Singen gegen die Angst. Predigt zu Apostelgeschichte 16,23-34 von Margot Runge
16, 23-24

Singen gegen die Angst. Predigt zu Apostelgeschichte 16,23-34 von Margot Runge

Im Keller ist es duster, da wohnt ein alter Schuster, wurde bei uns früher gesungen. Vielleicht war es bei Ihnen etwas anderes. Jedenfalls: Singen vertreibt die Angst. Wenn die Kinder in den Keller gehen, singen sie.
Dunkle, unheimliche Keller gibt es bei uns kaum noch. Die Häuser heutzutage sind modern und aufgeräumt und sehen leider ziemlich gleich aus. Angst haben wir trotzdem. Und Angsträume gibt es genügend in der Welt: Gefängnisse und Folterkeller, in denen die Seelen der Menschen zerbrochen werden. Manchen Angsträumen sieht man nicht an, dass sie welche sind. Die Schule kann dazu werden, neuerdings auch das Internet. Auf manche Straßen trauen sich Frauen abends nicht. Ganze Stadtviertel können tabu sein für Leute mit einer Hautfarbe oder Gesinnung, die andere als unpassend betrachten. Selbst das Zuhause kann zerbrechen, bietet nicht Geborgenheit und Sicherheit, sondern ist ein Ort für Bedrohung und Streit. Die eigene Wohnung ist der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder.
Singen gegen die Angst. Hilft das?

In der Apostelgeschichte wird erzählt, wie Paulus und Silas, zusammengeschlagen, gefoltert, angekettet, Gott zu loben beginnen. In den römischen Gefängnissen ging es keineswegs lustig zu. Ohne Rechtsbeistand, waren sie schutzlos der Gewalt von Wärtern (und Mitgefangenen?) ausgeliefert. Als Spießgesellen eines hingerichteten Staatsfeindes, denn als solcher galt Jesus, hatten sie allen Grund zur Angst. Um Mitternacht aber beteten Paulus und Silas und lobten Gott. Und die Gefangenen hörten sie, heißt es.
Zu Mitternacht, da ist die Dunkelheit am tiefsten, die Angst am ausweglosesten. Bis Mitternacht hat es vielleicht auch gedauert, dass sie die Augen aufschlagen und ihre blutigen Glieder überhaupt wieder rühren können.

Ein Lied hinter Gefängnismauern, das ist ein Hoffnungszeichen, ein Zeichen dafür, daß Menschen sich nicht brechen lassen. Es ist ein Hoffnungszeichen für alle anderen. Und die anderen in der Dunkelheit hören es. Tatsächlich geht ein Aufstand durch das Gefängnis, es wird bis in die Grundmauern erschüttert und erregt. Ein Erdbeben läßt die Mauern fallen, die Fesseln zerspringen, die Gefangenen sind frei, ein Wunder. Das ist im Grunde eine Ostergeschichte. Sie geht noch weiter. Die Gefangenen lassen den Wärter nicht im Stich und bewahren ihn vor Strafe. Der Wärter bekehrt sich, wechselt auf die Seite derer, die er bewachen soll, solidarisiert sich mit ihnen. Vor allem aber wagen Paulus und Silas es, den Stadtrichtern die Stirn zu bieten. Sie fordern trotzig und mutig Gerechtigkeit. Tatsächlich werden sie rehabilitiert und verlassen erhobenen Hauptes die Stadt.
Singen gegen die Angst zieht Kreise.

Gut, wer in solcher Situation ein Lied weiß. Es kann den Schreck in Worte fassen, kann Trübsal vertreiben und ein Schutzmantel sein vor Hoffnungslosigkeit und Resignation. Ein Lied kann mutig machen, widerspenstig, kann den Unterdrückern eine Nase drehen. Eine Melodie, frech dahingepfiffen, kann den Gleichschritt von marschierenden Stiefeln durcheinanderbringen und eine ganze Armee ins Stolpern bringen. Eine Strophe zur rechten Zeit kann die Massen aus Lethargie wecken, das Volk wie ein Sturmwind aufwirbeln, zum Signal für Veränderung werden.

