Predigt zu Lukas 12, 42-48 von Andreas Pawlas
12,42

Predigt zu Lukas 12, 42-48 von Andreas Pawlas

Der Herr aber sprach: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht? Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht. Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.  Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich voll zu saufen, dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er's nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.  Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen.  Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern.
  
  Liebe Gemeinde!
  
  In den heutigen Kalendern, da findet man meist gar nicht mehr verzeichnet, dass heute der letzte Sonntag im Kirchenjahr ist, und damit der Ewigkeitssonntag  oder auch Totensonntag.  Aber wenn auch in der Tagesordnung  der heutigen verwirrten Welt und im Zeittakt  unseres hektischen Alltagslebens dieser Sonntag und sein Anliegen  keinen Ort mehr zu haben scheint, so mag hier Besinnung umso wichtiger sein. Denn verwirrte Zeitalter  kommen und gehen wieder. Aber seit Menschengedenken hat man - weil dieser Sonntag  der letzte im Kirchenjahr ist, und damit ein unübersehbares Zeichen  für das zeitliche Ende ist - am heutigen Sonntag  überhaupt das Ende vor Augen, das Ende aller Lieben, das eigene Ende und auch das Ende der ganzen Welt.
  
  Es hat daher gute Gründe, dass es in vielen Kirchengemeinden Brauch ist, am heutigen Sonntag die Namen derjenigen zu verlesen, die im Laufe des Jahres verstorben sind, um sie in die Fürbitte einzuschließen. Und was man damit eigentlich tut, ist doch, dass man sich auf diese Weise  an die Seite unserer Verstorbenen stellt, auf deren Ende schaut und eben auf das Ende der Welt schaut und auch auf das Ende der Welt wartet.
  
  Sieht man da aber nun auf den heute verordnete Predigttext, so ist der  auf den ersten Blick irgendwie irritierend. Denn wo ist da von Tod und Trauer die Rede? Nirgends! Denn wo ist da von einem würdigen Gedenken der uns Vorangegangenen die Rede? Nirgends! Und da ist auch kein Wort  von Abschied und Schmerz, die uns heute so bewegen. Auch kein Wort von Sehnsucht und nachgetragener Liebe. Vielmehr klingt es vielleicht sogar etwas grob und wenig einfühlend, wenn da von einem getreuen  oder ungetreuen Verwalter die Rede ist. Bitte nichts gegen Verwalter und Verwaltung jeglicher Art, aber das alles kann doch heute überhaupt nicht unser Thema sein. - Oder etwa in verborgener Weise doch?
  
  Denn wenn wir jetzt in schmerzlicher Verbundenheit mit unseren Verstorbenen  auf deren Ende schauen und auf das Ende der Welt schauen und auf das Ende der Welt warten dann ist es offenbar nicht gleichgültig, wie wir nun auf das Ende der Welt warten. Offenbar ist es überhaupt nicht gleichgültig, wie wir leben. Und dazu heißt es im Lukasevangelium einige Zeilen vorher, bevor unser Predigttext einsetzt: „Lasst eure Lenden umgürtet sein  und eure Lichter brennen  und seid gleich den Menschen,  die auf ihren Herrn warten,  wann er aufbrechen wird von der Hochzeit,  damit, wenn er kommt und anklopft,  sie ihm sogleich auftun.“ (Lk 12, 35-36)
  
  Wenn man das so richtig hören kann, was ist das für eine Botschaft! Ja, das ist eine unglaubliche Botschaft, die alles verändern will! Denn Jesus gibt uns da für den heutigen Tag überhaupt nicht das Thema  Abschied und Schmerz, Tod und Trauer vor, sondern das Thema Wachsein und Warten bis alles vollendet ist! Nein, aus der Perspektive Jesu, aus der Perspektive der Ewigkeit Gottes, da kommt gar nicht erst so ein Gedanke auf, dass mit dem Tod ein grausamer endgültiger Schnitt durch unser Leben, durch das Leben unserer Lieben und durch die ganze Welt geht, sondern es geht allein um Wartezeiten. Die Perspektive der Ewigkeit durchbricht unser übliches Zeitbewusstsein, reißt unser Denken und Fühlen herum, und will uns eben mit der Gewissheit erfüllen, dass es für unsere lieben Toten und für uns allein darum geht zu warten. Und es kann und muss eben allein um Wartezeiten gehen, weil in gewisser, abgemessener Zeit  der Herr kommt und alles vollendet! Und weil das so ist, geht auch solange nichts verloren, ist auch nichts vergeblich oder umsonst, was wir tun und geht auch keiner verloren! Ja, mit Gewissheit  kommt der Herr am Ende aller Zeiten und wird auf einen jeden und dessen Leben, Denken, Fühlen und Hoffen schauen und alles vollenden, und dabei wird seine Gnade und Barmherzigkeit größer sein als alles,  was wir uns vorstellen können.
  
  Was ist das für ein Trost für unsere Seelen! Und weil diese Perspektive für das Leben unserer Toten und für unser Leben so ganz anders ist als unser Alltagsdenken, kann sie eben auch alles verändern. Und sie kann alle Tränen abwischen, die uns der Abschiedsschmerz gebracht haben. Und wenn wir nun  diese ganz andere Perspektive an unsere verwundeten Seelen heranlassen, dann kann sie uns  auch wieder Mut und Kraft geben, die Augen zu erheben und um uns und in die Welt zu schauen. Diese ganz andere Perspektive  der Ewigkeit und der Vollendung, kann eben Mut und Kraft geben wieder durch den Tränenschleier hindurch zu schauen und unseren Gedanken  wieder freies Spiel zu geben.
  
