Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Hans Theodor Goebel, Köln
11,2-6

Predigt zu Matthäus 11,2-6 von Hans Theodor Goebel, Köln

2    Als aber Johannes im Gefängnis von den Werken des Christus hörte, sandte er seine Jünger
3    und ließ ihm sagen: Bist du, der da kommen soll oder sollen wir auf einen andern warten?
4    Und Jesus antwortete und sprach zu ihnen: Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht:
5    Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören
      und Tote werden auferweckt und Armen wird das Evangelium verkündet.
6    Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

1.

Wer ist Jesus für uns?

Für manche ist das keine Frage, die sie bewegt. Für andere sehr wohl. Auf dem Büchermarkt der letzten Jahre sind immer neue Jesusbücher erschienen. Geschrieben von so verschiedenen Autoren wie Papst Benedikt auf der einen und dem amerikanischen Muslim Reza Aslan auf der anderen Seite. Auch Jesusromane finden sich unter den neueren Jesusbüchern.

Die Rede geht schon von einem „praktisch unendlichen Appetit auf Bücher über Jesus“.

Was treibt Menschen zum Fragen nach Jesus? Was suchen sie bei ihm? Kann sein, dass sie unter dem Firnis späterer Übermalungen nach einem sogenannten wirklichen oder wahren Jesus suchen. Und dass dahinter die Suche nach Vergewisserung steht. Nach etwas an Jesus, das ursprünglich ist und woran man sich auch als moderner Mensch halten kann – wo doch so viele Gewissheiten unwiederholbar vergangen sind?

2.

Einer, der schon zu Jesu Lebzeiten nach ihm gefragt hat, ist in den Erzählungen der Evangelien Johannes, der Täufer.
Johannes ist ein Wartender. Sein ganzes Leben, sein ganzes Wirken ist geprägt vom Warten auf den, der kommen soll. Johannes ist der Vorläufer des Kommenden, sein Bote, sein Zeuge.
Hat er doch den Menschen, die zu ihm in die Wüste am Jordan geströmt waren, gesagt:

Ich taufe euch mit Wasser zur Umkehr, der aber nach mir kommt, ist stärker als ich, und ich bin nicht wert, ihm die Schuhe zu tragen. Der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen“ (Mt 3,11).

Die Predigt des Täufers zur Umkehr traf auch den König Herodes und seine Geliebte. Denen hatte er ihr Unrecht vorgehalten. Und die Mächtigen waren schwach und haben zurückgeschlagen: Johannes sitzt jetzt im Gefängnis.

Da ist er anscheinend nicht von aller Kommunikation abgeschnitten. Seine Gefängnismauern sind durchlässig für das, was draußen geschieht und erzählt wird. Er hat Kontakt zu seinen Anhängern und Schülern.
So hört er von Jesus, der jetzt durch Galiläa zieht und predigt: Den Armen gehört das Himmelreich - und macht Kranke gesund, befreit Menschen aus der Macht von Geistern, die ihr Leben zerstören, und er sagt wie Johannes vor ihm: „Kehrt um, denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!“

Was Johannes da hört, bringt ihn ins Nachdenken und Fragen. Ist in diesen Taten Jesu, Taten, wie Johannes selber sie nicht vollbracht hat, das Reich Gottes gekommen? Die Propheten haben so eine kommende Heilszeit ja verheißen. Johannes kennt das  von Jesaja und anderen her.
Ist Jesus dann der Kommende, den er, Johannes, angekündigt hat, der Gesalbte Gottes, der Messias, der Christus – der Bringer des Heils?

Aber - bringt der Messias nicht das Gericht? Er, Johannes, hatte doch gepredigt, der nach ihm kommt, habe die Worfschaufel in der Hand, er werde den Weizen von der Spreu trennen und sammeln und die Spreu mit Feuer verbrennen.

All das mag Johannes im Gefängnis durch den Kopf gegangen sein und hat ihn ins Fragen gebracht. Auch mag er gedacht haben: Wenn ich meine Ketten ansehe, ist die Befreiung des Reiches Gottes jedenfalls bei mir noch nicht angekommen. Und bei vielen Leidensgenossen auch nicht.

So schickt der Täufer seine Jünger zu Jesus und lässt ihn fragen:

Bist du der Kommende oder sollen wir auf einen anderen warten?

3.

Ich halte hier inne.

Was verbindet uns mit Johannes und seinem Fragen? Wir suchen vielleicht, woran wir uns bei Jesus halten können, wenn so vieles wankt und fraglich geworden ist – aber ist in uns Christen etwas von dem Warten lebendig, das Gott seinem Volk Israel mit auf den Weg durch die Geschichte gegeben hat? Und das Johannes, der Vorläufer des Kommenden, verkörpert.

Es ist ein Warten auf den Richter, der dem Unrecht nicht das Sagen lässt in der Weltgeschichte und der Gier nicht den Erfolg lässt. Es ist ein Warten auf die unumschränkte Herrschaft Gottes.

