Reformationstag 2017 - Predigt zu Matthäus 10, 26b-33 Dr. Friedrich Seven
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Reformationstag 2017 - Predigt zu Matthäus 10, 26b-33 Dr. Friedrich Seven

 

Nur sonntags wurden wir von hier vertrieben. Da war Gottesdienst und nur, wer sich als Bettler hinkniete, konnte hoffen,  am Kircheneingang geduldet zu werden. Heute aber war Montag und wir hatten uns morgens wieder hier getroffen, weil wir da, wo wir nachts schliefen, tagsüber nicht bleiben konnten. Die Kirche lag am Broadway, in der Mitte von Manhattan, nahe einer Metrostation. Ihr Eingang war ein guter Platz für uns, um morgens unsere Dosen zu leeren, zu reden, zu rauchen, und den endlos vorbeiziehenden Autos zuzuschauen. Hier, auf den Stufen zum Portal, war es für uns bis weit in den Herbst hinein erträglich und wir konnten uns vor den Gangs einigermaßen sicher fühlen, die oft genug plötzlich ihre alten Autos anhielten, heraussprangen, auf uns einprügelten und es auf unsere Smartphones abgesehen hatten. Die Cops ließen uns hier in Ruhe, sie kannten uns wohl inzwischen auch.

Wenn es dunkel wurde und auf den Stufen zu kalt, verzogen wir uns wieder, zumeist dahin, von wo wir morgens aufgebrochen waren. Heute, an diesem Montag, begann es bald zu regnen, und wir wollten schon in den Metroschacht flüchten, als plötzlich die große Tür hinter uns aufging und der Mann aus der Kirche trat, der uns vor einiger Zeit beigebracht hatte, dass wir hier sonntags nichts zu suchen hätten. Wir hatten ihn darum den Sonntagsschreck getauft

Wir guckten ihn verschreckt an, er kümmerte sich aber nicht weiter um uns, sondern spannte einen großen Regenschirm auf und eilte Uptown. „Heute ist doch kein Sonntag, was will der denn heute hier?“ Kate blickte dem Schreck noch hinterher; dann schaute sie uns fragend an. „Vielleicht wohnt er hier.“Tom machte eigentlich immer Witze. Kate ging die Stufen hinunter und schaute sich im Schaukasten am Bürgersteig ein Plakat an.

„Hier ist heute doch etwas los, hier steht was von  Reformationsfest am 31. Oktober. „Na, dann können wir ja gleich in der Metro bleiben, die lassen es ja nicht bei einem Gottesdienst,  lasst uns endlich loslaufen,  bevor der Regen noch stärker wird“, wollte ich uns noch antreiben, aber Tom befahl: „Los, wir gehen jetzt da einfach rein und warten drinnen den Regen ab. Bis wir die Metro erreicht haben, sind wir völlig nass.“

Ich war kleiner und schwächer als Tom und wusste, dass es nun an mir war, die Kirchentür vorsichtig zu öffnen. Wir spähten in die Kirche und sahen die noch völlig leeren Bankreihen. „So ein großer Saal“, rief Kate aus, und ging, Tom und mir voran, in die Kirche hinein.

„Scheint keiner hier zu sein,“ sagte ich. „Jetzt sind wir hier“, gab Kate zurück und ging bis zur Mitte, um sich gleich  in eine Bankreihe zu setzen. „Kommt!“ rief sie uns zu. Es dauerte eine Weile, bis wir uns neben sie setzten.

Wir blickten lange nach vorne, auf einen geschmückten Tisch vor der Wand, zu dem zwei Stufen hinaufführten und  auf dem schon  Kerzen brannten. Links davor stand ein Lesepult, wie ich es noch aus der Schule kannte, auf dem ein aufgeschlagenes Buch lag.

