Predigt zu Offenbarung 1, 9-18 von Christian Stasch
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Predigt zu Offenbarung 1, 9-18 von Christian Stasch

„Wow, ist das eine Stimme, warm, intensiv, emotional, interessant.“ Denkt sich Nena, die in ihrem hohen Sessel mit dem Rücken zur Bühne sitzt. Sie wippt eine Weile im Takt mit, ganz fasziniert vom Text, von der Melodie und wie das gesungen wird. Nena gibt sich einen Ruck. Sie haut mit Faust auf den dicken Knopf vor ihr. Denn sie will mehr. Sie will nicht mehr nur hören, sie will nun auch … -
  Die Blind Auditions der Casting-Sendung „Voice of Germany“ hatten eine überraschend hohe Zuschauerquote. Blind Audition bedeutet:  Die Jury (also Nena und die anderen) mussten sich erst mal komplett auf ihr Gehör verlassen: sie sahen die Sänger nicht. Konzentrierten sich ganz auf die Stimme,  wurden durch nichts Optisches abgelenkt. Die Stimme allein zählte. Ein Zuschauer meinte etwas herablassend: „So haben auch Hässliche eine Chance.“
  Beim Fernsehen kommen Hören und Sehen zusammen, im Radio hingegen zählt die Stimme, das Wort allein. Voice of Germany ist eine Fernsehsendung mit Radio-Elementen.
  
  Er -  sitzt nicht wie Lena im Studiosessel, er, Johannes, sitzt auf der griechischen Insel Patmos, sitzt da fest, festgehalten oder verbannt oder abgetaucht, jedenfalls getrennt von seinen Glaubensgeschwistern, getrennt von den anderen gerade erst entstandenen christlichen Gemeinden. Ohnmächtig ist er. Ohne Macht. Die Macht haben andere, die Römer, der Kaiser, der sich als „Gott und Herr“ verehren lässt. Personenkult. Gleichschaltung. Wahnsinn. Für die Mächtigen hat diese neue Bewegung, die (ha!) einen Gekreuzigten verehrt, keinen Platz, das stört, das sind so Widerstandsnester gegen die Ordnung und gegen den Kaiserkult, die muss man ausräuchern.  
  In dieser Ohnmacht erlebt Johannes nun aber Mächtiges. Er bekommt an einem Sonntag wie heute Machtvolles, Stärkendes zu hören. Blind Audition zunächst. Und dann will er mehr. Er will nicht nur hören, er will auch sehen:
  
  (Textlesung)
  
  Das ist schon außergewöhnlich, spektakulär. O.k., die Jünger waren einst mit Jesus umhergezogen, hatten mit ihm gelebt, hatten ihn gehört und gesehen. Doch das liegt 50 Jahre zurück und es galt seitdem immer: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Dass einem Jesus nach seiner Auferstehung so erscheint wie hier dem Johannes, das ist schon ein umwerfendes Schlüsselerlebnis - und Johannes wird davon ja auch umgeworfen.
  Johannes wird dann noch viel mehr zu hören und zu sehen bekommen, eine Offenbarung, er wird das alles aufschreiben, er wird es als verschlüsselten Rundbrief an die christlichen Gemeinden schicken, er wird darin die Hoffnung äußern, dass das römische Reich einst untergehen werde und dass es einst kein Leid, keinen Schmerz, kein Geschrei mehr geben werde und Gott alle Tränen abwischen werde. „Jesus Christus herrscht als König, alles ist ihm untertänig.“ Als Anhänger einer Minderheitsreligion nimmt Johannes den Mund damals ganz schön mutig voll.
  Einige seine Bilder sind dabei so heftig, dass Theologen die Nase rümpften (Martin Luther z.B. war gar kein Fan dieser Johannesoffenbarung), während viele Künstler sich davon inspirieren ließen.
  