  Und vielleicht kommt uns dann die Frage in den Sinn, wie das denn nun zugehen solle, wenn wir nicht mehr trauern müssen, sondern allein warten dürfen. Aber genau hier hilft uns Jesus, in dem er uns in seinem Gleichnis eine typische Warte-Situation vor Augen stellt. Und dabei gilt wohl für jede Warte-Situation, dass es nicht gleichgültig ist, wie man wartet. Und so wird es keineswegs egal sein, wie wir nun auf das Ende  und auf die Vollendung der Welt warten.
  
  Aber wer unter uns  kennt da nicht genügend Zeitgenossen, die nicht nur in ihrem Herzen sagen:  „Mein Herr kommt noch lange nicht“, sondern sich konkret egoistisch und brutal verhalten in dieser Zwischenzeit zu Lasten ihrer Mitmenschen und zu Lasten der ganzen Schöpfung.
  
  Allerdings sagen heutzutage viele noch nicht einmal „Mein Herr kommt noch lange nicht“, weil ihnen solche Vorstellung völlig fremd ist. Dagegen sagen sie häufiger, dass es ihnen völlig egal ist, ob es ein Ende  oder eine Vollendung der Welt gibt oder nicht, oder ob der Herr über den Kosmos kommt oder auch nicht. Und da ist es noch relativ harmlos, wenn ein solcher Mensch anfängt, die Knechte und Mägde zu schlagen,  oder auch zu essen und zu trinken  und sich voll zu saufen. Das erleben wir eigentlich jeden Tag. Und manchmal können wir dabei sogar hören, dass es ihnen egal wäre, wenn es da eine letzte Stunde gäbe, und es eine Stunde der Verantwortung gäbe, wo es dann tatsächlich  ein Ende mit Schrecken gibt.
  
  Aber halt! Mögen solche Leute sagen, was sie wollen. Ich glaube ihnen nicht. Und ich mag auch nicht darüber nachdenken, welche üble Konsequenzen solches Reden und Handeln für sie und ihre Seele hat.
  
  Für mich ist viel wichtiger, mich und sie daran zu erinnern, dass sie alle Menschen sind auf dieser Welt. Dass sie alle von einer Mutter geboren sind. Dass sie alle Menschen hatten,  von denen sie geliebt wurden und die sie geliebt haben. Und weil Liebe mehr ist als der Tod, deshalb wäre es für einen bewussten Menschen unerträglich, alles Geliebte  plump als irdisch vergänglich zu verachten. Gewiss kann es sein, dass gegenwärtiger Genuss oder gegenwärtige Bequemlichkeit alles tiefere Gefühl  für eine gewisse Zeit überdeckt, aber Leben und Liebe  gehören nun einmal zusammen und genauso will Liebe alle Zeitschranken durchbrechen und letztlich auf Ewigkeit zielen. Vielleicht müssen einem darum Menschen, die diese Zeit des Wartens  missbrauchen und Übles tun, eher Leid tun. Denn offensichtlich ist ihr Leben  leer und ausgebrannt,  weil es ohne Perspektive ist.
  
  Dagegen war für die Christenheit die Zeit des Wartens immer eine erfüllte Zeit. Wodurch erfüllt? Doch bereits von dem, was kommt! Doch bereits von dem, der kommt! Denn wenn man sich sicher ist, dass in gewisser Zeit der Herr kommt und alles vollendet, und dass damit auch vollendete Liebe, vollendetes Verständnis und vollendetes Gefühl alles umschließt, dann will davon doch schon etwas anklingen in der gegenwärtigen Wartezeit, und dann lässt sich meist doch schon ein klein wenig davon fühlen! Und wie sollte man dann bösartig gegenüber anderen sein können, wenn man sich wohl fühlt und wenn man so bald damit rechnen kann, von Gottes unendlicher Liebe erfüllt und durchströmt zu sein? Viel selbstverständlicher wäre es dann doch, ganz sorgsam und treu seine aufgetragenen Dienste auszuüben, um damit dem Herrn erkennbar die Ehre zu geben, der kommt. Und er kommt - für den einen sehr bald, für den anderen etwas später. Aber das sind irgendwie Spitzfindigkeiten allein nach menschlichen Maßstäben, die vor Gottes großartiger Perspektive der Ewigkeit ohne Belang sind.
  
  Vielmehr ist es eben ganz sicher, dass der Herr am Ende aller Zeiten kommt. Und wenn es dabei gesagt wird, er kommt zum Gericht, so heißt das für diejenigen, die sich ihm anvertrauen und auf ihn hoffen, er kommt zu Erfüllung, zur Vollendung, zur Heilung der Seelen, zum Trost den Traurigen, zur Aufrichtung der Gebeugten. Wohl dem,  der darum schon jetzt so etwas wie Vorfreude auf diese dieses kosmische Geschehen in sich entdecken kann, oder vielleicht sogar Dankbarkeit dafür, dass diese wunderbare Perspektive genau uns, unseren Lieben und der ganzen Welt gilt. Der kommende Herr rühre darum schon jetzt mit Hoffnung, Liebe und Dankbarkeit unsere Herzen an, die Herzen unserer Lieben und die Herzen der ganzen Welt Amen.