Predigt zu Matthäus 6, 1-4 von Reiner Kalmbach
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Predigt zu Matthäus 6, 1-4 von Reiner Kalmbach

Thema: der (persönliche) Glaube und seine Praxis
Wir predigen in unseren Gottesdiensten nur selten über einen Abschnitt aus der Bergpredigt. Vielleicht ist das auch ganz gut so, ansonsten hätten wir sicherlich die eine oder andere Diskussion, oder sogar theologische und ideologische Ausseinandersetzungen. Schliesslich ist die Bergpredigt „starker Tobak“. Es ist, als ob wir Angst hätten uns die Finger zu verbrennen. Für die einen ist die Bergpredigt das politische Programm Jesu, in dem er uns seine Botschaft, seine Mission in konzentrierter und radikaler Form mitteilt.., während es für die anderen utopische Gedanken sind, unvereinbar mit der irdischen Wirklichkeit, auch (und besonders) mit der irdischen Kirchenwirklichkeit. Sonderbar nur, dass wir in jedem Gottesdienst gerade das Zentrum dieser Predigt herauspflücken, um es gemeinsam zu beten: das Vaterunser.
Was sollen wir nur anfangen mit der Botschaft dieser Predigt, ihren Forderungen und Ansprüchen?, oder handelt es sich um etwas ganz anderes? Wenn Jesus, z.B. von der „Feindesliebe“ spricht, meint er das im Sinne der zehn Gebote?, wenn er uns einen Spiegel hinhält, damit wir den Balken im eigenen Auge erkennen, nachdem wir mit dem Finger auf den Splitter im Auge unseres Nächsten gezeigt haben..., sind das „ethische Richtlinien“ für die christliche Gemeinde, so nach dem Motto: „...ein Christ tut dieses und jenes tut er nicht...“?
Wie schön sind doch die Wundergeschichten Jesu!, wie dramatisch, bisweilen, seine Diskussionen mit den Pharisäern und den anderen „gescheiten“ Theologen! Da kann man (innerlich) zuhören, sogar Partei ergreifen, sich den Glauben stärken lassen.
Aber hier ist das anders: es geht uns ziemlich gegen den Strich, wenn wir bei der Lektüre der Bergpredigt erkennen, dass wir als Christen, als Gemeinde, als Kirche nur zu oft mit dem Strom schwimmen, uns also von der Welt so gar nicht unterscheiden. Und am Schluss kommt es noch dicker: nur wer sein Wort hört –also das Wort der Bergpredigt-, und es tut, ist ein intelligenter Mensch, der sein Lebenshaus auf festem Grund gebaut hat.
Es ist eine ziemlich lange Predigt, in der Jesus praktisch all unsere Gewohnheiten, Überzeugungen, unsere Verhaltensweisen, den Umgang mit den Menschen und der Welt, hinterfragt und an den Grundfesten unseres Lebensstils rüttelt..., und eigentlich, wenn wir dies alles an uns „heranlassen“, also ungefiltert bis in unser Innerstes, dann müsste all das, was uns lieb und teuer geworden ist, einstürzen..., wie das Haus, das auf Sand gebaut wurde.
So auch der Abschnitt, um den es heute geht. Er steht im 6. Kapitel des Matthäusevangeliums, die Verse 1 bis 4
Textlesung
1)      wir „Menschlichen“
Wer ist unter uns, der nicht nach Anerkennung strebt?, wer kann schon von sich sagen, dass seine solidarische Hilfe absolut uneigennützig ist, ohne jeden Hintergedanken? Ist es nicht so?: die anderen sollen sehen, wie grosszügig ich bin, und gleichzeitig wäre es gut, wenn der liebe Gott ebenfalls davon Notiz nehmen würde. Er wird es mir hoch anrechnen...Wir unterstützen andere Menschen, Projekte in der „Dritten Welt“, arbeiten ehrenamtlich in der Kirchengemeinde, oder in einer sozialen Einrichtung und wir tun dies mit den besten Absichten..., „die Deutschen sind ein spendenfreudiges Volk...“, konnte man in einem Zeitungsartikel lesen. Das ist gut!, das soll auch so bleiben! Die Schicksale vieler Menschen in vielen Teilen der Welt hängen davon ab. Wo ist dann also der Haken? Es ist unsere „Menschlichkeit“, wir können praktisch gar nicht anders, irgendwie erwarten wir Dankbarkeit, d.h. die Anerkennung dessen was wir tun. Das ist doch nur „menschlich“. Ist das so schlecht? Die Gesellschaft funktioniert eben so und schliesslich hat man ja ein Recht auf ein bisschen Dankbarkeit...Und nun kommt dieser Jesus und sagt: „..gerade dieses Streben nach Anerkennung wird euch zum Verhängnis...!“ Und jetzt?, was tun?, ist es möglich Gutes zu tun, solidarisch zu sein, ohne auch nur im Geringsten eine Gegenleistung zu erwarten...? Wir könnten Jesus auch entgegenhalten, dass es im Grunde doch auf die guten Absichten ankommt. Aber er lässt nicht locker..., wenn wir die Bergpredigt nicht ins Reich der Utopie abschieben wollen, sie also als eine an uns gerichtete Botschaft hören und annehmen wollen, dann sollten wir tiefer graben.