Warten wir wirklich darauf oder haben wir schon die Segel gestrichen und resigniert vor dem, was gegenwärtig in unsrer Welt geschieht an Gewalttat und Ungerechtigkeit, an Ausbeutung, Vertreibung und Massenmord? Warten wir Christen mit den Juden darauf, dass unsere zerrissene Welt heil werden wird und heil auch unser beschädigtes Leben?

Nun könntest du kommen, lieber Christenmensch, und sagen: Aber die Juden warten doch noch auf den Messias. Und wir Christen sagen: Er ist schon gekommen. Darum nennen wir Jesus doch den Christus und Heiland.

Ja gewiss, möchte ich antworten. Aber ist es nicht so, dass dann unser Fragen erst recht in Gang gebracht wird?

Wenn dieser Jesus, den sie ans Kreuz geschlagen haben, auferweckt worden ist von den Toten – und das ist doch Kern und Stern unseres Christenglaubens – dann warten wir erst recht darauf, dass er kommt. Und mit ihm eine Welt ohne Tod und Tränen und Geschrei. Auferstanden ist er ja, um uns mit sich ins Leben zu ziehen und unsere Welt nicht der Selbstzerstörung zu überlassen.

Das ist die revolutionäre Botschaft von ihm – und es fällt uns das Glauben auch deshalb so schwer, weil wir nichts in den Händen haben. Und weil unsere Welt immer noch und heute wieder so bedrängend die alte Todeswelt ist. Steile Bekenntnissätze, wer Jesus sei, fallen da schwer und kommen uns oft so steril vor. Der Glaube verfügt nicht über die „direkte Kenntlichkeit“ des Christus (S. Kierkegaard[1]).

Vielmehr entzündet sich auch für uns Christen an dem, was wir von Jesus und seinem Evangelium gehört haben, ein Fragen, das uns mit dem Täufer Johannes solidarisch sagen lässt: Bist du, der da kommen soll oder sollen wir auf einen anderen warten?

Wohlgemerkt – Johannes hat kein fertiges Urteil, er fragt und sein Fragen richtet sich an Jesus selbst: Bist du, der da kommen soll.

Wer könnte diese Frage besser beantworten als Jesus selbst! Aber können wir ihn selbst denn heute fragen, wenn uns gerade der Glaube an ihn den Lebendigen Schwierigkeiten macht?

Mir ist immer wieder das Wort aus dem Evangelium wichtig, in dem ein Mann zu Jesus selbst sagt: Ich glaube, hilf meinem Unglauben! (Mk 9,24).

Das ist die widersprüchlich erscheinende Logik des Glaubens. Eine andere greift hier nicht.

In dieser Logik des Glaubens können auch wir fragen: Bist du, der da kommen soll? Es ist die Sprache der Betenden, die uns ihn selbst so fragen lässt.

4.

Was aber antwortet Jesus dem Täufer? Und was antwortet er uns?

Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen wieder und Lahme gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören und Tote werden auferweckt und Armen wird das Evangelium verkündet. Und selig ist, wer sich nicht an mir ärgert.

Jesus gibt keine direkte Antwort auf die Frage, wer er in Wahrheit ist. Dieser direkten Frage entzieht er sich. So bekommt Johannes, so bekommen auch wir keine Aussagen und Feststellungen in die Hand. Keinen Identitätsausweis.

Aber eine Antwort ist das, was Jesus den Johannesjüngern sagt, schon:

Macht die Ohren und Augen auf. Hört und seht und berichtet, was hier geschehen ist und geschieht. Menschen werden aus ihrem Elend aufgerichtet und können wieder aufsehen, Menschen mit harten Herzen und verstopften Ohren hören, Lahmgelegte machen Schritte nach vorne, Tote und Totgesagte bleiben nicht tot liegen und die Armen rücken in den Brennpunkt des kommenden Heils. Berichtet das dem Johannes!

Jesus sagt dem Johannes damit nichts anderes, als was dieser schon in seinem Gefängnis hatte erzählen hören. Und was ihn ja gerade ins Fragen gebracht hatte.

Etwas anderes kriegen auch wir in diesem Evangelium zu hören.

Jesus hat konkret geholfen, in seinen Worten und Taten hat er sich Menschen zugewandt, denen es schlecht ging. Er hat damit Zeichen gesetzt. Sie waren nach den Worten der Propheten Zeichen der Heilszeit. Die Zeit des Heils aber ist heute – hat Jesus in seiner Vaterstadt gepredigt (Luk 4, 18-21).

Und nun möchte ich mich und Sie, liebe Predigthörer, zum Vertrauen aufrufen: Dieses „heute“ Jesu ist auch heute. Am 3. Advent des Jahres der Herrn 2014. Das Kommende ragt schon ins Heutige. Die Zukunft holt das Gegenwärtige ein.

