Predigt zu Lukas 18,9-14 von Martina Janßen
18,91-14

Predigt zu Lukas 18,9-14 von Martina Janßen

I. Wie heißt es doch so schön: Hochmut kommt vor dem Fall! In der Geschichte vom Pharisäer und Zöllner scheinen die Rollen klar verteilt zu sein: Der Hochmütige und der Demütige, der Schlechte und der Gute, Schwarz und Weiß. Da ist der fromme Pharisäer, der Gott dafür dankt, dass er kein Sünder wie die anderen ist und für diesen Hochmut bei Gott in Ungnade fällt. Und da ist der sündige Zöllner, der voller Demut Gott um Erbarmen anfleht. Er ist derjenige, für den die Geschichte gut ausgeht. „Wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ (Lk 18,14). Die Moral von dieser Geschichte sollten sich die allzu Frommen und die allzu Selbstsicheren mal hinter die Ohren schreiben! Gott ist nicht auf der Seite der 150-Prozentigen, er ist nicht auf der Seite der religiösen Spießer und Streber; die andern hat er lieber. Das hör ich gern, denn ich fühle mich auf der richtigen Seite. Ich habe ja auch meine Fehler und kleinen Sünden und würde mich nie so weit aus dem Fenster lehnen wie dieser Pharisäer: Wie kann man nur so hochmütig sein?! Doch Vorsicht: Die Moral von der Geschicht‘ – so einfach ist die nicht. Dafür hatte der Dichter Eugen Roth ein sicheres Gespür. „Ein Mensch betrachtete einst näher / die Fabel von dem Pharisäer, / der Gott gedankt voll Heuchelei / dafür, dass er kein Zöllner sei. / Gottlob! rief er in eitlem Sinn, / dass ich kein Pharisäer bin!“ Merken Sie es? Schon ist es passiert. So leicht kann man in die Falle tappen. Eh man sich versieht, sind die Rollen vertauscht. Wer mit dem Finger auf Heuchler zeigt, wird schnell selbst zu einem. Also noch mal von vorn, schauen wir genauer hin – auf die Geschichte vom Pharisäer und Zöllner und auf uns selbst.

II. „Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner“ (Lk 18,10). Fangen wir beim Pharisäer an. Er ist ein frommer Mensch. Glauben wir ihm mal, dass er tut, was er sagt. „Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme“ (Lk 18,12). Glauben wir ihm mal, dass er wirklich fromm ist. Das ist zweifelsohne gut und das gefällt Gott. Auch dagegen, dass der Pharisäer das stolz von sich sagt, ist nichts einzuwenden. „Tu Gutes und sprich darüber“. Warum auch nicht? So weit, so gut. Aber der Pharisäer sagt noch etwas anderes: „Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die anderen Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner“ (Lk 18,11). Das allerdings klingt nicht gut in Gottes Ohren. Um sich selbst mit noch mehr Ruhm zu bekleiden, stellt er den anderen bloß; um sich selbst groß zu machen, macht er den anderen klein. Und eh er sich versieht, macht er damit seine Frömmigkeit kaputt und all seine Heiligkeit wird zum eitlen Schein. Denn das Verhalten des Pharisäers ist nicht nur unfein – man muss denen, die am Boden liegen, nicht auch noch einen Tritt verpassen -, das ist nicht nur eitle Lästerei, selbstgerecht, herablassend, hochmütig oder ein wenig elitär - „der Pharisäer stand für sich“(Lk 18,11) – nein, was der Pharisäer tut, das ist viel schlimmer, der Stachel sitzt viel tiefer. Es ist die alte Sünde, das alte Spiel: Sein zu wollen wie Gott, sich selbst zu erheben, sich selbst gerecht zu sprechen und über andere den Stab zu brechen. Der Pharisäer überlässt das Urteil nicht Gott – weder das über sich noch das über andere. Damit ist er in die Falle getappt, damit hat der Teufel ihn. Der Pharisäer versündigt sich nicht nur gegenüber dem Zöllner, sondern auch gegenüber Gott, weil er an seine Stelle will. Die alte Sünde, das alte Spiel seit Adam und Eva. Dadurch wird der Allerfrömmste zum größten Sünder. Nun kann der Pharisäer sich wieder ganz hinten anstellen, direkt neben den Zöllner. „Der Sünder aber stand ferne…“(Lk 18,13).

