Sich (auf)opfern wie Jesus? Und wozu? - Predigt zu Johannes 12,20–26 von Paul Geiß
12,20-26

Sich (auf)opfern wie Jesus? Und wozu? - Predigt zu Johannes 12,20–26 von Paul Geiß

Sich (auf)opfern wie Jesus? Und wozu?

Johannes 12, (Einheitsübersetzung)
20 Auch einige Griechen waren anwesend - sie gehörten zu den Pilgern, die beim Fest Gott anbeten wollten. 21 Sie traten an Philippus heran, der aus Betsaida in Galiläa stammte, und sagten zu ihm: Herr, wir möchten Jesus sehen. 22 Philippus ging und sagte es Andreas; Andreas und Philippus gingen und sagten es Jesus.
23 Jesus aber antwortete ihnen: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. 24 Amen, amen, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht. 25 Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. 26 Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.
Liebe Gemeinde,

Passionszeit – Fastenzeit – wir begleiten Jesus auf dem Weg nach Jerusalem, auf dem Weg zur letzten Entscheidung, auf dem Weg zu seinem Tod, auf dem Weg der Verherrlichung, wie Johannes immer wieder das Martyrium Jesu beschreibt. Opfer als Verherrlichung? Das klingt sehr widersprüchlich Aber eines nach dem anderen.

I.

Es ist unruhig in diesen Tagen in Jerusalem. Als Jesus in Jerusalem einzieht auf einem Esel, dem Königssymbol, jubelt ihm die Menge zu. Das verstört die jüdischen Autoritäten, sie trachten Jesus schon seit seinen letzten zeichenhaften Taten nach dem Leben, aber die Jünger scharen sich weiter um ihn, um Jesus, sie folgen ihm, folgen seinen Ausführungen, sind überzeugt von ihm.

Viele Menschen wollen in Jerusalem das Passahfest im Tempel feiern, sie kommen aus aller Herren Länder, in denen auch in der Antike schon jüdische Gemeinden lebten.
Aber auch Jesus interessiert die Menschen, zieht die Menge an, Neugier, Interesse, Betroffenheit und Bewunderung mag die Menschen inspirieren, sich mit ihm auseinanderzusetzen, ihn anzuhören, vielleicht auch ihm nachzufolgen.

Zwischen der großen jüdischen Gemeinde und ihren Vertretern, den Pharisäern und Schriftgelehrten, den Priestern und vor allem dem Hohenpriester dieses Jahres und der Gruppe um Jesus entsteht erbitterte Konkurrenz: Griechischsprachige Juden oder Griechen, die sich der jüdischen Gottesvorstellung verpflichtet fühlen, kommen von weither und wollen im Tempel zum Passahfest dabei sein. Aber als sie von dem berühmten Mann, dem Mann Jesus, hören, wollen sie auch ihn sehen und sich von ihm persönlich ein Bild machen oder auch ihn anbeten?

Zu einem berühmten Mann geht man nicht einfach so, man fragt an. So fragen sie einen Jünger, Philippus, der sagt es Andreas, dem Bruder von Petrus, der Jesus noch näher steht, beide sprechen nun mit Jesus. Und der, anstatt sich huldvoll der Menge zu zeigen, mit den Griechen einen anspruchsvollen intellektuellen Dialog zu führen, seinen Fans gegenüberzutreten, redet von etwas ganz anderem. Wovon, darüber später.

Noch einmal zurück zu den Griechen: Wer von so weit herkommt, um in Jerusalem anzubeten, hat ein existentielles Interesse an Glauben, Spiritualität, Hoffnung. Er setzt viel Geld, Zeit und Energie ein, um zu seinem geistlichen Ziel zu gelangen. Der berühmte Tempel in Jerusalem, das Passahfest, die jüdische Frömmigkeit, sie ziehen Menschen aus aller Herren Länder an. Sie wollen im Tempel anbeten. Das griechische Wort dafür heißt proskynein.