Z i s c h- Tom reichte uns eine Dose, nachdem er einen großen Schluck daraus genommen hatte. Wir hatten schon lange mit dem Reden aufgehört. Als endlich die Sonne wieder durch die hohen bunten Fenster schien, wollte keiner vor uns wieder hinaus. Kate aber stand auf und ging nach vorne. Wir blieben sitzen und schauten ihr zu, wie sie geradewegs an das Pult ging, sich dahinter stellte und in das aufgeschlagene Buch schaute. Sie schien sich wohl dafür zu interessieren, Jedenfalls sah es so aus, als würde sie lesen. Tom hielt es schließlich nicht mehr aus: „Miss Kate, eine Rede!“ Kate blickte auf und lächelte, las dann aber weiter. „Eine Rede, eine Rede!“  rief ich auch und klatschte dabei in die Hände. „Nun gut, weil ihr sowieso nicht lesen könnt, lese ich euch mal vor, was hier steht.“ Wir klatschten nun beide, wurden aber sogleich still, als Kate begann, laut aus dem Buch vorzulesen: Es ist nichts verborgen, was nicht offenbar wird, und nichts geheim, was man nicht wissen wird. Was ich euch sage in der Finsternis, das redet im Licht, und was euch gesagt wird in das Ohr, das predigt auf den Dächern.

„Dass nichts geheim bleiben wird, alles mal an den Tag kommt, all der Betrug, davon redet  mein Vater auch immer, wenn er mir ,mal wieder nicht erklären kann, warum es uns so schlecht geht,.“  unterbrach Tom lauthals die Lesung.

„So was habe ich auch schon von meinem alten Herrn gehört,“ gab ich dazu. „Kunststück, schließlich haben unsere Väter in der gleichen Pleitefirma gearbeitet, und unsere Familien haben mal in derselben Bruchbude gewohnt. In die Ohren ist uns auch viel geschrien worden, aber wir haben es nicht von den  Dächern gepredigt,“ gab Tom zurück. „Im Augenblick tu ich's ja!“ Kate las weiter: Und fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, doch die Seele nicht töten können; fürchtet euch aber viel mehr vor dem, der Leib und Seele verderben kann in der Hölle. „Was soll nun das: Wir sollen uns nicht fürchten vor denen, die den Leib töten? Mir wird jetzt noch ganz anders, wenn ich an die Gang denke.“ Tom war aufgebracht. „Da hätte nicht viel gefehlt und die hätten mich totgeschlagen. Was hätte ich da noch von meiner Seele?“ „Na, Gott sei Dank, hast Du beides noch, Leib und Seele,“ versuchte ich ihn zu beruhigen. „Ja, aber dafür danke ich nur den Taxifahrern und ihrem  Hupen!“ „Das kannst Du auch, das Hupen hat die Gang dann doch verscheucht,“ stimmte Kate ihm zu.

Tom redete sich in Rage: „Hör bloß auf, weiterzulesen. Das mit der Hölle hat mir gereicht. Solche frommen Läden in denen sie dir die Angst vor dem Sterben nehmen wollen und dir dann mit der, Hölle drohen, kenne ich von früher. Um die Hölle zu erleben, brauche ich in Midtown nicht in die Kirche zu gehen. Eine Höllenangst habe ich schon, wenn alte Caddys in meiner Nähe plötzlich halten.“

 Er redete noch einige Zeit weiter, Kate unterbrach ihn nicht: Dann sagte sie ganz ruhig: „Lass mich noch weiterlesen, was jetzt kommt, klingt ganz anders, gar nicht zum Fürchten.“ „ Nur, weil Du's bist“, maulte Tom. Kauft man nicht zwei Sperlinge für einen Groschen? Dennoch fällt keiner von ihnen auf die Erde ohne euren Vater. Nun aber sind eure Haare auf dem Kopf alle gezählt. Darum fürchtet euch nicht; ihr seid besser als viele Sperlinge. Wer nun mich bekennt vor den Menschen, den will ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater. Wer mich aber verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater.

