Predigt zu Lukas 6,36-42 von Christian Stasch
6,36-42

Predigt zu Lukas 6,36-42 von Christian Stasch

Lukas 6, 36:  Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.  37 Und richtet nicht, so werdet ihr auch nicht gerichtet. Verdammt nicht, so werdet ihr nicht verdammt. Vergebt, so wird euch vergeben.  38 Gebt, so wird euch gegeben. Ein volles, gedrücktes, gerütteltes und überfließendes Maß wird man in euren Schoß geben; denn eben mit dem Maß, mit dem ihr messt, wird man euch wieder messen.

39 Er sagte ihnen aber auch ein Gleichnis: Kann auch ein Blinder einem Blinden den Weg weisen? Werden sie nicht alle beide in die Grube fallen?  40 Der Jünger steht nicht über dem Meister; wenn er voll ausgebildet ist, so ist er wie sein Meister.   41 Was siehst du aber den Splitter in deines Bruders Auge und den Balken in deinem Auge nimmst du nicht wahr?   42 Wie kannst du sagen zu deinem Bruder: Halt still, Bruder, ich will den Splitter aus deinem Auge ziehen, und du siehst selbst nicht den Balken in deinem Auge? Du Heuchler, zieh zuerst den Balken aus deinem Auge und sieh dann zu, dass du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst!

Liebe Gemeinde! Gebt. So wird euch gegeben.

„Ach Quatsch, das stimmt doch gar nicht“, denkt Rolf. „Ich hab nichts zu verschenken. Das ist alles sauer verdient. Mir sind schließlich nie gebratene Tauben in den Mund geflogen. Ne, ich hab wirklich nichts zu verschenken.“ Und das, obwohl er mit seinen 64 Jahren und ohne Frau inzwischen nur noch für sich selber sorgen muss.

Rolf erinnert sich an diesen Werbespot, den es jetzt nicht mehr gibt, aber der ihm haften geblieben ist: „Unterm Strich zähl ich“. Stimmt doch – denkt er sich. Kritische Ausdrücke dagegen wie „Ellenbogengesellschaft“, die kann er schon gar nicht mehr hören. Was soll´s: wenn andere ihre Ellenbogen benutzen, dann mach ich´s eben auch.

Gebt, so wird euch gegeben. Diese fünf Worte ziehen sich durch. Ach, wie soll das gehen. Wenn ich was weggebe, hab ich anschließend weniger. Ist doch ganz einfach. Die Punker in der Stadt stehen zehn Meter vor dem Bäckerstand und betteln die Passanten an. Wenn ich den Euro, mit der ich mir die Brezel kaufen will, dem Punker gebe, gibt´s für mich keine Brezel. Und was hätte ich davon? Ne, so blöd bin ich nicht.

Gebt, so wird euch gegeben. Rolf ist skeptisch. In Wahrheit zeigt sich doch: „Undank ist der Welt Lohn“ – ja, das hat er mehr als einmal erlebt. Die Schauspielerin Edda Seippel im Film als Mutter Kempowski spricht ihm aus der Seele mit ihrer Klage: „Da tut und macht man, bis einem das Blut unter den Fingern „hervorsprützt“ – und dann so was.“  

Euch wird gegeben? Na ja, wenn Rolf seinen Lottoschein ausfüllt, hofft er schon, dass er nicht nur den Schein und das Geld abgibt, sondern eines Tages auch mal ein richtiger Geldsegen zurückkommt. Aber das war bislang Fehlanzeige, und er weiß ja auch, dass das der Sinn des Lottospiels der ist, dass die Lottogesellschaft viel mehr einnimmt als sie an Gewinnen ausbezahlt.

Unvergessen ist ihm auch, wie er damals einen Teil seines kleinen Vermögens in Aktien investierte. Der Schauspieler, der von Liebling Kreuzberg… - ihm fällt gerade der Name nicht ein - der hatte so schön dafür geworben. Rolf hat´s probiert. So schnell wie der Aktienkurs fiel, konnte Rolf gar nicht gucken. Gebt, und ihr seid es los.

Wenn die Kinder und die Enkel zum Geburtstag kommen, ja, das ist ein anderes Klima, da ist er dann auch freigiebiger. Das Geld bleibt ja gewissermaßen in der Familie.

