Predigt zu Markus 16,1-8 von Ralph Hochschild
16,1-8

Predigt zu Markus 16,1-8 von Ralph Hochschild

1Und als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben. 2Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging. 3Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? 4Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.5Und sie gingen hinein in das Grab und sahen einen Jüngling zur rechten Hand sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, und sie entsetzten sich. 6Er aber sprach zu ihnen: Entsetzt euch nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Siehe da die Stätte, wo sie ihn hinlegten. 7Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat. 8Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

Herr segne unser Reden und Hören. Amen.

Liebe Gemeinde,

“denn sie fürchteten sich”. Ein scharfer Kontrast, dieser letzte Satz, zu unserer österlichen Gestimmtheit. “Denn sie fürchteten sich”. Ein deutlicher Kontrast zu unserem fröhlichen Grüßen und Singen, dem festlichen Läuten und Lachen, all dem liturgisch inszenierten Jubilieren und Jauchzen. “Denn sie fürchteten sich”. Ein irritierender Kontrast, der uns spüren lässt, wie verwirrend dieses Ostererlebnis für die ersten Zeuginnen der Auferstehung gewesen sein muss.

Es ist noch still, an jenem Morgen nach dem Sabbattage. Noch hält der Karfreitag seine schwere Hand über die Gemüter und Seelen der Jünger Jesu. Verzagte Stille nach der Flucht, trügerische Friedhofsruhe, die laut in ihnen ruft: “Alles war vergebens”.

Es ist noch still in den Herzen der drei Frauen, als sie sich auf den Weg machen. Sie sind nicht geflohen. Sie haben ihn am Kreuz gesehen. Sie haben erspäht, wo er ins Grab gelegt wurde. Und nun möchten sie ihm noch einmal nahe sein. Denn sein Tod ist ihnen so nahe wie jeder Tod eines geliebten Menschen, des Mannes, der Tochter, des Sohnes, der Frau, eines Freundes, der Eltern. Wo das Leben so aus den Fugen gerät, der Verlust quält und die richtigen Worte fehlen, hilft oft ein Tun. Und so folgen sie ihrer frommen Intuition, machen sie sich auf den Weg, um ihm noch einmal nahe zu sein, um ihn zu salben. In der Frühe, nach der durchweinten Nacht, in der Zeit, in der so viele Beter die Hilfe Gottes erfahren, voll Vertrauen auf die Wirksamkeit des alten Rituals. Noch einmal etwas von der Liebe zurückgeben, die er geschenkt hatte. Im Geruch der Aromen schmecken und riechen, wie der Hauch des Todes eben nicht die Erinnerung an eine gute Zeit, die Freundschaft, an die gemeinsamen Hoffnungen zerstören kann. Vielleicht so, wie wir in schön gepflegten Gräbern Verbundenheit und Dankbarkeit zeigen, in der erwachenden Natur ein Zeichen sehen, wie das Leben nach den Wintern unseres Lebens weitergehen und gelingen kann.

Es ist noch still auf dem Weg zu seinem Grab. “Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?” Wer macht möglich, dass wir richtig trauern können? Wer macht möglich, dass wir noch einmal unsere Liebe zeigen können? Wer macht möglich, dass nach dem Abschied unser Leben weitergehen kann. Wer wälzt den Stein der Angst von unseren Herzen? Wer wälzt den Stein der Trauer vor unserem Lachen weg? Noch sind sie ganz bei sich und ihren Sorgen. Noch sind sie ganz in ihrer Welt, mit beiden Beinen auf dieser Erde, die Augen traurig auf den Boden gesenkt. Sie spüren: Mit unsern Kräften kommen wir nicht an das erhoffte Ziel.

“Und sie sahen hin und wurden gewahr, dass der Stein weggewälzt war.” Eben ratlos blicken sie jetzt nach vorn: Das Grab ist offen, der Weg ist frei, aber: Der Liebe, die sie zeigen wollten, der ist der lebendige Gott zuvorgekommen. “Er ist auferstanden, er ist nicht hier.” Am Ort des Todes und Vergehens erfahren sie vom neuen Leben. Ein junger Mann, im strahlend weißen Gewand, der Farbe des neuen Lebens macht es bekannt: “Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier.”

