Scheiterhaufen. Den armen Teufel schickt der Himmel - Predigt zu Jesaja 53,1-12 von Uwe Vetter
53,1-12

Scheiterhaufen. Den armen Teufel schickt der Himmel - Predigt zu Jesaja 53,1-12 von Uwe Vetter

Scheiterhaufen
Den armen Teufel schickt der Himmel


Jesaja 53 : 1-6 . Ein “Gottesknechts-Lied”

Wer glaubt unserer Kunde ?
Und die „Macht-des-HERRN“ – auf wem wurde sie offenbar ?
Er schoss auf wie ein
spärlicher Halm vor seinen Augen,
und wie ein
kümmerliches Gewurzel aus magerer Erde.
Er hatte kein Profil
und nichts Ansehnliches, auf dass wir hingeschaut hätten,
und nichts Imponierendes, dass uns gereizt hätte.
Er war ungeachtet und verlassen von den Leuten,
ein Mann-der-Schmerzen, und jeder wusste, dass er krank war.
Wie jemand, vor dem man sein Gesicht verhüllt,
war er ungeachtet, dass wir ihn für nicht beachtenswert hielten.
Doch,
unsere Krankheit – er trug sie !
unsere Schmerzen – er hat
sie sich aufgeladen !
Und wir hielten ihn für einen Gezeichneten,
für einen, der von Gott geschlagen und gebeugt wäre.
Dabei wurde er an unserer Missetat verletzt
und von unseren Verfehlungen erschlagen
- Züchtigung für unseren Frieden traf ihn -
und durch seine Wunde wurden wir geheilt. 

I

Zu den großen Versuchungen, die in meiner Kindheit einen Erstklässler auf dem Schulweg bummeln und zu spät kommen (und nachsitzen) ließ, gehörte das Schauspiel der Müllabfuhr. Der große blassgrüne MagirusDeutzMüllwagen machte einen Höllenlärm, wenn er ruckartig anfuhr und nach wenigen Metern wieder scharf bremste. Müllmänner sprangen ab, griffen sich die grauen Blechtonnen, rollten sie zum Laster und hoben sie auf die Hebegabeln. Dann liftete eine zischende Hydraulik die Tonnen nach oben, die Deckel schwangen auf, und kopfüber ergoss sich der Unrat in schwarze Löcher. Modergeruch lag in der Luft und stand minutenlang in der Häuserschlucht, ein Dunst von gärenden Essensresten, Kehricht, Zerbrochenem und Hausbrandasche. Die Müllmänner rannten den ganzen Tag regennass und schwitzend hinter dem Laster her, im Tempo des Fahrers, der aus dem offenen Fenster Befehle bölkte. Arme Teufel, keine Frage, aber ich hätt sonst was dafür gegeben, einmal mitfahren zu dürfen, hinten, auf dem Trittbrett, an den Wagen geklammert. Aber die Lehrerin war dagegen. „Lernt fleißig“, sagte sie streng, „sonst landet ihr mal bei der Müllabfuhr“. Die Botschaft war unmissverständlich: Ansehen und Beachtung warten woanders.

Pass auf, dass ihr nicht auch da endet ! mögen Eltern geflüstert haben, wenn sie damals, am Karfreitag, ihre Kinder aus den Schaulustigen am Hinrichtungsfelsen (Golgatha) wegzogen. Kommt hier weg, mögen sie gesagt haben, mit einem Nicken in Richtung auf die Kreuze, an denen Häftlinge hingen. Das ist kein Anblick, werden sie gesagt haben. Wer scheitert, landet auf Golgatha, dem Scheiterhaufen, dem Müllberg der Stadt. Kommt da weg, das ist kein schöner Anblick.

… die „Macht-des-HERRN“ ...
hatte ... nichts Ansehnliches, auf dass wir hingeschaut hätten,
und nichts Imponierendes, dass uns gereizt hätte.


Der Karfreitag war zum Wegschauen. Eine Warnung für die, die nicht spurten. Am Karfreitag war der Christus kein Vorbild, eher jemand, vor dem Eltern ihre Kinder warnten: Macht nicht so was. So landet man auf dem Scheiterhaufen, dem Müllberg der Geschichte.

