Vertrauen und Angst - Predigt zu Jesaja 7,10-14 von Christoph Dinkel
7,10-14

Vertrauen und Angst - Predigt zu Jesaja 7,10-14 von Christoph Dinkel

Und der HERR redete abermals zu Ahas und sprach: Fordere dir ein Zeichen vom HERRN, deinem Gott, es sei drunten in der Tiefe oder droben in der Höhe! Aber Ahas sprach: Ich will's nicht fordern, damit ich den HERRN nicht versuche. Da sprach Jesaja: Wohlan, so hört, ihr vom Hause David: Ist's euch zu wenig, dass ihr Menschen müde macht? Müsst ihr auch meinen Gott müde machen? Darum wird euch der Herr selbst ein Zeichen geben: Siehe, eine junge Frau ist schwanger und wird einen Sohn gebären, den wird sie nennen Immanuel – Gott ist mit uns.

 

Liebe Gemeinde!

 

1. Angst und Vertrauen

Der König Ahas hat Angst. Die Zukunft wirkt bedrohlich. Überall wittert er Feinde und seine Berater bieten auch keinen Trost. Sie haben ebenfalls Angst. Sie verbreiten apokalyptische Szenarien und glauben selbst daran. Nur einer hat keine Angst: der Prophet Jesaja. Im Unterschied zum König und seinen Beratern ist der Prophet ein Mann des Glaubens. Dem verängstigten König verkündet er: „Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht“. Nur wer glaubt, steht so fest, dass ihn die Ängste und Bedrohungen der Gegenwart nicht umhauen können. Gegen die Angst empfiehlt der Prophet dem König Gottvertrauen. Vertrauen ist die bessere Strategie, sie hat die größere Reichweite und den längeren Atem. Doch der König bleibt lieber bei seiner Angst. Er will in den Krieg ziehen gegen Feinde, die der Prophet für längst geschlagen hält. Die Angst und das Sicherheitsdenken verleiten den König zu militärischen Aktionen, die ganz und gar unnötig sind. Die Aktionen helfen nicht, noch nicht einmal seine Ängste wird der König damit los. Ach, der König ist noch jung. Wie soll er es auch besser wissen, denkt der Prophet. Ich will ihm helfen. Gott wird ihm ein Zeichen geben, damit er lernt zu vertrauen.

 

Das ist die Situation unseres Predigttextes, der am Ende des 8. Jahrhunderts in Jerusalem spielt. Doch die Szenen sind austauschbar. Wie viele Ängste bewegen uns in diesen Tagen? Und welche apokalyptischen Szenarien entwerfen wir und glauben dann fest daran? Und was unternehmen wir modernen Menschen nicht alles, um unsere Ängste in den Griff zu bekommen? Das fängt mit den Alarmanlagen in den Häusern an, das geht weiter mit dem Pfefferspray in der Tasche und endet bei uns damit, dass mancher bei Dunkelheit gar nicht mehr aus dem Haus geht. In den USA treiben sie es noch weiter. Aus lauter Angst vor Attentätern bewaffnen sich die Menschen massenhaft. Und weil so viele Waffen im Umlauf sind, steigt die Wahrscheinlichkeit durch Waffen umzukommen um ein Vielfaches. In den USA ist die Wahrscheinlichkeit durch Schusswaffen umzukommen fast 15 Mal höher als in Deutschland. Die Waffen schaffen nicht mehr, sondern weniger Sicherheit. Wer ständig misstraut, lebt am Ende gefährlicher. Es ist merkwürdig, dass ein vordergründig so frommes Land wie die USA so großes Misstrauen hegt. Glaubt ihr nicht, so bleibt ihr nicht, sagt der Prophet. Gottvertrauen statt Waffenkauf wäre wohl auch in diesen Fall die Strategie mit der größeren Überlebensquote.