Und sie sollen ihm bloß nichts mehr schenken. Ich hab doch alles, sagt er. Diese Sache mit den Geschenken findet er sowieso lästig. Wenn er wo eingeladen war früher, hat er immer lange hin und her überlegt: Was schenke ich, nicht zu groß, das wirkt gönnerhaft, nicht zu klein, das wirkt knauserig, und was habe ich eigentlich das letzte Mal von Michael geschenkt bekommen? Daran könnte ich mich ungefähr orientieren.

Gebt, so wird euch gegeben. Diese fünf Worte ziehen sich hindurch. Ha! Wie peinlich war das, als er mal seinem Cousin ein Buch geschenkt hat, so einen Band mit Erzählungen (hatte er richtig schön ausgesucht), und der das auspackt und ihm ins Gesicht sagt: „Hm, sorry, aber den Autor mag ich ehrlich gesagt überhaupt nicht. Ist leider nichts für mich.“ So als wollte er ihm das Buch sofort zurückgeben. Na toll. Ja, gut, Schenken ist schon manchmal eine Art Tauschgeschäft, mit Schenken und Wieder-geschenkt-bekommen, aber doch nicht so!      

Gebt, so wird euch gegeben. Diese fünf Worte ziehen sich durch, durch den Gottesdienst, in dem die Konfirmanden etwas mit gestalten, und sein eigener Enkeljunge ist mit dabei. Nur seinem Enkel zuliebe ist er mal wieder hingegangen, zur Kirche. In dem Teil vor der Predigt haben die Konfirmanden noch einige weitere Jesusworte zum Thema Gabe und Geben zusammengestellt, und Rolf hört sich das an.

„Liebet eure Feinde. Tut Gutes, und leiht, ohne etwas zurück zu erhoffen, (Rolf muss dabei schlagartig an Griechenland denken)  leiht, ohne etwas zurück zu erhoffen, und euer Lohn wird groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein.“

Jetzt tritt eine Konfirmandin ans Mikro und liest dieses Jesuswort vor: „Wenn du ein Mittag- oder ein Abendessen machst, so lade nicht deine Freunde ein, noch deine Brüder, noch deine Verwandten, noch reiche Nachbarn, damit nicht etwa auch sie dich wieder einladen und dir Vergeltung  zuteilwerde. Sondern wenn du ein Mahl machst, so lade Arme, Krüppel, Lahme, Blinde ein! Und glückselig wirst du sein, weil sie nichts haben, um dir zu vergelten; denn es wird dir vergolten werden bei der Auferstehung der Gerechten.“

Nun ist, mit schlurfendem Gang und orangenen Turnschuhen, sein Enkelsohn an der Reihe. Mensch, ist der Junge groß geworden. „Achtet darauf, dass ihr eure Gerechtigkeit nicht vor den Menschen tut, um ihnen ein Schauspiel zu bieten; wenn aber doch, habt ihr keinen Lohn bei eurem Vater in den Himmeln. Wenn du nun Geld gibst, sollst du das nicht vor dir her posaunen lassen, sondern es soll  deine Linke nicht wissen, was deine Rechte tut; damit deine Gabe im Verborgenen sei, und Gott, der ins Verborgene sieht, wird dir vergelten.“

Rolf hat aufmerksam zugehört. Beim nachfolgenden Lied ist er mit seinen Gedanken dann noch bei diesen Textausschnitten. Und bei Jesus. Das war ihm vorher nie so klar. Ein Geben, ohne dass der Geber irgendwas davon hätte, wird nicht verlangt. Offensichtlich kritisiert Jesus überhaupt nicht, dass es für eine Gabe auch eine Gegengabe gibt. Und wenn der Beschenkte oder der Eingeladene zu arm ist, dann kommt die Gegengabe, die „Belohnung“, eben nicht von diesem Menschen, sondern später von Gott.   

Allerdings wird Rolf nun gleich wieder stutzig: Wie soll das gehen, dass ein Mensch sich „Lohn“ bei Gott erwirbt… - ist doch eine komische Vorstellung, oder? Und funktioniert das nur für Gläubige? Und woher weiß man, ob es diese himmlische Belohnung dann auch wirklich gibt?