II

Irgendjemand damals hat sich nicht wegzerren lassen. Er sah diesen Hinrichtungsberg mit den drei Kreuzen drauf, und den Christus sah er, und stellte eine irrwitzige Frage in den Raum : Was wäre, wenn dieser Jesus Christus alles richtig gemacht hätte? Was, wenn er sich schmutzig gemacht hätte für andre ? Wenn er sich schmutzig gemacht hätte an unserem Abfall ? Wenn das, was er da auf seinen Schultern geschleppt hat, unser Unrat wäre, und dieser ganze Golgatha-Scheiterhaufen unser Müllberg ? Da steht einer, in Sichtweite der Kreuze, und denkt nach: Was wäre, wenn dieser Christus mit der Malaise ringt, die uns krank macht?
Und dann singt er das Lied, das in Israel gesungen wurde, vom Gottesknecht, vom armen Teufel im Dienst für andre :

Unsere Krankheit – er trug sie !
unsere Schmerzen – er hat
sie sich aufgeladen !
Und wir hielten ihn für einen Gezeichneten,
für einen, der von Gott geschlagen und gebeugt wäre - !
Dabei wurde er an unserer Missetat verletzt
und von unseren Verfehlungen („Sünden“) erschlagen  -
Züchtigung für unseren Frieden traf ihn -
und durch seine Wunde wurden wir geheilt. 


Liebe Karfreitagsgemeinde, ich weiß, das Gleichnis ist grob und derb, und es fügt sich nicht elegant in die Tradition eines Karfreitagsgottesdienstes. Aber mich erinnert Karfreitag an jenen Wochentag, wenn man die Mülltonne rausstellt: Was wir verdorben haben und was uns verdorben ist; was uns in die Brüche gegangen ist übers Jahr; was wir falsch gemacht haben, mutwillig oder unabsichtlich; und was uns auf die Füße gefallen ist und verletzt hat; was andre gekränkt hat und was uns krank macht; wo wir eingesteckt haben, den Kürzeren gezogen, uns nicht gewehrt haben; unser Versagen, die Überreste guter Vorsätze; jede Verwünschung und jede bewusst gestreute Halbwahrheit; alles Mogeln, aus der Verantwortung Stehlen und andre hängen Lassen; das, was rottet und gärt und untern Teppich gekehrt... Das ganze Durcheinander des Unrats eines Jahres, unsortiert wie in Zeiten vor der Mülltrennung ...  stellen Sie sich vor, wir würden das heute mit in die Kirche bringen, in eine virtuelle Mülltonne stopfen, und sagen: Kann sich mal wer drum kümmern? Kann mal wer die Tonne auf die Hebegabel[1] hieven und das Zeug entsorgen ?

Und dann stellen Sie sich vor, dann käme einer, den man auf keiner Liste hatte. Er hatte kein Profil und nichts Ansehnliches, auf dass wir hingeschaut hätten, und nichts Imponierendes, dass uns gereizt hätte...  –  Stellen Sie sich vor, dieser Mensch, der unsern Unrat entsorgt, wäre der Schlechtbezahlteste von uns allen. Für seine Arbeit bekäme der nicht mal den Mindestlohn. Draufzahlen würde er, mit seinem Leben müsste er bezahlen. Aber er täte das. Er würd sich die Tonne aufladen und sie auf den Schultern rauf schleppen auf den Scheiterhaufen von Golgatha, ohne Gebühr zu verlangen. Einfach auf Grund eines persönlichen Handels mit Gott würde er die Sache aus der Welt schaffen, damit wir´s los sind.

Stellt Euch vor, sagt der Gottesknechtslied-Dichter,
unsere Krankheit – er trug sie !
unsere Schmerzen – er hat
sie sich aufgeladen !

Die ersten Christen haben „Gottesknechtlieder“ auf Jesus gesungen[2]. Das ist der Mann, haben sie gesagt, für uns ist er das. Das ist der, der unsern Unrat aus Versündigung, Leid und Altlasten entsorgt. Der trägt, was uns krank macht.  -  Und was haben wir gemacht ? Und wir hielten ihn für einen Gezeichneten, für einen, der von Gott geschlagen und gebeugt wäre. Herabgeschaut haben wir auf ihn! Weil er für einen lausigen Lohn gearbeitet hat. Weil er sich den Tod geholt, in diesem Job. ´Wer am Kreuz endet, ist verflucht`- so hieß es doch.[3] Wer am Kreuz hängt, ist Gott los.  –  Dabei war es umgekehrt: Den armen Teufel schickt der Himmel. Er hat es sich schwer gemacht, damit wir es leichter haben.

