Satt und zufrieden – Predigt zu Offenbarung 7,9-12 von Christian Stasch
7,9-12

Satt und zufrieden – Predigt zu Offenbarung 7,9-12 von Christian Stasch

Liebe Gemeinde!

Satt und zufrieden - das Jesuskind in der Krippe stelle ich mir so vor. Es hat getrunken, nun schlummert es genüsslich, vielleicht mit einem Baby-Lächeln, „Da liegt es, das Kindlein, auf Heu und auf Stroh“, seine Eltern sind, soweit das im Stall möglich ist, entspannt und guter Dinge. „Maria und Joseph betrachten es froh.“ Ist mir schon klar: das ist Idylle. Satt und zufrieden. Jesus wird, wie jedes Neugeborene, auch aus voller Kehle gebrüllt haben, aber das ist für mich an Weihnachten eigentlich ausgeblendet.

An Weihnachten bin ich, wenn es gut läuft, wie Jesus: satt und zufrieden.

Dieses Kochbuch hier stammt aus der Heimat meiner Frau, ein fränkisches Kochbuch, z.T. auf hochdeutsch, z.T. auf fränkisch geschrieben. Es trägt den hübschen Titel: „Sadd un dsufriedn“ Ein ganz normales Kochbuch, fürs ganze Jahr, aber immerhin doch mit einem kleinen Kapitel zur Advents- und Weihnachtszeit, in dem, strotzend vor Selbstbewusstsein, darauf hingewiesen wird, dass die Stadt Nürnberg natürlich die Wiege des Weihnachtschristentums ist: Christkindlsmarkt, Lebkuchen, Glühwein. Alles fränkisch. Und dass der große Nürnberger Maler Albrecht Dürer sich auf seiner Gesellenwanderschaft im fernen Straßburg befand und sich dort in der Weihnachtszeit vor Sehnsucht und Heimweh verzehrte und seinen Eltern ein von ihm gemaltes Bild schickte: Darauf das Jesuskind – und es hält in seinen kleinen Händen einen runden Lebkuchen mit vier Mandeln. Man könnte denken, den hat Jesus selbst auf dem Christkindlsmarkt gekauft.

„Sadd un dsufriedn“

Was gibt’s denn bei Ihnen an Weihnachten zu essen? Jede du jeder kann diese Frage aus dem FF beantworten. Kaum einer wird sagen: „Weihnachtsessen? Weiß ich noch nicht. Mal gucken.“ Oder: „Ach, ich tu irgendwas in die Mikrowelle.“ Und wohl auch nicht: „Also an Weihnachten, da faste ich am liebsten.“Wir wissen, was Weihnachten Schönes auf den Teller kommen wird. Einmal im Jahr reden wir sogar ausführlicher darüber. Kein Weihnachtsfest ohne Festessen. Was gibt’s? Was gab es? Zwei feine weihnachtliche Mahlzeiten haben Sie schon hinter sich. Heiligabend kommt in vielen Häuern etwas Schlichteres auf den Tisch. Fisch vielleicht? Im Mittelalter ging die adventliche Fastenzeit bis zum Heiligabend, Fleisch war nicht erlaubt, Fisch schon. Heute ist da v.a. das Argument, dass man an Heiligabend nicht ewig in der Küche stehen will. Schnell solle gehen. Kartoffelsalat mit Würstchen, sehr beliebt.  Und dann volle Festtagspower am 1. und 2. Weihnachtstag. Gestern. Heute. Was gab es? Was wird’s geben? Ente vielleicht oder Gans? Wild vielleicht oder Lamm? Etwas Vegetarisches mit vielen Gemüsen, Kokos, Nüssen und getrockneten Früchten, exotisch-asiatisch angehaucht? Oder: Raclette?

Ich mag das, nach dem Gottesdienst irgendwelche feine Weihnachtsmusik zu hören und mit anderen zusammen zu kochen. Das weiße Hemd behalte ich an, hochgekrempelt, Schürze drüber. „Jauchzet, frohlocket.“ Ich mag das, einen schönen Wein dazu zu trinken. Riech mal, duftet nach Pfirsich und Apfel, wo ist der  her? Lecker! Mosel? Pfalz? Der ist gerade eben noch trocken, oder? Ich mag das, und es macht mich satt und zufrieden, wenn dann viel Zeit ist zum Essen und  Trinken, zum Reden, über die Geschenke oder irgendeinen Quatsch. Reden über das Weihnachtsfest vor 10 Jahren, „weißt du noch, mit dem plötzlichen Glatteis am Abend?“. Reden  über den Predigttext aus dem Gottesdienst.