„Wo man singt, da lass dich ruhig nieder – böse Menschen haben keine Lieder“ heißt es, in Anlehnung an Johann Gottfried Seume (1804). Stimmt das wirklich? Auch die Nazis hatten Lieder und sie haben bewusst dafür gesorgt, dass sich mit den Melodien die Worte in den Köpfen festsetzten und bis zum Lebensende aufgerufen werden konnten. Diktatoren aller Zeiten haben Jubellieder und –sänger bestellt. Soldaten stürzten sich mit Marschgesängen ins Gemetzel. Und bis heute verbreiten Rapper Homophobie und Frauenfeindlichkeit, Fußballchöre machen die gegnerische Mannschaft nieder. Lieder sprechen unsere Gefühle an und rühren tiefere Schichten in uns an, deshalb sind sie so wirkungsvoll und auch gefährlich. Mit der Musik verbinden sich die Worte und ihre Botschaft.
Welche Lieder also stecken in uns? Was lehren wir unsere Kinder? An welche Lieder werden unsere Kinder oder Enkel sich einmal erinnern, welche Lieder werden sie später einmal singen?
Von Dietrich Bonhoeffer wird erzählt, wie er sich im Gefängnis unter den Nazis mit Gesangbuchliedern und Bibelversen beschäftigt hat. Er konnte sie auswendig – und jetzt waren sie sein Schatz. Die Bibel berichtet, womit Maria ihr ungeborenes Kind in den Schlaf wiegte, als sie schwanger war: ein aufrührerisches, trotziges Lied von ihrer Hoffnung, dass nichts bleiben muss, wie es ist. Maria singt davon, wie bei Gott die Mächtigen gestürzt und die Hungernden satt werden. Sie singt von einer neuen, anderen Welt, in der die Armen auf dem Thron sitzen und Gerechtigkeit regiert.

Ob Paulus und Silas im Gefängnis ein solches Lied angestimmt haben, als sie um Mitternacht mit zerschlagenen Gliedern langsam aus der Ohnmacht aufgewacht sind? Lobgesänge auf Wohlstand, Fortschritt und Erfolg, wie wir sie heute überall hören, wären ihnen wohl kaum in den Sinn gekommen und sie hätten die Mauern des Gefängnisses nicht zum Wanken gebracht.
Unsere Singegewohnheiten haben sich in den letzten 50 Jahren radikal geändert. Wir singen nicht mehr, wir lassen singen, auf CD und im Fernsehen. Doch die Kinder genießen es, wenn Eltern oder Großeltern abends am Bett sitzen. Oft singen sie mit Begeisterung. Sie freuen sich über Lieder voll Hoffnung, Witz und Lebensfreude. Und sie können Lieder gut gebrauchen, die die Angst vertreiben, wenn sie in den Keller müssen oder plötzlich vor Angsträumen stehen, den Angsträumen ihrer Seele oder den realen.
Mögen wir unseren Kindern Lieder mitgeben, die wie Brot sind, von denen sie zehren können und mit denen sie die Zukunft gestalten können. Mögen sie ihre eigene Melodie finden, einen neuen Rhythmus, in Gottes Namen.

 

Liedvorschlag:
Wir singen für den Frieden, wir singen für die Welt,
wir singen für die Müden, die keine Hoffnung hält.
Wir singen für die Leisen, für die kein Wort sich regt,
die Wahrheit wird erweisen, dass Gottes Hand sie trägt.

2. Wir hoffen für das Leben, wir hoffen für die Zeit,
für die, die nicht erleben, dass Menschlichkeit befreit.
Wir hoffen für die Zarten, für die mit dünner Haut,
dass sie mit uns erwarten, wie Gott sie unterbaut.

3. Wir singen für die Liebe, wir singen für den Mut,
damit auch wir uns üben und unsere Hand auch tut,
was das Gewissen spiegelt, was der Verstand uns sagt.
Hilf uns, die Welt zu bauen, wie Jesus es gewagt.
Text: nach Peter Spangenberg. Melodie: Befiehl du deine Wege