Predigt zu Johannes 20,19-29 von Elisabeth Tobaben
20,19-29

Predigt zu Johannes 20,19-29 von Elisabeth Tobaben

Liebe Gemeinde!

Leichter wäre es bestimmt  gewesen, einfach das zu sagen, was alle sagten;
einfach irgendwie mit einzustimmen in den großen Oster-Jubel-Lobgesang,
leichter jedenfalls, als  so energisch festzuhalten an dem eigenen Zweifel !
ihn sich nicht ausreden zu lassen.

Aber das kann Thomas nicht, Thomas muss fragen.
Er  begreift, dass er sonst sich selbst gänzlich untreu würde.
Er ist eben einer, der alles ganz genau wissen muss,
der selber prüfen und erleben will,
der nicht aus "zweiter Hand" leben kann.
Und so macht er sich das Leben schwer,
'unnötig' schwer würden vielleicht manche  von uns sagen.
Denn er gerät damit plötzlich in den Mittelpunkt einer Geschichte
Jetzt muss er durchhalten, was er angefangen hat,
von einem bestimmten Punkt an kann  man einfach nicht mehr zurück!
Und er kommt gar nicht gut weg mit  all seiner Konsequenz in dieser Geschichte,
der "ungläubige" Thomas!
Geradezu sprichwörtlich ist er geworden!
Abqualifiziert als einer, der es immer noch nicht begriffen hat,
was die anderen längst kennen.

Als boshaft dickköpfiger Mensch steht er da,
der sich einfach nicht überzeugen lassen will,
der sich raushält und abgrenzt, nicht dabei ist
und auf diese Weise das Entscheidende verpasst.
Dabei möchte er doch so gerne  so sein können wie die anderen!
Würde er sonst so intensiv suchen und fragen?

Und wie viele suchen mit ihm,
hoffen, dass sich tatsächlich das Vergangene verklären möchte,
damit sich das Leiden vergangener Tage in einem ganz neuen Licht zeigen kann;
Wenn es doch wirklich so etwas gäbe wie Schalom, Frieden, Heil, Ganzwerden,
Leben mit und trotz des Vergangenen..

Hin- und hergerissen wieThomas zwischen dieser Sehnsucht nach Heil
und der Sehnsucht nach Echtheit und Wahrhaftigkeit.
"Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust..."
Vielleicht ist er mir doch näher als ich dachte mit seiner Suche und seiner Zerrissenheit...?

Ich kenne Menschen , die versuchen diesen Zwiespalt zu lösen,
indem sie ihre eigenen Fragen und Probleme nicht mehr wahrzuehmen wagen.
Sie treten die "Flucht in die Gewißheit" an.
Sie passen sich an, bekennen mit, wenn alle das tun,
stimmen ein in das, was alle sagen.
Sie brauchen den Schutz der Gruppe, der Gemeinde, sie wollen unbedingt dazugehören,
egal wie abstrus ihnen manche Glaubenssätze  auch vorkommen!!
Sie schlucken lieber  ihre Fragen und Zweifel herunter und sagen sich: 
Hauptsache, ich muss nicht allein sein  mit meinen Ängsten.

Zu groß ist die  andere Angst, die nämlich, sonst plötzlich draußen zu stehen, schutzlos,
nicht mehr dazuzugehören.
Vielleicht ist das ja  auch so, dass man das  gar nicht immer aushält ,
mit den eigenen Fragen und Zweifeln so im  Mittelpunkt zu stehen!?

Vielleicht brauchen wir alle ja ab und zu  solche Zeiten, in denen das auch so sein darf,
dass wir für uns behalten, was in uns fragt und bohrt;
in denen wir  Zweifel und alte Verletzungen
nicht gleich auf den Tisch legen müssen,
Nicht als Dauerzustand, aber es könnte ja sein,
dass wir Tage, Wochen, vielleicht sogar Jahre nötig haben,
in denen wir ein bisschen wie "zwischen den Zeiten" leben!
Vielleicht, weil die Zeit einfach noch nicht reif ist zur Klärung;
Zeiten, in denen wir andere brauchen, die uns trotzdem mittragen und halten.

