine Antwort zu finden. Die Frage nach dem Tod Jesus berührt auch seine Lebensfrage. Auch er  ist verletzlich, auch er weiß, dass er sterben wird. Die Wunden Jesu kann er sich vorstellen – schmerzhaft wie seine eigenen Verletzungen. Doch Christus, der wie ein Gott verschlossene Türen durchschreitet und von Frieden spricht – das kann nicht derselbe sein, dessen Hände am Kreuz von den Nägeln durchbohrt worden sind und dem ein Soldat mit dem Speer die Seite aufgeschnitten hat, um ihn ganz sicher zu töten.

Ich denke: Thomas wird mit sich gerungen haben. Zu gern hätte er sich den anderen Jüngern angeschlossen. Zu gern hätte er wie sie Jesus vertraut und sich in ihrer Gemeinschaft geborgen gefühlt. Aber die Zweifel sind stärker als seine Sehnsucht.

3) Berechtigte Zweifel ist Schutz vor falschen Versprechen

Zweifel schützen einen Menschen davor, allzu leichtgläubig sich falschen Versprechungen hinzugeben. Ihren Zweifel an den Werten, die uns über die Filme und Bilder der digitalen Welt vorgespielt werden, meldete eine Journalistin so an: Unter dem Titel „Narben der Wahrheit“ schrieb Susan Vahabzadeh am 2.4.15 [2] über die igitale Nachbearbeitung von Filmen. Sie stellen die Akteure übernatürlich makellos dar. Brad Pitt erscheint im Film Troja als durchtrainierter junger Held Achilles. – Der Sixpack-Effekt wurde durch die Nachbearbeitung der Szenen am Computer derart gesteigert, dass der Schauspieler  unverwundbar erscheint. Immer öfter spiegeln damit die Filmemacher den Zuschauern auf diese Weise falsche Tatsachen vor und lassen die Schauspieler unerreichbar und fast übermenschlich erscheinen. Die Autorin stellt dagegen Aktfotos, die der Fotograf Bert Stern 1962 von Marilyn Monroe aufgenommen hat in einem Hotel in Beverly Hills. Auf Monroes Bauch ist eine Narbe zu erkennen, die sie von einer Gallenoperation davongetragen hat. Sie habe sich dafür zunächst geschämt, berichtete der Fotograf. Er hat sie nicht wegretouchiert, die Narbe. Sie gehört zu dieser Frau, die von vielen vergöttert wurde, und diese Bilder gehören zu den schönsten Fotos der Monroe. Zart und verletzlich wirkt sie darauf und fast überirdisch schön – jedoch ohne Zweifel anziehend.

4) Der Zweifel führt Thomas zu einer tieferen  Begegnung mit Christus

Thomas hört die Botschaft der Jünger: „Wir haben den Herrn gesehen.“ Doch er lässt sich nicht mitreißen. Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und meinen Finger in die Nägelmale lege und meine Hand in seine Seite lege, kann ich's nicht glauben, sagt er.

Er hat Jesus nicht gehört, nicht gesehen, nicht gespürt. Die Botschaft ist nicht vertrauenswürdig für ihn. Er zweifelt an dem, was er nur hört. Er sucht ein handfestes Zeichen für das Neue, das Unbegreifliche, für die Auferstehung. Er sehnt sich nach Sicherheit, nach einem Beweis. Es fällt mir schwer, mir vorzustellen, dass Thomas tatsächlich mit seinem Finger die Wunden des Auferstandenen berührt habe. Die Bibel lässt offen, ob er so weit gehen musste, um zu begreifen. Jesus spricht ihn an, und es erscheint als das Natürlichste von der Welt, dass Thomas ihn berühren darf, dass er seine Wunden begreifen kann. Es ist ein sehr dichter Augenblick. Thomas braucht sich nicht zu schämen, dass er nicht tiefer geglaubt hat. Er darf so sein, wie er ist.

Dieser Moment stellt Vertrauen her. Thomas erkennt in dem Auferstandenen den Lehrer, den Vertrauten, den, der Mensch ist wie er, verletzlich wie er, sterblich wie er, ja, der gestorben ist, so, wie er sterben wird – und dennoch ist Jesus lebendig. Und dennoch  ist er voller Lebenskraft, die auf ihn, Thomas, übergeht. Er fasst Vertrauen. Er begreift, hier geht es um ihn und um sein Leben. Auch sein Leben steht unter der Hoffnung des Ostermorgens. Sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Sagt Jesus zu ihm. Es beginnt in diesem Moment eine andere Stufe seines Glaubens, seines Vertrauens. Er antwortet: „Mein Herr und mein Gott!“ Das ist ein Bekenntnis zu Christus, das die ersten christlichen Gemeinden prägen wird. Ausgesprochen von einem, der eben noch fremd war in ihrer Mitte, nun aber im Herzen des Geschehens angekommen sit. Ohne seinen Zweifel wäre er nicht so weit gekommen. Ohne seinen Zweifel hätte er nicht diese wichtige Botschaft des Ostermorgens erfahren: Jesus Christus, der Auferstandene, ist der Gekreuzigte. In dem Menschen, der uns ganz nah ist, begegnet uns Gottes Liebe. Und sie hat Kraft, uns und unser Leben zu verändern.

6) Wir als Gemeinde können uns freuen über Zweifler, die uns an ihrem Weg teilhaben lassen

Wir als österliche Gemeinde bleiben diesem Christus auf der Spur – dem, der seine Verletzlichkeit aushält um unseretwillen. Dem, der von Gott die Kraft bekommt, zu leben, wo uns alles verloren scheint. Dem, der uns dazu hilft, dass auch  wir unsere Narben und unsere Verletzungen tragen können. Weil Gott die Kraft dazu gibt. Thomas, da bin ich sicher, ist einer, der auch seine Wunden und seine Narben in sich trägt. Sein Zweifel hat ihm den Weg gezeigt, den er brauchte, um einen zu finden, der ihm Kraft gibt, mit ihnen zu leben.

Zweifler, liebe Gemeinde, gibt es viele auch in unserer Nähe. Menschen, die sich kaum in unsere Kirchen trauen, weil vieles ihnen fremd ist und weil darin manchmal zu unantastbar, zu überzeugt von Gott gesprochen wird.

In Thomas haben sie einen Seelenverwandten. Falls sie es wagen, mit ihren Zweifeln und unbequemen Fragen zu uns zu kommen und über unseren Glauben zu sprechen, sollten wir uns freuen und aufmerksam sein und uns auf ihre Wege einlassen- es könnte sein, dass sie uns mitnehmen zu einem Punkt, an dem auch wir uns und Christus besser begreifen.

[1] Til Elbe-Seiffart, Zweifle mutig! In Gött.Pred.Meditationen 63, 236-241, 237

[2] Süddeutsche Zeitung, Kultur/ Zeitgeist, siehe auch: http://www.sueddeutsche.de/kultur/zeitgeist-narben-der-wahrheit-1.2419979?reduced=true, zuletzt besucht 7.4.2015 16.00 Uhr