Sprich nur ein Wort – und alles wird neu - Predigt zu Lukas 5,1–11 von Sven Evers
5,1-11

Sprich nur ein Wort – und alles wird neu - Predigt zu Lukas 5,1–11 von Sven Evers

Sprich nur ein Wort – und alles wird neu

Gescheitert. Auf der ganzen Linie. Wieder einmal. Er kann die Misserfolge kaum noch zählen. Was hat er nicht alles versucht. Eine Fortbildung nach der anderen. Jeden Feierabend am Schreibtisch verbracht, um besser zu werden, um endlich die Fehler abzustellen, weil es doch an ihm selber lag – oder nicht? Wie viel hatte er sich vorgenommen für diesen Tag, dieses Projekt, diese eine Konferenz, an der so viel hing. Und dann? Wieder nichts. Ausgelacht hatten sie ihn, jedenfalls fühlte er sich so.
Jetzt sitzt er in der Küche. Trinkt einsam seinen Kaffee. Hört gar nicht hin, was die anderen reden. Sieht sie kaum, als sie sich neben ihn setzt mit ihrem Kaffee. Ihm in die Augen schaut. Sich räuspert. Da merkt er auf. „Komm“, sagt sie – „versuch es noch ein einziges Mal“. – Ausgerechnet sie, denkt er. Nett ist sie ja, das schon – aber aus einer ganz anderen Abteilung. Was versteht sie denn von seiner Arbeit, von seiner Verantwortung, von seiner Angst vor dem Scheitern?
Und doch: Ihre Worte machen ihm Mut. Ihr Blick macht ihm Mut. Es liegt so viel Zutrauen darin. Ja, sie traut ihm etwas zu, das spürt er.
Er sagt gar nicht viel. Lächelt zweifelnd zurück und nickt ihr zu. Ein leises „OK“.
Er geht zurück in sein Büro. An den Schreibtisch. An die Arbeit. Zum ersten Mal – mit Erfolg...

5,1Es begab sich aber, als sich die Menge zu Jesus drängte, um das Wort Gottes zu hören, da stand er am See Genezareth 2und sah zwei Boote am Ufer liegen; die Fischer aber waren ausgestiegen und wuschen ihre Netze. 3Da stieg er in eines der Boote, das Simon gehörte, und bat ihn, ein wenig vom Land wegzufahren. Und er setzte sich und lehrte die Menge vom Boot aus.

Lass ihn reden, denkt sich Petrus. Das war eine richtige Sch...Nacht. Stundenlang haben wir uns die Kälte um die Ohren wehen lassen, haben immer und immer wieder die Netze ausgeworfen, uns mühsam nur auf den Beinen gehalten, weil die Müdigkeit und der Frust so groß waren. Und wofür? Nichts haben wir gefangen, aber auch gar nichts. So langsam wird es dramatisch. Wenn sich nicht bald etwas ändert, dann weiß ich kaum noch, wie ich die Familie ernähren soll. Gescheitert. Auf der ganzen Linie. Wieder einmal....

4Und als er aufgehört hatte zu reden, sprach er zu Simon: Fahre hinaus, wo es tief ist, und werft eure Netze zum Fang aus! 5Und Simon antwortete und sprach: Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber auf dein Wort will ich die Netze auswerfen.

Warum habe ich eigentlich auf diesen Mann gehört? Das hat Petrus sich im nachhinein oft gefragt, ohne wirklich eine Antwort darauf zu finden. Vielleicht waren es die Worte, die er so nebenbei aufgeschnappt hatte, während er in Gedanken und mit den Händen beschäftigt war und Jesus von seinem Boot aus predigte?
Vielleicht war es der Frust, fast schon Fatalismus, der ihn sagen ließ, dass es darauf ja nun auch nicht mehr ankomme?
Vielleicht war es die Art und Weise, in der Jesus ihn aufforderte. Da lag eine Bestimmtheit in seinen Worten und eine Überzeugungskraft – wider alle Vernunft. Weder hatte dieser Zimmermann Ahnung von der Fischerei, noch konnte er ahnen, wie müde, wie frustriert, wie kaputt Petrus und die Seinen waren, und dass sie eigentlich nur noch nach Hause wollten und den Misserfolg der Nacht vergessen. – Oder konnte er es doch ahnen?
Wie auch immer: Sie haben es gewagt. Er hat es gewagt. Wider alle Vernunft, wider alle Erfahrung den Worten Jesu vertraut – naja, oder ihnen doch zumindest etwas zugetraut. Sie sind rausgefahren auf den See des Misserfolgs. Ein letztes Mal... Und das hat alles verändert.