Aber Thomas ist heute schon einen Schritt weiter,
er  kann fragen, er muss fragen.
Er will ja prüfen, nachholen, was die anderen erlebt haben,
Thomas will sehen und anrühren... und glauben?
Und genau dieser Wunsch trägt ihm das Urteil: "ungläubig" ein!
Wieso eigentlich?

Was für ein merkwürdiges "Ideal " von "Glauben" steckt dahinter?
Kann es sein, dass wir damit auf Thomas etwas projizieren von der  "Flucht in die Gewissheit"?
Von der Sehnsucht,  die so gerne  eine unumstößliche Sicherheit hätte,
die so gern ein für  allemal festschreiben würde:
So ist und nicht anders, so ist zu glauben und nicht anders, Punkt.
Und alle, die diese Sicherheit nicht teilen, sind dann eben ungläubig
Dann wäre die Einteilung so schön einfach!
Thomas fragt , weil er nicht einfach übernehmen will , was andere richtig finden -
Fragt er nicht im Grunde gerade weil er glauben möchte?

Alle Suche nach Eindeutigkeit muss sich der Gefahr bewusst
sein, die darin steckt, nämlich :
Fragen, Zweifel oder andere Erfahrungswege zuzudeckeln oder gar nicht erst zuzulassen,
weil die Unsicherheit so schwer auszuhalten ist, eigene wir fremde!
Da ist die Versuchung groß, vorschnell,
ohne den  Entwicklungsprozess bis zu Ende abzuwarten,
in ein vermeintliches Glaubensbekenntnis einzustimmen oder es einzufordern von anderen!

Auch der Ruf nach einem klaren und eindeutigen Profil unserer Kirche muss darauf achtgeben,
so verständlich ich diesen Ruf sonst finde.
Sonst könnte es sein, dass wir uns eines Tages so  wiederfinden
wie die nachösterlichen Jünger:
verrammelt, verbarrikadiert,
hinter verschlossenen Türen versteckt  und in Angst und Schrecken.
Keiner kommt an uns heran!

Alle Versuche, die Türen aufzubrechen
und von außen zu den eingeschlossenen vorzudringen,
würde nur noch mehr Angst verbreiten, Gewalt auslösen, damals wie heute.

Und wie das Wort, das von drinnen kommt, von dem ich immer geahnt habe,
dass es dort ist, das mich grundlegend verändert,
und das ich mir trotzdem niemals selber sagen kann,
so ist auch Jesus plötzlich da, in ihrer Mitte.
Und wenn er ihnen Frieden wünscht,
dann in diesem umfassenden  Sinn des hebräischen Schalom,
das als das genaue Gegenteil von Angst und Gewalt, ist Heil, Ganzheit, Vollständigkeit...

Er löst ihre Erstarrung, die Mauern der Angst und Abwehr
und holt sie heraus aus ihrer Isolation.
Wie er das macht, das ist es,
was mich  an dieser Geschichte  heute am meisten  erschreckt, aber auch  anrührt:

Er taucht eben nicht  auf als der glorreiche, mächtige, über alles erhabene King,
sondern es heißt ganz schlicht: "er zeigte ihnen die Hände und seine Seite...".
Er zeigt sich ihnen mit seinen Verwundungen,
seinem Leiden und seiner Schwäche., seiner ganzen Lebensgeschichte.

Das ist etwas anderes als das unselige "Nicht-so-schlimm".
Es ist nicht einfach alles vorbei, so als ob Ostern Karfreitag einfach aufheben würde.
Er erlaubt dem Thomas sogar, seine Hände und seine Seite zu berühren,
den Finger in die Wunden zu legen!
Und weil er sich selbst so anrühren lässt,
wird er auch andere so treffen, Thomas zuerst...

Neuanfang gibt es nicht an den alten Wunden vorbei.
Vergebung  fegt nicht einfach unter den Teppich, was wir einander angetan haben,
im Gegenteil: sie braucht den Blick auf das, was gewesen ist,
wir können frei, hoffnungsvoll und zuversichtlich leben mit dem, was war!