Der Seher Johannes schreibt: Ich sah im Himmelssaal eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen; die standen vor dem Thron und vor dem Lamm, und waren angetan mit weißen Kleidern und mit Palmzweigen in ihren Händen, und sangen mit großer Stimme: „Das Heil ist bei unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm!“ Und ich sah Engel, die standen rings um den Thron (…) und sangen auch und lobten Gott. Und einer sprach zu mir: Die große singende Menschenschar, das sind alles Leute, die dem Leiden und der Trübsal entkommen sind. Sie haben ihre Kleider gewaschen und haben sie hell gemacht im Blut des Lammes. Darum sind sie hier, vor dem Thron Gottes, und dienen ihm Tag und Nacht. (...) Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf ihnen lasten die Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.

Was wird uns hier aufgetischt? Ein Himmelsbild aus der Johannesoffenbarung, dem letzten Buch der Bibel. Manche Kritiker finden, das sei das allerletzte. Überquellend von fantastischen und manchmal brachialen Bildern. Im Ganzen unbekömmlich. Unverdaulich. Aber das ist nicht fair. Dieser Textausschnitt z.B., gerade gehört, ist weihnachtlicher als man zunächst denken mag. Und enthält Zutaten für ein komplettes 4-Gänge-Weihnachtsmenü plus Absackern.

1. Gang:

Eine große Schar, die niemand zählen konnte, aus allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen.“

Die festliche Gesellschaft ist groß und vielfältig. Weihnachten führt Menschen zusammen. Uns hier in Winzlar. Menschen die hier aufgewachsen sind, die hier leben, aber auch Zugezogene, Gäste aus nah und fern. Alte und Junge. Weihnachten führt Menschen zusammen.  In den Schützengräben des 1. Weltkriegs war kurz Ruhe an Weihnachten, jedenfalls im ersten Kriegsjahr 1914. Die Waffen schwiegen, ohne Todesangst konnten Geschenke ausgepackt werden. Weihnachten wurde akzeptiert als Zäsur. Frieden, wenn auch leider nur „ein (klein) bisschen“. Weihnachten wird international gefeiert. Urbi et orbi. Das Kind in der Krippe berührt, grenzüberschreitend. Ob jemand durch seine Hautfarbe oder seine politische Einstellung ein Schwarzer, ein Gelber, ein Roter oder anderes ist: Weihnachten verbindet. Ein Beispiel gelingender Inklusion.

2. Gang:

„Die (in der Schar) standen vor dem Thron und vor dem Lamm, und waren angetan mit weißen Kleidern.“  Die himmlische Festgesellschaft ist also nicht nur international, sie kommt auch ganz in weiß. Weiß - Symbol für gewaschen, gereinigt, getauft. Neustart. Egal was war. Das Leben beginnt. Weihnachten werfen wir uns in Schale. Und neben rot ist die klassische Weihnachtsfarbe: weiß. Die weiße Tischdecke zuhause, egal, auch wenn am Ende Bratensaft drauf ist, weiß ist festlich. Und bei der Garderobe darf auch gern weiß dabei sein, wo wir doch Jahr für Jahr von weißer Weihnacht träumen. Am Kleiderschrank können wir es beeinflussen. Das weiße Hemd, ein Klassiker, nicht tot zu kriegen. Man sieht es dem Hemdkragen abends an, dass gut gefeiert wurde: Das weiße Hemd ist reif für die Wäsche, aber das war es wert.

3.Gang:

Und sie sangen mit großer Stimme: „Das Heil ist bei unserm Gott, der auf dem Thron sitzt, und bei dem Lamm!“  Die himmlische Weihnachtsgesellschaft ist nicht nur international und kommt ganz in weiß, sondern sie ist auch eine große Singebewegung. Wie es geklungen hat – wer weiß? Wir haben keine Noten davon. Und es wird nicht nur ein (!) Lied gewesen sein. Ein schwungvoller Walzer war sicher auch dabei. So wie „In dulci jubilo“, zu dem man auch schunkeln und tanzen kann. Nonnen nahmen früher bei diesem Lied gern die Jesusfigur aus der Krippe und wiegten sie hin und her. In dulci jubilo. Ein Mischlied aus zwei Zutaten:  etwas Latein, etwas Deutsch. Die alte Kirchensprache Latein wird aufgebrochen, das Deutsche mischt sich mit hinein, ganz spielerisch, und: 100 Jahre vor Luther schon. In dulci jubilo (In süßem Jubel), nun singet und seid froh. O Jesu parvule (O kleinster Jesus), Nach dir ist mir so weh. (Also: ich bin ganz verrückt nach dir.) Tröst mir mein Gemüte, o puer optime (o bester Knabe). Durch alle deine Güte, o princeps gloriae, (o Fürst der Herrlichkeit), trahe me post te, (zieh mich hin zu dir), also so eine Anziehungskraft hat das Kind in der Krippe. Man könnte auch übersetzen: Zieh mich dir nach – also so dass wir in Jesu Fußstapfen treten, seinen Weg weiter gehen.

