Predigt zu Lukas 18,9-14 von Rudolf Rengstorf
18,9-14

Predigt zu Lukas 18,9-14 von Rudolf Rengstorf

Liebe Leserin, lieber Leser!

Fett und aufgeblasen füllte er die eine Seite des Bildes in meiner Kinderbibel - der Pharisäer natürlich. In der Mitte des Bildes eine kostbare Schale, in welche die Hand des Pharisäers sehr augenfällig ein Goldstück wirft. Links im Bild, ganz am Rand ist der Zöllner zu sehen. Bescheiden hält er sich im Hintergrund - mit gezogenem Hut, den Stock in der Hand. Ein ungemein sympathischer Wandersmann. Hier die sich brüstende Selbstgefälligkeit und da - ein paar Stufen niedriger - die Bescheidenheit in Person, sich verneigend und schlank.

 Liebes Kind, so wurde von diesem Bild viel tausendmal gepredigt, sei nicht wie der Pharisäer, stolz und angeberhaft. Den Zöllner nimm dir zum Vorbild, der sich zurücknimmt und im Hintergrund bleibt. Ganz so, wie man in den Poesiealben der damaligen Zeit lesen konnte:

Sei das Veilchen im Moose,
so still, bescheiden und rein.
Nicht wie die stolze Rose,
die stets bewundert will sein.

Freilich das von der Kinderbibel gemalte Bild passt nicht zu einer Geschichte, die unsere mitgebrachten Moral- und Wertvorstellungen gerade nicht bestätigen, sondern sie stören und durcheinanderbringen will.

Jesus erzählt nämlich so, dass die Sympathien seiner damaligen Zuhörerschaft sich von vornherein dem Pharisäer und nicht etwa dem Zöllner zuwenden mussten. Keine Rede ist da von feister Sattheit, sondern uns wird ein Mann vor Augen gestellt, der zweimal in der Woche fastete, und das macht ja bekanntlich schlank. Dabei  war die Triebfeder dieses Fastens nicht das Bemühen um  Gesundheit und körperliches Wohlbefinden. Nein der Mann wollte mit seinem Fasten  deutlich machen, dass  Gott ihm noch wichtiger war als satt zu sein. Pharisäer, das waren Leute die davon durchdrrungen waren: Es genügt nicht, dass wir einen Tempel und Priester haben für den Gottesdienst. Vor allem anderen  kommt es darauf an, dass wir Laien Gott im Alltag unseres Lebens dienen. Und so verbrachten sie viel Zeit damit, im Gebet und im Gespräch mit anderen über den Willen Gottes für ihr Leben in Beruf, Familie und dem Gemeinwesen nachzudenken. Leute, die ein Zehntel ihres Geldes dem Tempel und der Versorgung der Armen zur Verfügung stellten. Das ist zehnmal mehr als unsere Kirchensteuer. Und dazu kamen noch die erheblichen Steuern und Zölle, die von den Römern zwangsweise eingetrieben wurden.

Fasten und den Zehnten geben - das waren beileibe nicht nur Äußerlichkeiten. Wo es um den Magen und noch mehr um den Geldbeutel geht, da zeigt sich, was einem Menschen wichtig ist, woran sein Herz hängt. Bei vielen Zeitgenossen hören beim Geld  die Gemütlichkeit und auch das Christentum auf. Der Pharisäer aber, den Jesus uns hier vor Augen stellt, hat seinen Glauben mit Leib und Seele, mit Geld und Gut gelebt und damit seine Freude daran gehabt, ganzheitlich dem Willen Gottes zu entsprechen.

Und während dieser Mann - so erzählt Jesus - im Tempel Gott dafür dankt, dass sein Leben eine gute klare und überzeugende Richtung hat und er nicht zu denen gehört, die mehr nach dem eigenen Wohl und Spaß fragen als nach dem Willen Gottes - da fällt sein Blick auf einen Zöllner, der sich im Hintergrund des Tempels herumdrückt. Und der hatte auch allen Grund, dort im Halbdunkel zu bleiben und sich als Sünder zu bekennen. Denn am Willen Gottes lebte er vorbei. Stand er doch im Dienste der römischen Besatzungsmacht, im Dienst von Herren, die nicht nach dem Willen des einen Gottes, Schöpfers des Himmels und der Erden, fragten,