„Auf Dein Wort will ich die Netze auswerfen“
Die anderen haben schon etwas verwirrt geschaut, als Petrus die Leinen los machte, um wieder auf den See hinaus zu fahren. „Hast Du nicht mehr alle Tassen im Schrank“, haben sie vielleicht gefragt. „Warum lässt Du Dir von dem sagen, was Du zu tun hast? Der hat doch von Fischerei keine Ahnung.“ „Nein“, hat Petrus vielleicht geantwortet. „Aber doch ist da etwas in seinen Worten, das mir Mut macht. Und wie soll ich herausfinden, ob es Sinn macht oder nicht, bevor ich es nicht ausprobiert habe. Was haben wir zu verlieren? Wir waren die ganze Nacht auf See – ob wir nun noch einmal mehr oder weniger hinaus fahren, was macht das für einen Unterschied. Wir haben nichts zu verlieren, aber vieles zu gewinnen. Ist das nicht oft so im Leben? Woher wisst Ihr, dass morgen die Sonne aufgeht, bevor ihr sich nicht mit eigenen Augen seht? Woher wisst Ihr, dass das Versprechen, das andere Euch geben, gehalten wird, bevor es tatsächlich in die Tat umgesetzt ist? Wir fahren hinaus. Vielleicht ändert es nichts – dann fahren wir nach Hause und überlegen in Ruhe, wie es weitergehen kann. Oder es ändert alles. Aber wir werden es nie erfahren, wenn wir nicht auf dieses Wort dieses Mannes hin hinaus fahren.“

Und so fuhren sie hinaus.

6Und als sie das taten, fingen sie eine große Menge Fische und ihre Netze begannen zu reißen. 7Und sie winkten ihren Gefährten, die im andern Boot waren, sie sollten kommen und mit ihnen ziehen. Und sie kamen und füllten beide Boote voll, sodass sie fast sanken. 8Als das Simon Petrus sah, fiel er Jesus zu Füßen und sprach: Herr, geh weg von mir! Ich bin ein sündiger Mensch.

Es hat alles verändert. Vertrauen verändert alles. Hätte Petrus sich nur auf seine Erfahrung verlassen, und sei sie noch so professionell, sei sie noch so fundiert – niemals hätte er erlebt, was er erlebt hat. Erfahrung ist wichtig – aber sie bringt nie Neues hervor.
Kompetenzen sind wichtig – aber sie alleine schaffen noch keinen Erfolg.
Professioneller Sachverstand, gerade im Beruf – natürlich! Aber sie alleine verändert nichts.
Mut zum Sprung in das Ungewisse; das Bauen auf das, was noch nicht da ist; bedingungsloses Vertrauen dem, was nie durch Erfahrung belegt werden kann, weil es noch keinen Grund hat in der Erfahrung – das verändert. Das macht neu. Nicht nur die Dinge oder die Situation, in der man steht, sondern den Menschen selber.
Petrus ist nicht mehr derselbe, während er hier mit den schweren Netzen kämpft, die wider alle Erfahrung, wider alle Vernunft bis zum Zerreißen gespannt sind. Sie trauen ihren Augen nicht, er und die Kollegen um ihn – sie können ihren Augen nicht trauen, weil ihre Augen noch nie gesehen haben, was hier geschieht, noch gar nicht wissen, wie das Neue aussieht.
So stehen sie verwirrt, erstaunt, verwundert, ratlos, begeistert und in tiefer Demut da. Der Schatz der Erfahrung auf der einen – der Schatz des Vertrauens auf der anderen Seite. Das, was sie sich selber zugetraut haben auf der einen, das, was Gott ihnen zutraut auf der anderen Seite.
Das Neue; das Leben; die Fülle – ersehnt, erhofft, manchmal sogar vorgestellt – und doch kaum zu ertragen in seiner Andersartigkeit, in seiner Neuheit, seiner Lebendigkeit.

