Predigt zu Römer 6,19-23 von Jörg Egbert Vogel
6,19-23

Predigt zu Römer 6,19-23 von Jörg Egbert Vogel

19 Ich muss menschlich davon reden um der Schwachheit eures Fleisches willen: Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit, dass sie heilig werden.

20 Denn als ihr Knechte der Sünde wart, da wart ihr frei von der Gerechtigkeit.
21 Was hattet ihr nun damals für Frucht? Solche, deren ihr euch jetzt schämt; denn das Ende derselben ist der  Tod.
22 Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet; das Ende aber ist das ewige Leben.
23 Denn  der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.


Liebe Gemeinde,
der Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom ist wohl das bedeutendste Textdokument aus der Frühzeit der Kirche, verfasst in den 50iger Jahren des 1. Jahrhunderts, also nur rund 20 Jahre nach Jesu Tod.
Im Römerbrief bemüht sich Paulus um eine grundlegende Darstellung des christlichen Glaubens aus seiner Sicht in der Sprache und Denkweise der jüdisch-hellenistisch-römischen Antike.
Der eben gehörte Predigttext dokumentiert dies in zweierlei Hinsicht.
Zum einen ist das duale Denken und Argumentieren auffällig:
Wie ihr eure Glieder hingegeben hattet an den Dienst der Unreinheit und Ungerechtigkeit zu immer neuer Ungerechtigkeit, so gebt nun eure Glieder hin an den Dienst der Gerechtigkeit.
Und:
Nun aber, da ihr von der Sünde frei und Gottes Knechte geworden seid, habt ihr darin eure Frucht, dass ihr heilig werdet.
Und:
Der Sünde Sold ist der Tod; die Gabe Gottes aber ist das ewige Leben.

Diese 3 Textabschnitte stellen das Leben vor der Zugehörigkeit zur Gemeinde und danach gegenüber als Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit, als Knechte der Sünde und Knechte Gottes und Tod und Leben.

Zum anderen springt die uns fremde antike Ausdrucksweise ins Auge, stolpern wir leicht beim Lesen und Hören über Begriffe, die uns heute fremd und sinnentleert sind.

So sind Reinheit und Unreinheit, Ungerechtigkeit und Gerechtigkeit, sowie Sünde und Knecht Gottes Begriffe und Gegensätze, die heute einen anderen Klang haben, als für Paulus und seine Zeit.

Zwar versteht jeder z.B. den Begriff Sünde, umgangssprachlich wird er aber kaum benutzt und wenn dann nur in einer verharmlosenden Weise. Und für jeden ist heute Sünde etwas ganz anderes. Für den Diabetiker schon das Kuchenessen.

In Luthers Zeit war der Begriff Sünde noch ganz klar theologisch, heilsökonomisch besetzt. Die Sünde war das Tun des Menschen, welches aufgrund seiner Gottferne geschah und zum Verlust des himmlischen Heils führte.

Bei Paulus ist der Begriff Sünde auch klar geprägt. Wegen seines jüdischen Hintergrundes ist sein Sündenverständnis auch ein jüdisches: Sünde ist die Übertretung eines der nach inzwischen traditioneller Zählung 613 Gebote aus der Thora. Und für traditionelle Juden ist das heute noch so.

Im Christentum gibt es ein breites Spektrum des Sündenverständnisses.
Für konservativ-fundamentalistische Christen ist schon der Kino- oder Theaterbesuch Sünde, während für die liberaleren, aufgeklärteren Sünde, in diesem auf das Gottesverhältnis bezogenen Sinn, praktisch nicht mehr vorkommt.
Das Verhalten von Menschen wird soziologisch und psychologisch beurteilt und erklärt, jedoch kaum noch mit den Kategorien von Sünde und Heil.