 

(vgl. zu den Angaben: http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/las-vegas-waffen-kultur-in-den-usa-in-grafiken-a-1171186.html)

 

2. Virtuelle und wirkliche Wirklichkeit

Jesaja ist ein Mann des Glaubens, aber was für einer. Glaubende gelten bei uns heute gerne als Menschen, die es mit der Wirklichkeit nicht ganz so genau nehmen. Glaubende gelten als leichtgläubig und die Leichtgläubigen werden gut bedient in unserem Land. Jeden Tag bietet die Bild-Zeitung in der Rubrik „Mystery“ Informationen zu Ufo –Landungen und anderen Phantastereien. Man vertraut auf Globuli und die Heilkraft von Steinen, auf Horoskope und asiatische Therapien. Der Prophet Jesaja ist ein Mann des Glaubens, aber gerade deshalb setzt er auf Fakten. Als Prophet hält er gar nichts von Spekulationen über die Zukunft, nichts von apokalyptischen Phantasien, sein Metier ist die politische Analyse. Er wertet Informationen über die geopolitische Lage aus und erkennt zutreffend, dass die Macht der Reiche, von denen sich der König Ahas bedroht sieht, ihren Zenit längst überschritten hat. Der Prophet sieht mehr als der König und seine Berater in ihrer Angst zu sehen vermögen. Aus der Perspektive des Propheten leben der König und seine Berater in virtuellen Angstwelten und der Prophet gibt sich alle Mühe sie wieder mit der realen Welt und den echten politischen Verhältnissen in Kontakt zu bringen. Gerade als Glaubender hält der Prophet nichts von alternativen Fakten. Er setzt auf die Macht der Wirklichkeit, auf Tatsachen, auf die bestmögliche Erkenntnis.

 

3. Der Immanuel Jesajas

Vom Faktischen, von der realen Wirklichkeit würde der Prophet den König gerne überzeugen. Aber das ist gar nicht so leicht. Dem König wird von Gott ein Zeichen angeboten, damit er zu vertrauen lernt und von seinen militärischen Fehlplanungen ablässt. Aber der König will kein Zeichen, er will nicht irritiert werden in seinem Aberglauben. Er hat es sich so schön in seiner apokalyptischen Wirklichkeit eingerichtet. Warum soll er sich da stören lassen? Der Prophet nervt, denkt der König. Doch der Prophet lässt nicht ab zu nerven. Er ist im Auftrag des Herrn unterwegs. Er will den König zwingen, der Wirklichkeit mehr zu vertrauen als seiner Angst. Und deshalb schickt Gott dem König ein Zeichen, das Zeichen des Immanuel.

 

Und jetzt müssen wir ganz tapfer sein und alles wegschieben, was die religiöse Tradition uns vielleicht einflüstert. Der Immanuel Jesajas ist ein normales Kind. Seine Mutter ist eine ganz normale Frau, entweder die Frau des Propheten oder die Frau des Königs oder noch eine andere Frau. Sie ist keine Jungfrau, wie das Wort „junge Frau“ ungenau ins Griechische übersetzt wurde und wie es in der Folge dieser Ungenauigkeit im Glaubensbekenntnis heißt. Der Immanuel Jesajas ist normal gezeugt und normal geboren und doch ist er ein Zeichen Gottes. „Gott ist mit uns“, heißt der Name „Immanuel“ übersetzt. Der Name des Kindes wird zur Botschaft an den König. Diese Art der Zeichennamen ist für den Propheten Jesaja ein bewährtes Mittel. Auch zwei seiner Kinder haben Zeichennamen: „Ein-Rest-kehrt-um“, heißt der eine, „Raubebald-Eilebeute“ der andere. Die Jungs werden sich bedankt haben für diese Namen. Pech, wenn man einen Propheten als Vater hat! Immanuel jedoch ist besser dran. Dessen Name wurde von der Mutter ausgewählt, ein Namensvorschlag der noch heute durchgeht.

 

Das Kind Immanuel wird zum Zeichen an den König. In seiner puren Faktizität, in seiner natürlichen Lebendigkeit soll das Kind den König daran erinnern, dass Gottes Wirklichkeit stärker und konkreter ist als die Angst des Königs und seiner Berater. Das ist die Idee des Propheten. Und die Idee war so zündend, dass das Matthäusevangelium bei der Ankündigung der Geburt Jesu durch den Engel wieder den Namen „Immanuel“ nutzt: Marias Kind wird der Immanuel sein.

 

4. Der Immanuel Gottes

Warum ein Kind? Warum soll gerade ein neugeborenes Kind das Zeichen der Nähe Gottes sein? – Weil nichts so eine natürlich-bezwingende Kraft hat wie ein neugeborenes Kind. Ein Neugeborenes ist ein Wunder vor den Augen der staunenden Eltern. Ein Neugeborenes setzt einen totalen Anfang, ein neues Universum. Nie zuvor hat ein Lebewesen die Welt mit den Augen betrachtet, mit denen das Neugeborene sieht. Ein ganzer Kosmos entsteht. Für alle auch nur rudimentär religiös Musikalischen wird im Neugeborenen die Schöpfermacht Gottes erlebbar. Etwas noch nie Gedachtes tritt in die Wirklichkeit ein.

