Predigt zu Kolosser 4, 2-6 von Eugen Manser
4,2

Predigt zu Kolosser 4, 2-6 von Eugen Manser

Haltet an am Gebet und wachet in ihm mit Danksagung;
  Und betet zugleich auch für uns, dass Gott uns eine Tür für das Wort auftue, zu sagen das Geheimnis Christi, um dessentwillen ich auch gebunden bin,
  auf dass ich es offenbar mache, wie es mir zu sagen gebührt.
  Wandelt weise gegen die, die draußen sind, und kaufet die Zeit aus.
  Eure Rede sei allezeit lieblich und mit Salz gewürzt, dass ihr wisset, wie ihr einem jeglichen antworten sollt.
  Liebe Gemeinde,
  „Not lehrt Beten.“, sagt ein knapper Erfahrungssatz. Ich kann ihm nur widerwillig zustimmen; denn die Not ist ein schlechter Lehrmeister. Oft ist  denen, die die Not zum Beten gezwungen hat, ihr Beten hinterher peinlich.
  Die Anfangsworte unseres heutigen Predigttextes fordern uns auf zu einer anderen Art von Gebet:
  „Haltet an am Gebet!“, „Lasst nicht nach im Beten!“, „Betet unablässig!“
  Ständig im Gebet – wie könnte das gemeint sein?
  Ich sehe vor mir eine Szene aus einem der Filme „Don Camillo und Peppone“:
  Die beiden Hauptgestalten Don Camillo, ein Priester, und Peppone, der kommunistische Bürgermeister am Ort sind in die Filmgeschichte eingegangen als humoristische Typen für fromm und unfromm, geistlich und weltlich.
  Im Film gibt es Szenen, in denen Don Camillo ganz allein in seiner Klause ist.
  Aber das ist nicht ganz richtig gesagt. Dieser Priester ist eigentlich nie allein. Er ist ständig im Gespräch. Alle Vorkommnisse bespricht er mit Gott: seinen Ärger mit Peppone, seine Tolpatschigkeit. Bei diesen Gesprächen faltet er nicht immer die Hände.
  Und einmal, als er mit zweien in seiner Klause in Streit gerät, da entschuldigt er sich vor dem Handgemenge bei seinem Herrn, dreht das Bild mit dem Gekreuzigten einfach zur Wand hin um, damit der die folgende Bleuerei nicht mit ansehen muss.
  Dieses ständige Reden mit Gott, diese sichere Überzeugung von Gottes Anwesenheit im Raum, war für mich das Beeindruckendste an diesem kleinen italienischen Priester. Er war immer zu zweit und lebte auch so – besprach Freud und Leid mit dem unsichtbaren Anderen.
  Hier ist einer im ständigen Gebet.
  Ich glaube, dieser Priester ist ganz in der Nähe dessen, was unser Text und andere Texte des Neuen Testaments sagen: „Haltet an am Gebet!“, „Betet ohne Unterlass!“, „Wacht und betet, damit ihr nicht in Anfechtung fallet!“
  Ich denke an uns und unsere Schwierigkeiten mit dem Beten. Wir stellen uns meist einen besonderen Akt darunter vor mit der Geste des Händefaltens, mit besonderen Worten. Einen Akt, der abgehoben ist vom Leben und Reden des Alltags. Gewiss, solches Beten muss es auch geben. Es ist das Vorbeten im Gottesdienst oder in der Familie bei Tisch.
  Doch unser Text ermutigt uns zu einer Art von Gebet, die wir meist gar nicht in unserer Vorstellung haben und auch gar nicht als Gebet anerkennen würden: Leben im ständigen Gespräch mit Gott.
  Ist das nicht die Grundhaltung, in der Jesus lebte?
  Mit Gott als Intimus leben, in dem Bewusstsein, er ist mit mir. Zum Fragen, Klagen, Erzählen, Antworten bereit. Täglich leben mit der Frage: Und Gott, was sagst Du dazu?
  Rühren unsere Schwierigkeiten mit dem Beten nicht auch daher, dass wir die Vorstellung haben: Gebet, das sei etwas Ausgegrenztes, ein besonderes Sprechen besonders heiliger Worte? Wir haben Menschen vor Augen, die im Gebet versunken sind und verzagen – das kann ich nicht! Das will ich nicht!
  Für Jesus und den Verfasser des Kolosserbriefes ist Beten ein alltäglicher Navigationsvorgang für die Schifffahrt des Lebens: Die Welt nicht nur im eigenen Urteil sehen, sondern im Licht Gottes; lauschend  sprechen, so dass Gott mitreden kann.
  Solches Leben im Gebet macht den Alltag heiliger und den Gottesdienst weltlicher.
  Wir lernen gottverbunden zu leben.                                                                 
  
  Doch nicht nur das. Wir lernen auch gottverbunden zu sterben:
  Einmal kam der Tod über den Fluß, wo die Welt beginnt. Dort lebte ein Hirt, der Gänse hütete.
  „Du weißt, wer ich bin?“, fragte der Tod.
  „Ich weiß, du bist der Tod. Ich habe dich auf der anderen Seite des Flusses oft gesehen.“
  „Du weißt, dass ich hier bin, um dich zu holen und dich mitzunehmen auf die andere Seite.“
  „Ich weiß es.“
  „Sag, fürchtest du dich nicht?“
  „Nein“, sagte der Hirte, „ich habe immer über den Fluss geschaut, seit ich hier bin, ich weiß, wie es dort ist.“
  „Dann werde ich jetzt weitergehen und dich auf dem Rückweg holen. Brauchst du noch etwas, hast du noch einen Wunsch?“
  „Ich brauche nichts, ich hab alles“, sagte der Hirte.
  Als der Tod nach langer Zeit wiederkam, gingen viele hinter ihm her, die er mitgebracht hatte, um sie über den Fluss zu führen.
  Einer war dabei, der zeterte: „Noch ein Jahr, dann hätte ich das Haus fertig gehabt. So ein Unglück, verfluchtes!“ Das war schlimm für ihn.
  Ein Rennfahrer war unter ihnen. Noch fünf Minuten hätte er gebraucht bis zum Sieg. Da erwischte ihn der Tod. Das war schlimm für ihn.
  Dann war da ein junger Mensch, der hatte an seiner Braut gehangen und keiner konnte ohne den anderen leben.
  Ein alter Mann war freiwillig mitgegangen. Aber auch er war nicht froh; denn 70 Jahre waren vergangen, ohne dass er das bekommen hatte, was er hatte haben wollen. Schlimm für alle.
  Als sie an den Fluss kamen, wo die Welt aufhört, saß dort der Hirte. Und als der Tod ihm die Hand auf die Schulter legte, stand er auf, ging mit über den Fluss als wäre nichts; denn die andere Seite hinter dem Fluss war ihm nicht fremd. Er hatte genug Zeit gehabt, hinüberzuschauen, er kannte sich hier aus. Und die Töne waren noch da, die er immer auf der Flöte gespielt hatte. Das war schön für ihn.
  
  Das ist die Vollendung eines Lebens im Gebet: Himmel und Erde rücken uns zusammen, Zeit und Ewigkeit gehen ineinander und Leben und Tod lernen einander kennen. Aber vor allem – die Angst fällt von uns ab.
  
  Deshalb: Haltet an am Gebet! 
   
Die Geschichte ist eine geänderte Fassung der Nacherzählung des Märchens „Der Tod und der Gänsehirt“ von Janosch.