Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus, Amen.
„Spielplatz der Helden“, liebe Gemeinde, das ist eine Männergeschichte in Schnee und Eis. 1983 haben drei Bergsteiger das Inlandseis Grönlands in einem Sommer durchquert. 88 Tage sind sie ohne Schlittenhunde und ohne Hilfsmittel unterwegs gewesen. Über diese außergewöhnliche Leistung hat der österreichische Schriftsteller Michael Köhlmeier ein Buch geschrieben: „Spielplatz der Helden“ (Michael Köhlmeier, Spielplatz der Helden. München 2013).
Es ist eine Männerwelt, die Köhlmeier beschreibt. Eine Welt voller Macht, Stärke und Konkurrenz. Es geht um Kälte, auch menschliche Kälte und den Kampf ums Überleben. Von Anfang an, so die Erzählung, herrscht Streit. Zwei der Bergsteiger reden während ihres gefährlichen Marsches nicht mehr miteinander. Als der Schweigsame in der Erzählung gefragt wird, warum er während der Expedition nicht mehr geredet habe, antwortet er empört:
„Was! schrie er. Wer behauptet denn, daß ich nicht geredet habe! Natürlich habe ich geredet. Ich habe gebetet. Ist das nicht geredet? Ist das nicht geredet, wenn einer mit dem Herrgott redet? Dort oben habe ich gebetet wie ein Gestörter! ...Und ich mach jede Wette, wenn ich nicht gebetet hätte, wären wir verreckt! Jeder, der noch einigermaßen seine fünf beieinander hat, der muss das zugeben!“
„Spielplatz der Helden“ wirft einen ernüchternden Blick auf die Welt und die menschlichen Fähigkeiten. Nicht nur im Kampf der Abenteurer in Grönland.
Wir haben Helden genug erlebt in der Geschichte der Menschheit, besonders auch im vergangenen Jahr. Beschämend: Es ist weitegehend eine Männerwelt. Ihre Helden haben uns mit großen Worten von ihrer Stärke erzählt. Von Gewalt und Herrschaft, von Nationen und Macht. Mir scheint, als lebten wir auf einem Spielplatz der Helden. Weltweit gelten Grundregeln des Miteinanders nicht mehr. Frieden scheint nicht möglich zu sein. Der UN-Sicherheitsrat hat jahrelang in der Lösung des Syrienkriegs versagt. Mit Eifer werden politische oder persönliche Machtinteressen ins Spiel geführt! Die Wahrheit spielt keine Rolle mehr. Die Dreistigkeit, die Dauer-Lautstärke und manchmal auch die Dummheit sind mir schwer erträglich. Sie machen Angst.
Ich wünsche mir Schweigsame, die anders reden.
Ich wünsche mir Schweigsame, die mit Gott reden.
Ich wünsche mir Schweigsame, die menschliche Allmachtsphantasien durchbrechen.
Denn auf dem Spielplatz der Helden herrscht nicht nur Kälte, es gibt auch eine permanente Selbstüberforderung. Hier ist jeder seines Glückes Schmied. Und man muss dauernd auf der Hut sein, um nicht den Anschluss zu verlieren.
Als Martin Luther vor 500 Jahren seine Thesen formulierte, sah die Welt noch ganz anders aus. Aber es gab einen ähnlichen Druck. Es gab eine Herrschaft der Kirche. Sie war eine gewaltige Institution und nahm die Seele der Menschen gefangen. Alles lag am Menschen. Mit seiner Kraft, seinem Geld, seinem Leben konnte er Gott für sich gewinnen. In diesem, wie auch im nächsten Leben nach dem Tod. Das war damals eine geistliche Überlebensfrage.
In dieses Machtgehabe schreibt Martin Luther von einem Glauben, der uns auf eine andere Spur setzt. Zuerst ist Gott. Allein er. Am Anfang war nichts, allein Er. Bevor es Sommer und Winter gab, Sonne, Regen, Schnee und Eis, war Er. Bevor ich wurde, bevor überhaupt ein Mensch wurde, war Er, der uns erschuf. Bevor ich anfing zu sprechen, sprach Er, bevor ich handelte, handelte Er. Bevor ich gerecht sein konnte, war Er mir gerecht, bevor ich Frieden schaffte, schuf Er Frieden. Er allein.
Bevor ich.... bevor ich ... Allein Er, Allein ER, nur Er!
Für Martin Luther ist dabei eine Bibelstelle grundlegend gewesen:
Lesung:
Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.
Denn es ist hier kein Unterschied: Sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie vor Gott haben sollen, und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben hingestellt zur Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen wurden in der Zeit der Geduld Gottes, um nun, in dieser Zeit, seine Gerechtigkeit zu erweisen, auf dass er allein gerecht sei und gerecht mache den, der da ist aus dem Glauben an Jesus.
Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens.
So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.
„Allein durch den Glauben.“ Die Gebete des Bergsteigers in der endlosen Eiswüste von Grönland waren das stumme Gebrüll eines ohnmächtigen Menschen. Am Ende seiner Kräfte, zerrissen zwischen seinen Kameraden kennt er nur eine Adresse: Gott.
Spricht irgendetwas dafür, dass die Helden dieser Welt auf ihren Spielplätzen das Überleben der Menschheit auf diesem Erdball sichern?
Spricht irgendetwas dafür, dass wir allein mit dem menschlichen Machtanspruch die Mächte zum Frieden bewegen können?
Spricht irgendetwas dafür, dass wir Menschen diese Welt retten?
Nein, nichts spricht dafür! Und weil wir, wie versessen, nur auf die Kraft des Menschen setzen, landen wir in der Gottverlassenheit.
Um diese Falle ganz deutlich zu machen, bringt Martin Luther es in seiner Übersetzung des Römerbriefes auf den Punkt: „allein durch den Glauben“ heißt es bei ihm, obwohl das Wörtchen „allein“ nicht im griechischen Text steht. Das war Luther natürlich bekannt. Aber er hielt das „allein“ für unentbehrlich, um die eigentliche Pointe herauszustellen: allein durch den Glauben. Bevor ich… bevor ich… Allein er.
Allein durch Glauben - das hat die Zeiten überdauert. Eine Botschaft, die auf unseren Heldenspielplätzen so nötig ist wie selten.
Wir haben es heute vielleicht sogar schwerer als Martin Luther. Damals ging es immer um Gott. Man musste neu sortieren, wie das Verhältnis von Gott und Mensch mit oder ohne die Macht der Kirche aussieht. Wie bekomme ich einen gnädigen Gott? Das war die Frage der Menschen zu Zeiten Luthers.
Heute rufen wir in eine weitgehend gottlose Welt hinein. Für so viele Menschen macht kein Gott mehr gerecht. Frieden wird zum reinen Menschenwerk. Gerechtigkeit wird zur menschlichen Rechthaberei. Spüren wir nicht, wie wir auf diesem Spielplatz dem Menschen rauben, was er zum Leben braucht?
Ich bin fest überzeugt:
Ohne den Ruf in der Wüste: Wo bleibst Du, Gott, du Retter der Welt? werden wir geistlich verdursten.
Ohne den Schrei des Glaubens wird es das Überleben der Menschheit nicht geben.
Allein aus Glauben, allein durch und in Gott. Was wie ein großes theologisches Schwergewicht aufgetischt wird, ist doch unser tägliches Grundnahrungsmittel.
Worauf wollt ihr denn hoffen? Im Alltag, morgens an der Ampel? Beim Verlust eines lieben Menschen? In der Sorge um die Zukunft unserer Kinder?
Wer soll euch trösten?
Und wer nimmt euch die Schuld, wenn ihr den Menschen in Not die Hilfe verweigert oder diese Erde zu Grunde richtet?
Der Schweigsame hatte in Grönland nicht aufgegeben. Er hatte die kürzesten Beine, war der schwächste Wanderer. Aber er sagt: „Am Schluss hat sich dann schon herausgestellt, daß ich noch ordentlich Butter gehabt habe. Dann ist es gelaufen. Aber auch wenn es nicht so gewesen wäre; Warum kann man nicht zugeben, daß man schwach ist?“ (S. 212) Er war einer von dreien. Zwei wären niemals erfolgreich gewesen im Eisabenteuer in Grönland, ohne den einen, der sich Gott zuwendet. Unsere Anstrengungen allein retten nichts. Sie ändern auch nichts. Unser Glaube lebt vom Empfangen. Das war die tiefe Einsicht der Reformatoren, an die wir in diesem Jahr besonders denken.
Wenn wir Gott glauben, kehrt die Einsicht ins Leben zurück, dass ein Heil auf uns wartet. Ein Heil, das alle Kräfte braucht und den letzten verzweifelten Mut; von Schwachen und Starken.
Und dieses Heil braucht jede Tat, die ihm eine Gestalt gibt, und sei sie noch so klein.
Und dieses Heil braucht Gebete. Unzählige Gebete; laute und leise.
Denn diese Welt braucht dieses Heil.
Glauben heißt:
Schweigsam sein und anders reden.
Schweigsam sein und mit Gott reden.
Ihn in unser Leben rufen, in unsere Welt.
Ihn, der uns immer voraus war.
Unser Ursprung, dem wir allein verdanken was wir sind und worauf wir hoffen
Jetzt und in Ewigkeit
Amen.