Es ist, als verlören sie den Boden unter ihren Füßen. Das kann nicht sein. Denn: Wer gescheitert ist, hat endgültig verloren, wer verurteilt ist, muss ohnmächtig leiden, wer gestorben ist, der bleibt im Grab - das ist die Welt, die sie kennen, das ist die Welt, in der sie leben, so ist das Leben, mit dem sie sich abgefunden haben. Aber jetzt wird es anders. Jetzt begegnen sie dem lebendigen Gott, der sagt: Jesus, der Gescheiterte, er ist der Lebendige, der neues Leben schenkt, Jesus, der Gekreuzigte, er ist der Mächtige, der seine Liebe schenkt, Jesus, der Begrabene, er hat den Tod besiegt und schenkt Euch eine Zukunft, die ihr nicht zu träumen gewagt habt. Das ist zu begreifen! Ein scharfer Kontrast zu jeder Welterfahrung, ein deutlicher Kontrast zu ihren Erwartungen, eine tiefe Irritation ihrer Intuition, die sich fromm und gottesfürchtig in den Abschied fügen wollte. Aber: Er ist auferstanden, er ist nicht hier.

“Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen.” Viele biblische Geschichten erzählen davon. “Furcht und Zittern” erschüttern Menschen immer wieder, wenn sie Gott begegnen. Denn eine Begegnung mit Gott bringt vertraute Gewissheiten in Wanken, erschüttert unsere Welt, die wir uns zurechtgelegt haben, unsere vertraute Welt, in der wir uns ganz intuitiv zurechtfinden. Nun brauchen sie Zeit. Nun müssen die Frauen sich zurechtfinden. Sie müssen wieder auf die Beine kommen, Worte und Bilder für das Erlebte finden, diese neue Erfahrung mit ihrem alten Leben verbinden, sie muss einen Platz in ihrem Glauben finden - und sie müssen sich auf die Beine machen: “Geht aber hin und sagt seinen Jüngern und Petrus, dass er vor euch hingehen wird nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er euch gesagt hat.” Ein neuer Anfang, ein neuer Auftrag und das Versprechen: Ihr seid nicht mehr allein! Jesus Christus, der Auferstandene geht euch voran. Ein neuer Anfang - auch für die Jünger, auch für, die die geflohen sind, auch für die, die Jesus verleugnet haben, auch für die, die Jesus im Stich gelassen haben.

“Denn sie fürchteten sich”. So endet kein Buch und ein Evangelium schon gar nicht. “Denn sie fürchteten sich” - das ist als Schlusssatz kaum zu ertragen. Zumal, wenn wir als Bibelleser wissen: Die Frauen haben ihre Furcht und ihr Zittern überwunden. Die Jünger sind dem Auferstandenen begegnet. Sie haben ihn erkannt. Und doch hat Markus sein “Evangelium Jesu Christi” mit diesen Worten enden lassen. “Denn sie fürchteten sich”. Kein Wunder, dass einige Schreiber des Neuen Testaments eigene Schlüsse und Ostererzählungen an dieses Ende hinzugefügt haben. Zurecht. Denn ich glaube, sie haben die Absicht des Markus gut verstanden. Denn mit diesem offenen Schluss lädt er uns ein: Zieht eigene Schlüsse aus diesem Evangelium! Erzählt mit Eurem Leben einen eigenen Schluss des Evangeliums! Erzählt, wo ihr eure Furcht und euer Zittern überwunden habt! Erzählt, wo ihr die Liebe Gottes in eurem Leben gespürt habt! Berichtet, wo eure Auferstehungshoffnung die Karfreitagsgedanken vertrieben hat! Erzählt, wie ihr erkannt habt: Der Herr ist auferstanden. Er geht uns voran. Wie den Jüngern. Wie den Frauen. Amen.