Geht es Ihnen auch so wie mir? Ich kann die weihnachtlichen Motive und Inhalte gar nicht so gut aussprechen, ich kann sie viel besser und viel lieber - singen. Weihnachten ist zuerst ein Singefest, und erst danach ein Redefest. „Der guten Mär bring ich so viel, davon ich singen und sagen will.“ Das Singen steht an Nr.1. Singen macht auch satt und zufrieden.

Der 4.Gang, nun endlich im engeren Sinne kulinarisch: Sie werden nicht mehr hungern noch dürsten; (…) das Lamm mitten auf dem Thron wird sie weiden und leiten zu den Quellen lebendigen Wassers, und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen. Hunger gestillt, Durst gelöscht, Tränen abgewischt. Die himmlische Weihnachtsgesellschaft ist nicht nur international, kommt ganz in weiß und singt schwungvolle Weihnachtslieder, sondern sie ist auch bei Trost. Sie bekommt zugesagt: „Fürchtet euch nicht. Kommt. Auch wer zur Nacht geweint. Jemand sorgt für euch. Sehet und lasst es euch schmecken.“ Sie wird gut bewirtet. Es wird aufgetischt. Was es oben im Himmelssaal zu essen gibt – wer weiß das schon. Aber da die Festgesellschaft international ist, könnte auch das Essen international sein. Geht es Ihnen wir mir? Ich mag das, wenn sich an Weihnachten die Tische biegen. Es darf gern üppig sein. Wann, wenn nicht an Weihnachten. Kalorien zählen ist tabu. Ernährungswissenschaftler sagen, dass man an Weihnachten und den Tagen danach eh kaum zunimmt, sondern, wenn schon, in der Zeit zwischen Silvester und Weihnachten. Und? Was gibt’s bei euch heute zu Weihnachten?

Nach unserem biblischen 4-Gänge-Menü nun noch die beiden Absacker, ein Grappa und ein Espresso. Der Grappa:Der tut gut, wenn man den Eindruck hat: „Na ja, ich hab doch deutlich mitgeholfen, dass sich der Tisch dann nicht mehr so gebogen hat … „Wenn man nach dem Essen nicht nur satt ist, sondern sehr satt, im schlimmsten Fall: pappsatt. Das fränkische Kochbuch hat dafür den Ausdruck parat:“Allmächd, is mir schlechd!“

Manche haben Weihnachten satt. O, ich hab das so satt … Den Erwartungsdruck,  diese aufgesetzte Harmonie, die Unehrlichkeit. Manche merken an Weihnachten verstärkt, dass sie die eigenen Verwandten satt haben. Oder sie haben das Gerödel in ihrem Beruf satt. An Weihnachten schwingt das alles melancholisch mit. Weihnachtsfreude und Weihnachtstraurigkeit, zwei Seelen in der Brust. Oder können wir satt sein, im besten Sinne, „sadd un dsufriedn“ – ohne dass wir es satt haben? Darauf einen Grappa.

Der Espresso zum Schluss: Klein, heiß, intensiv. Vielleicht auch: Türkischer Mokka. Kriegt der deutsche Journalist Deniz Yücel auch einen? Und die deutsche Übersetzerin Mesale Tolu, kriegt die auch einen Mokka? Wie werden die beiden und die anderen gestärkt? Wie werden ihre Tränen abgewischt? Natürlich bekommen sie in ihren türkischen Gefängniszellen zu essen und zu trinken. Aber damit wird ihr wirklicher Hunger und ihr Durst weiß Gott nicht gestillt. Eine von Jesu Seligpreisungen gilt Menschen wie ihnen: „Selig sind, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit.“

Ich wünsche Ihnen und uns allen einen gesegneten 2. Weihnachtstag. Möge das Essen und der ganz Tag Sie in guter Dosierung fröhlich und satt und zufrieden machen. Amen.