So gewiss - und das ist der Kern und Stern der Evangelien – Jesus nicht bei den Toten zu suchen, sondern auferstanden ist und lebt. Es ist in den Teig der alten Welt schon der Sauerteig des Reiches Gottes gemischt und arbeitet in ihm.

Wir sehen das nicht direkt. Wie wir auch den Christus nicht sehen. Aber achten wir auf solche Zeichen in unsrer Welt, in der so viel schlimm ist:

Da öffnet ein neuer Papst seine Arme für die Armen. 

Da melden sich viele in unserem Land – Junge und Alte – um Flüchtlingen zu helfen, die jetzt zu uns kommen.

Da engagieren Menschen hierzulande sich mit hohem persönlichen Einsatz, damit in Nepal und Indien Kinder und junge Frauen durch einheimische Organisationen und Projekte vor dem wachsenden Menschenhandel und aus der Zwangsprostitution gerettet werden und danach eigenständig leben können.

Da besucht eine selbst schon ältere Frau seit vielen Jahren Kranke in ihrer Umgebung wie ein guter Engel.

Sind das und anderes mehr nicht hoffnungsvolle Zeichen?

Ich möchte dazu aufrufen, solche Zeichen wahrzunehmen! Und von ihnen zu berichten. Die Horrornachrichten sind weiß Gott nicht alles, was aus unsrer Welt zu erzählen ist. Solche Zeichen machen Mut. Und sie wollen uns selbst aktiv beteiligen. Wir können die Augen und Ohren aufmachen, um zu merken, wo wir gebraucht werden.

So vieles scheint uns die Hoffnung zu rauben.

Israelische Schriftsteller (David Grossmann[2], Etgar Keret[3]) haben jüngst im Blick auf die fehlenden Friedenschancen in ihrem Land vor der Verzweiflung gewarnt als vor einer Macht, die alle Initiative lähmt und in die Passivität führt. „Fänden wir uns mit der Verzweiflung ab, gestünden wir im Grunde ein, dass wir besiegt worden sind“ (Grossmann). Diese Israelis reden der Hoffnung das Wort. Sie tun es für ihre Landsleute. Aber wir dürfen und sollen es auch für uns und für unsre Welt hören. Für uns und unsere Rückzüge in die Resignation und in die Gleichgültigkeit und in die Verzweiflung über die Weltlage.

Als Ruf zur Hoffnung möchte ich die Antwort Jesu verstehen. Hört und seht, was geschieht und berichtet dem Johannes!

5.

Selig ist, wer sich nicht an mir ärgert“ – lässt Jesus zuletzt dem Johannes ausrichten.

Ja, man kann sich an Jesu Antwort stoßen. Weil Jesus sich uns direkt nicht ausweist. Er mutet uns zu, uns auf das einzulassen, was er getan und gepredigt hat und auch heute tut. Und was doch nur Zeichen ist für die, die Augen haben zu sehen und Ohren zu hören. Aber mit dieser Zumutung  macht er uns Mut.

oder sollen wir auf einen andern warten – hatte Johannes gefragt. Nein, das sollen wir nicht. Aber auf denselben, der in seinen Worten und Taten gekommen ist, auf den sollen wir warten. Mit den Juden und wie die Juden auf den Messias warten.

Und sollen uns in dieser Wartezeit nicht zufrieden geben mit der alten Welt, so wie sie ist. Sondern sollen Heils—und Lebenszeichen gegen die alte Todeswelt aufspüren und selber dagegen setzen. Keiner von uns kann die Welt retten – habe ich gerade in einer Predigt gehört[4]. Aber wir alle können unser Leben ändern, jedenfalls dies und das in unserm Leben. Auf dass wir hilfreich werden.

Uns bleiben Fragen an Jesus. Und es bleiben Fragen offen.

Der Kommende wird, wenn er kommt, seine Identität aufdecken. Über all unsre christlichen und jüdischen Voreingenommenheiten und Feststellungen hinaus. Da werden wir aus dem Staunen nicht herauskommen. Und er kommt gewiss nicht mit leeren Händen, sondern als das ganze Heil für die ganze Welt. Darauf lasst uns mit unsern jüdischen Geschwistern warten – leben im Advent! Amen.



[1] Sören Kierkegaard, Einübung ins Christentum (1848), zit. Von Gerhard Bauer in: hören und fragen. Eine Predigthilfe, hg. v. Arnold Falkenroth und Heinz Joachim Held, Bd. 1, Neukirchen 1978, 15.

[2] David Grossmann, Israels Politik: Unsere Verzweiflung ist unser Untergang, in:F.A.Z. 9.7.2014.

[3] Nahost-Konflikt. Ein Briefwechsel der israelischen Schriftsteller Etgar Keret und Sayed Kashua, in: DIE ZEIT vom 27.11.2014, 56f.

[4] Gottesdienst im ZDF am 7.12.2014.