III. „Ein Mensch betrachtete einst näher / die Fabel von dem Pharisäer, / der Gott gedankt voll Heuchelei / dafür, dass er kein Zöllner sei. / Gottlob! rief er in eitlem Sinn, / dass ich kein Pharisäer bin“ (Eugen Roth). Machen wir nun nicht den Fehler, den Pharisäer zu verurteilen, machen wir nicht den gleichen Fehler wie er. Statt mit dem Finger auf andere zu zeigen, fassen wir uns doch lieber an die eigene Nase! Lebt nicht in uns allen so ein Pharisäer? Da ist zu hören: „Wie kann man nur bei diesem Billigdiscounter einkaufen und die miesen Arbeitsbedingungen dort unterstützen; nachhaltig produziert ist die Ware da auch nicht. Ich bin nicht so verantwortungslos wie diese Leute, ich kaufe im Bioladen - fair trade, versteht sich.“ Schon ist es passiert. Schon bist du die Falle getappt, hast geurteilt über dich und den anderen – und vielleicht komplett danebengelegen. Ja, es ist gut, dass du dich für den Bioladen entscheidest; du kannst es ja auch. Doch die Rentnerin, die im Alter kaum über die Runden kommt, hat keine Wahl. Sie muss da einkaufen, wo es billig ist, ob sie will oder nicht. Was wirfst du ihr vor, dass sie sich ein gutes Gewissen schlichtweg nicht leisten kann? Oder der junge Mann, der kaum etwas über Produktions- und Arbeitsbedingungen weiß und dem jedes politisches Bewusstsein fehlt, weil es ihm nie jemand vorgelebt hat – Wer bist du, seine Schuld zu messen? Wie leicht kann man anderen Unrecht tun, wenn man zu selbstgerecht ist! In uns allen lebt so ein Pharisäer. „Wie kann man Kirche einfach nur konsumieren, so was Laues. Ich bin nicht so wie solche Leute; ich bin ein besserer Christ, engagiere mich, investiere meine Kraft und Zeit; gehöre seit Jahren zum harten Kern.“ Und schon ist es wieder passiert. Ja, es ist gut, dass du dich engagierst, aber weißt du wirklich, warum andere es nicht tun und so handeln wie sie handeln? Weißt du, welchen Kummer der hat, der nur ab und an den Gottesdienst besucht, der vielleicht kaum Kraft und Zeit findet, um den nächsten Tag zu überstehen? Mit welchem Recht forderst du mehr von ihm, als er geben kann? Wer mit dem Finger auf die Sünder zeigt, wird schnell selbst zu einem. Es ist gut, zu fasten und den Zehnten zu geben, es ist gut, ökologisch und fair einzukaufen, es ist gut, sich zu engagieren. Und das auch ab und an zu sagen. Tu Gutes und rede darüber. Aber man muss andere nicht im gleichen Atemzug klein machen. Solche Urteile stehen uns nicht zu, sie beweisen nicht unsere Gerechtigkeit, sondern können anderen Unrecht tun. Weißt du, warum der andere sündigt? Weißt du, wann du es selber tust? Warum überlässt du das Urteil nicht Gott?

IV. „Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner“ (Lk 18,10). Kommen wir zum Zöllner. Viele Worte macht er nicht. Er schweigt lieber, weil er kaum etwas Gutes über sich zu sagen weiß. In die Augen gucken kann er seinem Gott jedenfalls nicht - „und wollte auch die Augen nicht zum Himmel aufheben“ (Lk 18,13). Das ist traurig. Das gefällt Gott nicht. Man darf die Sünden des Zöllners nicht kleinreden, denn sie sind groß. Der Zöllner müsste etwas an sich ändern, das ist klar. Da könnte er sich ruhig an der Frömmigkeit des Pharisäers ein Beispiel nehmen. Doch bei allem, was der Sünder falsch macht - eins macht er richtig: Er überlässt das Urteil Gott und hofft auf sein Erbarmen. Das wiederum könnte der Pharisäer vom Zöllner lernen. Der Zöllner ist tateinsichtig; er weiß um seine Schuld. Da allein ist schon gut. Doch das ist nicht alles. Der Zöllner ist nicht fertig mit sich, sein Urteil steht nicht fest, da ist Platz für Gott und seine Gnade. „Gott, sei mir Sünder gnädig“ (Lk 18,13)! Diese Bitte zeigt, dass der Zöllner nicht mit sich, seinem Leben und seiner Schuld abgeschlossen hat, sondern sich zu Gott hin öffnet. Dadurch wird er kein Heiliger, gewiss, aber dadurch geht ein Riss durch seine Sünde. Es gibt eine Liedzeile von Leonard Cohen, da heißt es „There is a crack in everything, that’s how the light gets in“.  Da ist ein Riss in allem – durch ihn fällt das Licht ein. So ist es auch mit dem Zöllner und seiner Sünde. Er verdeckt sie nicht, schließt sie nicht ein, er bringt sie vor Gott. „Gott, sei mir Sünder gnädig! (Lk 18,13) – diese Bitte ist der Riss, der durch seine Sünde geht; diese Bitte ist der Riss, durch den das Leben des Sünders durchlässig für Gottes Gnade wird. Wegen dieser Bitte geht die Geschichte für den Zöllner gut aus. „Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus“ (Lk 18,14).

V. Hochmut kommt vor dem Fall, das ist wohl war. Aber die Moral von der Geschicht erschöpft sich in dieser allgemeinen Weisheit nicht. Es geht nicht nur ein Lehrstück über menschliche Demut und Hochmut. Da gibt es andere vom tiefen Fall der Mächtigen und von der Schadenfreude der anderen, mit der das Spiel dann wieder neu beginnt. In der Geschichte der „zwei Menschen, die hinauf in den Tempel gehen, um zu beten“ (Lk 18,10), steckt mehr drin. Wie begegne ich Gott? Welche Worte finde ich? Spreche ich wie der Pharisäer „Ich doch nicht!“ oder bitte ich wie der Zöllner „Herr, erbarme dich!“? Ich bin ganz ehrlich – manchmal weiß ich es nicht – aber ich hoffe, Gott öffnet mir mein Herz und schafft Raum für seine Gnade in meinem Leben.

Amen