Mich hat dieses griechische Wort fasziniert: das Verb heißt übersetzt: sich niederwerfen wie die Hunde vor ihrem Herrn, dann übertragen: niederkniend huldigen, fußfällig verehren, anbeten, unterwürfig grüßen. (W. Bauer, Wörterbuch zum NT, Berlin 1963, Sp.1421)

Wir haben das mehrfach in Indien erlebt: In einer Lepra-Klinik sehen geheilte Patienten ihren Arzt im Lepra-Hospital, in dem sie behandelt und operiert wurden. Vor lauter Dankbarkeit und emotionaler Überwältigung werfen sie sich auf den Boden und versuchen, seine Füße zu küssen. Der Arzt ist seltsam berührt und versucht, die Patienten abzuwehren. Sie aber wollen ihm einfach Ehre erweisen und Respekt vor seiner Kunst und seiner Autorität zeigen.

Bei afrikanischen Völkern ist es Sitte, wenn der Stammeschef auftaucht, von der Strasse herunter zu gehen und sich direkt flach vor ihm in den Staub zu werfen, egal, was für Kleider man anhat, ob Festtagskleidung oder Arbeitskleidung.

Katholische Priesteranwärter werfen sich vor ihrer Erhebung in den Priesterstand flach auf den Boden vor dem Altar, proskynein, um sich dann weihen und in den Stand des katholischen Priesters erheben zu lassen.
Absolute Demut, absolute Unterwerfung, aber auch absolute Dankbarkeit gegenüber der Autorität des Arztes, des Stammesführers, des Bischofs und natürlich Gottes, der durch die persönliche Niederwerfung geehrt werden soll.

Anbeten wollten die Griechen und sie vermuten in Jesus offenbar auch eine anbetungswürdige Person, die mit Gott zu tun hat

II.

Und was sagt der? Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht wird. Er weiß oder vermutet, was auf ihn zukommt, sein Martyrium, das Opfer seines Lebens. Im Johannesevangelium wird immer wieder davon gesprochen, dass das Leben und Sterben Jesus der Verherrlichung seines Vaters dient und dass Gott seinen Sohn durch die Verherrlichung ehrt. ( AaO. Sp. 405 doxazo) Opfer als Ehre? Für uns ist Opfer Entsagung, Leiden, Niederlage oder bewusste Inkaufnahme von Nachteilen, um sich hinzugeben, sich auch aufzugeben?

Der Fußballer, der ein technisches Foul provoziert, weil der Gegner ihm mit dem Ball davonrennen will, er riskiert mit diesem Foul vom Platz gestellt zu werden, er opfert sich für die Mannschaft auf, denkt er.

Jesus sagt den beiden Jüngern und den Griechen mit ihnen: Ich gehe jetzt den Weg der Verherrlichung, mein Opfer steht bevor. Es berührt mich immer wieder, wie intensiv das Johannesevangelium darauf beharrt: Jesu Opfer muss sein, es dient der Verherrlichung Gottes und der Verherrlichung des Sohnes zugleich pro nobis, für alle! Solche gewaltige Deutung gibt Johannes diesen Ereignissen.

Und mit seiner Opfervorstellung verbindet Jesus eine ganz schlichte, eingängige Ethik in einem Bild aus der Landwirtschaft: Das Weizenkorn muss sterben, um Frucht zu bringen. Damit sagt er. Ich und ihr, die ihr mir nachfolgen wollt, ihr müsst sterben, wenn ihr Frucht bringen wollt, Ihr müsst Euch aufopfern, wenn ihr wirklich sinnvoll leben wollt, wenn ihr mir nachfolgt, bringt das nicht Ruhm, Ehre und Anerkennung, sondern, ihr müsst gewärtig sein, Euer Leben zu verlieren.

Wenn ihr euch krampfhaft an euer Leben, euren Besitzstand, eure Familie, eure Heimat klammert und nur danach trachtet, könnt ihr alles verlieren.
Wenn ihr frei und unabhängig mit eurem Leben, eurem Besitzstand, eurer Gesellschaft umgeht und deren Pflichten und Engführungen nicht in allem folgt, sondern in Kritik und Zustimmung, in Widerstand und Ergebung euren eigenen Weg in der Nachfolge Jesu geht, dann werdet ihr gewinnen, Sinn, Erfüllung, Vollendung und, wie auch immer man es verstehen mag: ewiges Leben bei Gott.

