Predigt zu Markus 8,31-38 von Jochen Arnold
8,31-38

Predigt zu Markus 8,31-38 von Jochen Arnold

Wie war das eigentlich damals, liebe Gemeinde? Was hat er im Voraus gewusst? Was hat er vielleicht nur geahnt? Und was hat er mit seinen Freunden geteilt? Was blieb sein Geheimnis?

Der Evangelist Markus bringt Licht ins Dunkel und nimmt uns hinein in die Geschichte Jesu und seiner Jünger. In ihre Höhen und Tiefen. In der Mitte des Evangeliums richtet sich die Kamera des Erzählers exklusiv auf Jesus und Petrus. Die Geschichte spielt  - weit weg vom kulturellen und geistlichen Zentrum Jerusalem - im kleinen Caesarea Philippi, unweit des Golan, fast am Rande der „Zivilisation“. Die Presse ist nicht dabei, keine große Glocke… Und doch fielen gerade große Worte. Du bist der Christus! So outet sich Petrus. Mit Feuer und Flamme bekennt er sich zu Jesus als Messias. Doch dessen Reaktion irritiert. Jesus verbietet seinen Jüngern, anderen Menschen davon weiterzuerzählen. Geheimnis also! Messias-Geheimnis. Und dann?

- Lesung Markus 8,31-38 -

Nach dem Höhepunkt des fulminanten Bekenntnisses nun also ein absoluter Tiefpunkt. Jesus kündigt Dunkles an: sein eigenes Leiden und Sterben, die bevorstehende Auseinandersetzung mit den Mächtigen in Jerusalem, einen langen steinigen Weg. Nicht glorreich, sieghaft, sondern überschattet von Gefahr und Kampf. Darüber kommt es zu einem scharfen Wortwechsel, zum Clinch zwischen Petrus und Jesus. Der Meister schlägt jedenfalls einen ungewohnt scharfen Ton an. Er erinnert uns an seine Vertreibung des Teufels in der Wüste: Hinweg von mir Satan. Darf man so einen Freund ver-teufeln? Doch auch das griechische Wort, das den Einspruch des Petrus beschreibt, zeigt Energie an: Er wehrte dem, ja herrschte den an, den er gerade noch als Messias gepriesen hat. Er fährt ihm so richtig über den Mund.

Damit kommen wir der Sache näher. Petrus zeigt Gefühle. Er wehrt sich. Er will um keinen Preis, dass Jesus leidet. Er möchte den geliebten Freund nicht auf dem Weg des Leidens sehen, zerrieben zwischen den Fronten des politischen und geistlichen Establishments. Er meint es also gut! Fürsorglich! Petrus denkt: Warum soll Jesus sich dem allem aussetzen? Warum soll der Lehrer vom Reich Gottes, der so vielen Menschen geholfen hat, leiden und den Helden oder Märtyrer spielen?

So fragen Menschen bis heute. Warum das Kreuz in unserer Kirche? Was soll dieses Symbol der Brutalität in unserer Religion? Wem hilft es?

Bleiben wir hier einen Moment stehen. Petrus kann dem bevorstehenden Leiden Jesu nichts abgewinnen, weil er keinen Sinn dahinter erkennt, dass sich ein Unschuldiger aufopfert…

Ich muss zugeben, dass auch ich – nach menschlicher Vernunft geurteilt – kritisch aufhorche, wenn Menschen – wohlgemerkt Menschen wie du und ich! – aus Leichtsinn oder Dickköpfigkeit oder sonst etwas in eine Auseinandersetzung hineinstolpern, die nur Unglück und Not verursacht. Ja, ich bin überzeugt: Viele familiären Konflikte, aber auch viele Kriege nah und fern  ließen sich so gesehen vermeiden. Sie sind gleichsam hausgemacht. Und in ihren Folgen einfach nur schrecklich.

Ganz gleich, wo wir hinschauen, ob in die Ukraine oder nach Syrien. Was dort passiert, ist an vielen Stellen die Folge brutaler Machtpolitik oder die Schreckensherrschaft irregeleiteter Extremisten und Fundamentalisten.

Wenn ich heute anstelle Jesu antworten dürfte, dann würde ich sagen: Ja, Petrus, du hast recht, es gibt unendlich viel Leiden, dem wir keinen Sinn abgewinnen können. Und viele Deutungsangebote wie „Leiden als Strafe“ oder „Leiden zur Prüfung“…oder: „Leiden um zu wachsen“ oder gar „um demütig zu werden“… (das sind) alles schwierige Begründungsmuster. Besonders dann, wenn Gewalt von Menschen an anderen Menschen im Spiel ist. Und – noch schlimmer – wenn damit Gewalt im Namen Gottes gerechtfertigt werden soll. Dazu können und dürfen wir nicht Ja sagen.

