Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Eugen Manser
15,21-28

Predigt zu Matthäus 15,21-28 von Eugen Manser

Liebe Gemeinde,

eine verstörende Geschichte. Ihr gutes Ende lässt einen nicht ihren empörenden Anfang vergessen. Jesus verschließt sich den Hilferufen einer  Notleidenden, weil sie Ausländerin ist, nicht zum Volk der Erwählten gehört!

Dreimal bleibt die Bitte um die Heilung der Tochter unerhört und schon beim ersten Mal möchte man dazuwischen gehen, dem Jesus die Leviten lesen: „Dann lässt du es eben bleiben, Jesus! Lieber bleibe ich mit meiner Not allein, als dass du mich hier anschweigst und demütigst!“

So geht manche Anfangsgeschichte des Glaubens in die Brüche - bis heute:

Ein Mensch ist in Not. Er hat gehört, das Gebet zu Gott kann helfen. Aber er hat noch nie gebetet. Schließlich überwindet die Not seinen Stolz und er wendet sich das erste Mal mit rauer Stimme und ungelenken Worten an Gott. Die Antwort ist Schweigen.

Der Mensch macht sich vielleicht in seiner Not sogar auf den Weg in die Gemeinde, weil er vermutet, dort seien geübte Beter. Aber er wird wieder enttäuscht, weil er in der Gemeinde allem Möglichen begegnet, nur nicht dem Gott, der seine Not wendet.

Unser Evangelium erzählt, wie dieses Schweigen Gottes schließlich nach unfasslicher Beharrlichkeit doch noch durchbrochen wird. Deshalb ist dieses Evangelium eine wertvolle Geschichte für alle Enttäuschten und Abgewiesenen.

Eine Frau kommt zu Jesus mit dem Notschrei Kyrie eleison!, Herr, erbarme dich!

Wie kommt sie dazu, in Jesus Gott zu sehen, der helfen kann? Denn Jesus mit seinen Jüngern war damals für den Augenschein auch nicht attraktiver als eine Kirchgemeinde von heute.

Markus erzählt in seiner Version der Geschichte, die Frau habe von Jesus ein gutes „Gerücht“ gehört. Aus diesem Gerücht, das sie gehört hat, kommt ihr unerschütterliches Zutrauen zu ihm.

Immer sind es Worte anderer Menschen, die uns auf Gott hinweisen, uns von guten Erfahrungen mit ihm berichten. Der Glaube an die Kraft Gottes entsteht also nicht durch Nachdenken und Grübeln – er entsteht durch das gute Gerücht, das mich trifft, durch Worte von anderen Menschen, die so oft ohne ihr Wissen zu Wegweisern auf Gott hin werden. In mir entsteht dann der Wunsch: ich will auch so glauben können!

Warum aber macht sich gerade diese einzelne ausländische Frau auf den Weg und andere, die das gute Gerücht auch gehört haben, nicht?

Die Antwort gibt Jesus selbst, wenn er bei einer anderen Gelegenheit sagt: „Die Kranken bedürfen das Arztes, nicht die Gesunden.“ Die Frau fühlt ihre Not. Sie ist eine von denen, die Maria im Magnifikat besingt: „Er füllt die Hungrigen mit Gutem – die Reichen lässt er leer.“

Die gute Botschaft geht an mir vorbei, solange ich glaube, bessere Botschaften zu haben, nach Brot verlangt es nur den Hungrigen und Kyrie eleison schreit nur einer, der die Erbarmungslosigkeit erlebt.

Die Frau fühlt das. Sie sucht das Wort, das Heilung bringt in ihre Familie: „Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich mein! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.“
Jesus schweigt zu ihrem Hilfeschrei! Was wird sie gedacht haben? ‚Ist das wirklich der Retter, der gütige Mann, von dem ich gehört habe? Es kann doch nicht wahr sein, er schweigt!’ 
Das ist hart, wenn sich Gott so tief verbirgt, dass wir denken, er wolle uns gar nicht. Wenn wir zum Beispiel in den Gottesdienst kommen in Erwartung von Trost, Hilfe und Ermutigung – und hören dann doch nur seichtes Menschenwort. Oder wenn wir beten und nur Schweigen kommt zurück.