 

Die Kraft, die ein Neugeborenes ausstrahlt, spürt in der Weihnachtsgeschichte des Matthäus auch der böse König Herodes. Vorsorglich lässt er der Erzählung nach gleich alle kleinen Jungen in Bethlehem ermorden. Das ist sein Kampf gegen die Wirklichkeit Gottes. Das ist sein Kampf gegen seine apokalyptischen Ängste und das große Zeichen seines Unglaubens. All die großen Mörder der Geschichte, alle Menschenschinder sind aus der Perspektive des Evangeliums Ungläubige. Sie sind der Vernichtung überlassen. Denn wer nicht glaubt, der bleibt nicht.

 

Jenen jedoch, die in Angst leben, jenen, die verzagt sind, sendet Gott als Signal der Nähe seinen Immanuel: Das Kind in der Krippe, den Heiland der Welt. Allen apokalyptischen Phantasien zum Trotz ist dieser Immanuel ein ganz reales Kind, konkret, fassbar, lebendig und leibhaftig. Gegen die Ängste der Menschen schickt Gott ein Neugeborenes, weil das Neugeborene wie nichts sonst die Lebenskraft des Schöpfers spürbar macht.

 

5. Zeichen für Gottes Kraft

So viele leben heute in apokalyptischen Ängsten: Sie fürchten sich vor islamistischem Terror, der globalen Erwärmung oder den nordkoreanischen Atomwaffen. Sie fürchten sich vor Donald Trump und seiner Unberechenbarkeit. Manche fürchten sich vor einer Flüchtlingsflut, manche die Überfremdung durch Muslime, noch andere vor Impfschäden oder Glyphosat, vor Insektensterben, Feinstaub, Stickoxid und der Digitalisierung. Zu den Apokalypsen unserer Tage zählt die Angst, der Gesellschaft gehe die Arbeit aus, oder die Furcht vor der Globalisierung. Manche haben auch Angst der VfB könnte erneut absteigen. Wir sind umgeben von Schreckensszenarien, die Gesellschaft fühlt sich im Dauerstress, sie ist permanent unter Strom und zur Aktivität bereit. Dass die Regierungsbildung in Berlin länger dauert, wird da schon zum Problem. Dabei dreht sich die Welt auch unter einer geschäftsführenden Regierung in aller Ruhe weiter.

 

Mit seinem Immanuel setzt Gott ein Zeichen des Realismus und der Ruhe inmitten unserer selbstgemachten apokalyptischen Ängste. Ein wirkliches Kind, das schreit und in die Windeln macht und gestillt werden muss, etwas ganz Reales und Natürliches wird zum Zeichen für die Nähe Gottes. Auf Gottes Schöpferkraft ist Verlass. Den menschlichen Untergangsängsten setzt Gott einen Anfang, etwas absolut Neues entgegen. Gott ist mit uns – jedes neue Menschenkind kann uns das klarmachen. Gott ist mit uns – das gilt besonders für das Kind im Stall von Bethlehem. Mit seiner Geburt fängt Gottes neue Welt an. Ihr sollten wir mehr vertrauen als unseren Ängsten. Denn nur mit Gottvertrauen können wir in all den apokalyptischen Szenarien um uns prüfen, was wirklich gefährlich und was eigentlich harmlos ist. Nur mit der Ruhe des Gottvertrauens können wir blinden Aktionismus vermeiden und erkennen, was wirklich zu tun ist.

 

Die Christenheit erkennt im Kind von Bethlehem den von Jesaja angekündigten Immanuel wieder. Er wird für uns zum Zeichen der Nähe Gottes, zur Verheißung des göttlichen Friedens auf Erden, zum Heiland der Welt. Der Immanuel Gottes ist ein Zeichen gegen unsere Furcht, ein Signal gegen die apokalyptischen Ängste, in die sich so viele verirren. Der Immanuel Gottes ist ein neugeborenes Kind in all seiner Verletzlichkeit und Kraft. An ihm erkennen wir die Macht des Schöpfergottes. Er ist für uns da. Immanuel – Gott ist mit uns. – Amen.