9Denn ein Schrecken hatte ihn erfasst und alle, die bei ihm waren, über diesen Fang, den sie miteinander getan hatten, 10ebenso auch Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, Simons Gefährten. Und Jesus sprach zu Simon: Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen. 11Und sie brachten die Boote ans Land und verließen alles und folgten ihm nach.

Jetzt sind sie bereit für das Neue, für das wirklich Neue. Und das war nun noch weniger absehbar als die vollen Netze, die sie schon nicht für möglich gehalten hätten. Als sei für die das erste Mal die Sonne aufgegangen und würden sie zum ersten Mal das Leben erblicken, wie es wirklich ist – oder wie es sein könnte.
„Fürchte Dich nicht“ – die ersten Worte Jesu, weil Angst macht, was neu ist und nicht vertraut. Weil man uns Menschen nicht einfach in eine neue, unbekannte Welt hineinwerfen und dann allein lassen kann, und sei diese neue Welt auch noch so schön.
Aber jetzt wird alles anders. Die vielen Fische – unerwartet, unverhofft – doch letztlich noch eine Fortsetzung dessen, was war. Früher wenig Fische oder viele – jetzt ganz viele. Das ist noch nichts wirklich Neues.
Und wie bescheiden sind – nicht nur Petrus und die Seinen – sondern auch wir wohl oft, wenn wir Neues erhoffen, alles anders werden soll, nichts mehr so bleiben, wie es ist – und wir insgeheim doch nur hoffen auf ein Mehr von dem, was schon ist, weil wir Angst haben vor dem, was ganz anders sein könnte...
Von nun an wird Petrus die Netze Netze sein lassen. Nicht, weil etwas verkehrt ist am Fischerhandwerk. Jesus stellt auch keine allgemeingültige Regel für das Leben in der Gemeinschaft mit Gott auf, indem er etwa sagt, dass jede und jeder seinen und ihren Beruf zu verlassen hätte, wenn er oder sie sich auf die Seite Gottes stellen will. Aber für Petrus ist genau dieses Neue das, was Gott Jesus für ihn bereit hält. Für ihn ist genau dies das Leben, das er leben darf und – will. Für ihn ist in einem Augenblick alles anders geworden.
Er hatte den Mut, gegen alle Erfahrung zu handeln und gegen die innere Vernunft seines Wissens und Könnens – auf das Wort Jesu hin.
Er hatte den Mut zu vertrauen dem, der keine Beweise in den Händen hielt, um Petrus theoretisch zu überzeugen von dem, was dann praktisch zu vollziehen wäre oder auch nicht.
Er hat den Sprung gewagt, ohne den es keinen Glauben geben kann – ach, was heißt keinen Glauben – ohne den es kein Leben geben kann, das den Namen Leben verdient.

Er geht zurück in sein Büro. An den Schreibtisch. An die Arbeit. Zum ersten Mal – mit Erfolg...er lächelt. Es geht also doch, denkt er. Wenn mir nur endlich jemand etwas zutraut. Wenn ich nur endlich mir selber etwas zutraue. Dann kann ich das, was war, durchbrechen, dass es nicht auch noch das bestimmt, was kommt.
Er packt seine Sachen. Schließt die Tür und macht sich auf den Heimweg. Lächelnd – zum ersten Mal nach langer Zeit.
Weil sich etwas geändert hat. Weil ihm jemand etwas zugetraut hat.

Jetzt müsste ihm nur noch jemand sagen, dass es da einen Gott gibt, der ihm nicht etwas, sondern alles zutraut. Der nicht etwas, sondern alles verändert.