Wie ein Blitz hat mich seinerzeit das Tagebuch mit Aphorismen des früheren Generalsekretärs der Vereinten Nationen Dag Hammarskjöld getroffen, als ich es zum ersten Mal vor vielen Jahrzehnten in Händen hielt. Dag Hammarskjöld starb auf einer Friedensmission 1961 in Nordrhodesien, dem späteren Zambia, bei einem ungeklärten Flugzeugabsturz aus den Kriegswirren der kongolesischen Republik kommend. Er hinterließ seine eigenen momentanen Lebensdeutungen in einzelnen kurzen zeitlosen Sätzen und hat als Christ, Sinnsucher und aufopferungsvoller Mitmensch zu seinem Lebensmotto folgende lyrisch anmutenden Worte erhoben:

Weiter treibe ich
Hinaus ins fremde Land.
Beinhart die Erde,
Eisluft beißender kalt.
Berührt vom Winde
meines unbekannten Ziels,
zittern die Saiten
im Warten

Immer ein Fragender,
werde ich dort sein,
wo das Leben verklingt –
ein klarer schlichter Ton
im Schweigen.

Lächeld, offen und ehrlich –
Beherrscht der Körper und frei.
Ein Mann, der wurde, was er konnte,
und der war, was er war –
bereit, im einfachen Opfer
alles zu fassen.
(
D. Hammarskkjöld, Zeichen am Weg, München Zürich 1965, S. 25)

Im einfachen Opfer alles zu fassen. So hat Jesus sich verstanden und das auch seinen Nachfolgern nahe gelegt, sie sollen nun aus der demutsvollen Niederwerfung vor der Autorität, der Proskynese, aufstehen und handeln in einer Welt voller Widersprüche, ohne die Garantie, mit ehrfurchtsvollen Gesten vor den Großen dieser Welt deren Zuneigung und Anerkennung zu gewinnen.

Nein, Nachfolge heißt, sich in der Welt und für die Welt einsetzen, auch unter Gefahr von Leben und Gesundheit. Diese Welt ist nicht alles.
Das kann zum Burn-out führen, oder zur endgültigen Anerkennung in und bei Gott, dem Vater Jesu Christi.
Wollen wir uns dahin auf den Weg machen? Ich zögere immer wieder, finde die Vorstellung aber attraktiv  und nachahmenswert.
Ob die Griechen das auch so gesehen haben, oder Jesu Jünger, oder wir Christen heute?

Der Lohn dafür, den hat Jesus auch beschrieben, ER, der Christus, der Messias: Noch einmal seine Worte aus dem Johannesevangelium:

Joh. 12, 25 Wer an seinem Leben hängt, verliert es; wer aber sein Leben in dieser Welt gering achtet, wird es bewahren bis ins ewige Leben. 26 Wenn einer mir dienen will, folge er mir nach; und wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein. Wenn einer mir dient, wird der Vater ihn ehren.

Welche Konsequenzen im persönlichen Leben aus der Nachfolge Jesu gezogen werden, dass muss jeder für sich selbst herausfinden.

Konsequenzen könnten darin bestehen, sich heute für Asylbewerber und Flüchtlinge einzusetzen, den PEGIDA-Christen, die mit frommen Weihnachtsliedern ihre Angst vor Überfremdung untermauern wollen, entgegenzutreten, den konservativen israelischen Politikern immer wieder entgegenzuhalten, dass Landraub in Palästina keinen Frieden bringt und den palästinensischen Widerstandskämpfern vorzuhalten, dass Raketen und Bomben den Gegner nicht einschüchtern werden.

Sie können darin bestehen, sich genügen zu lassen, dass wir Brot und Nahrung und ein Dach über dem Kopf haben, mehr braucht es nicht, auch nicht ständiges Wirtschaftswachstum zur Ausbeutung von Gottes Schöpfung.

Sie können darin bestehen, sich in die Stille und in das Schweigen zurückzuziehen, sich meditativ Gott anzunähern versuchen, ohne sogleich große Wunder und Zeichen zu erwarten, und sie können zuletzt auch darin bestehen, dass man mit seinem Opfer dazu beiträgt, die Welt immer wieder auf ihr Ende in und bei Gott zu verbessern und vorzubereiten, denn dieser Christus wird durch sein Opfer und die Verherrlichung des Vaters wie des Sohnes in all seiner Herrlichkeit wiederkommen am Ende aller Zeit. Dessen bin ich gewiss!

AMEN

Liedvorschlag: EG 98; EG 384, 1-4+ EG 325 9 + 10 zusammen singen, (gleiche Melodie)