Doch dazu ist es manchmal nötig, den Finger (noch einmal) genau in die Wunde zu legen.,
die alten Schmerzen vielleicht noch einmal wachzurufen,
Tränen  und Trauer nachzuholen, damit  die alten Verletzungen heilen können!
Ich denke, dass es dazu den Schutz des Geistes braucht,
den Jesus den Seinen gibt. (mit diesem eindrücklichen Bild des Anhauchens beschrieben!)

Das ist es, was mir immer wieder wie ein Wunder vorkommt,
dass mit dieser Berührung nicht alles zusammenbricht,
sondern dass es gerade weitergeht, wenn ich mich nicht mehr verstecken muss,
endlich zugeben kann, was mich so lange gequält hat...

Die  Lebens - Geschichte einer  Frau fällt mir ein, so wie sie sie kürzlich in einer Zeitschrift erzählte:
Ihr großes Problem war, dass sie Analphabetin war, mitten in Deutschland.
Sie hatte auf Grund einer unruhigen Kindheit nur ganz kurz die Schule besucht,
musste früh auf dem Hof mit anpacken,
eine ganze Latte kleiner Geschwister versorgen und die kranke Mutter und hatte so nie richtig Lesen und Schreiben gelernt und das wenige natürlich schnell vergessen.
Mit der Zeit hatte sie ausgeklügelte Methoden entwickelt, um ihr Geheimnis zu hüten.
Sie wollte nicht, dass irgendjemand davon erfuhr, dass sie solche Lücken hatte.
Immer hatte sie gerade ihre Brille vergessen oder sich die Hand verletzt, wenn es drum ging, etwas aufzuschreiben.
Schließlich war sie fast nur noch mit dem Gedanken beschäftigt,
sich bloß nicht zu verraten und den Schein zu wahren.

Und als  endlich alles zusammenbricht, das für sie so entsetzliche Geheimnis ans Licht kommt,
da geht erstaunlicherweise die Welt gar nicht unter,
sondern sie ist total erleichtert, dass sie sich endlich nicht mehr verstecken muss.
'Ich konnte zum erstenmal wieder wirklich sehen,
dass mein kleines Kind mich anlachte und das es draußen regnete.
Ich hatte ja nichts mehr um mich herum wahrgenommen,
ich hatte nur noch Angst', sagt sie.
'Jetzt konnte ich endlich etwas tun, um mein Problem zu lösen.
Es ist ja noch gar nicht zu spät,
Lesen und Schreiben zu lernen!'

Türen, die sich wieder öffnen,
Menschen, die sich nicht mehr einschließen und abschotten müssen,
 Menschen, die offen aufeinander zugehen können,
Das sind Erfahrungen, die nicht verfügbar sind, nicht machbar.
allenfalls können wir Voraussetzungen dafür schaffen,
Räume, Orte, Zeiten, in denen wir -vielleicht in besonderer Weise- Gott begegnen könnten...

Die Begegnung zwischen Jesus und Thomas stellt Ernst Barlach dar  mit seiner Skulptur, die er auch "Das Wiedersehen" nennt. (Bild: http://www.ernst-barlach.com/barlach-pl-390-das-wiedersehen.html)
Die überdimensional großen Hände fallen mir auf bei beiden Gestalten,
Hände, die festhalten und sich halten.
Er hat einen Jesus, geschaffen,  der wirklich etwas Verklärtes hat, finde ich,
der über die gekrümmte Thomas-Figur weg in die Ferne blickt, in die Zukunft
in der Sorge um die, denen dann das Sehen und Berühren  gar nicht mehr möglich sein wird?
Kerzengerade aufgerichtet ist seine Gestalt,
verspricht wirklich Halt und zuflucht,
aber zugleich kommt er mir auch  sehr zart vor, ja zärtlich mit dem Suchenden.
Thomas hat hier sein Ziel gefunden, sein eigenes Bekenntnis: 'Mein Herr und mein Gott.'

Thomas ist einer, der mir Mut macht zur Unsicherheit und zum Fragen!
Mut, sie nicht sofort zuzuschütten mit vorschnellen Antworten,
sondern ihnen standzuhalten und
zu warten auf die echten, die gewachsenen Antworten;
Gott sei Dank.
Amen.