Die Freiheit von der Sünde folgt bei Paulus aus dem neuen Gottesverhältnis, das durch Jesus für alle Menschen ermöglicht wurde. Er nennt das „Knecht-Gottes-sein“.
Das ist für uns aber keine Beschreibungsmöglichkeit mehr für unser Gottesverhältnis. Wir sind keine Knechte, Diener, Sklaven Gottes und wollen das auch nicht sein. Für uns ist Gott der Freund und Partner.
Nicht, weil wir das so wollen, sondern weil er selbst uns zu Freunden, Partner, Töchtern und Söhnen durch Jesus Christus gemacht hat.
So schreibt Paulus im Galaterbrief: So bist du nun nicht mehr Knecht, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.

Dieses familiäre, freundschaftliche verwandtschaftliche Verhältnis ist also nicht mehr mit Knechtschaft und Sklaverei zu umschreiben.

Wir können also die Aussagen der wichtigsten Schrift des Neuen Testament, des Römerbriefes, nicht einfach eins zu eins übernehmen.
Doch das, was für Paulus entscheidend war, die neue Qualität des Lebens aus dem Glauben, der sich auf der Botschaft Jesu Christi gründet, ist heute noch genauso gültig. Wir beschreiben es freilich anders.

Paulus argumentiert hier in unserem Abschnitt gegen diejenigen unter den Christen, die die neue Freiheit des Glaubens falsch verstehen.
So sagt er ein paar Verse vorher: Wie nun? Sollen wir sündigen, weil wir nicht unter dem Gesetz, sondern unter der Gnade sind? Das sei ferne!
Denjenigen, die meinen, dass sie, weil sie an Jesus Christus glauben, nun sündigen, also die Gebote beliebig übertreten können, sagt Paulus, dass sie da etwas missverstanden haben.

An anderer Stelle sagt er ja, genau wie Jesus, dass die Gebote durchaus nicht aufgehoben und damit erledigt sind, sondern Jesu rechtverstandene Gesetzesauslegung besagt, dass die Gebote für den Menschen da sind und nicht umgekehrt.

Der Mensch soll nicht sklavisch und lieblos die Einhaltung aller 613 Gebote durchsetzen, sondern aus eigener Überzeugung und verantwortlich vor Gott handeln und sein Leben gestalten.

Nicht die Abschaffung des mosaischen Gesetzes lehrte Jesus und mit ihm hier Paulus, sondern die Selbstverantwortung des Menschen vor Gott und vor dem Nächsten.
Paulus nennt das Knecht-Gottes-Sein um damit zu zeigen, dass es sich nicht um Beliebigkeit handelt, wo jeder machen kann, was er will, sondern um die Letztverantwortung des Menschen in seinem Handeln vor Gott, die sich allerding nicht in eine kleinere oder größere Zahl von Geboten fassen lässt.

Deshalb ist das Gesetzesverständnis nicht der Unterschied zwischen Juden und Christen.
Wie es Juden gab und gibt, die es für wesentlich halten, die Gebote exakt einzuhalten und sich und andere ihrem Gesetzesverständnis sklavisch unterzuordnen, so gab und gibt es genauso Christen, die eine bestimmte Ethik und Moral und tägliche Verhaltensweisen für christlich halten und damit als von Gott gegeben und für alle und für immer gültig, und andere halten sie dann entsprechend für unchristlich.

Diese christlichen Sklaven des Gesetzes machen ihre Wertvorstellungen zum Maßstab für andere, proklamieren diese als göttlich und sind damit genauso lieblos wie die in den Evangelien so viel gescholtenen Pharisäer.

Vielleicht ist es einfacher eine bestimmte Anzahl von Geboten oder Regeln einzuhalten, als in Freiheit immer wieder neu entscheiden zu müssen, wem nütze und wem schade ich mit meinem Verhalten.
Doch genau das ist das Evangelium, so zu handeln, dass niemand Schaden nimmt und so zu leben, dass Leben in Freiheit für andere, auch für nachfolgende Generationen ermöglicht wird.

Dieser christlichen Ethik der Freiheit und der Liebe zum Nächsten gilt die paulinische Verheißung: Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christus Jesus, unserm Herrn.

Pf. Jörg Egbert Vogel, Berlin