„Unser Leben - ein Geben und Nehmen“, liest Rolf noch mal die Überschrift auf dem Gottesdienstblatt. Ja, gut, dagegen ist nichts zu sagen. Wenn Rolf so sein Leben betrachtet: Er hat sich da so einiges „genommen“, hat beherzt zugegriffen, vieles hart erarbeitet, und er weiß auch, dass er vieles wieder wird weggeben müssen, hat ja auch schon die große Wohnung aufgegeben und wohnt jetzt kleiner, und er weiß: dann ganz am Ende, wann auch immer das sein wird – er nennt es: „den Löffel abgeben“… Die Gedanken nehmen ihn mit.

Oh, stellt Rolf plötzlich fest. Von der Predigt weiß ich fast gar nichts mehr. Peinlich.

Jetzt wird bereits Abendmahl gefeiert. Die junge Pfarrerin singt mit ihrer glockenklaren Stimme die Worte Jesu: „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch gegeben wird.“ Nehmt hin und esst. Guten Appetit – muss Rolf denken, und ist mit seinen Gedanken kurz bei dem schönen Freitagabend, mit Ingrid beim Argentinier, ein wunderbar rosa Steak haben sie gegessen. Superlecker. Allerdings: Für dieses Lebensmittel hat ein Lebewesen sein Leben gelassen. Hm, Fleischkonsum, Leben auf Kosten anderer, Schuld, kein gutes Thema im Steakhaus, oder? Ingrid machte das anscheinend nichts aus – so als hätte sie für sich eine Antwort darauf. Sie war dann aber so taktvoll, das Gespräch bald woanders hin zu lenken.

„Kommt, alles ist bereit, sehet und schmecket, wie freundlich der Herr ist“, sagt die Pastorin. Gehe ich hin zum Abendmahl, oder nicht? Ach, ich glaub nicht. Von den Konfirmanden gehen auch nur ganz wenige nach vorn. Rolf bleibt sitzen. Um den Altar bildet sich ein Kreis von Abendmahlsgästen. Der Organist entlockt der Orgel zarte Töne, die Raum lassen für eigenes Anknüpfen. Gut, dass ich Ingrid kennen gelernt habe. Was, vier Wochen ist das erst her? Sie ist anders als ich, irgendwie so fröhlich und zuversichtlich, wie macht sie das nur?

Ihr Job wirft kaum mehr ab als Rolfs Rente. Das scheint für sie aber ohnehin nicht so wichtig zu sein. Sie hat so viele Kontakte, bekommt Besuch, macht was mit ihren Freundinnen, ist großzügig. Neulich im Eiscafé, als sie unbedingt zahlen wollte – dieses Trinkgeld! „Das ist viel zu viel, was hast du denn davon?“, schoss es Rolf durch den Sinn, nicht ohne dass er sich für den Gedanken auch schämte.

Ingrid lässt sich ohnehin nicht beirren. Jetzt hat sie der Stadt drei Bänke gestiftet, die stehen am Waldrand, auf ihrem Lieblingsspazierweg. So was fehlte da bislang. Ein Tischler hat die Bänke gebaut, eine Firma hat alles hintransportiert und ausgerichtet, aber gezahlt hat es Ingrid. Die Stadt hat an die Rückseiten der Lehnen Ingrids Namen anbringen lassen. Als kleines Dankeschön. Wenn Ingrid auf einer der Bänke sitzt, die ja nun allen gehören, strahlt sie.

In den Abendmahlskreis da vorn kommt Bewegung. Alle fassen einander an der Hand. Die Pastorin sagt irgendwas zu den Leuten in die Runde, zu leise, als dass Rolf es hören könnte.

Einmal haben Ingrid und er bislang eine Nacht miteinander verbracht, einander hingegeben. Schön war das, sehr schön.

Die Leute setzen sich wieder in die Reihen. Jetzt gibt es noch einen zweiten Kreis. Ach komm schon. Rolf geht hin. Er steht da, umgeben von Menschen, die er nicht kennt. Das Brot wird ohne Eile im Kreis herumgereicht. Nun wird es ihm gegeben. „Brot des Lebens – für dich.“ Rolf nimmt sich ein Stück. Und gibt den Brotkorb weiter. Amen.