Das Lied vom verkannten Gottesknecht haben sie in zwei Chören gesungen. Die Kinder Jisrael sangen es auf Jesaja, und die ersten Christen sangen es auf den Christus Jesus. Das Lied vom Verlierer, der unsere Schulden aus eigener Tasche begleicht. Der sich die Hände schmutzig macht an unserm Abfall. – Während die halbe Welt Sieger anbetete und Absteiger aus dem Stadion jagte, stellte Karfreitag alles auf den Kopf: Wir glauben dem Gekreuzigten! war das Bekenntnis der Christenheit. Wir salutieren vor dem Müllwerker Gottes. –

Wer glaubt unserer Kunde ? Wie klingt das heute, in Ohren von Menschen, die alle auf Erfolg geeicht sind ? Wie klingt das Gottesknechtslied in Ihren Ohren – Hit-verdächtig ? Oder wie ein Flop ?

III

Jeden Tag kommen Menschen in diese Johanneskirche, setzen sich hier still in die Bank, schauen nach vorn Richtung Apsis, so, dass sie ihn sehen. Diesen Gescheiterten auf dem Scheiterhaufen. Jeden Tag kommen Menschen, setzen sich still in eine Bank und suchen seine Nähe. Lassen ihre Gedanken nach vorne wehen, sprechen mit Gott im Angesicht des Gekreuzigten. Warum ?
Vielleicht tun sie es, weil wir etwas teilen, dieser Christus und wir. Wir scheitern auch. Wir laufen mit dem Müll verdorbener Vorgeschichten herum, versuchen uns als Sorgen-Entsorger, mehr schlecht als recht. Sind Müllwerker in eigener Sache und tragen, was andre uns zu tragen geben. Wir sind Fachleute für das, was zu Bruch geht.  

° Manchmal kommen Examenskandidaten mit ihrer Prüfungsangst in die Johanneskirche und setzen sich vis á vis zum Christus: Ich hab gehört, du kennst dich aus mit Prüfungsangst. Du hättest auch nicht schlafen können, in der Nacht vor deiner Prüfung in Gethsemani. Was soll ich machen, wenn ich durchfalle ? Wie bist du wieder aufgestanden ?... Und plötzlich ist der, der Hölle kennt und daraus auferstanden ist, ein erfahrener Ratgeber.  

° Manche kommen auf dem Stadtbummel herein, betrachten den, der sich das Kreuz andrer auflädt, lange schweigend, und fragen ihn dann: Kennst du eigentlich mein Kreuz ? Du kennst dich doch aus, du weißt wie das ist, wenn die andern einem den schwarzen Peter zuschieben, wenn sie alles, was sie selbst nicht übernehmen wollen, bei dir abladen. Und dir dann vorhalten, dass du - mit ihrer Mülltonne auf dem Buckel - keine gute Figur machst... Und der Christus nickt und sagt leise: Ich weiß, wie das ist, der Sündenbock andrer zu sein.

° Manche kommen in diese Kirche, noch verheiratet, aber ohne Hoffnung. Hatten sich Treue bis zum Tod geschworen und merken, wie die Gemeinschaft zerfällt. Sehen ihren eigenen Anteil am Streit und fürchten, es ist zuviel schon passiert. Und dann schauen sie zu dem Gescheiterten und sagen: Du kennst dich doch aus. Deine Jünger haben doch auch hingeschmissen und sind fortgegangen. Selbst deinen Gott hast du gefragt, warum er dich verlassen hat. Wie habt ihr euch wieder gefunden ? Wie hast du das gemacht, dass die Gemeinschaft auferstanden ist ? ... Und der Christus sagt: Manchmal ist Gott für eine Überraschung gut.

*

Karfreitag ist für die Christenheit ein hoher Feiertag, mit Ostern der höchste Feiertag. Wir arbeiten nicht. Wir lassen keinen Menschen für uns arbeiten, sondern legen die Hände in den Schoß. Nur einer arbeitet heute schwer. Da ist ein armer Teufel zugange, im Durcheinander unseres Lebens, einer, den der Himmel schickt.
Amén
 

[1] Das Evangelium hat sich immer einer bildreichen Sprache bedient. „Vergebung der Sünden“ hieß im Bibelgriechisch des Neuen Testaments afienai twn amartiwn - Aufheben, Wegheben einer Last, nicht unähnlich dem Vorgang, wenn eine Mülltonne mit Muskelkraft angehoben und auf eine Hydraulik gewuchtet wird, die dann die Tonne liftet und kopfüber in den Bauch eines Müllwagens leert.

[2] Zweite gottesdienstliche Lesung MatthEvg 12:15-21

[3] Galaterbrief 3:13 / 5.Mose 21:23.