Kate stütze sich auf das Buch und  sah uns so an, als könnten wir noch Fragen haben. Es dauerte, bis ich mitspielte: „Wer ist das denn eigentlich, der da von seinem himmlischen Vater spricht?“ „Das ist wahrscheinlich der, an dem die in diesen Kirchen hier glauben, Jesus“  erklärte mir Tom. „Du scheinst dich hier ja noch richtig auszukennen,“  sagte Kate. „Ist das der, dessen Geburtstag sie immer zu Weihnachten feiern?, fragte ich. „Ja, die in die Kirchen gehen, feiern an Weihnachten immer die Geburt von Jesus in einem Stall “, erklärte Tom weiter, „darum gibt es auch zu Weihnachten immer diese Bilder und Figuren von einem Kind in einer Krippe.“

„Und warum gibt es hier kein Bild von diesem Kind in der Krippe?“ Ich begann Tom zu nerven: „Na, weil heute noch kein Weihnachten ist, heute ist eben“- er blickte hilfesuchend zu Kate- „heute ist wohl ein Reformationsfest oder so“ half die ihm weiter. „Also kein Bild von diesem Jesus?“ Ich wurde trotzig. „ Doch, schau mal  ganz nach vorne, siehst du über dem großen Tisch den Mann, der da am Kreuz hängt?“  Ich schaute mir nun das Bild, das mir schon vorher aufgefallen war, genauer an. „ Ja, den sehe ich.“ Das ist dieser Jesus als Erwachsener, der ist von römischen Soldaten geschlagen, gequält und dann am Kreuz hingerichtet worden“ „Erst in einer Krippe und dann am Kreuz, und den feiern die?  Mein Staunen war echt.

Kate stand auf und sah uns an: „Seine Worte sind eben wichtig, das was er uns von seinem Vater gesagt  hat, wie wichtig wir dem sind. Wahrscheinlich hat er sich genauso nach seinen Vater gesehnt, wie  wir es manchmal noch tun, Er hat sich gewünscht, nach Hause kommen zu können, statt in den Tod zu gehen.“ „Ja, aber was hat das mit den schönen Worten zu tun, die du zuletzt gelesen hast.“ trotzte  auch Tom.

„Na, vielleicht möchte dieser Jesus, dass auch wir uns nach dem Vater sehnen, der sicher alles sieht, aber der vor allem mich sieht,“ „und dich  dann doch am Straßenrand verrecken lässt,“ konterte Tom. „Nun lass es mal gut sein. Denk doch daran, wie oft wir dir schon geholfen haben. „ Na, und ich euch“ -Tom beruhigte sich. „Vielleicht will uns dieser Jesus hier sagen, dass das andere, das gute Ende möglich ist, dass es immer auch was zu hoffen gibt.“

„Am besten bleibst du gleich bei diesem Verein“, dass klang ganz nach Toms Art nachzugeben. Es krachte hinter uns. Die Kirchentür war jetzt offen, und neben dem Sonntagsschreck stand eine junge Frau, die ein weißes Kleid über den linken Arm gelegt hatte und in der Hand ein Buch hielt. Sie lächelte uns zu, auch noch als der Schreck mit dem zugeklappten Schirm zu fuchteln begann und schimpfte. „Hoffentlich habt ihr hier nichts angerichtet, an Feiertagen habt ihr hier nichts zu suchen und schon gar nicht im Altarraum. Hoffentlich hast du die Bibel nicht schmutzig gemacht“.

„Entschuldigung, wir wussten nicht, dass heute Reformation ist“  Der Sontagsschreck musste spüren, dass Kate keine Angst vor ihm hatte. „Ich habe nichts weiter getan als meinen Freunden vorgelesen:“ „Und wir, wir haben zugehört“ . Toms Tonfall schien der jungen Frau zu gefallen. „Friede“, sprach sie, als sie auf uns zukam, „Sie können gerne zum Gottesdienst bleiben.

„Mitgefangen mitgehangen“, Tom konnte es einfach nicht lassen, aber er lehnte sich doch in die Bank zurück.