  Wie ist es Ihnen und euch beim Zuhören ergangen? Befremdlich? Eindrücklich?
  Was war Einprägsamer: Das, was Johannes von Christus gesehen - oder gehört hat?
  Erst Stimme gehört: wie eine Posaune.
  Dann Erscheinung gesehen: langes Gewand, siebenarmiger Leuchter, goldener Gürtel, die Haare weiß wie Wolle und Schnee, die Augen wie eine Feuerflamme, goldene Füße, sieben Sterne in der Hand, Schwert im Mund.
  Und dann Worte gehört (Voice of Jesus): Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige. Ich war tot, und siehe, ich bin lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit und habe die Schlüssel des Todes und der Hölle
  
  Was gibt es eigentlich hier in der Kirche zu sehen und zu hören?
  Zu sehen:
  Den Kirchturm von weitem,
  das höchste Gebäude von Rehburg,
  die Steine,
  die Eingangstür,
  die Bänke.
  Kruzifix
  Taufstein,
  Altar,
  Blumen,
  Kerzen,
  Kanzel,
  Orgel
  (usw.)
  
  Zu hören:
  Menschen atmen, ein und aus,
  sie singen
  sie beten,
  sie bekennen ihren Glauben,
  die Orgel „atmet“ und produziert Töne mit menschlicher Hilfe,
  wir hören Worte der Bibel,
  Menschenwort, Gotteswort, ineinander.
  
  Lassen wir hier mal beiseite,
  dass es manchmal in der Kirche ja auch etwas zu schmecken gibt (Brot und Wein),
  zu tasten (die Hände des Nachbarn)
  und zu riechen (Weihrauch),
  sondern bleiben wir beim Hören und Sehen.
  
  Mir ist beides wichtig.
  Manchmal dominiert eins von beidem,
  dann bin ich eher ein Seh-Typ,
  freue mich an der schönen Kathedrale von Mallorca
  und ihren großen bunten Fenster-Rosetten, obwohl ich die spanische Ansprache nicht verstehe,
  und manchmal bin ich eher ein Hör-Typ,
  erlebe Gottes Nähe im Hören vom Weihnachtsoratorium auf CD,
  ohne irgendwas zu sehen.
  Oder ich murmele meinen Taufspruch vor mich hin, der so schön kurz und knapp ist:
  „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“
  
  Was Johannes hier vom auferstandenen Christus sieht, geht mir nicht so nah.
  Das Äußerliche von Jesus ist mir nicht wichtig.
  Wenngleich das Interesse hier auch gar nicht auf dem Outfit, den Klamotten, liegt, sondern auf der Symbolik:  
  die ganze Erscheinung erinnert an einen Engel, sieben Leuchter, sieben Sterne an die Zahl der Ganzheit (ganzen Christenheit), das Schwert im Mund an das Gericht.
  
  Mir gehen hier die Worte näher als die Bilder. Es sind drei:
  
  1.  „Fürchte dich nicht.“
  Die ganze Bibel in Kurzform. Fürchte dich nicht, als Hirte nachts draußen bei den Schafen, denn euch ist heute der Heiland geboren.
  Fürchte dich nicht - in deiner Schule, bei allem Stress und den Anforderungen.                                 
  Fürchte dich nicht - vor dem Alter, wenn die Lebenserfahrung größer wird und die Kräfte kleiner.                                              
  Kannst also froh und getrost, geborgen und mutig, humorvoll und liebvoll leben.
  
  2.  „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige“.
  Das sprengt alle Vorstellungskraft.  Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft verschwimmen hier miteinander.
  Unsere Zeitvorstellung wird geweitet.
  Bevor du erdacht warst und bevor es dich gab, war er, Christus schon da.
  Jetzt ist er da, bei dir, und dir, und jedem.
  Und: Wenn du einmal musst scheiden, scheidet er nicht von dir, wird auch dann da sein.
  Du, umgeben von der Liebe Christi. Allezeit.
  
  3. Schließlich: Christus hat „die Schlüssel des Todes.“
  Er, der Gestorbene und Lebendige und Lebendigmachende - die Schlüsselfigur.
  So leicht ist das ja in unserem Alltag oft nicht. Dort, wo der Kontakt zu anderen schwer geworden ist, belastet, wie verschlossen. Manchmal in der eigenen Verwandtschaft.
  Und die Sehnsucht bleibt lebendig, nach dem, der kommt und sagt: „ich helfe dir, fürchte dich nicht, hier sind die Schlüssel …“
  
  Am 10. Februar ist das Finale, dann geht Voice of germany erstmal zu Ende.
  Die Stimme, die sagt „Fürchte dich nicht“, ist auch über den 10. Februar hinaus zu hören.  
  Amen.