Aber Jesus öffnet uns mit seiner Sicht der Dinge noch eine andere Perspektive: „Hier geht es zunächst um meinen Weg“, sagt er. „Um meinen Weg nach Jerusalem, den Gott mir weist. Mein Weg ist anders als der des römischen Kaisers (Caearea!)[1] oder seiner Feldherrn. Er ist nicht gesät mit den Leichen der Gefallenen. Es ist der Weg der Gewaltlosigkeit. Und genau dieser Weg ist es, den Gott mit mir – und mit euch! – gehen will. Er ist radikal anders, nicht immer schön, nicht wirklich kalkulierbar und doch wahrhaftig. Denn es ist der Weg der Liebe.“

Jesus wendet den Vorwurf der Sinnlosigkeit des Leidens und sagt: „Wenn ich euch nach Jerusalem vorausgehe, wenn ich die vielen Schicksale der Menschen am Wegesrand  sehe und ihr Leid mit hinauftrage, dann ist das nicht umsonst. Im Gegenteil. Es ist geradezu angesagt, es ist Gottes Plan. Denn ich bin nicht gekommen, um zu herrschen, sondern um zu dienen  und dadurch Leid zu wenden. Der Menschensohn kommt im Auftrag des Höchsten, um den allerniedrigsten Weg zu gehen. Aber hört! Selbst wenn ich sterbe, ist das nicht das Letzte. Ich werde nach drei Tagen auferstehen! So öffne ich euch allen die Tür zu einem neuen Leben, die Tür zu Gott.“

Viele Christen stellen sich am Beginn der Passionszeit 2015 die Frage des Petrus. Was sollte und soll das Leiden Jesu für uns heute bringen? Gibt es einen „Gewinn“ für uns daraus?

Das Evangelium heute, liebe Mitchristen, ist wirklich eine gute Nachricht: Jesus lässt sich durch seinen Freund Petrus nicht abhalten, den Weg ins Leiden zu gehen. Gott ist sich nicht zu schade für diese Welt. Er weicht der Konfrontation nicht aus. Auch kluge menschliche Argumente, schon gar die Angst vor Gewalt können Jesus abhalten. Deshalb glauben wir: Christus ist dabei, wenn in Syrien oder im Irak, in der Ukraine oder bei uns im eigenen Land Menschen leiden und sterben.  Gott teilt Ohnmacht und Schwäche mit uns Menschen. 

Damit ist freilich nicht gesagt, dass Gott Gewalt und Unrecht gut findet! Im Gegenteil. Wir sind gefordert, in seinem Namen dem Unrecht die Stirn zu bieten und uns für den Frieden einzusetzen, wie es in diesen Tagen Angela Merkel und Francois Hollande tun. Ich finde das gut!

Aber dennoch ist das ist nicht alles. Menschen können diese Welt nicht retten. Wie prominent sie auch sind. Jesus geht nach Jerusalem, nicht nur um zu leiden, sondern um uns vom Leiden zu erlösen. Das ist der österliche Schein hinter dem Kreuz und der Gewinn schlechthin: Rettung vom ewigen Tod!  Der Weg den Jesus mit uns geht, reicht bis zum Himmel Gottes, wo unser Leben an sein eigentliches Ziel kommt.

An dieser Frage hängt letztendlich alles. Jesus sagt es unmissverständlich: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele???

Also doch wieder Ver-tröstung? Himmel statt Erde? Nein! Denn in all dem passiert auch etwas mit uns, die wir mit ihm auf dem Weg sind. Jesus deutet das nur an. Aber das, was er andeutet, ist gewaltig. Es ist die totale Umkehrung alter Prinzipien, eine friedliche Revolution im besten Sinne des Wortes. Bei mir, sagt Jesus, zählt nicht durchsetzungsfähig, stark, mächtig, sondern zugewandt, schwach, zerbrechlich. Mein Qualitätshandbuch kennt andere Prinzipien als Einschüchterung und Terror. Ich gehe den Weg der Freiheit und des Friedens, nicht der Angst und Unterdrückung. Folge mir und du wirst völlig unerwartet ein Gewinner, eine Siegerin. Vertraue mir und die Perspektiven drehen sich! Lebensgewinn in meiner Nachfolge heißt: Du erlebst zwar Schmerzen und Konflikte. Du verbrennst vor Liebe für Andere. Aber genau darin, im Verlieren und Hingeben ist Gewinn. Hier findest du das Leben. Darin findest du mich.

In einer Zeit, die von so tiefer Sehnsucht nach echten Gefühlen und wahrhaftiger Beziehung ist, ist der Weg an der Seite des Menschensohnes die einzige Alternative: die Alternative unbeschadet ans letzte Ziel zu kommen und dabei unterwegs „Wunderbares“ mit ihm zu erleben. Auf diesem Weg öffnet sich eine neue Welt, eine Gegen-Welt zur Herrschaft des Kapitals und der Spirale des Terrors. Sie ist geprägt von echter Zuwendung. Sie ist erfüllt und getragen vom göttlichen Ja zu dir und dieser Welt, das sich in der Menschwerdung Jesu zeigt.

Ich möchte mir das heute (morgen) von ihm sagen lassen, liebe Mitchristen. Ich höre ihn anklopfen und rufen: Folge mir nach. Schau weg von dir selbst. Lass los. Gehe den Weg der Liebe an meiner Seite. Du bist nicht allein.  Mit kleinen Schritten geht es mir nach, Schritten, die dich und diese Welt verändern.  Total. Amen.

 


[1] Vgl. dazu auch JD. Döhling, Anfänglich verstehen, Predigtmeditation zu Estomihi in GPM 2015, 144: „Nach Flavius Josephus war Caesarea Philippi in den Jahren 66 und 69 n.bChr – also in großer Nähe zur Abfassung des Evangeliums – Winterquartier Vespasians vor dem Feldzug nach Süden zur Niederschlagung des jüdischen Aufstands und später ein Ort der Triumphfeiern seines Sohnes Titus nach dem mit ungeheurer Brutalität errungenen Sieg… Wo der gewaltsame Macht-Weg zweier Gottkaiser begann, beginnt der Gegen-Weg des Gegen-Königs und Gegen-Gottessohnes.“