sondern die neben einer Vielzahl von Götzen auch noch den römischen Kaiser vergötterten. Zöllner - das waren Leute, die das Volk Gottes politisch und religiös im Stich gelassen hatten, die sich  bedenkenlos an ihren Landsleuten bereicherten und nicht im Traum daran dachten, sich Abgaben für den Tempel und die Armen vom Munde abzusparen. Entsprechend unbeliebt und verhasst waren sie in Israel. Hätte man damals ein Bild vom Pharisäer und Zöllner gemalt, fett und unsympathisch wäre der Zöllner, hager und glaubwürdig der Pharisäer erschienen.

Auf diesem Hintergrund wird die Störung und die Provokation deutlich, die Jesus auslöst, wenn er feststellt: statt des Gerechten kehrt der Sünder als von Gott gerechtfertigt in sein Haus zurück. Was kein Mensch für möglich hält, am wenigsten der sich im Hintergrund haltende Sünder - das tut Gott. Was zwischen einem Menschen und ihm steht, das räumt

Gott aus dem Wege und sagt: Du bist mir recht. Dich will ich haben.

Diesen grundlos barmherzigen Gott zum Zuge kommen zu lassen – darum geht es in dieser Geschichte und in ihrer Fortsetzung. Denn die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende. Die beiden im Tempel müssen ja noch mitbekommen, was Jesus hier erzählt. Damit sie nicht - jeder in seiner Glaubens- und Lebenshaltung verschlossen bleiben, sondern erfahren, wie

öffnend und befreiend sich die Barmherzigkeit Gottes auswirkt.

Und ich meine, das ist unter uns auch schon im Gange - darin dass sich im Tempel unserer Kirche zwei ganz unterschiedliche Gruppen begegnen, die durchaus vergleichbar sind mit dem eindrucksvollen Pharisäer und dem eher zweifelhaft erscheinenden Zöllner. Auf der einen Seite – so stellt es sich mir jedenfalls dar - die Gemeindeglieder, die mit Ernst

Christen sein wollen, die mit ihrem Kommen den regelmäßigen Gottesdienst halten, aufrechterhalten, die die Arbeit ihrer Gemeinde mittragen und weder Zeit noch Kosten scheuen, um Christi willen zu helfen und zu lindern, wo immer ihnen das möglich ist. Menschen, die bis in ihre berufliche und private Lebensführung hinein dem Willen Gottes nachzukommen suchen, deren Glaubwürdigkeit über jeden Zweifel erhaben und denen es zu verdanken ist, wenn Kirche und Christentum Vertrauen genießen.

Ihnen steht die große Mehrheit der Gemeindeglieder gegenüber, die nicht auf Anhieb als Christen zu erkennen sind, die in der Kirche nur zu ganz bestimmten Gelegenheiten erscheinen - zu Weihnachten oder zur Konfirmation oder bei einem anderen familiären Anlass. U-Boot-Christen heißen sie an der Küste, weil sie nur selten auftauchen. Und wenn sie es tun, dann auch mehr als Zaungäste, weil die Gottesdienstordnung ihnen fremd

und das Singen von Liturgie und Chorälen ihnen ungewohnt ist. Was ist von denen zu halten, die nur kommen, wenn sie die Kirche brauchen, sie aber sonst links oder rechts liegen lassen?

Für Gott gehören sie dazu, für ihn stehen die sogenannten Randsiedler in der Mitte, seinem Herzen sind die distanzierten Gemeindeglieder ganz nah. Davon sollen sie und wir alle hier so viel wie möglich mitbekommen und auch mit nach Hause nehmen.

Er liebt Gottesdienste,  die den Gelegenheitsbesuchern, zu denen doch auch die Konfirmandinnen und Konfirmanden  gehören, ganz viel mitgeben von seiner Wertschätzung; Gottesdienste, in denen sie spüren, dass sie willkommen sind und wir sie gern in unsere Mitte nehmen; Gottesdienste,. in denen  auch sie Gelegenheit haben, ihren Hunger nach  glückendem Leben, ihre Sehnsucht nach Gott auszudrücken  Amen.