Aber die Frau lässt sich nicht beirren. Sie bleibt bei dem guten Gerücht, dass sie von Jesus gehört hat. Sie bleibt dabei, obwohl sie gar nichts von Güte und Zuwendung spürt. Das tut unserer Vernunft, unserem Stolz, unserer Würde weh, wenn Gott uns so ignoriert! Da fallen die Hüllen und der Mensch steht nackt und bloß vor Gott. Diese Erfahrung erschüttert den Glauben der Frau so stark – dass er darüber fest wird! Doch Jesus schweigt weiter.

Nun bitten die Jünger für die Frau: „Stelle sie doch zufrieden!“ Sie treten mit ihrem Glauben bei Jesus für sie ein. Aber auch ihr Gebet schlägt er ab: „Ich bin nur für Israel da, nicht für diese Fremde.“

Manchmal nehmen sich andere unserer Not an. Sie hören uns an, verstehen uns, sehen auch manches schärfer, klarer als wir es vorher sahen – das hilft und tröstet auch. Aber auch sie werden nicht immer von Gott erhört. Wieder fällt eine Schutzhülle: Auch die Fürsprache (Fürbitte) anderer Menschen für uns ist keine Garantie, Gott aus seiner Verborgenheit herauszulocken. Schroff weist Jesus die Jünger ab: „Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“ Doch die Frau geht noch immer nicht traurig davon wie der reiche Jüngling. Immer noch glaubt sie, dass seine Güte unter seiner Abwehr verborgen ist. Sie will noch immer kein negatives Urteil über Gott fällen – das heißt Festhalten am Glauben!    

Sie läuft ihm nach, wirft sich ihm in den Weg: „Herr, hilf mir!“

Endlich bricht er sein Schweigen. Und was bekommt sie nun zu hören?

Sie sei ein Hund, nicht Wert seines Wortes, sie gehöre zu den Unbeachteten. Die Frau lässt die letzte Schutzhülle fallen – sie gibt ihm recht!

„Ja, ich bin eine Hündin, aber nun sei du auch ihr Herr! Denn auch die Hunde bekommen Brosamen von ihrer Herren Tische.“

Das heißt doch: ‚Gott, du Verborgener, du tust alles, um mich von dir wegzubringen – aber dein Segen reicht weiter, als du es mich jetzt erfahren lässt. Du kannst ja deinen Segen gar nicht halten – er fällt dir vom Tisch und ist auch noch für mich da.’

So fängt sie ihn mit seinen eigenen Worten. Jesus ist überwältigt: „Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst.“

Liebe Gemeinde, diese Geschichte macht eindringlich deutlich, wie schnell wir die Chance unseres Lebens vergeben können, wenn wir nur nach unserem gegenwärtigen Gefühl über Gott urteilen. Hätte die Frau ihrem Schmerz und ihrem verletzten Stolz über die fortwährende Ablehnung nachgegeben, sie wäre wahrscheinlich für immer traurig davongegangen.

Sie aber hielt daran fest, dass auch Gottes Nein ein kräftiges Ja birgt.

Gottes Segen wächst immer wieder über sich hinaus. Sogar Jesus lernt Neues über dieses uneingrenzbare Heil. Nicht die religiöse Herkunft, nicht einmal persönliche Not, sondern einzig der Glaube schreit erfolgreich zum Himmel.

Entscheidend ist also nicht, woher ein Mensch kommt. Entscheidend ist, wohin er unterwegs ist. Das hat Jesus bei dieser Begegnung gelernt. Er hat dazugelernt und sich umstimmen lassen.

Mögen auch wir angesichts der fremden Flüchtlingsströme in diesen Strom der Barmherzigkeit gezogen werden!