Vielleicht sollten wir einfach fragen: an wen ist diese Predigt gerichtet? Wir sind die „Menschlichen“, stellten wir eben fest. Und wir, die wir hier dieser Predigt lauschen, sind ausserdem noch Christen, also
2)      wir menschlichen Christen
Und jetzt müsste ich gegen das anpredigen, was uns im fernen Patagonien erst möglich macht, unsere Mission als Gemeinde und diakonische Einrichtung zu erfüllen: tausende von Euros, gesammelt und gespendet von Gemeinden, Firmen, Privatpersonen, Jugendgruppen im (fernen) Deutschland. Ohne diese Hilfe gäbe es uns ganz einfach nicht, denn auch die Gemeinde Christi benötigt, ausser der Kraft des Heiligen Geistes, auch ganz gewöhnliches irdisches Geld. Bei vielen Gelegenheiten, in Gottesdiensten, in Briefen und Zeitungsartikeln, versuchen wir unsere Dankbarkeit zum Ausdruck zu bringen. Oft genug werden dabei Namen genannt, weil wir wissen, dass dies „irgendwie“ erwartet wird. Mit dem Geld ermöglichen wir mittellosen alten Menschen einen würdigen Lebensabend, unterstützen Initiativen die versuchen das Los verwahrloster Kinder in Armenvierteln zu verbessern, und helfen der kleinen protestantischen Gemeinde und ihren Mitgliedern, die in einem Gebiet verstreut leben, das weit grösser ist, als Deutschland. Gerade uns trifft dieses Jesuwort besonders, als „Empfänger“ von Spenden..., es bringt uns ganz durcheinander, weil wir mit den Mitteln verantwortlich umgehen wollen, sie auch an andere weitergeben..., und dabei dann „irgendwie“ Dankbarkeit erwarten..., na ja, vielleicht nicht so direkt, aber wir freuen uns doch, wenn unsere Arbeit Anerkennung findet...Und es bringt eben jene durcheinander, die mit den besten Absichten ihr Bankkonto erleichtern, um anderen Menschen, die sie nicht einmal kennen (!), zu helfen.
Auf meinen Reisen nach Deutschland beeindruckt mich immer wieder, mit wie viel Phantasie und Begeisterung die Menschen Spendenaktionen organisieren. Schon längst geht es nicht mehr um „Almosen“, oder der Hilfe für die „armen Negerlein“. Es geht um echte Solidarität, um den Versuch die Welt ein bisschen gerechter zu gestalten. Und da ist es aufgetaucht, das Wort: „Gerechtigkeit“!
Meine lateinamerikanischen Bibelausgabe übersetzt den ersten Vers unseres Abschnitts: „Habt Acht auf eure Werke der Gerechtigkeit...!“ Dieses Wort ist der Schlüssel zum Verständnis der ganzen Bergpredigt, und damit natürlich auch für unser Thema.
3)      wir menschlichen Christen (sind) Mitbürger Seines Reiches
Eine kleine Geschichte aus meinem Leben: ich habe mich spät fürs Theologiestudium entschieden. Da gab es bereits eine Familie, meine Frau und unser frischgeborener Sohn. Unsere Ersparnisse waren schnell aufgebraucht, meine Frau mit dem Baby konnte (noch) nicht arbeiten und ich war täglich an der Fakultät. Wir hatten eine kleine Wohnung gemietet. Von Monat zu Monat wurde es knapper..., bis wir schliesslich vor der Frage standen: wie wollen wir die nächste Monatsmiete bezahlen? Wir hätten vielleicht unsere Eltern anpumpen können, aber man hat ja auch seinen Stolz...Es hätte zum Leben gerade so gereicht, aber die Miete...? Soweit ich mich erinnern kann, haben wir über unsere Situation mit niemanden geredet. Vielleicht ist den Studienkollegen meine betrübte Stimmung aufgefallen und haben „etwas“ vermutet. An einem Morgen, es war der letzte Tag des Monats, an dem die Miete fällig war, lag im Briefkasten ein Umschlag, an uns adressiert, aber ohne Absender. Darin fanden wir den genauen Betrag für die Miete. Bis heute wissen wir nicht, welch solidarisches Herz sich unser erbarmt hatte. Es könnte der ganze Kurs an der Fakultät gewesen sein, vielleicht aber auch eine Einzelperson..., wir konnten nicht einmal „Danke“ sagen.
Ich denke, Jesus meint dieses Verhalten: helfen aus purer, spontaner, uneigennütziger Solidarität, aus reiner Nächstenliebe. Ein Verhalten das nicht unserem irdischen „Ich“ entspringt, sondern nichts anderes ist, als geschenkter Glaube der Gestalt annimmt. Es geht also um unseren Glauben: wer sich von Gott bedingungslos geliebt und deshalb angenommen weiss, der wird den Weg der Gerechtigkeit gehen. Und schon hören wir die Worte aus der Bergpredigt mit ganz anderen Ohren (Herzen). Diese Worte erzählen vom Reich Gottes. Deshalb kann man sagen, dass die Bergpredigt der in die Tat umgesetzte Wille Gottes in dieser Welt ist.
Und es ist der Glaube an Christi Erlösungstat am Kreuz, der uns die Tür zu diesem Reich aufschliesst. Durch den Glauben sind wir mithineingenommen in Sein Reich, wir können, wir dürfen, wir werden, angetrieben von der Kraft dieses Glaubens, gegen den Strom der Welt schwimmen.
Wenn wir nachher im Vaterunser um das Kommen Seines Reiches bitten, dann sollten wir daran denken, dass dieses Reich sich eben so offenbart, zeigt, wie Jesus es uns in seiner Predigt beschreibt. Es ist der bereits von den Propheten verkündete Wille Gottes für diese geschundene Welt, die gestaltgewordene Liebe, heute ausgegossen über die Gemeinde Christi, damit die Welt erkenne, wer ihr wahrer Herr ist.
Amen.
Perikope
Datum 25.08.2013
Bibelbuch: Matthäus
Kapitel / Verse: 6,1
Wochenlied: 343
Wochenspruch: Mt 25,40